Protokoll der Sitzung vom 17.12.2008

Übrigens ist „verzockt“, sehr geehrte Frau Kollegin, das zweitplatzierte Wort des Jahres 2008. Eine traurige Skala!

Bürgerinnen und Bürger stehen für diejenigen gerade, die diese Krise verschuldet haben, und zugleich werden sie zunehmend Opfer dieser Krise. Wenn wir auf Brandenburg sehen - der Ministerpräsident hat es benannt -: Kurzarbeit bei Daimler, Zwangsferien in Eisenhüttenstadt und drohende Entlassungswellen. Das ist die Realität im Lande. Für die Beschäftigten in der Weihnachtszeit und mit dem Blick auf das neue Jahr keine guten Nachrichten. Sicher, der Bau der Papierfabrik in Eisenhüttenstadt und die damit neu entstehenden Arbeitsplätze sind ein erfreuliches, aber nur ein Zeichen in dieser Krisenzeit.

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, bereits jetzt sind ja die Auswirkungen der Krise dramatisch, und sie reichen weit über den Finanzsektor hinaus. Wir erleben nicht mehr nur eine Krise der Finanzmärkte, sondern eine Krise der gesamten Weltwirtschaft. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus hat nicht nur ein kollabierendes Finanzwesen zu verantworten, sondern auch eine weltweite soziale Krise mit steigenden Nahrungsmittelpreisen, wachsender Armut, Einkommensungleichheit, Arbeitslosigkeit und dramatischen Auswirkungen auf Energie und Klima. Eben diese Verflechtung der Krisen bleibt uns, und die macht es auch so kompliziert.

Die aktuelle Krise, denke ich, ist zudem auch eine Vertrauensund Gesellschaftskrise, eine Krise der Politik. Warum? Nicht nur in unserem Land fragen sich die Menschen: Wie konnte es so weit kommen? Wer trägt dafür die Verantwortung? Welche Auswirkungen wird diese Krise noch haben? Wer trägt am Ende die Verluste? Welche politischen Schlussfolgerungen müssen nun aus dieser Krise gezogen werden?

Auch wenn wir selbstverständlich nicht auf jede Frage eine hundertprozentige Antwort haben, so sind wir doch in der Pflicht, nach Antworten und vor allen Dingen nach Lösungen zu suchen. Das sind wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, den Bürgerinnen und Bürgern in Brandenburg gemeinsam schuldig.

Eines muss ganz klar ausgesprochen werden: Es waren bewusste politische Entscheidungen, ohne die wir nicht in diese Krise geraten wären.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Nichts davon kam heimlich, still und leise.

Erinnern wir uns: Unter der Überschrift „Deregulierung“ wurden auch in Deutschland zunächst durch Rot-Grün windige Finanzprodukte, Kreditverbriefungen, Hedgefonds und gefräßige „Heuschrecken“ massiv gefördert. Die Bankaufsicht wurde doch in den vergangenen Jahren nicht gestärkt, sondern geschwächt! Im Koalitionsvertrag von Rot-Schwarz werden „Produktinnovationen und neue Vertriebswege“ ausdrücklich gestützt. Noch Mitte dieses Jahres wurde das sogenannte Wagniskapitalgesetz verabschiedet, in dem Finanzinvestoren viele Steuerprivilegien eingeräumt bekamen.

Nicht irgendwer, Herr Ministerpräsident, sondern Politik hat der gegenwärtigen Krise den Weg geebnet. Die Bürgerinnen und Bürger registrieren sehr wohl, dass es sich dabei um demokratisch legitimierte Entscheidungen handelte. Sie erleben, dass Demokratie nicht vor folgenschweren Fehlern schützt. Gerade weil die Lehren der DDR uns bestärken, sagen wir: Trotz dieser aktuellen Erfahrungen ist es jetzt an uns, dafür zu sorgen, dass aus dieser aktuellen Erfahrung der Bürgerinnen und Bürger, die im Einzelnen von politischen Parteien, von Personen, von politischen Kräften enttäuscht sind, keine Krise der Demokratie an sich wird.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Deswegen gewinnt ein zweites Prinzip an Bedeutung: nämlich, dass Demokratie nicht nur Entscheidungen legitimiert. Es beinhaltet auch, dass Politiker für ihre Entscheidungen und deren Folgen gegenüber denen einstehen, die ihnen auf Zeit ihre Macht übertragen haben. Also der allererste, aber noch nicht hinreichende Schritt ist das Eingeständnis von Fehlern. Der zweite ist die Bereitschaft zu Korrekturen und der dritte das ernsthafte Bemühen um Glaubwürdigkeit. Dafür müssen die Konzepte zur Krisenbewältigung überzeugend und die Absichten unbezweifelbar ehrlich sein und nicht wieder nur soziale Einschnitte beinhalten.

Herr Ministerpräsident, ja, die Menschen sind empört, und das ist auch zu verstehen. Empört sind sie darüber, dass den Banken Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, aber für Kinder von Langzeitarbeitslosen nach wie vor gerade einmal 211 Euro pro Monat vorhanden sind. Die Banken aber sind doch für die Krise wesentlich verantwortlich! Empört sind Menschen auch darüber, dass die Große Koalition im Bund über Nacht einen riesigen Rettungsschirm für die Banken aufspannt, sich aber seit Jahren um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns drückt.

Diese unglaubliche Ungerechtigkeit wird nicht kleiner, weil es derzeit keine Alternative gibt - keine Alternative deshalb, weil ohne staatliche Hilfsmaßnahmen eine Kettenreaktion ausgelöst worden wäre, die den gesamten Wirtschaftskreislauf zum Kollabieren gebracht hätte. Das sehen wir sehr wohl auch. Aber auch, wenn es momentan kaum Alternativen gibt, darf Politik nicht möglichst schnell wieder zur Tagesordnung übergehen.

nicht energisch für die Schaffung einer Bundessteuerverwaltung ein, um eine einheitliche Anwendung des Steuerrechts auch strukturell sicherzustellen?

(Bischoff [SPD]: Das haben wir gemacht!)

Herr Ministerpräsident, ich spreche Sie auch als ehemaligen Bundesvorsitzenden der SPD an. Warum setzen Sie sich nicht einmal an die Spitze der Bewegung und bringen konkrete Vorschläge ein, die auch bundespolitisch in die richtige Richtung zielen? Sie sagen - auch das teile ich -:

„Ein Zurück zur alten Tagesordnung des zügellosen Kapitalismus wird es nicht mehr geben.“

Ja klar, das darf nicht sein. Aber dafür müssen wir, denke ich, doch gemeinsam etwas tun! Wir können und sollten eine Gemeinsamkeit feststellen: Mit der bisherigen Art, wie Finanzund Haushaltspolitik verstanden und gemacht wurden, wird man dieser Krise nicht Herr werden, nicht hier in Brandenburg und nicht im Bund.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir erleben plötzlich, wie es möglich ist, in einem Umfang Ressourcen freizusetzen, den man sich vor ein paar Monaten kaum vorstellen konnte.

Natürlich geht es dabei nicht um „Wünsch Dir was“. Aber in diesem historischen Moment muss man doch den Kopf frei haben, um das Notwendige zu benennen! Man darf nicht schon wieder die Schere im Kopf haben, die das Denken von der Lösung abschneidet.

Was das politische Programm der Linken anbelangt, so folgt es diesem Grundsatz. Wenn man mit der Konzentration auf das Mögliche Erfolg haben will, muss das Notwendige und Aussichtsreiche erst einmal benannt und diskutiert werden.

Wir wissen, dass dazu Ressourcen in einem bislang nicht für möglich gehaltenen Umfang notwendig sind. Also muss man auch die Verteilungsfrage neu stellen!

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die jahrelange Umverteilung von unten nach oben - die Ergebnisse, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen auf dem Tisch; die Zahlen sind eindeutig -, ob durch zu geringe Lohnsteigerungen oder staatliche Steuergeschenke an Reiche und Vermögende, war hoch gefährlich und sozial ungerecht; das wissen Sie auch.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Das obere Zehntel der Haushalte in Deutschland, Frau Schier, verfügt inzwischen über zwei Drittel des Gesamtvermögens. Wenn Sie das gerecht finden - ich nicht! Es ist notwendig, diese Verteilungsverhältnisse wieder ins Lot zu bringen. Wir brauchen einen Kurswechsel in der Steuer-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten, um die Binnennachfrage wieder zu stärken und die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und zu stabilisieren.

Nun sagen auch Sie, Herr Ministerpräsident, die Rezession sei von Menschen gemacht und das Resultat einer Ideologie vollständig freier Märkte, einer Ideologie, wonach Wirtschaft in der Wirtschaft gemacht werde und der Staat sich heraushalten solle. Aber das alles wurde eben nicht nur von den Lehman Brothers dieser Welt propagiert, sondern auch von Politikerinnen und Politikern in Deutschland, auch in Brandenburg,

(Beifall bei der Frakion DIE LINKE)

auch von Leuten, die Ihnen gut bekannt sein dürften. Ich zitiere:

„Wirtschaftspolitik ist eine Dienstleistung“ für die Wirtschaft. „Es kommt darauf an zu verstehen, wie die Wirtschaft denkt und was sie will.“

Das hat Alfred Tacke gesagt, der langjährige Begleiter von Gerhard Schröder und ein Sozialdemokrat. Und Schröder selbst war es, der keine linke oder rechte, sondern nur gute oder schlechte Wirtschaftspolitik kannte.

Ich weiß Ihren selbstkritischen Ansatz sehr wohl zu würdigen, Herr Ministerpräsident. Sie wissen auch, ich empfinde keine Häme, wie niemand in meiner Fraktion.

(Ach nein? und Oh! bei SPD und CDU)

Wir alle müssen ständig dazulernen. Aber ein bisschen konkreter möchte es dann schon sein, wenn selbstkritische Bemerkungen auch überzeugen sollen. Deswegen kommen wir zu den Reaktionen auf diese Krise:

Meine Damen und Herren, damit sich solche Vorgänge nicht ständig wiederholen, müssen wir hier schon noch einmal darüber sprechen, was getan werden muss. Sie, Herr Ministerpräsident, haben hier im Landtag in diesem Zusammenhang erst kürzlich von dritten Wegen und demokratischem Sozialismus gesprochen. Heute war davon nicht mehr so viel zu hören. Es ist ja vielleicht der Koalitionspartnerin geschuldet, dass Sie angesichts der Herausforderungen zwischen dem ersten und dem vierten Advent vom dritten Weg abgekommen sind.

Aber wir waren uns doch darin einig: Mit dieser Krise sind erneut große Fragen auf die Tagesordnung gerückt: die Fragen nach dem Verhältnis von Markt und Staat, von Wirtschaft und Politik, von Risiko und Sicherheit, auch die Fragen von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung, von Macht und Teilhabe. Das ist die Ebene, denke ich, auf der Korrekturen vorgenommen werden müssen, und zwar Korrekturen grundsätzlicher Art. Kleiner, meine Damen und Herren, ist es nicht zu haben. Von Vorschlägen, wie die künftige Regulierung aussehen soll, war bislang - das tut mir leid - auch nur die Rede. Wo bleibt der Beschluss, die privaten durch staatlich kontrollierte Ratingagenturen zu ersetzen? Wo bleibt das Verbot von hochriskanten Finanzinstrumenten wie unter anderem Hedgefonds? Wo bitte sind die Vorschläge zur Stärkung der öffentlichen und genossenschaftlichen Banken und zur Stärkung der Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte, zum Beispiel durch Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen mit Wertpapieren und Devisen? Wann kommt denn endlich die Zulassungspflicht für bestehende und neu entwickelte Finanzprodukte, der sogenannte Finanz-TÜV? Und warum setzt sich Brandenburg

Was die bundespolitische Ebene betrifft, so leugnet niemand, dass es in den letzten Jahren in Deutschland einen wirtschaftlichen Aufschwung gab. Von dem waren jedoch viele Menschen ausgeschlossen.

Jetzt gleitet Deutschland in die wohl tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte.

Herr Ministerpräsident, ich habe Ihre Distanz zu vielen bundespolitischen Maßnahmen sehr wohl wahrgenommen. Die Zeit der Mythen, die Zeit des Rückzugs der Politik aus der sozialen Verantwortung ist vorbei. Wir alle wissen: Bei einem „Weiter so!“ der Politik wird das „Leben wie bisher“ nicht „weiter so“ gehen können.

Ein Beispiel: Sie, die Mitglieder der Regierungsfraktionen hier im Landtag, argumentieren immer wieder, dass der Arbeitsmarkt durch die Agenda-2010-Politik auf die Rezession gut vorbereitet sei. Wir sagen ganz klar, die Agenda 2010 war eben kein vorsorgender Sozialstaat; das ist jetzt zu sehen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Ich gehe davon aus, dass auch Sie die Realität sehen. Die sieht anders aus! Anfang Dezember beschloss der Bundestag die Beitragssenkung der Arbeitslosenversicherung von 3,3 auf 2,8 %. SPD- und CDU-Abgeordnete dieses Hauses begrüßten das. Ich weiß nicht, warum. Denn damit steht nun künftig wieder weniger Geld für eine aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. Sehen Sie das nicht?

Angesichts des beginnenden Konjunkturabschwungs und der noch nicht absehbaren Folgen der weltweiten Finanzkrise für den Arbeitsmarkt brauchen wir keine Beitragssenkung. Sehenden Auges steuert man so auf ein neues Defizit und damit auf eine begrenzte Handlungsfähigkeit der Bundesagentur für Arbeit zu. Bereits jetzt rechnet die Bundesagentur - trotz derzeitiger Rücklagen - wegen sinkender Beitragseinnahmen im nächsten Jahr mit einem Minus von 5 Milliarden Euro für das operative Geschäft. In dieser Logik sind dann weitere Kürzungen des Arbeitslosengeldes vorprogrammiert. Das ist doch wohl verfehlte Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Um zu verhindern, dass Deutschland in eine bodenlose Wirtschaftskrise abgleitet, muss jetzt alles daran gesetzt werden, die binnenwirtschaftliche Schwäche auszugleichen. Es braucht kurzfristige konjunkturstabilisierende Maßnahmen.

Aus Sicht meiner Fraktion, aus Sicht der Linken gehören dazu:

Erstens: die dringend notwendige Eindämmung des Niedriglohnsektors, unter anderem durch Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Der deutsche „Sonderweg“ muss endlich beendet werden. In nahezu allen europäischen Ländern sind Mindestlöhne mittlerweile gängige Praxis.