Protokoll der Sitzung vom 02.04.2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur 84. Plenarsitzung des Landtags Brandenburg und stelle fest: Es ist Punkt 10 Uhr.

Ich begrüße unsere Gäste vom Sally-Bein-Gymnasium in Beelitz und wünsche ihnen einen spannenden Vormittag bei uns.

(Allgemeiner Beifall)

Ich habe eine weitere erfreuliche Mitteilung: Unser Abgeordneter Mike Bischoff hat heute Geburtstag und nichts Besseres zu tun, als ihn bei uns im Plenum zu verbringen. Herzlichen Glückwunsch, lieber Mike!

(Überreichung von Blumen und Beglückwünschung durch zahlreiche Abgeordnete)

- Herr Bischoff, so viele nette Kollegen hat man nur einmal im Jahr, nicht wahr?

(Bischoff [SPD]: Ich habe zehn Jahre darauf gewartet!)

Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Gibt es hierzu Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall, sodass wir nach dieser Tagesordnung verfahren.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Klarheit für Arbeitslose und Beschäftigte in Jobcentern - Die Reform muss schnell kommen

Antrag der Fraktion der SPD

Das Thema ist auf Antrag der SPD-Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt worden, die daher die Debatte eröffnet. Frau Abgeordnete Lehmann, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kollegen! Liebe Gäste! Schade, dass die Reform der Jobcenter zu einem so aktuellen Thema geworden ist. Vor allem die Umstände sind bedauerlich und alles andere als nachvollziehbar.

Die Fraktion von CDU und CSU des Deutschen Bundestages hat am 17. März dieses Jahres beschlossen, dass es ab 2011 keine gemeinsame Betreuung der Langzeitarbeitslosen mehr durch den Bund und die Städte und Gemeinden geben soll.

Die SPD hält diese Entscheidung für einen schweren Fehler. Es ist die Rückkehr zur getrennten Trägerschaft von Arbeitsagentur und kommunalen Sozialbehörden und für die Betroffenen sehr negativ. Der Sinn der Reform von 2005 - alle Leistungen aus einer Hand anzubieten - geht damit völlig verloren.

Die Haltung der Unionsfraktion ist nicht nur in der Sache falsch und bedauerlich, sie ist auch politisch bemerkenswert. Immerhin hat sich Arbeitsminister Scholz im Auftrag der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten Rüttgers und Beck über eine Reform der Jobcenter verständigt. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 wurde dies erforderlich. Die derzeitige Form der Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den gebildeten Arbeitsgemeinschaften, bestehend aus den Agenturen für Arbeit und den Kommunen - sprich Mischverwaltung -, sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Das Gericht hat dem Gesetzgeber, also dem Bundestag, aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2010 eine verfassungskonforme Regelung zu finden. Dem nunmehr gefundenen Kompromiss haben alle 16 Ministerpräsidenten zugestimmt. Das heißt, es bestand parteiübergreifend Einigkeit zwischen SPD, CDU, FDP und Linkspartei. Meine Damen und Herren, bei unserem stark ausgeprägten Föderalismus ist das schon eine ganze Menge.

Aber auch das CDU-Präsidium unter Führung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel hat diesen Kompromiss mehrfach befürwortet und die Unionsfraktion gebeten, dem zuzustimmen ohne Erfolg, wie wir jetzt wissen.

Bei allem, was man so hört, muss man den Eindruck gewinnen, dass die CDU-Vorsitzende bei dieser entscheidenden Fraktionssitzung keine Führungskraft gezeigt, sondern sich verdrückt hat. Sie ist ihrem stellvertretenden Parteivorsitzenden, Herrn Rüttgers, in den Rücken gefallen und hat in der Bundestagsfraktion gegen ihren eigenen Parteibeschluss gestimmt - ein unglaublicher Vorgang.

Aus kleinkarierten politischen Motiven - etwas anderes kann es nicht sein - wird die Arbeitsvermittlung in unserem Land von der Bundes-CDU mit unnötigen Sorgen belastet. Ich sage bewusst: Bundes-CDU, weil ich nach wie vor davon ausgehe, dass wir in der brandenburgischen Koalition weiterhin zu dem gefundenen Kompromiss stehen. Öffentliche Verlautbarungen jedenfalls waren so zu verstehen.

Erklärungsversuche von CDU-Bundestagsabgeordneten machen die Sache nicht leichter. Wenn CDU-Abgeordnete jetzt eine fehlende Transparenz beklagen, muss man fragen, ob sie anderthalb Jahre im Ausland gelebt haben, denn seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2007 hat bis dato eine lebhafte öffentliche Debatte stattgefunden. Es haben nicht nur alle diskutiert, sondern es gab auch in regelmäßigen Abständen immer wieder Abstimmungsgespräche mit den Arbeits- und Sozialministern sowie den Ministerpräsidenten.

Zu der Argumentation einzelner CDU-Bundestagsabgeordneter, man wolle jetzt, in der schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Situation, keine zusätzliche Verunsicherung durch die Einrichtung weiterer neue Strukturen schaffen, kann man wirklich nur fragen: Welche Situation haben sie jetzt geschaffen? Verunsicherung auf allen Ebenen, besonders bei den arbeitslosen Menschen und den Mitarbeitern der ARGEn. Schlimmer geht's nimmer!

Lassen Sie uns die Aktuelle Stunde dazu nutzen, mit der schwierigen Situation verantwortungsbewusst umzugehen! Unseren Koalitionspartner fordern wir auf: Holen Sie Ihre Bundeskollegen auf den Pfad der Tugend zurück!

(Beifall des Abgeordneten Holzschuher [SPD])

Akzeptieren Sie den mühsam gefundenen Kompromiss zwischen Scholz, Rüttgers, Beck und den Bundesländern! Ermutigen Sie Ihre Parteivorsitzende, zu ihrem eigenen Parteibeschluss zu stehen und damit eine verlässliche Partnerin zu sein!

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende muss gerade jetzt, da die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Arbeitsmarkt spürbar werden, funktionsfähig bleiben. Führen Sie jetzt um Himmels willen nicht die Diskussion: Wer ist besser - ARGE oder Optionskomme? Das ist ein anderes Thema. Hier und jetzt geht es um eine verfassungskonforme Regelung der Arbeitsgemeinschaften. Alle Beteiligten waren sich bislang parteiübergreifend darin einig, diese Regelung noch vor der Bundestagswahl im September 2009 herbeiführen zu wollen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Es spricht der Abgeordnete Görke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn das Beispiel der SPDFraktion Schule macht, ein ungelöstes Problem der Großen Koalition in Berlin zum Thema der Aktuellen Stunde hier im Landtag zu machen, werden wir sicherlich bis zum Wahltermin, liebe Kollegin Lehmann, noch jede Menge bundespolitischer Baustellen diskutieren können.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Ein Beispiel wäre die Abwrackprämie, aber auch viele andere Themen.

Wissen Sie, was an dieser Ihrer Themensetzung so pikant ist? Dass der gesetzliche Mindestlohn, welcher in diesem Land von existenzieller Bedeutung ist, von Ihnen in diesem Parlament bisher weder mit einem Antrag noch in einer Aktuellen Stunde thematisiert wurde. Das will ich noch einmal sagen, um das entsprechend einzunorden.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Liebe Kollegin Lehmann, Ihr Redebeitrag zeigt, dass der Vertrauensvorrat zwischen SPD und Union nicht nur auf Bundesebene, sondern - sage ich Ihnen ganz ehrlich, auch in Brandenburg - aufgebraucht ist.

(Unruhe bei der SPD)

Für uns ist es ein deutliches Signal dafür, dass Sie in vielen Politikfeldern nicht mehr handlungsfähig sind. Sie sind, wie im Fall der Neuregelung der Betreuung der Arbeitsuchenden in der Grundsicherung, nicht einmal in der Lage, Ihre eigenen, mit der Hartz-Gesetzgebung begangenen handwerklichen Fehler zu korrigieren. Ihr Handeln beschränkt sich jetzt auf gegenseitige Schuldzuweisungen. Das will ich hier noch einmal feststellen.

Für die Linke in diesem Haus ist klar: Hartz IV ist unsozial und bleibt handwerklich schlecht gemacht.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Mit dieser Einschätzung lagen und liegen wir nach wie vor richtig. Das möchte ich kurz erläutern:

Sehr geehrte Kollegin Lehmann, in Ihrem Debattenbeitrag haben Sie wieder einmal Ursache und Wirkung ein wenig miteinander verwechselt. Die vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig charakterisierte Mischverwaltung der ARGE ist Ihr Werk, entstanden - laut den Memoiren Ihres ehemaligen Mitglieds Clement - als eine Art nächtlicher Bierdeckelkompromiss.

Sie haben seit dem Urteilsspruch im Dezember 2007 viel Zeit gehabt, eine veränderte Organisationsstruktur der ARGE zu konzipieren, wie das Verfassungsgericht geurteilt hat, nämlich nach dem Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation.

Nachdem Sie zwischenzeitlich für den von Bundesminister Olaf Scholz präsentierten Vorschlag der freiwilligen Zusammenarbeit zwischen Kommune und BA geworben hatten, servierten Sie uns dann eine neue Mischverwaltung. Ich sage das ist meine persönliche Meinung -: Das ist die alte ARGE mit neuem Türschild.

Aber auch diese Organisationsform ist nicht verfassungskonform. Anstatt dem Verfassungsgerichtsurteil zu entsprechen, haben Sie sich jetzt entschlossen, den Weg zu gehen, das Grundgesetz zu ändern.

(Holzschuher [SPD]: Was wollen Sie? Machen Sie einen Vorschlag!)

- Ganz ehrlich, sehr geehrter Herr Kollege Holzschuher, so viel politische Entscheidungskraft hätte ich mir bei vielen Neuregelungen im Zusammenhang mit der Hartz-Gesetzgebung bei Ihnen gewünscht. Ich erinnere an die Neufestlegung der Regelsätze. Diese basieren bekanntlich immer noch auf der Stichprobe der Einkommen aus dem Jahre 2003. Ich hätte mir bei der Novellierung der Hartz-Gesetze so viel Entscheidungskraft gewünscht. Hier gibt es jede Menge - das wissen Sie als rechtspolitischer Sprecher - Nachbesserungsbedarf, um die Ursachen der Klageflut in den Sozialgerichten zu beseitigen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Aufzählung ließe sich fortführen.

Meine Damen und Herren! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2007 hat durch die großzügige zeitliche Befristung bis Ende 2010 die Möglichkeit eröffnet, die wegen ihrer sozialen Folgen von der Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor, Kollegin Lehmann, abgelehnten Hartz-Gesetze insgesamt einer generellen Revision zu unterziehen und damit die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Das betrifft natürlich auch die Frage der Organisation, also wie Arbeitsuchende und Grundsicherungsempfänger aus einer Hand betreut werden können. Im Rahmen einer Veranstaltung der Friedrich-EbertStiftung im März letzten Jahres zum Thema „Grundsicherung für Arbeitsuchende - Licht und Schatten“ haben Sie genau diesen Ansatz diskutiert.

Den gleichen Veränderungsbedarf hat die unter der Überschrift „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ eingesetzte Regierungskommission in ihrem Evaluierungsbericht zu den Hartz-Gesetzen bereits 2006 formuliert. Darin heißt es:

„Die Trennung der Trägerschaft arbeitsmarktpolitischer Leistungen nach den Rechtskreisen des SGB II und III stellt aus unserer Sicht eine der größten Achillesfersen der deutschen Arbeitsmarktpolitik dar. Bei den anvisierten politischen Korrekturen der Arbeitsmarktpolitik sollte daher die Notwendigkeit einer einheitlichen, rechtskreisübergreifenden Arbeitsmarktpolitik... in den Mittelpunkt gerückt werden.“