Studien belegen zudem eindeutig, dass die genetische Abstammung für Kinder von großer Bedeutung ist. Es ist eine schwere Last für Kinder, nichts über ihre Herkunft oder ihre biologischen Eltern zu wissen. Lebenslänglich leiden Kinder unter der Kränkung, fortgegeben worden zu sein, wenn ihnen die Beweggründe der biologischen Eltern unbekannt sind.
Nach der UN-Kinderkonvention hat jedes Kind das Recht, seine Abstammung zu kennen. Wir warnen ausdrücklich vor der Legalisierung einer anonymen Geburt. Hier unterstützen wir die Meinung und Haltung unserer Ministerin Dagmar Ziegler. Wir favorisieren vielmehr eine niedrigschwellige, frühzeitige, vertrauliche Beratung, in der die Ratsuchenden anonym bleiben können. Hierbei können wir den Frauen möglichst frühzeitig während der Schwangerschaft Hilfestellung für sich und ihr
Solche Beratungsangebote gibt es in Deutschland bereits, und dies mit durchaus guten Erfahrungen. Viele Frauen geben während der Beratungszeit ihre Anonymität auf, zumindest dem Kind gegenüber. Viele Frauen entscheiden sich sogar für ein Leben mit ihrem Kind.
In der vertraulichen Geburt sehen wir eine weitere mögliche Alternative. Auch hier besteht das Ziel darin, die Anonymität dem Kind gegenüber aufzugeben, wobei die Mutter ihre eigene Anonymität wahren darf. Die entsprechenden Personaldaten werden in der Adoptionsvermittlungsstelle hinterlegt, und nur dem Kind selbst ist es nach Vollendung des 16. Lebensjahres möglich, Auskunft über diese Daten zu erhalten.
Beide Angebote - die vertrauliche Beratung und die vertrauliche Geburt - sollten wir schnell in Brandenburg ermöglichen und entsprechend publizieren. Hierbei muss aus meiner Sicht unbedingt deutlich werden, dass das Aufsuchen dieser Angebote keine Schmach und Schande für die Betroffenen ist und somit auch keine Stigmatisierung darstellt. Es hilft vielmehr, Menschen in Not zu helfen und das Leben von Kindern zu retten.
Liebe Kollegen, über den Kinderschutz haben wir hier in diesem Hause schon sehr oft miteinander diskutiert. Wir können für uns feststellen, wie ich glaube, dass wir damit bereits vieles in Gang gesetzt und hier in Brandenburg vieles initiiert haben. Ich darf nur an die Vereinbarung zwischen der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden erinnern, in der es um die Empfehlungen mit dem Umgang und der Zusammenarbeit in Fällen der Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern geht. Diese Zusammenarbeit ist in allen Landkreisen und kreisfreien Städten längst installiert. Wir haben damit eine gute Struktur geschaffen. Bei der Umsetzung knirscht es gelegentlich noch im Getriebe, entscheidend ist aber, dass wir hier eine gute Struktur geschaffen haben.
Dem Arbeitskreis der SPD-Fraktion Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie war in der letzten Zeit insbesondere auch der gesundheitliche Kinderschutz sehr wichtig. Wir werden heute hier gemeinsam über einen Antrag diskutieren. Meine Kollegin Frau Dr. Münch wird Ihnen vortragen, warum uns gerade die Netzwerke „Gesunde Kinder“ sehr wichtig sind und warum wir uns gerade von diesem Angebot mit Blick auf den Gesundheitsschutz sehr viel versprechen, warum wir den flächendeckenden Ausbau haben wollen und warum gerade der Ansatz eines Angebots an alle ohne erhobenen Zeigefinger für uns die Erfolgsgeschichte ist.
Wir werden im April das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in diesem Hause diskutieren. Auch hier ist die Frage des gesundheitlichen Kinderschutzes von ganz besonderer Bedeutung. Wir haben zwei Systeme und zwei Strukturen in den neuen ÖGD eingeführt - zum einen das verbindliche Einladungs- und Rückmeldewesen, zum anderen ein umfangreiches Betreuungscontrolling für jene Kinder, die einen Betreuungsbedarf haben. Wenn es uns gelingt, dieses Gesetz in guter Qualität umzusetzen, werden wir in die Lage versetzt, alle Kinder in diesem Lande zu erreichen. Mit dem bisherigen ÖGD haben wir lediglich 44 % bis 48 % aller Kinder in Kindertagesstätten von Kindern, die zu Hause betreut werden, ist noch gar nicht die Rede - erreichen können.
Ich möchte mein Statement heute mit einem guten Ausblick schließen. Die SPD-Fraktion hatte gestern Pädagogen zu einer Bildungskonferenz eingeladen. Solch eine Veranstaltung ist natürlich dazu angetan, auch mit Lehrern ins Gespräch zu kommen. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen, die deutlich machen, dass der Umgang miteinander und das Hinschauen längst in einem Prozess der Entwicklung sind.
Eine Schulleiterin aus Lübben berichtete mit freudestrahlendem Blick, dass sie im vergangenen Jahr eine Klasse hatte, die von sich sagt: Wir waren schwanger. Wir, die Klasse, haben ein Kind bekommen. Wir, die Klasse, verfolgen jetzt, wie das Kind aufwächst. Ein junges Mädchen in der zehnten Klasse ist im vergangenen Jahr schwanger geworden. Dadurch, dass Eltern und Lehrerschaft gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern ein Stützsystem um diese junge Frau gebildet haben, konnte diese freundliche Botschaft vermittelt werden. Solche Ereignisse sollten wir öffentlichkeitswirksamer darstellen.
Ein anderer Lehrer von einem Gymnasium berichtete mir von der Schwangerschaft einer jungen Frau in seiner Klasse. Er machte vor allen Dingen deutlich, wie sich die jungen Burschen vom Macho zum Gentleman entwickelt haben, ganz einfach deshalb, weil sie besorgt waren, dieser jungen Frau immer zur Seite standen, die Tasche trugen, die Tür öffneten, den Stuhl bereitstellten. Ich möchte nur sagen: Die Kultur des Hinsehens entwickelt sich. Mit dieser Botschaft sollten wir die weiteren Fragen des Kinderschutzes im Auge behalten, berücksichtigen und weiterentwickeln. - Danke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich zitiere Sie ungern, aber diesmal tue ich das, Frau Fechner. Sie sagten zu Beginn Ihres Redebeitrags, dass sich manch einer zu Wort meldet, der es hätte sein lassen sollen. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.
Ich wollte eigentlich anders beginnen. Ich bin der Auffassung, wenn die DVU eine Aktuelle Stunde zu dieser Thematik mit dieser Begründung beantragt, ist das überhaupt keine Basis, sich fachlich auseinanderzusetzen. Die Vorschläge der DVU zu dieser Thematik habe ich noch nie gehört. Eine Äußerung dazu oder wenigstens ein bisschen Sachkenntnis habe ich im Fachausschuss vollständig vermisst. Null, nichts dazu war da.
Deswegen sage ich: Angesichts des Weltbildes und des Menschenbildes der Rechtsextremen ist es wohl ein Glück, dass wir davon verschont werden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich es bei nur einigen wenigen Bemerkungen belassen. Es gab und gibt in den Diskussionen
um den Kinderschutz, die wir in diesem Hause und in diesem Land führen, sehr viele Konzepte und Ideen, über die man unvoreingenommen reden muss. Ich erinnere hier ausdrücklich an unsere Anhörung zur anonymen Geburt, die wir im vergangenen Jahr durchgeführt haben. Frau Lehmann ist darauf schon eingegangen. Das war eine der wenigen Anhörungen, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist, in der nicht die üblichen Statements der Lobbyisten zu Gehör gebracht wurden, sondern Argumente und Anregungen, die zum weiteren Nachdenken angeregt haben. Gleichwohl haben wir daraus sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Das wurde in der Öffentlichkeit weit verbreitet.
Dass eine Mutter ihr Kind tötet oder unversorgt lässt, ist eine absolute Ausnahmesituation, und als eine solche sollten wir es auch betrachten. In welcher psychischen Verfassung sich diese Frau befindet, ist in der Literatur hinlänglich beschrieben. Auch in der besagten Anhörung ist das sehr deutlich gesagt worden. Da muss man wissen, wenn man etwas tun will, was diesen Frauen wirklich hilft.
In der Situation der Geburt sind sie oftmals zu rationalem und planvollem Handeln überhaupt nicht fähig. Es ist überhaupt nicht nachgewiesen, ob all diese Hilfen und Hilfsangebote, die jetzt diskutiert werden, die Frauen und Mädchen überhaupt erreichen können.
Es gibt bestimmte Dinge, bei denen wir uns sicherlich immer wieder sagen: Hier müssen wir etwas tun. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir mit bestimmten Sachen besser umgehen können müssen, ohne sofort öffentliches Geschrei zu veranstalten. Einige Sachen sollten lieber in sachlicher Abwägung betrachtet werden, und es sollten die richtigen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden.
Mir ist schlicht und einfach schleierhaft, woher die DVU-Fraktion ihre „wissenschaftlichen“ Beweise genommen hat. Ich habe mich sehr viel mit Literatur dazu befasst. Genau das ist das Problem. Es beginnt schon bei der Kriminalstatistik, also dass hier nicht unterschiedlich gezählt wird: Kindstötungen gleich nach der Geburt, Kindstötungen, die innerhalb von 14 Tagen oder nach 24 Stunden geschehen; das alles wird nicht richtig erfasst. Ich meine, es ist an der Zeit, dass hier wirklich exakte Untersuchungen erfolgen, um daraus eventuell Handlungsanforderungen ableiten zu können.
Ich glaube, dabei sollten wir es erst einmal belassen. Sie haben bereits erwähnt, dass Sie heute noch einen Antrag einbringen werden. Das wird für uns die Basis sein, uns mit dieser Thematik noch einmal auseinanderzusetzen. - Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Fechner, ich habe überlegt, ob ich überhaupt ans Rednerpult treten
soll. Auf Ihre Rede kann man überhaupt nicht eingehen. Aber das Thema ist mir wichtig. Es geht um Kindstötungen, es geht um Brandenburg.
Liebe Kollegin Lehmann, ich habe mich bei Ihrer Rede gefragt, ob Sie in der gleichen Gegend zu Hause waren, in der ich zu Hause war.
Ja, im Spreewald. Woher hat denn Herr Böhmer seine Erfahrungswerte? Er war Gynäkologe. Zu DDR-Zeiten war ein Schwangerschaftsabbruch ein Kavaliersdelikt. Ich war GynSchwester im Gyn-OP. Die Frauen sind gekommen und haben den Schwangerschaftsabbruch - nicht alle - leichtfertig hingenommen. Das war einfach so, und die Ärzte hatten damit zum Teil richtige Probleme, eben wegen der ärztlichen Verpflichtung, Leben zu geben und nicht Leben zu nehmen. Die Ausrichtung war also nicht ganz richtig.
Das Thema der Aktuellen Stunde suggeriert, dass in Brandenburg zum Kinderschutz nichts passiert sei, dass wir nichts sehen wollten oder nichts getan hätten. Das stimmt einfach nicht. Dazu möchte ich ganz aktuell - das hat Sylvia Lehmann schon angesprochen - das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst erwähnen. Es ist im Moment im parlamentarischen Verfahren. Dieses Gesetz ist weitreichend und vorausschauend. Andere Bundesländer schauen darauf, wie wir dieses Gesetz gestalten.
Kinder sollen - und zwar alle Kinder - zu U-Untersuchungen eingeladen werden. Nach zweimaliger Einladung und bei Nichterscheinen geht die Information an das Jugendamt. Mit diesem Verfahren wollen wir das Netz engmaschiger machen, damit Kindesvernachlässigung erkannt und der Tod eines Kindes verhindert werden kann.
Ein Argument ist, dass unter Armut Kinder vernachlässigt werden. Dieses Argument muss ich mit Vehemenz zurückweisen. Armut ist kein Grund, keine saubere Wohnung zu haben, nichts zu essen zu haben und die Kinder nicht liebevoll zu erziehen. Das lasse ich überhaupt nicht gelten, Frau Fechner.
Es sind auch nicht die fehlenden Hilfsangebote. Es gibt vielfältige Unterstützungsangebote, um sich doch für das Kind zu entscheiden oder das Kind zur Welt zu bringen und zur Adoption freizugeben. Für die, die unerkannt bleiben wollen, bleibt immer noch die Möglichkeit, das Kind in eine Babyklappe zu legen.
Und ganz wichtig: Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens. Es ist aber auch vermessen zu erwarten, dass die Gesellschaft als Reparaturbetrieb für nicht funktionierende Familienstrukturen einspringt. Wir können vor Ort Netzwerke schaffen - dazu kommen wir noch im weiteren Verlauf der Landtagssitzung -, in denen Gynäkologen, Hebammen, Kinderärzte, Jugendämter, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und viele weitere darüber hinaus miteinander kooperieren. Da sind wir auf einem guten und richtigen Weg.
Dennoch können all diese Stellen und Institutionen die Elternverantwortung und die Verantwortung der gesamten Familie niemals komplett ersetzen.
Funktionierende Familien verhindern Verwahrlosung, Vernachlässigung, Missbrauch von Kindern und nicht zuletzt Kindstötungen.
Wie verhindern wir also Kindstötungen? Ich meine, man kann die Schwangeren grob in Gruppen einteilen. Gott sei Dank gibt es die Mehrheit der Schwangeren, die sich das Kind wünschen und sich freuen, Mutter zu werden. Dann gibt es diejenigen, die mit einer Schwangerschaft und dem Mutterwerden Ängste verknüpfen, sei es wegen der Familie, wegen des Berufs oder wegen des weiteren Lebensweges. Durch das im Land flächendeckende Hilfs- und Beratungsangebot können Wege aufgezeigt werden, um das Ja zum Kind zu erleichtern.
Eine weitere Gruppe sind die Frauen, die ihre Schwangerschaft so lange verdrängen, bis sie plötzlich ein Kind im Arm halten und dann nicht wissen, was sie damit machen sollen. Das sind die Frauen, die wir wahrscheinlich kaum, egal mit welchem Hilfsangebot, erreichen werden.
Eine weitere Gruppe von Frauen sind die, die wissen, dass sie schwanger sind und ein Kind erwarten, sich aber niemandem anvertrauen können oder wollen. Für diese Frauen brauchen wir Angebote wie zum Beispiel anonyme Beratungen. Ich bin mir sicher, dass wir, wenn diese Angebote noch mehr bekannt gemacht werden, noch mehr dieser Frauen erreichen.
Als allerletztes, wirklich allerallerletztes Mittel kann die anonyme Geburt angeboten werden. Dazu bedarf es aber eines breiten und flächendeckenden Hilfs- und Beratungssystems. Die Erfahrungen aus Thüringen und Bayern zeigen, dass es sehr lange dauert, bis dieses Netz aufgebaut ist. Durch das Berühren vieler Grundrechte, zum Beispiel nach dem Personenstandsgesetz oder das Unterhaltsrecht, kann die anonyme Geburt auf Landesebene nicht legalisiert, sondern maximal geduldet werden. Wie wir diesen Weg dorthin gehen wollen, werden wir in nächster Zeit beraten.
Ich bin mir sicher, dass mit dem Angebot anonymer Beratung und dem Angebot der anonymen Geburt Kindstötungen verhindert werden können. Ich sage ausdrücklich „verhindert werden können“, ich schließe sie nicht aus. Aber ich glaube, man kann die Zahl der Kindstötungen eingrenzen. Frauen haben die Sicherheit, dass sie unter medizinischer Aufsicht entbinden können, dass ihr Kind medizinisch versorgt wird und dass sie sich niemandem offenbaren müssen.
Als mein Resümee möchte ich einen Satz zitieren, der oft zitiert, aber auch oft belächelt wird, der aber niemals an Wahrheitsgehalt verliert: Wenn auch nur ein Kind gerettet wird, haben wir unser Ziel erreicht. - Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat Redeverzicht angemeldet, sodass die DVU-Fraktion noch einmal das Wort erhält. Frau Fechner, Sie haben noch anderthalb Minuten Zeit.