Protokoll der Sitzung vom 18.12.2008

Das Land hat in jüngerer Zeit viel unternommen, um Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen bzw. sie über die Grundsicherung existenziell abzusichern. Unser Ziel wird es auch weiterhin sein, dies mit individuell zugeschnittenen Maßnahmen für die Wiedereingliederung in Arbeit zu verbinden. So haben wir unter anderem mit dem Regionalbudget die Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik eingeleitet, wodurch den unterschiedlichen Lebensverhältnissen viel besser Rechnung getragen werden kann. Denn der Sachverstand und die Verantwortung können nun einmal am besten vor Ort für einen besser funktionierenden Arbeitsmarkt genutzt werden. Ich verspreche mir auch in Zukunft noch eine wirksamere Integration vieler der mehr als 63 000 Langzeitarbeitslosen.

Der Bericht verdeutlicht auch: Kümmern müssen wir uns weiterhin und vor allem um unsere jungen Menschen. Das ist gewiss keine neue Erkenntnis, aber mit den aktuellen Entwicklungen in Wirtschaft und Finanzen erhält sie eine neue Brisanz. Es ist uns durch verschiedene Programme des Bundes und des Landes in den letzten Jahren immer wieder gelungen, jedem jungen Menschen ein Ausbildungsplatzangebot zu unterbreiten. Doch allein damit ist es nicht getan. Brandenburgs Betriebe sind nach wie vor nicht in der Lage, ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Die verantwortlichen Akteure, vor allem jene im Ausbildungskonsens, sind dazu aufgerufen, die Lücke weiterhin geschlossen zu halten. Ebenso wichtig ist, dass der berufliche Übergang gelingt und die Azubis Perspektiven in Brandenburg haben. Zwar gibt es einen erfreulichen Trend, und die Übernahmequote stieg beispielsweise von 35 % im Jahre 2006 auf 44 % im Jahre 2007, aber es gilt, diesen Trend weiter zu verstetigen und das Ganze krisenfest zu gestalten.

Wir fördern dies, indem wir Betriebe bzw. Unternehmen hinsichtlich eines kurz- und mittelfristigen Fachkräftebedarfs immer wieder sensibilisieren. Dabei ist es sehr wichtig, dass Fachkräftebedarf unabhängig von konjunkturellen Schwankungen strukturell bedingt ist und wir uns ständig über die Altersstruktur in den Unternehmen und die demografische Entwicklung unterhalten.

Wir fördern dies weiterhin durch unser landesweites externes Ausbildungsmanagement. Wir unterstützen die Betriebe bei Ausbildung und anschließender Übernahme, um so den Fachkräftebedarf zu sichern.

Was die familienfreundliche Politik anbelangt - diesbezüglich wartet der Bericht mit einer Fülle von Fakten auf und stellt sie mit den einzelnen Politikfeldern in Zusammenhang -, ist völlig klar, dass ein Land mit einem hohen Anteil an Frauenbeschäftigung - in Ostdeutschland 66 % und in Westdeutschland 63 % auch besondere Maßnahmen braucht, die die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen - insbesondere mit Blick auf bestimmte Personengruppen wie Berufstätige, Alleinerziehende und kinderreiche Familien, aber auch mit Blick auf den hohen Anteil teilzeitbeschäftigter und niedrig entlohnter Frauen.

In diesem Zusammenhang geht es auch um eine familienfreundliche Personalpolitik der Unternehmen und um eine gute Kinderbetreuung. Beides muss so funktionieren, dass familiäre Teilhabechancen vergrößert werden. Die frühe Förderung und die gute Bildung von Kindern muss ebenso gewährleistet sein wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bildung ist die Startbahn auf dem Weg ins Leben und in eine gesicherte Zukunft. Bildungsarmut führt dagegen häufig auch zu materieller Armut. Demnach muss Bildung für alle - unabhängig vom elterlichen Geldbeutel - ermöglicht werden. Mit der Bildung muss so früh wie möglich mit qualitativ guten Betreuungsangeboten in der Kita begonnen und in der Schule fortgesetzt werden. Brandenburg ist diesbezüglich mit seinem Versorgungsgrad recht gut aufgestellt und wird mit den neuen gesetzlichen Möglichkeiten den qualitativen Ausbau der Bildungswege von der Kita an forcieren.

Zusammenfassend ist Folgendes zu sagen: Die brandenburgische Politik nutzt ihre Möglichkeiten zur Ausgestaltung eines zukunftsfesteren Landes. Einige der Maßnahmen und Programme, die dies im sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Sektor bewirken sollen, habe ich bereits angesprochen. Erstrangige Ziele sehe ich in der Schaffung von mehr Beschäftigung, im Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit und im Streit um eine fair bezahlte Arbeit. Es ist notwendig, dass die Menschen von ihrer Hände Arbeit die eigene Existenz sichern können. Priorität haben dabei Bildung und Ausbildung, Sicherung des Fachkräftenachwuchses sowie Fort- und Weiterbildung.

Wir werden uns weiterhin energisch darum bemühen, die Einkommenssituation zu verbessern und allen eine chancenreiche Teilhabe zu ermöglichen. Dabei geht es sowohl um die Schaffung von Chancengleichheit für alle Menschen in Brandenburg als auch um die Angleichung der brandenburgischen Lebensverhältnisse an die Lebensverhältnisse in den alten Bundesländern; denn auch der letztgenannte Aufholprozess ist längst noch nicht abgeschlossen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE erhält die Abgeordnete Kaiser das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, der Lebenslagenbericht war das zentrale Projekt Ihres Hauses

(Ministerin Ziegler: Eines der Projekte!)

man kann fast sagen: der Landesregierung - in dieser Legislaturperiode. Er ist von erheblichem Gewicht, und zwar nicht nur wegen der 400 Seiten, die auf dem Tisch liegen, sondern auch ob seiner inhaltlichen Brisanz. Allerdings kann ich nach Ihrem Vortrag nicht erkennen,

(Ministerin Ziegler: Das war mir klar!)

dass Sie diese Brisanz tatsächlich für sich realisiert haben; denn Sie gehen einfach zur Tagesordnung über. Dies wäre in dem Fall ein Armutszeugnis für die Landesregierung.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Aus meiner Sicht ist er nicht nur ein Armutsbericht, dennoch zeugt Ihr Auftritt davon, dass der notwendige Perspektivwechsel sowie der notwendige Strategiewechsel bei der Vermeidung und Bekämpfung von Armut von Ihnen nicht verstanden und beabsichtigt wird.

(Ministerin Ziegler: Ich bin gespannt, ob er von Ihnen verstanden wurde!)

Das Erscheinen des Berichts hat bei uns aus verschiedenen Gründen Kopfschütteln ausgelöst, und zwar nicht nur deshalb, weil er nach wenigen Tagen wieder aus dem Netz verschwunden war, sondern auch, weil man lesen konnte, dass die SPDFraktion verlangte, man möge doch eine andere Armutsdefinition benutzen, die weniger Arme ausweist. Als Vorwurf wurde laut, die Ministerin rechne Brandenburg arm. Dies konnte der Presse entnommen werden.

(Frau Lehmann [SPD]: Bleiben Sie bei den richtigen Fak- ten!)

- Doch, Frau Kollegin Lehmann, dies ist nachzulesen.

Ich hoffe, es war nur die Weihnachtszeit, die Sie dazu bewogen hat, darüber nachzudenken. Man könnte sonst den Eindruck bekommen, es gehe Ihnen eher um die Verpackung als um den Inhalt.

Die Ministerin hat Transparenz eingefordert, kommen wir also zur Transparenz: Die Aussage, das Armutsrisiko in Brandenburg liege deutlich unter dem bundesdeutschen Wert, klingt zunächst wie eine Erfolgsmeldung. Jedoch unterschlagen Sie, dass Sie dabei die Differenzierung der Einkommen allein in Brandenburg - nicht im Vergleich zum Einkommensniveau der gesamten Bundesrepublik - gemessen haben. Dies kann man tun, jedoch muss man sich dann nicht wundern, dass nach dieser Methodik auch die Bayern und Baden-Württemberger ein höheres Armutsrisiko zu tragen haben als die Brandenburger. Misst man das Einkommen der Brandenburger am bundesdeutschen Durchschnitt, liegt die Armutsrisikoquote deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung weist zwar keine länderspezifischen Zahlen aus, aber immerhin für Ostdeutschland 15 % und für Westdeutschland 12 %. Der dort zugrunde gelegte Vergleich mit dem gesamtdeutschen Durchschnitt ist im Übrigen auch deshalb aussagekräftiger, weil die Brandenburger keine eigenen Preise, Gebühren und Tarife haben. Aber darum geht es Ihnen nicht, vielmehr sollte eine positive Botschaft her. Das finden wir unseriös und irreführend.

Wohlgemerkt: Meine Kritik richtet sich nicht an die Wissenschaft. Für sich genommen ist die von den Spezialisten verwendete Armutsdefinition korrekt, weil und solange gesagt wird, was womit verglichen wird. Jedoch gehen Sie in Ihren Schlussfolgerungen im Teil C von der falschen Diagnose aus, dass es in der Armutsentwicklung eine Trendwende gibt. Dies ist aus den Analysen der Wissenschaftler so nicht zu lesen, wenn man seriös vergleicht. Ich möchte Sie auffordern, dies zu korrigieren.

Ich schlage Ihnen - zum Teil sind uns die Wissenschaftler und andere Ausarbeitungen von ihnen bekannt - Folgendes vor: Legen Sie uns die Originalexpertisen vor und lassen Sie uns anhand dieser Expertisen diskutieren. Möglicherweise kommen die Fraktionen dann auch zu eigenen Schlussfolgerungen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Zudem muss die Frage gestattet sein, ob nicht die Regierungspolitik, die genau zu den Ergebnissen geführt hat, die wir heute vorfinden - die Politik der Agenda 2010 sowie die Politik des Sozialabbaus und der Privatisierung sozialer Risiken -, in den letzten Jahren Teil des Problems statt Teil der Lösung war. Dies ist zumindest unser Eindruck.

Was sind die Ergebnisse Ihrer Politik? Erstens: Arbeitslosigkeit bleibt Hauptrisikofaktor für Armut, aber auch Arbeit schützt immer weniger vor Armut. Die niedrigen Verdienste sind das Problem. Jeder vierte Beschäftigte im Land erzielt einen Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro. Mehr als 71 000 Brandenburger müssen ihr Arbeitseinkommen mit Hartz IV aufstocken, um über die Runden zu kommen. Mehr als ein Drittel von ihnen - etwa 24 000 - tun dies sogar, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Nein, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Ihr Leitbild „Sozial ist, was Arbeit schafft“ ist angesichts dieser Entwicklung zynisch.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Da kaum noch Damen und Herren von der CDU-Fraktion anwesend sind, ist anzunehmen, dass sie am Lebenslagenbericht offenbar nicht sehr interessiert sind.

(Frau Dr. Funck [CDU]: Das ist eine Frechheit!)

Ergebnis des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten zwei bis drei Jahre war, dass Arbeitsplätze geschaffen wurden. Jedoch wurden sie ohne einen gesetzlichen Mindestlohn geschaffen. Damit wird das Problem nicht gelöst. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Brandenburg ist seit der Jahrtausendwende gesunken. Natürlich wächst sie in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs durchaus an - auch einmal über einen Zeitraum von ein oder anderthalb Jahren -, jedoch ist der längerfristige Vergleich zwischen zwei Konjunkturzyklen entscheidend. Ich erinnere an unsere gestrige Debatte: Betrachtet man den Zeitraum von 2000 bis heute, ergibt sich ein anderes Bild. Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten stieg von Juni 2000 bis Juni 2006 um 38,4 %. Dagegen ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im gleichen Zeitraum um 10,6 % rückläufig: von 811 000 auf 724 000 Arbeitsplätze.

Angesichts dieser doch recht klaren Befunde bleibt bei Ihrer Schlussfolgerung am Ende nur Kopfschütteln. Es erstaunt

schon, dass die Auswirkungen der jüngsten Arbeitsmarktreformen im vorgelegten Lebenslagenbericht von der Landesregierung völlig ausgeblendet werden. Die Hartz-Gesetze haben offensichtlich doch nicht die Wirkung gehabt, die Sie sich gewünscht haben. Fakt ist: Mit diesen Reformen sind die Arbeitsuchenden mehrfach segmentiert worden. Lebenslagen und Teilhabechancen im Land wurden noch weiter differenziert. Es gibt Regionen, in denen Armut verstärkt vorzufinden bzw. das Armutsrisiko besonders hoch ist.

Eine Ursache liegt auch in unserer Arbeitsmarktpolitik. Wurden im Land Brandenburg im Jahr 2000 insgesamt mehr als 1,6 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmarktförderung ausgegeben, waren es im Jahr 2006 nur noch 785 Millionen Euro. Dies spiegelt sich auch in der Anzahl der 1-Euro-Jobs wider. Vom Gesetzgeber waren sie eigentlich als Ultima Ratio gedacht, jedoch sprechen 15 200 Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung - dies ist die prioritäre Form - eine andere Sprache. Für die Arbeitslosen bedeutet dies eine relativ geringe Chance auf qualitativ hochwertige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Arbeit schützt demnach nicht mehr vor Armut.

Zweite Folge der Hartz-IV-Gesetzgebung: Die Lebenssituation von Kindern hat sich seitdem nicht verbessert. Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehenden sind in besonderem Maße trotz unserer „Familienrhetorik“ Benachteiligungen ausgesetzt; das wissen Sie auch.

Im Einzelnen unterstelle ich gar nicht, dass Abgeordnete nicht viel für Familien tun wollen, aber im Endeffekt wurde das angestrebte Ergebnis nicht erreicht. Ich sage Ihnen: Der Ausgangspunkt ist für mich die skandalöse Reduzierung von Familien aufs Bedarfsgemeinschaften. Dahinter steckt ein Denken, das wir überwinden müssen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Drei Viertel der Brandenburgerinnen und Brandenburger empfinden, dass Familien mit Kindern gegenüber Kinderlosen benachteiligt sind. 60 % empfinden das gesellschaftliche Klima für Kinder als eher unfreundlich und sogar feindlich. Eigentlich ist ein solcher Befund Auftrag und Chance genug, um für Veränderungen zu sorgen, möchte man meinen. Leider gibt es die notwendigen positiven Veränderungen nicht in Brandenburg, nicht in Deutschland. Es gibt keine Trendwende, Frau Ministerin. Ich denke, in dieser Frage müssten Sie die Aussage Ihres Berichts korrigieren. Es ist kein Schlechtreden der Linken, wenn gesagt wird, dass Familien mit mehr als drei Kindern und Alleinerziehende in besonders hohem Maße von Einkommensarmut betroffen sind,

(Frau Lehmann [SPD]: Doch, doch! Das ist ein Schlecht- reden!)

vor allem dann, wenn sich daran über Jahre hinweg nichts ändert. Man kann das fast wortwörtlich in Brandenburger Sozialberichten von 1999 und 2000 nachlesen. Der entscheidende Unterschied - das ist ein Ergebnis von Politik, von Gesetzgebung und dessen Umsetzung -: Ende der 90er Jahre lebten 10,1 % der Brandenburger Kinder von Sozialhilfe. Heute lebt ein Viertel - in manchen Regionen fast jedes dritte Kind - von Hartz IV. Deutlicher kann man doch eigentlich nicht darauf gestoßen

werden, dass politische Konzepte der letzten zehn Jahre schlichtweg versagt haben.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Als letztes Beispiel will ich noch das Trauerspiel im Verhandeln um den Regelsatz für Kinder benennen, bevor meine Kollegin Wöllert noch einige Dinge vorschlagen und benennen wird. Seit einem Jahr wird angekündigt, dass der Regelsatz erhöht wird. Jetzt wurde von den Sozialenministern gesagt: Bis Ende des Jahres.

(Frau Lehmann [SPD]: Das ist doch gut!)

Ich finde diese Ankündigungspolitik unmöglich, weil wir inzwischen eine Kindergelderhöhung haben, weil es nicht möglich war, gerade den Familien, die es am bittersten nötig haben, unbürokratisch mehr Geld für ihre Kinder zu geben. Wir bekommen eine Kindergelderhöhung, und an diesen Familien geht sie vorbei. Das ist schlicht unverantwortlich.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort erhält Frau Abgeordnete Lehmann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Lebenslagen in Brandenburg - nach der aufregenden Debatte im Vorfeld zu diesem Bericht können wir uns heute der sachlichen Diskussion zuwenden. Mit dem nunmehr vorliegenden Bericht „Lebenslagen in Brandenburg - Chancen gegen Armut“ liegt uns ein umfassender Bericht über die Lebenssituation der Brandenburger Bevölkerung vor. Es ist der erste Lebenslagenbericht für Brandenburg und damit ein neuer Zweig der Landessozialberichterstattung. Für diesen umfassenden Bericht möchte ich mich bei Ihnen, Frau Ministerin, und den Mitarbeitern Ihres Hauses im Namen der SPD-Fraktion sehr herzlich bedanken.