Das weiß man natürlich an den Stammtischen nicht - das weiß ich wohl -, und das wissen Sie in der DVU-Fraktion offensichtlich auch nicht. Aber wir im Landtag sollten es besser wissen. Ich danke.
Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Der Abgeordnete Sarrach spricht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist der Mühe nicht wert nachzusehen, wie oft schon die DVU diesen Vorstoß zur Abschaffung einer angeblichen strafrechtlichen Privilegierung von Heranwachsenden unternommen hat; Privilegierung - wie Kollege Holzschuher es schon sagte - nicht im juristischen Sinne, sondern umgangssprachlich gemeint.
Über den Status - das ist festzustellen - eines rechtsextremen Trittbrettfahrers ist die DVU nie hinausgekommen, und eine taugliche Lösung bietet sie auch nicht an. Das kann anhand ihrer eigenen Begründung belegt werden:
Sie sagen, die Rechtsanwendungspraxis habe sich seit 1953 tiefgreifend gewandelt. Das Jugendgerichtsgesetz habe kein zureichendes Instrumentarium, der Kriminalitätsentwicklung zu begegnen. Die Jugendgewalt nehme zu. Der Münchner Vorfall sei eine Zäsur in der rechtspolitischen Diskussion, und das Jugendstrafrecht werde in den Ländern zu unterschiedlich angewandt, wobei die Anwendung des JGG auf Heranwachsende ohnehin sachlich wie rechtspolitisch fragwürdig sei. Schließlich laufe diese Anwendungspraxis den Grundsätzen der Generalprävention zuwider.
Was ist von diesen scheinbaren Argumenten zu halten? - Gar nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen; ganz und gar nichts.
Erstens: Nicht das JGG ist antiquiert, sondern Ihr Vorschlag, Heranwachsende nach dem Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen. Prof. Ostendorf qualifiziert solche Vorschläge nicht von ungefähr als Ohrfeige für die jugendstrafrechtliche Praxis. Vorschläge dieser Art gehen hinter den kriminologischen Forschungsstand von 1953 zurück. Weil das so ist, blenden Sie aus, dass die Fachwelt
- sicherlich, Herr Schulze - tagesaktuell seit Jahren umgekehrt eine generelle Bestrafung bis zum Alter von 25 Jahren nach dem Jugendstrafrecht fordert. Denn das Jugendstrafrecht ist nicht milder - auch darauf hat Kollege Holzschuher hingewiesen -, sondern hat das bessere und flexiblere Sanktionsspektrum. Es kennt mehr als Geld- oder Freiheitsstrafe und kann daher sinnvoller reagieren.
Zweitens: Die empirische Sozialforschung belegt - vergleichen Sie hierzu unter anderem die periodischen Sicherheitsberichte der Bundesregierung -: Das überproportional häufige Auffallen junger Menschen als Straftäter ist keine Besonderheit der Gegenwart, sondern wurde in jeder Generation beobachtet. Schwere Kriminalität ist Erwachsenen-, nicht Jugendkriminalität. Jugendgewalt stagniert und geht grundsätzlich zurück. Schwere Strafen schrecken nicht ab. Freiheitsentzug senkt die Rückfälligkeitsrate nicht. Kriminelle Karrieren werden durch frühe Bestrafung stabilisiert. Der Ausstieg aus kriminellen Karrieren gelingt eher durch soziale Teilhabe. Das ist also der wirksame Opferschutz.
Das Jugendstrafrecht hat sich insgesamt bewährt. Andere empirische Belege haben Sie hier heute nicht vorlegen können.
Drittens: Eine länderweise unterschiedliche Praxis der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende gibt es in der Tat. In Brandenburg - diese Zahlen haben Sie bewusst wegge
lassen - ist der Leidensdruck offensichtlich nicht so groß; denn die Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht betrifft seit Jahren konstant 7 von 10 Heranwachsenden.
Für alle Zahlen gibt es Gründe, Gründe für Gutachter, Reifeverzögerungen zu diagnostizieren, Gründe für Richter, das Jugendstrafrecht anzuwenden, Gründe für den Bundesgerichtshof, wiederholt zu entscheiden, dass im Zweifel dem Jugendstrafrecht der Vorzug zu geben ist.
Viertens: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Ihr regelmäßiges Generalpräventionsgeschwafel hier gerade nicht passt und systemwidrig ist. Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden: Eine Abschreckung anderer ist im Jugendstrafrecht nicht erlaubt. Auch bei Heranwachsenden ist auf die Generalprävention zu verzichten, weil es um eine jugendadäquate Individualprävention, also um Erziehung, geht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Sarrach, wenn Sie hier schon zum Thema Jugendstrafrecht polemisieren,
Bereits in Ihrer Rede am 18. Mai 2006 - hören Sie bitte ruhig zu - haben Sie hier ziemlich viel Unsinn von sich gegeben. So zum Beispiel - ich zitiere
„Das Jugendstrafrecht - eine liberale Segnung - wurde in der alten Bundesrepublik in den 70er-Jahren eingeführt.“
(Lachen bei der Fraktion DIE LINKE - Sarrach [DIE LINKE]: Radbruch! Von ihm stammt die Radbruchsche Formel!)
- Ich habe mich versprochen, verehrter Kollege. Das kann ja wohl passieren. - Das Gesetz ist am 16. Februar 1923 erlassen worden und beinhaltete bereits die Grundzüge des heutigen Jugendgerichtsgesetzes. Dabei wirkten übrigens die Ideen des Strafrechtlers Franz von Liszt mit.
lierung einer Fehlentwicklung sei empirisch nicht zu belegen. Sie erklärten sich dem Kollegen Werner als dankbar für die von ihm seinerzeit genannten Verurteiltenzahlen des Jahres 2005. Die Jugendkriminalität, speziell die von Kindern, ist in Deutschland tatsächlich seit dem Jahr 2000 zurückgegangen. Das mag alles sein; aber darauf bezieht sich unser Antrag gar nicht.
Bei den Heranwachsenden jedenfalls ist in den Jahren von 2000 bis 2006 nach der Polizeilichen Kriminalstatistik in Bezug auf ermittelte Tatverdächtige die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Heranwachsende nahezu gleich geblieben. Sie lag im Jahr 2000 bei 247 586 und erfuhr einen deutlichen Anstieg bis zum Jahr 2004 mit dann 250 534 Tatverdächtigen. Das zu Ihren Zahlen, Herr Sarrach!
Lediglich im Jahr 2006 hatten wir einen leichten Rückgang von gerade einmal ca. 8 000 bundesweit festzustellen. Das alles sagt jedoch nichts über die Qualität der Straftaten aus. Bei den Gewaltstraftaten ist ein derartiger Rückgang jedenfalls überhaupt nicht zu konstatieren.
Die Augenwischerei, die Sie, meine Damen und Herren von der CDU, namens und im Auftrag Ihres linken Koalitionspartners betreiben, werden Sie Ihren Parteifreunden in anderen Bundesländern, auch nicht der Bundes-CDU insgesamt, jedenfalls nicht vermitteln können. Ihr Kollege Koch in Hessen gibt zu diesem Thema ganz andere Töne von sich.
Meine Damen und Herren! Rechtspolitischer Hintergrund des JGG ist die Anschauung, dass es sich bei Jugendkriminalität regelmäßig um relativ harmlose, vorübergehende Entgleisungen handelt, die bei fast jedem jungen Menschen, gleich, aus welcher Gesellschaftsschicht, während der Einordnung in das soziale Leben der Erwachsenen auftreten können. In solchen Fällen soll dem Jugendstraftäter durch eine ernsthafte Ermahnung oder leichte Sanktionen deutlich gemacht werden, dass die Normen der Gesellschaft auch für ihn verbindlich sind. Bei der Sanktionierung soll beachtet werden, dass sich eine übermäßige Bestrafung entwicklungshemmend auswirken kann.
Das alles ist bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren vielleicht noch plausibel; daran wollen wir auch nicht rütteln. 20jährige Raubmörder und Vergewaltiger aber sind anders zu beurteilen. Deshalb bitte ich noch einmal inständig um Zustimmung zu unserem Antrag. - Ich bedanke mich.
Ihnen liegt der Antrag der DVU-Fraktion in der Drucksache 4/5735 zur Abstimmung vor. Wer dem Antrag Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist ohne Stimmenthaltungen mit übergroßer Mehrheit abgelehnt worden.
Ich schließe Tagesordnungspunkt 16, beende gleichzeitig die heutige Plenarsitzung und freue mich auf ein Wiedersehen morgen früh um 10 Uhr.