Protokoll der Sitzung vom 19.11.2008

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/6559

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 4/6877

Ich eröffne die Aussprache, und der Abgeordnete Jürgens erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle - um jetzt mal ein anderes Bild zu bemühen, Frau Münch - kennen die Geschichte von Baron Münchhausen, der sich und sein Pferd am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht. Das ist natürlich eine Lügengeschichte, aber sie passt wunderbar auf das Verfahren rund um den vorliegenden Staatsvertrag. Mit der Gründung der Stiftung für die Hochschulzulassung versuchen die Länder, sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf der Bewerbungsflut der Hochschulen zu ziehen und sich so zu befreien. Dabei haben sie das Problem selbst verursacht.

Bereits mit der siebten Novelle des Hochschulrahmengesetzes

2004 wurden die Auswahlrechte der Hochschulen gestärkt. Schon damals hat die Linke diesen Schritt kritisiert und auf die kommenden Probleme hingewiesen, und - fast möchte ich sagen: leider - wir haben Recht behalten. Es entstand ein erhebliches Informationsdefizit über die verschiedenen Studienmöglichkeiten. An den Hochschulen kam es zu einem Wirrwarr ob der Vielfalt des Studienangebots und infolgedessen zu kleinteiligen Regelungen in den Hochschulen. Studierende haben sich mehrfach beworben, und diese Bewerbungsflut konnten die einzelnen Hochschulen kaum bewältigen. Oft blieben dadurch Studienplätze frei.

Dieses Problem sehen auch die Länder und kommen zu einer Lösung, die es eigentlich schon gibt. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen hat über Jahrzehnte hinweg genau das gewährleistet, was die Stiftung für Hochschulzulassung leisten soll: Durchführung von zentralen Vergabeverfahren und Beratung bei Zulassungsverfahren. Doch die ZVS ist in den letzten Jahren systematisch geschwächt worden. Sie wurde als zu bürokratisch und nicht mehr zeitgemäß disqualifiziert.

Schaut man sich an, welche Funktion die Stiftung übernehmen soll, dann wird man erkennen, dass sich die Länder an einem Zopf aus dem Sumpf ziehen wollen, den sie eigentlich längst schon abgeschnitten haben.

In einem entscheidenden Punkt jedoch bedeutet der Umbau der ZVS eine aus Sicht der Linken problematische Konsequenz: Die Entscheidungskompetenz über die Hochschulzulassung wird in die Hochschulen verlagert. Auswahlverfahren werden in immer stärkerem Maße eingeführt. Damit droht das Recht auf ein Studium zu einem Recht auf Bewerbung degradiert zu werden. Bewerbungsgespräche, Motivationsschreiben, Eignungstests werden zunehmend zum Normalfall in allen Studiengängen. Die bisherigen Erfahrungen mit diesen individuellen Auswahlverfahren zeigen aber, dass Diskriminierung aufgrund sozialer oder kultureller Herkunft oder aufgrund von Geschlecht kaum vermieden werden kann.

Um den eingangs genannten Wirrwarr zu beseitigen, sind bundeseinheitliche Regelungen in der Hochschulzulassung nötig. Nach der Föderalismusreform könnte der Bund hier von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch machen. Die Linke fordert seit Jahren ein Bundeshochschulzulassungsgesetz. Kernpunkte einer solchen Regelung müssten neben einer besseren Information und Übersichtlichkeit vor allem der Abbau von individuellen Auswahlverfahren und eine gezielte Förderung unterrepräsentierter Gruppen sein.

Ein solches Gesetz soll bundesweit gültige Standards für die Hochschulzulassung definieren und steht damit nicht zwangsläufig im Konflikt mit dem vorliegenden Staatsvertrag.

Auch gibt es noch etliche offene Fragen zu der zu gründenden Stiftung. Beispielsweise ist deren Finanzierung nicht geklärt. Für die Serviceleistungen der Stiftung für die Hochschulen wird künftig eine Gebühr verlangt. Unklar ist, ob diese Gebühr von den Hochschulen auf die Studienbewerber umgelegt werden kann oder wird. Das käme dem Verfahren von uni-assist gleich, und das wird von den Linken abgelehnt. Eine Bewerbungsgebühr zum Studium würde soziale Hürden noch erhöhen.

Auch ist offen, wie viele Hochschulen sich an diesem Service beteiligen. Um eine möglichst hohe Transparenz zu gewährleisten, wäre eine hohe Beteiligung nötig.

Ebenso fragwürdig ist es, dass die Quote für beruflich Qualifizierte nicht erhöht wird. Dabei will die Landesregierung gerade diesen Studienbewerbern den Zugang zum Studium erleichtern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke hält den Staatsvertrag für den falschen Zopf, um das Problem des Hochschulzugangs zu bewältigen. Ähnlich wie Münchhausens Geschichte eine Lüge war, wird die neue Stiftung für Hochschulzulassung die Hochschulen nicht aus dem Sumpf befreien können. Für einen sozial gerechten, breiteren, transparenteren Zugang zum Studium wäre ein Bundeshochschulzulassungsgesetz der richtige Weg.

Aus den genannten Gründen lehnen wir den Staatsvertrag ab. Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Münch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jürgens, ich finde es bedauerlich, dass Sie dieses Gesetz ablehnen. Es mag sein, dass es Konstruktionen gibt, die das entsprechende Problem noch besser lösen können. In jedem Fall aber eröffnet der Staatsvertrag, über den wir heute abstimmen werden, einen guten Weg.

Wir wissen, dass es viel Wildwuchs und Orientierungslosigkeit gegeben hat und dass sich einzelne Studenten, um den Platz in ihrem Wunschfach und an ihrem Wunschort zu bekommen, bis zu 20 Mal an Hochschulen beworben haben. Das hat zu großer Unübersichtlichkeit und zu einer fehlerhaften Zuordnung der ohnehin zu wenigen Studienplätze geführt. Insofern ist es außerordentlich begrüßenswert, dass sich die Bundesländer geeinigt haben, in einer Stiftung für Hochschulzulassung diese Probleme zu bündeln.

Die ZVS wird aufgelöst, aber die Aufgaben in den zulassungsbeschränkten Fächern Medizin, Tiermedizin, Pharmazie usw. bleiben bestehen. Darüber hinaus ist diese Serviceeinrichtung ein Dienstleister. Sie wird für Studierende ein Bewerbungsund Beratungsportal aufbauen, bei dem man schnell und mit wenig Aufwand erfahren kann, welchen Studienplatz man tatsächlich bekommt. Das ist eine große Hilfe und Erleichterung für die Studierenden. Sie müssen ihre Unterlagen nicht mehr an 20 verschiedene Stellen schicken, sondern nur noch an eine einzige Stelle. Auch für die Hochschulen ist dieses Verfahren finanziell weniger aufwendig als das bisherige Verfahren.

Insofern halten wir den Staatsvertrag für eine sehr positive Errungenschaft. Auch da er möglicherweise weiterentwickelt werden kann, stimmen wir ihm zu.

Herr Jürgens, es geht nicht darum, sich am Zopf aus dem Sumpf zu ziehen, sondern darum, dass man Probleme aus eigener Kraft lösen und erkannte Irrwege korrigieren kann, um auf diese Weise neue Lösungsmöglichkeiten entwickeln zu können.

Dafür bietet der Staatsvertrag eine gute Grundlage. Ich bitte daher um Zustimmung. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält Herr Abgeordneter Nonninger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Staatsvertrages besteht darin, Verwaltungsaufwand an unseren Hochschulen zu reduzieren und die Bewerbungsverfahren für die Bewerberinnen und Bewerber zu vereinfachen. Durch die Verwirklichung des vorliegenden Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung soll dies möglich gemacht werden.

Mit Abschluss dieses Staatsvertrages wird die Überführung der durch den Staatsvertrag vom 20. September 1972 errichteten Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in eine andere Rechtsform mit der Folge ihrer Auflösung und der Errichtung einer neuen Stiftung öffentlichen Rechts vollzogen. Dies ist das Ergebnis der Umsetzung eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 28. Februar 2007.

Die Umstrukturierung, so die allgemeine Einschätzung, ist aufgrund des Bedeutungsverlusts der Aufgaben im zentralen Vergabeverfahren sowie der Verlagerung von Auswahlentscheidungen auf die Hochschulen erforderlich.

Aufseiten der Studieninteressentinnen und -interessenten kam es bisher infolge der Vielschichtigkeit der Auswahlverfahren, auch bedingt durch die wachsende Vielfalt von Studienangeboten, zu erheblichen Orientierungsproblemen und zu entsprechenden Mehrfachbewerbungen. Dadurch konnte ein Teil der Studienplätze nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung besetzt werden.

Der Verwaltungsaufwand für die Hochschulen würde sich sukzessive weiter erhöhen, wenn es zu der prognostizierten zusätzlichen Nachfrage nach Studienplätzen, zum Beispiel durch doppelte Abiturjahrgänge, kommt. Nach den neuesten Zahlen sieht es danach aus.

Mit der Errichtung der Stiftung für Hochschulzulassung soll eine Dienstleistungseinrichtung geschaffen werden, die von den Hochschulen und auch von den Bewerberinnen und Bewerbern - so auch die Einschätzung der DVU-Fraktion - benötigt wird. Sie sollte Vorteile für alle Seiten bringen und vor allem ein effizientes Zulassungssystem gewährleisten.

Artikel 4 unterstreicht die Dienstleistungsaufgabe der neuen Stiftung und benennt die Leistungen: Einrichtung eines Bewerberportals mit Information und Beratung der Studienbewerber und -bewerberinnen, Aufbereitung der Bewerberdaten, Abgleich von Mehrfachzulassungen sowie Vermittlung von nicht besetzten Studienplätzen.

Es kann eingeschätzt werden, dass durch die Tätigkeit dieser Stiftung kein Autonomieverlust der Hochschulen eintreten wird.

Wie schon gesagt, die gemeinsame Einrichtung für Hochschulzulassung wird als Stiftung des öffentlichen Rechts errichtet. Damit kann eine stärkere Herauslösung aus der staatlichen Verwaltung bewirkt werden. Des Weiteren werden hoheitliche Aufgaben wahrgenommen.

Besonders wichtig erscheint uns, dass die neue Stiftung als eine Serviceeinrichtung fungieren soll, die von den Hochschulen freiwillig in Anspruch genommen werden kann.

Der sogenannte Bewerberabgleich ist dringend erforderlich, da es in letzter Zeit immer häufiger zu Mehrfachbewerbungen von Studierenden kam, die ihre Wünsche nicht nur in einem Fach, sondern gleich in mehreren Fächern anmeldeten. Den Hochschulen könnten somit in Zukunft ihre Planungen sehr erleichtert werden, weil zu geringe Auslastungen der Kapazitäten vermieden werden.

Der Studienbewerber erhält nicht mehr zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Bestätigungs- bzw. Ablehnungsschreiben der entsprechenden Hochschulen, sondern zu einem festen Zeitpunkt einen Gesamtüberblick über die ihm angebotenen Studienplätze.

Unsere DVU-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung nicht verwehren. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Niekisch.

Während er zum Pult kommt, begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums Potsdam. Herzlich willkommen bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hochschulpolitik und Hochschulrecht - das ist immer eine relativ trockene Materie. Sowohl für die Zuhörenden auf den Besucherplätzen des Parlaments als auch für die Kolleginnen und Kollegen ist es nicht immer leicht, dem Thema zu folgen und es interessant zu finden. Deswegen will ich versuchen, meine Ausführungen kurz, knapp und holzschnittartig zu halten.

Meine Damen und Herren! Seit 1972 gibt es in Westdeutschland - seit 1990 mit Geltung für Gesamtdeutschland - eine Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen. Diese wurde auf der Grundlage eines Staatsvertrages eingerichtet. Sie verliert durch das Fortschreiten des Bologna-Prozesses, das heißt durch die Diversifizierung und Differenzierung des Studiums im Ergebnis der Umstellung auf Bachelor und Master und die damit verbundene Möglichkeit, sowohl breiter ausgerichtete als auch speziellere Abschlüsse zu erlangen, langsam an Bedeutung.

Die Umstellung auf eine gestufte Studienstruktur hat aufseiten der Studieninteressierten wegen der Vielfalt des Studienangebots zu Orientierungsschwierigkeiten geführt. Ein Anhaltspunkt dafür sind die Mehrfachbewerbungen. Auf jeden Fall geht die

Übersicht verloren, und wertvolle Studienplätze können nicht besetzt werden.

Deswegen sieht der Staatsvertrag zwischen den deutschen Ländern bzw. Freistaaten und Stadtstaaten die Errichtung einer Hochschulzulassungsstelle im Sinne einer Serviceeinrichtung mit Stiftungscharakter vor, die das genannte Problem auflösen, aber auch die wichtigen Funktionen der ehemaligen Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen wahrnehmen soll. Auch das qualifizierte Personal wird übernommen.