Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

(Beifall bei SPD und CDU sowie bei der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort erhält die Abgeordnete Wöllert für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich an das anknüpfen, was die Ministerin gerade zuletzt bezüglich der Menschen, die in der Pflege tätig sind, gesagt hat. Dem ist wohl nicht viel hinzuzufügen. Umso besorgter macht uns ein Begriff, der in dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz ebenfalls auftaucht, nämlich der Begriff der „Pflegekräfte“, wo es bisher immer „Pflegefachkräfte“ hieß. Genau da möchte ich Sie, Frau Ministerin, unterstützen: Es ist dringend erforderlich, dass dies nicht ein Niedriglohnbereich bleibt, was derzeit oftmals aber schon der Fall ist, und nicht noch weiter als Niedriglohnbereich ausgebaut wird. Ich unterstütze Ihre Forderung, Frau Ministerin, nach einem gesetzlichen Mindestlohn hier ganz nachdrücklich;

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und vereinzelt bei der SPD)

denn diese schwere Arbeit muss auch entsprechend gewürdigt werden. Hieran sollten wir gemeinsam arbeiten.

Ein Wort noch zu den Ausführungen seitens der DVU-Fraktion, weil es vorhin hieß, nicht alle kennten das Pflegeweiterentwicklungsgesetz: Vielleicht sollte man das Gesetz nicht nur lesen, sondern auch verstehen. Dann hätte man auch die Aktualität heute nicht angezweifelt.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und vereinzelt bei der SPD)

Zum Schluss der Debatte erhält die Abgeordnete Prof. Dr. Heppener noch einmal für die antragstellende Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich sehe in der Pflegeversicherung, im Pflegeleistungsergänzungsgesetz und im Pflegeweiterentwicklungsgesetz gute Chancen für alle, die Hilfe und Betreuung bedürfen.

Frau Fechner, können Sie im Ernst den zahlreicher werdenden alten, hilfe- und pflegebedürftigen Menschen ins Gesicht sagen, ihre Probleme, Sorgen und Nöte seien nicht so wichtig, dass sie Gegenstand einer Aktuellen Stunde hier in diesem Hause sein könnten? Ich finde das empörend.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Fraktion DIE LINKE)

Ich danke meinen Vorrednerinnen Lehmann und Schier, dass sie umfänglich dargestellt haben, was neu in der Pflege ist, welche neuen Anforderungen an die Pflege gestellt werden und wie all das in den Gesetzesgrundlagen zutage tritt. Sie haben auch Zahlen genannt, das heißt auf die Summen hingewiesen, die jetzt in die Pflege gebracht werden. Ich hätte das auch darlegen können, kann mich aber nunmehr auf einen anderen Aspekt beschränken, der wohl mit meinem Alter zusammenhängt.

Ich freue mich über das, was jetzt in der Pflege passiert. Vor gar nicht so langer Zeit habe ich erleben müssen, wie man sich fühlt, wenn man aus heiterem Himmel seine einfachsten Lebensnotwendigkeiten nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen kann.

Ich spüre es in den Seniorenbeiräten und allgemein in Diskussionen mit Seniorinnen und Senioren immer wieder: Niemand hat Angst davor, alt zu werden, aber wir fürchten uns doch sehr vor der Hilfebedürftigkeit, die irgendwann kommen kann. Wir fürchten uns vor einem Zustand, in dem wir nicht mehr selbst für uns einstehen können. Am schlimmsten ist es für uns, wenn zu dem Gefühl des „Wir werden nicht mehr gebraucht“ noch das Gefühl „Wir fallen anderen Menschen zur Last“ kommt. Angesichts dessen denke ich, dass die heute vorhandenen Gesetze zur Pflege, insbesondere das Pflegeweiterentwicklungsgesetz, neue Wege der Finanzierung der Bedürfnisse in der Pflege eröffnen. Insgesamt können wir mit mehr Zuversicht auf unseren Lebensabend schauen. Dass wir alt und im Alter auf Pflege angewiesen sind, muss eben nicht bedeuten, dass wir unsere Selbstständigkeit und Individualität verlieren. Viele Züge der jetzigen Weiterentwicklung der Pflege gehen gerade in die Richtung, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Pflegebedürftigen zu stützen.

Es ist heute schon oft gesagt worden - ich kann das aus dem Gefühl der Angst vor Pflege- und Hilfebedürftigkeit heraus nur unterstützen -: Wir möchten so lange wie möglich unabhängig leben. Wir möchten in den eigenen vier Wänden und in der gewohnten Umgebung alt werden.

Diesen Wunsch können wir uns nur erfüllen, wenn wir auf wohnortnahe ambulante Pflegedienste, eine angemessene me

Gesundheit und Pflege sind Themen, die die Menschen in unserem Lande beschäftigen. Damit hat jeder zu tun, und zwar unabhängig davon, ob jung oder alt. Wir haben unserer diesbezüglichen Verantwortung gerecht zu werden.

Wir wären wohl eine schlechte Opposition, wenn wir hier nur Gemeinsamkeiten fänden. Deswegen sage ich Ihnen auch jetzt gleich, wo wir uns sehr viel mehr gewünscht hätten und wo wir Zweifel daran haben, dass das, was angekündigt wird, auch tatsächlich zutrifft.

Es heißt ja immer so schön, die Pflegeversicherung sei die kleine Schwester der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist ein sehr schönes Bild, weil es zeigt, dass die Familie - das große Versicherungssystem -, die sich um die Gesundheit und das sonstige Wohl von Menschen kümmert, immer größer wird. Vor diesem Hintergrund finde ich es sehr schade, dass wir das Prinzip der Bürgerversicherung nicht konsequent angewendet haben.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Das wäre eine Möglichkeit gewesen, auch für die große Schwester Erfahrungen zu sammeln und das dann richtig anzuwenden.

Noch etwas, was ich etwas bedenklich finde: Notwendig ist natürlich eine Anpassung der Mittel an das, was in der Pflege tatsächlich gebraucht wird. Darüber sind wir uns sicherlich einig. Eine Dynamisierung ist hier also angesagt. Das ist aber nun bis in die übernächste Wahlperiode gestreckt. Ich erinnere dazu an die große Schwester gesetzliche Krankenversicherung. Dafür wurde eine Tabaksteuer erhoben, die mehr als 4,2 Milliarden Euro einbrachte. Das Aufkommen aus dieser Versicherung wurde aber nur in einem Jahr tatsächlich in die gesetzliche Krankenversicherung überführt, weil das durch die Politik zwischendurch schon lange wieder geändert worden war.

Als zweites Beispiel nenne ich in diesem Zusammenhang den hier schon diskutierten sogenannten Morbi-RSA, der 2007 wirksam werden sollte, obwohl wir alle wollten, dass er schon im Jahre 2006 in Kraft tritt. Das hat man nicht geschafft. Nun gibt es das gar nicht mehr. Vielleicht kommt er ja in diesen ominösen Gesundheitsfonds. Jedenfalls zeigt das, wie verlässlich auf diesem Gebiet langfristig angelegte politische Entscheidungen sind. Hier wünsche ich mir von Politik viel mehr Nachhaltigkeit in dem Sinne, dass tatsächlich konsequent finanziert wird.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Zum Schluss noch etwas Versöhnliches, Frau Ministerin. Ich fand die Veranstaltung am 5. November bei BlauArt, die gemeinsam mit der Senatsverwaltung von Berlin durchgeführt wurde und bei der es um die Ausgestaltung des Heimrechts ging, sehr anregend. Ich stehe voll hinter dem, was Sie dort gesagt haben, nämlich sinngemäß, dass wir ein politisches Konzept brauchen, in dem die Würde und Teilhabe der Menschen im Mittelpunkt stehen, Pflege als gesellschaftliche Aufgabe begriffen wird, wobei Sie in diesen Rahmen auch die Arbeit eines guten Heims gestellt haben. Lassen Sie uns bei allem, was wir landesrechtlich hier zu regeln haben, gemeinsam dafür sorgen, dass die Würde des Menschen dabei immer im Mittelpunkt steht!

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

dizinische Versorgung und hauswirtschaftliche Dienstleistungen bauen können, und das überall in Brandenburg, in den Städten und in den Dörfern.

Die Ministerin hat vom Vorrang der ambulanten vor der stationären Pflege gesprochen und darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, gerade die ambulante Pflege zu unterstützen. Das hängt mit dem Ziel der selbstständigen Lebensführung zusammen.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch betonen, dass unsere Heime nicht mehr das sind, was sie bis vor kurzem waren. Es ist viel Neues entstanden - natürlich durch die hervorragende Arbeit der in der Pflege Beschäftigten. Ihre Tätigkeit ist geprägt vom Bemühen um eine individuelle Betreuung der Menschen in den Heimen.

Viele Wege, um Aktivität so weit wie möglich zu erhalten, werden jetzt schon beschritten. Ich habe an Veranstaltungen von Gruppen teilgenommen, in denen die Sinne der Menschen Fühlen, Riechen und Schmecken - angeregt werden. Mit anderen Ansätzen sollen Erinnerungen geweckt werden. Durch den Einsatz der Pflegeassistenten eröffnen sich insoweit viel mehr Möglichkeiten zu einer individuellen Beschäftigung - in kleinen Gruppen - mit pflegebedürftigen Menschen.

Es soll nicht vergessen werden, dass es betreute Wohngruppen nicht nur außerhalb der Heime, sondern auch in den Heimen selbst gibt. Wie in den ambulanten betreuten Wohngruppen wird das Leben der Menschen hier nicht auf deren Krankheit bzw. Beeinträchtigung reduziert. Ihr Alltag ist nicht mehr in erster Linie durch die Arbeitsabläufe des Heimes bestimmt, sondern mehr an der Normalität des alltäglichen Lebens orientiert. In diesen Gruppen soll nicht betont werden, was die Menschen nicht mehr können, sondern das, was sie noch oder wieder können. Ihnen wird so viel Eigenständigkeit wie möglich und so viel pflegerische Hilfe wie nötig gegeben. Dadurch wird das Selbstwertgefühl der Hilfe- und Pflegebedürftigen gestärkt und ihre Lebensqualität erhöht.

Angesichts dieser Umstände habe ich die dringende Bitte - die Ministerin hat ihre grundlegende Position dazu schon dargelegt -, dass wir uns beeilen, was die Klärung des Verhältnisses von stationären Heimen und ambulanten Wohngruppen angeht, und dass wir die Schutzverantwortung des Staates gegenüber den Hilfebedürftigen mit ihrem Bedürfnis nach eigenständiger Lebensführung in Übereinstimmung bringen.

Die Ministerin hat im Einzelnen zu den Pflegestützpunkten Stellung genommen. Sylvia Lehmann hat zu ihrem Zustandekommen, zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten, zu ihren Schwierigkeiten und zu den begleitenden Diskussionen gesprochen. Für mich bleibt eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Aber ich habe gerade in der Familie wieder erlebt, wie schwierig es ist, in einer aktuellen Situation schnell Pflege und Hilfe zu organisieren. Die Menschen müssen jetzt noch verschiedene Stellen aufsuchen und meist nicht von vornherein bekannte Wege gehen. Wenn wir den Menschen helfen wollen, brauchen wir dringend eine umfassende, kompetente, wohnortnahe Beratung unter einem Dach; sie soll auch objektiv sein.

Für die Vorsitzende des Seniorenrates spielt hier noch ein Umstand eine Rolle. Schon jetzt sind viele Ehrenamtler in den Heimen unterstützend tätig, zum Beispiel durch ihre Tätigkeit

in den Heimbeiräten, durch Übernahme von Besucherdiensten usw. usf. Aber diese Ehrenamtler, die wir dringend brauchen, um die Pflege zu verbessern, vermissen noch Anerkennung, Weiterbildungsangebote und einen angemessenen Ersatz ihrer Auslagen. Auch für diese ehrenamtlichen Helfer in der Pflege bietet meiner Meinung nach das Gesetz mit den Pflegestützpunkten Lösungen an, die wir entwickeln und nutzen müssen.

Ich bitte darum, gemeinsam alles dafür zu tun, dass diese Orte der Organisierung von Hilfe, Beratung und Sicherheit in komplizierten Lebenssituationen nicht im Gerangel um Kosten und Kompetenzen Schaden erleiden. Es ist heute eine Selbstverständlichkeit, dass wir länger leben und länger leistungsfähig bleiben. Dass mit uns hilfe- und pflegebedürftige Menschen leben, sollte genauso selbstverständlich sein. Auch ihnen gegenüber müssen wir das Hinschauen lernen.

Die Pflegeinitiative hat die schöne Losung: „Später beginnt jetzt“. Dieses „Später beginnt jetzt“ gilt für jede und jeden und überall. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Bei mir läuft die Zeit mit zunehmendem Alter immer schneller, aber das scheint nicht durchgängig so zu sein.

(Heiterkeit)

Herzlichen Dank, Frau Abgeordnete.

Ich begrüße unsere neuen Gäste, Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Oberschule Kremmen, und wünsche ihnen einen interessanten Tag bei uns.

(Allgemeiner Beifall)

Zu dem eben gehörten Redebeitrag hat die Abgeordnete Fechner eine Kurzintervention angemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Prof. Dr. Heppener, Sie haben mir indirekt vorgeworfen, dass ich für die Belange der alten und pflegebedürftigen Menschen kein Interesse hätte. Das stimmt nicht. Ich bin lediglich der Meinung, dass wir uns als Landesparlament vorwiegend mit den Themen beschäftigen sollten, auf die wir unmittelbar Einfluss haben,

(Unruhe im Saal - Vereinzelt Gelächter)

zum Beispiel mit der Bildungspolitik. Es gibt auch ganz aktuelle Themen, die ich bereits genannt habe.

Die Pflegereform wurde nun einmal im Bundestag verabschiedet, und der Bundesrat hat sich eingebracht. Wir als Landesparlament haben darauf relativ wenig Einflussmöglichkeiten. Da wir nur einmal monatlich eine bzw. zwei Aktuelle Stunden haben, sollten wir uns vorrangig mit Landesthemen beschäftigen.

(Unruhe im Saal - Zwischenrufe bei der Fraktion DIE LINKE)

Um nichts anderes ging es mir.

(Bischoff [SPD]: Sie sind ein politischer Schwerstpflege- fall!)