Protokoll der Sitzung vom 02.04.2009

Im Moment, behaupte ich, sind wir von der Verunsicherung, von den Chaostagen, die hier ausgeschrieben wurden, weit entfernt. Das sagen nicht nur die Bediensteten selbst, sondern auch die ARGEn, also die Arbeitsgemeinschaften. Das ist auch in einer vor kurzem ausgestrahlten Sendung von der ARGE in Berlin selbst so gesagt worden. Die Panikmache der vergangenen Tage ist überhaupt nicht notwendig.

Bis zum 31. Dezember 2010 muss die Situation geklärt werden. Bis dahin haben wir Zeit, eine Lösung zu finden. Auch das Modellprojekt Optionskommune - daran erinnere ich läuft zu diesem Zeitpunkt aus.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der gebotenen Sorgfalt in Ruhe gemeinsam ein Modell finden werden, das verfassungskonform ist. Es herrschen also weder Chaos noch Untergangsstimmung. Das bestätigen ARGEn und Mitarbeiter. Kein Leistungsempfänger muss fürchten, seine Leistungen nicht zu erhalten. Die Hilfegewährung ist nämlich nicht unbedingt abhängig von dem Modell der Organisation der Verwaltung.

Ich erinnere an das Ziel der Reform, das übrigens - das wurde schon gesagt - von Rot-Grün initiiert wurde. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollten den Hilfebedürftigen aus einer Hand gewährt werden. Davon möchte ich nicht abrücken.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Fördern und Fordern sollten eine Einheit bilden. Mir scheint es manchmal so zu sein, dass diese Zielstellung vor lauter Diskussion um Organisationsformen aus dem Blick gerät.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Bisher war es bekanntlich so, dass wir drei im Gesetz verankerte Organisationsmöglichkeiten hatten. Erstens Kommunen und Argenturen, insgesamt 346, in den ARGEn zusammengefasst, zweitens das Modell der Optionskommune - Kreise/kreisfreie Städte -, zunächst als Testmodell für fünf Jahre festgeschrieben. Sie arbeiten selbstständig und betreuen die Langzeitarbeitslosen selbstständig. In der ganzen Bundesrepublik sind es insgesamt 69. Das dritte Modell ist eine getrennte Wahrnehmung der Aufgaben, was bundesweit aber nur in insgesamt 20 Fällen durchgeführt wird. Sie alle werden sich erinnern, dass die ARGEn von Anfang an ein Ergebnis eines politischen Kompromisses unter Rot-Grün waren.

(Baaske [SPD]: Mit den Schwarzen!)

Die CDU hat übrigens - das sollte man an der Stelle vielleicht auch erwähnen - von Anfang an für eine Übertragung an die Kommunen votiert.

(Beifall bei der CDU)

Die SPD hat eher eine Verwaltung durch die BA favorisiert. Die CDU hat übrigens zu keinem Zeitpunkt das vorhandene Know-how der Mitarbeiter der BA schlechtgeredet oder es ihnen abgesprochen. Das ist nie passiert. Das möchte ich deutlich sagen, weil bei mir manchmal der Eindruck entsteht,

(Birthler [SPD]: Sie haben nur gesagt, die ARGEn machen es besser!)

es werde ein Krieg gegen die BA geführt. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass das Modell der kommunalen Verwaltung, also der Option, sehr dicht an den Menschen ist. Da kommen wir Ihnen sehr entgegen. Ich erinnere an Ihr Motto: Dicht bei den Menschen!

Die Kenntnisse der Gegebenheiten vor Ort, der Situation sind meiner Meinung nach eine sehr gute Grundlage, die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen passgenau für den einzelnen Arbeitslosen zu entwickeln und die Ziele der Reform umzusetzen, nämlich die Menschen in Arbeit, in Qualifizierung, in Maßnahmen zu bringen. Ich betone das immer wieder, damit wir das, was wir hier eigentlich tun, vor lauter Organisation nicht aus dem Blick verlieren.

Natürlich gab es Anlaufschwierigkeiten. Ich bedauere, dass Frau Schröder nicht gesprochen hat. Ich hätte gern die Metapher des Tankers heute fortgeführt. Mir wäre bestimmt etwas dazu eingefallen.

Auch das Miteinander des unterschiedlichen Personals in den ARGEn war natürlich schwierig zu handeln. Das ist doch klar. Wenn man aus zwei verschiedenen Verwaltungen kommt und vielleicht noch unterschiedlich bezahlt wird, ist das eine schwierige Aufgabe. Aber es gibt keine unlösbaren Aufgaben. Davon bin ich überzeugt.

Ich behaupte: Von Anfang an ist gegen das Modell der Optionskommunen große Skepsis gesät worden. Ich erinnere nur an die Auswertung des Gutachtens, das immer wieder einmal eine Rolle gespielt hat, wobei mittlerweile sehr zurückhaltend argumentiert wird. Wenn die BA ein Gutachten über die Arbeit der Optionskommunen anfertigt, dann, meine ich, muss man sich doch nicht über das Ergebnis wundern. Oder sagen wir es einmal anders: Das hat dann schon manchmal ein Geschmäckle. Man hat über dieses Modell und über dieses Gutachten auch nicht mehr allzu viel diskutiert. Oder? Ich kann mich nicht daran erinnern.

Natürlich, sage ich einmal, bedeutet dieses Modell der Optionskommune für die BA einen Einflussverlust. Aber ich sehe nicht, dass es zu chaotischen Zuständen kommt, wenn wir den Rechtskreis des SGB III und den Rechtskreis des SGB II haben und dort ordentlich gearbeitet wird. Schon gar nicht sind nach dem SGB II „Restkunden“ vorhanden.

Warum sollen Kreise und Kommunen diese Aufgabe nicht erfüllen können? Warum sollen Kreise und Kommunen nicht selbst entscheiden können, ob sie diese Aufgabe in eigener Regie durchführen? Warum gibt man den Kommunen nicht die Möglichkeit, darüber zu entscheiden? Nach dem jetzt vorliegenden Kompromiss ist es so, dass die 69 Optionskommunen festgeschrieben werden. Darüber hinaus darf keiner optieren.

(Frau Lehmann [SPD]: Das war der Kompromiss!)

- Liebe Frau Lehmann, ich halte das für falsch. Ich weiß, dass ich mich dabei in bester Gesellschaft befinde. Der Landkreistag votiert genau in die gleiche Richtung. Dort sind die Landkreise organisiert.

(Frau Lehmann [SPD]: Das ist auch ein Geschmäckle!)

Nach meinen Kenntnisstand sind die meisten Landkreise ja wohl immer noch SPD-verwaltet.

(Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeordneten Baaske [SPD])

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat die Organisationsform der ARGEn für verfassungswidrig erklärt. Jetzt muss eine Lösung gefunden werden. Die von Minister Scholz vorgeschlagenen Änderungen stoßen auf breite Ablehnung. Ich erinnere nur daran: ver.di gibt der CDU die Schuld an der Verunsicherung des Personals der BA, lehnt aber gleichzeitig in einem Flugblatt diese neu gefundene Lösung der ZAG, der Zentren für Arbeit und Grundsicherung, deutlich ab. BDA-Präsident Hundt spricht sich für die kommunale Zuständigkeit bei enger Kooperation mit den Arbeitsagenturen aus. Der Präsident des Deutschen Landkreistages - ich sagte es schon - favorisiert die kommunale Gesamtverantwortung.

(Zuruf von Ministerin Ziegler)

Gegen das Modell von Scholz spricht schlicht und einfach, wenn ich zusammenfassen soll: Es ist zu kompliziert. Es ist nicht verfassungskonform. Es gibt mehr Bürokratie, und es wird am Ende zu teuer. Dann kann es kein guter Kompromiss sein.

Ich denke, wir sollten die Verunsicherung beenden. Es muss eine Lösung gefunden werden.

Frau Abgeordnete, Sie müssen Ihre Redezeit beenden. Die rote Lampe leuchtet nicht grundlos.

Ich komme sofort zum Ende. - Es muss eine breit getragene Lösung gefunden werden. Wir sollten aufhören, die Verunsicherung zu schüren. Das ist falsch. Ich glaube, egal, ob wir das vor der Bundestagswahl oder nach der Bundestagswahl machen, es ist genügend Zeit, gemeinsam ein Modell zu entwickeln. Nur, was Sie hier aufführen, ist nichts weiter als Wahlkampfgetöse auf dem Rücken der Betroffenen. Dazu ist das Thema einfach zu ernst. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeordneten Holz- schuher [SPD])

Die Abgeordnete Fechner setzt für die DVU-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Dezember 2007 stellte das Bundesverfassungsgericht wieder einmal eine Verfassungswidrigkeit fest, für die die Altparteien verantwortlich sind.

(Zuruf von der SPD: Altparteien?)

Ausgerechnet die Parteien, die immer am lautesten nach Rechtsstaatlichkeit, nach Verfassungstreue schreien, verstoßen regelmäßig gegen das Grundgesetz. Doch diese eindeutigen Verfassungsbrüche sucht man in den einschlägigen Verfassungsschutzberichten leider vergebens.

Seit das Bundesverfassungsgericht die Struktur der Jobcenter im Dezember 2007 für unzulässig erklärt und die Politik damit beauftragt hat, die Organisation neu zu regeln, ist allerdings bis auf verbale Bekundungen nichts passiert. Zurzeit machen die Mitarbeiter in den Jobcentern legale Arbeit in einer illegalen Behörde. Damit das nicht so bleibt, haben die Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers - CDU - und Kurt Beck - SPD - mit Bundesarbeitsminister Olaf Scholz - SPD - eine Lösung präsentiert, die die bisherigen ARGEn in Zentren für Arbeit und Grundsicherung, kurz ZAG genannt, weiterentwickelt. Doch diese Weiterentwicklung ist nur mit einer Grundgesetzänderung zu erreichen.

Im Übrigen, meine Damen und Herren, für alle, die es noch nicht wissen sollten: Am 23. Mai feiert das Grundgesetz seinen 60. Geburtstag. Innerhalb dieser 60 Jahre wurde das Grundgesetz 52-mal geändert. Nicht weniger als 109 Artikel wurden geändert, gestrichen oder neu hinzugefügt. Wenn es nach dem Willen der Genossen geht, soll es demnächst wieder geändert werden.

Doch der letzte Versuch ist vorerst am Protest der Unionsbundestagsfraktion gescheitert. In fast allen Zeitungen konnte

man es lesen - und auch einige Redner vor mir haben davon gesprochen -, dass, wer hier blockiert, verantwortungslos handelt und den Interessen der Arbeitsuchenden und der Beschäftigten in den Jobcentern schadet. Doch, meine Damen und Herren, ist das wirklich so?

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag Norbert Röttgen sagte, wegen der Wirtschaftskrise und des drohenden Anstiegs der Arbeitslosigkeit sei es ein schlechter Zeitpunkt für die Reform. Dafür sei nach der Bundestagswahl noch genügend Zeit. Auch befürchtete Röttgen den Aufbau einer neuen Bürokratie, die rund 500 Millionen Euro kosten würde, also eine halbe Milliarde Euro für diese neue Struktur.

Argumente, die auch für die DVU-Fraktion nachvollziehbar sind und für den BDA-Hauptgeschäftsführer und gleichzeitigen Vorsitzenden des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit Peter Clever. Dieser hat sich im Streit um die JobcenterReform hinter die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestellt. Das, was Olaf Scholz, Jürgen Rüttgers und Kurt Beck vereinbart haben, wäre eine Verschlimmbesserung, sagte der BDA-Hauptgeschäftsführer gegenüber der Presse. Der zwischen dem Bundesarbeitsminister und den Länderchefs ausgehandelte Kompromiss würde nach Clevers Ansicht die Lage noch mehr komplizieren. Er könne die Verärgerung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion deshalb gut verstehen und teile die verfassungsrechtlichen Bedenken.

Meine Damen und Herren! Auch die DVU-Fraktion hat diesbezüglich Bedenken. Es kann nicht sein, dass ein Gericht - in dem Fall das Bundesverfassungsgericht - feststellt, dass grundgesetzwidrig gehandelt wurde und man nun durch eine Grundgesetzänderung versucht, die Verfassungsmäßigkeit wiederherzustellen. Man kann sich doch nicht nach Belieben die Gesetze passend machen; noch dazu das Grundgesetz.

(Beifall bei der DVU)

Bis Ende 2010 muss eine Neuregelung erfolgen. So hat es das Verfassungsgericht festgelegt. Es bleibt also noch genügend Zeit, um eine verfassungskonforme Nachfolgelösung für die Arbeitsgemeinschaften zu finden. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel - Frau Schulz sagte es ja - der Ausbau der verfassungskonformen Optionskommunen.

Also, wie bereits gesagt, bis Ende 2010 ist ja noch etwas Zeit. Auch die DVU-Fraktion ist zuversichtlich, dass bis dahin eine verfassungskonforme Lösung gefunden wird. Wichtig für uns als DVU ist dabei eines: Die Philosophie von Hartz-IV-Hilfen aus einer Hand hat sich bewährt und sollte auch im Interesse der Betroffenen fortgeführt werden.

(Beifall bei der DVU)

Frau Ministerin Ziegler spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 17. März 2009 war für die Arbeitslosen in Deutschland und

auch für die in den Jobcentern beschäftigten Menschen kein guter Tag. An diesem Tag begann die Blockadepolitik der Unionsfraktion im Bundestag gegen die Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ich bin folgender Meinung: Es ist im Interesse der Menschen unverantwortlich und in diesen wirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch schwierigen Zeiten doppelt gefährlich, die Stabilität der Organisationsstruktur der Grundsicherung zu unterlaufen und einen geordneten Übergang zu der neuen Organisationsform zu verhindern.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Funck [CDU])