Protokoll der Sitzung vom 01.07.2009

sind die Weichen grundlegend falsch gestellt, und darauf muss die Politik neue Antworten geben. Unsere Anwort heißt solidarische Bürgerversicherung, in der jede und jeder Mitglied ist.

Zum zweiten Punkt, Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, ist ein neues Begutachtungssystem zu entwickeln. Die Abkehr von einseitig verrichtungs- und zeitbezogenen Instrumenten hin zur Einschränkung der Selbstständigkeit als Maßstab wird auch zu neuen Leistungsangeboten führen müssen. Darauf muss man sich einstellen.

Welche Herausforderungen stehen im Land Brandenburg an? Erklärtes Ziel der Landesregierung ist es, „die Pflege und Betreuung in die Mitte der Gesellschaft zu holen.“ Das kann man nur unterstützen. Es ist aber auch zu fragen, ob die Pflegeinitiative bereits so nachhaltig wirkt, dass man es dabei bewenden lassen kann. Die Landesregierung führt in diesem Zusammenhang aus, sie habe Impulse dafür gesetzt, dass es gemeinsamer Anstrengungen von Land, Kommunen, Einrichtungen und Diensten bedarf, um die Betreuung und Pflege alter Menschen zu einer Angelegenheit des Gemeinwesens zu machen. Ich meine, man sollte sich durchaus von Zeit zu Zeit vergewissern, wo man dabei steht. Deshalb wäre ein turnusmäßiger Pflegebericht aus unserer Sicht hilfreich. Ihre Koalition hat einen solchen leider abgeschafft und dafür eine Unmenge Berichterstattungen eingeführt. Die Arbeit für die Verwaltung ist damit nicht weniger geworden.

(Ministerin Ziegler: Das stimmt!)

- Schade, dass nicht Sie alle hören können, wie die Ministerin das hier kommentiert. Da entgeht Ihnen einiges.

Wenn ich schon beim Stichwort „Berichte und Daten“ bin, möchte ich noch Folgendes anmerken: An der einen oder anderen Stelle verwundert es schon ein wenig, dass man das eine oder andere nicht weiß oder vielleicht auch nicht wissen will und das, obwohl sich Ihre Politik an vielen Stellen genau auf die erfragten Daten gründet. Ich nenne als Beispiel die Frage nach dem Umfang und dem Potenzial an ehrenamtlicher Pflege durch Angehörige und Nachbarn, unsere Frage 9. Es ist schon klar, dass die amtliche Pflegestatistik dazu nichts sagt. Aber angesichts des oben beschriebenen Ziels, Pflege in die Mitte der Gesellschaft zu holen, ist es etwas mager, sich da nur auf Vermutungen zu stützen. Ich sage das nur als Anregung. Ein Pflegebericht ist eben mehr als die Aneinanderreihung vorhandener Daten.

Für schwierig halte ich es auch, wenn die Landesregierung über keinerlei Erkenntnisse über durchgeführte Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für pflegendes Personal verfügt oder wenn die Frage nach dem Lohnniveau in den Pflegeberufen ausweichend beantwortet wird. Natürlich ist ein Mindestlohn notwendig. Es ist auch schön, dass auch die Landesregierung - ich frage: wirklich die ganze Landesregierung? - das so sieht; unsere Frage 56. Aber das ist doch nicht das einzige Mittel, um einer drohenden Abwärtsspirale zu begegnen. Es steigert ja die Attraktivität des Berufs für eine Pflegefachkraft nicht, wenn sie sich gemeinsam mit Ungelernten oder mit Pflegehilfskräften auf Mindestlohnniveau trifft.

Die Landesregierung verweist an verschiedenen Stellen auf die Möglichkeiten des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes. Dazu gehören auch Pflegestützpunkte. Wir haben uns dazu schon

mehrfach im Ausschuss informieren lassen. Ich will hier noch einmal für meine Fraktion betonen, dass wir allergrößten Wert darauf legen, dass wirklich neutral, also trägerunabhängig, beraten wird. Darüber hinausgehend wiederhole ich die Anregung meiner Fraktion, nach dem Vorbild der Psychiatriekoordinatoren auch eine Pflegekoordination einzurichten. Darauf ist die Landesregierung in Ihrer Antwort auf unsere Frage 59 leider nicht eingegangen.

Die Linke hat die Große Anfrage zur Versorgung mit Leistungen der Pflegeversicherung im Lande nicht aus Freude an Zahlenreihen gestellt, sondern um eine fundierte Grundlage für die Pflegepolitik zu haben. Die Antwort ist dazu auch in weiten Teilen geeignet, übrigens auch über das Ende der Wahlperiode hinaus. Wir werden das von Zeit zu Zeit wiederholen; es sei denn, wir verständigen uns in der nächsten Wahlperiode doch noch auf einen regelmäßigen Bericht.

Vielen Dank für die Antworten auf die Anfrage. - Ihnen hier herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Debatte wird durch die Abgeordnete Lehmann, die für die SPD-Fraktion spricht, fortgesetzt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wir haben in dieser Wahlperiode schon sehr oft über Pflege gesprochen. Ich darf an dieser Stelle an das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz erinnern; im vergangenen Jahr vom Bundestag auf den Weg gebracht und seit dem 01.07.2008 in Kraft. Die Anhebung der Leistungsbeiträge in den drei Pflegestufen der ambulanten Pflege, der neue Leistungsanspruch für Menschen mit eingeschränkter Altersdemenz von bis zu 2 400 Euro jährlich, die Möglichkeit des Pools von Pflegeleistungen in Wohngemeinschaften oder Nachbarschaften, die Einführung der sechsmonatigen Pflegezeit und natürlich die Errichtung von Pflegestützpunkten mit einem umfassenden, unabhängigen Beratungsangebot unter einem Dach werden die Bedingungen für Pflegende - für pflegende Angehörige und für Pflegekräfte wesentlich verbessern. Die Pflege am Körper wird um Beratung, Betreuung und Assistenz erweitert sowie ein erster Schritt durch Neuformulierung des Pflegebegriffs getan. Wir werden in der nächsten Wahlperiode sehr intensiv über einen neuen Pflegebegriff zu diskutieren haben. Der vom Bund hierfür eingerichtete Beirat hat im Januar dieses Jahres seine Vorstellungen dazu vorgelegt.

Ziel muss es sein, von der Minutenpflege wegzukommen; sie entspricht nicht mehr den heutigen Bedürfnissen.

Das heute verabschiedete Gesetz zur Neuregelung der heimrechtlichen Vorschriften - Frau Prof. Dr. Heppener hat hierzu Ausführungen gemacht - wird neben neuen Wohnformen auch die Qualität der unterstützenden Wohnformen für die Gesellschaft transparenter machen.

Übrigens wird in der Beantwortung der Großen Anfrage deutlich, dass sich die Betreuungs- und Pflegequalität in den Einrichtungen

in den letzten Jahren verbessert hat. Der Medizinische Dienst der Pflegekassen und die Heimaufsicht arbeiten hierbei glücklicherweise Hand in Hand.

Mit dem Altenpflegehilfegesetz - im Mai dieses Jahres in diesem Hause beschlossen - ermöglichen wir Jugendlichen mit einfacher Berufsbildungsreife und arbeitslosen Menschen den Einstieg in die Altenpflege. Zum einen zwingt uns die demografische Entwicklung dazu, zum anderen wird sich die personelle Situation in der Pflege entkrampfen.

Zu guter Letzt möchte ich die Pflegeinitiative der Landesregierung „Später beginnt jetzt“ nennen. Sie wurde in den Jahren 2007/08 durchgeführt. An ihr beteiligten sich viele Partner. Sie hat im Land viele Ideen und Projekte hervorgerufen. Pflege geht weit über das Spektrum der Leistungen der Pflegekassen hinaus. Die Pflegeinitiative hat dies noch einmal sehr anschaulich gemacht und somit einen kräftigen Impuls für die notwendige Weiterentwicklung der Pflege gesetzt. Die Pflegeinitiative muss auch künftig durch alle Beteiligten weitergelebt werden.

Über das Investitionsprogramm Pflege wurden insgesamt 10 790 vollstationäre Plätze, 586 Kurzzeitpflegeplätze und 840 Tagespflegeplätze gefördert. Diese öffentlich geförderten Pflegeplätze sollen vorrangig Menschen mit geringen finanziellen Mitteln vorbehalten bleiben. Entsprechend dem Landespflegegesetz sind die Träger von Einrichtungen verpflichtet, öffentlich geförderte Plätze mit Personen dieser Zielgruppe zu belegen.

Die Landkreise und kreisfreien Städte haben als Träger der Sozialhilfe ein Belegungsrecht für diese Plätze. Das ist sozialpolitisch außerordentlich wichtig, wenn man bedenkt, dass die Differenz für das individuelle Investitionsentgelt bei öffentlich geförderten Pflegeeinrichtungen zu nicht öffentlich geförderten Pflegeeinrichtungen zwischen 7 Euro und 18 Euro liegen kann. Wir sind der Meinung, dass die Arbeit für und mit den Menschen generell zu schlecht bewertet und damit zu gering vergütet wird. Diesen gordischen Knoten zu lösen wäre eine Aufgabe der Tarifpartner.

(Beifall der Abgeordneten Schier [CDU])

Ungeachtet dessen sind wir sehr froh, dass es gelungen ist, den Pflegebereich in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen und somit den Weg hin zu einem Mindestlohn für die Pflegebranche zu ermöglichen. „Später beginnt jetzt“, meine Damen und Herren! - Herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Fechner, die für die DVUFraktion spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Genossen haben sich mit dieser Großen Anfrage wieder einmal sehr viel Mühe gemacht. Wichtiges und auch Unwichtiges erfahren wir, aber auch längst Bekanntes, so zum Beispiel, dass sich die Zahl der über 80-Jährigen, also die Gruppe mit dem höchsten Risiko, irgendwann pflegebedürftig zu werden, bis zum Jahr 2030 fast

verdoppeln wird. Über 200 000 Menschen werden dann über 80 Jahre alt sein. Das ist fast jeder zehnte Brandenburger.

Interessant war für mich deshalb die Antwort auf die Frage 60, in der es darum geht, welche Konsequenzen die Landesregierung aus dieser Tatsache zieht. Es hat mich schon verwundert, was die Landesregierung da schreibt. Sie schreibt nämlich, dass sie die Anstrengungen der Vorgängerregierung fortsetzen wird, sich auf die nicht aufzuhaltende demografische Entwicklung vorzubereiten. Um welche konkreten Anstrengungen es sich dabei handelt, kann man der Antwort nicht entnehmen. Wenn man sich diese demografische Entwicklung ansieht, stellt man fest, dass diese Anstrengungen auch nicht sonderlich erfolgreich waren.

Meine Damen und Herren der Landesregierung, es liegt an Ihrer Politik, wie sich die Bevölkerungsstruktur in den nächsten Jahren gestalten wird. Sie haben es doch in der Hand. Sie können unmittelbar Einfluss ausüben. Mit einer besseren Familien-, Schul- und Sozialpolitik könnten Sie das Ruder herumreißen.

Es war vor vielen Jahren schon absehbar, wie sich die Entwicklung gestalten würde, wenn politisch nicht umgesteuert wird - natürlich nur für vorausschauende, verantwortungsvolle Politiker.

Junge Familien verlassen Brandenburg scharenweise.

(Frau Lehmann [SPD]: Sind wir nicht beim Thema Pflege?)

- Richtig, aber diese jungen Familien brauchen wir, damit sie ihre älteren Familienangehörigen pflegen können, Frau Lehmann. Junge Familien siedeln sich in berlinfernen Regionen gar nicht erst an bzw. verlassen diese, weil sie in diesen Regionen keine Schulen für ihre Kinder vorfinden. Auch die ärztliche Versorgung stellt sich als ein gravierendes Problem dar - von den fehlenden Arbeitsplätzen ganz zu schweigen. Auch Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren der Landesregierung, trägt nicht dazu bei, das „Leerziehen“ ganzer Landstriche zu verhindern.

Sie hatten und haben es in der Hand, wie sich die Bevölkerungsstruktur in den nächsten Jahren gestaltet. Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken und von einer nicht aufzuhaltenden demografischen Entwicklung zu sprechen, sollten Sie sich endlich mit den wirklich existenziellen Problemen hier im Land beschäftigen.

Eine Möglichkeit, das befürchtete Szenario der Überalterung unseres Volkes aufzuhalten, ist, die Geburtenrate zu erhöhen. Wer die Geburtenrate erhöhen will, muss für eine flächendeckende qualitative Kinderbetreuung und -versorgung sorgen.

(Frau Lehmann [SPD]: Pflege! Pflege!)

Dazu gehören Kita-Einrichtungen, Schulen und Freizeitangebote. Auch die ärztliche Versorgung muss sichergestellt sein. Ganz wichtig ist, dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden muss. Kinder und Mütter müssen wieder einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft einnehmen.

(Frau Lehmann [SPD]: Pflege!)

Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung und den Koalitionsfraktionen, Frau Lehmann, könnten, wenn Sie es wirklich wollten, die von Ihnen prognostizierte angeblich unaufhaltsame demografische Entwicklung stoppen.

(Zuruf von der SPD: Thema verfehlt!)

Es liegt an Ihrer Politik, ob wir mittelfristig ein Land der Senioren oder ein Land der Jugend, ein Land der Zukunft werden.

(Zuruf von der SPD)

Aber wenn ich Sie so reden höre, meine Damen und Herren von der SPD, schließe ich, dass Sie sich wahrscheinlich schon längst für die Vergreisung entschieden haben.

(Beifall bei der DVU)

Die Abgeordnete Schier setzt für die CDU-Fraktion fort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Großen Anfrage sind viele wichtige Antworten enthalten, die uns in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen werden. Eine wichtige Zahl ist, dass 85 129 Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen und davon fast 50 % von Familienangehörigen und Nachbarn gepflegt werden.

Ich finde, das ist eine enorme Zahl, die man sich immer wieder einmal vor Augen führen muss. Da nehmen Angehörige und Nachbarn es wirklich auf sich, auch manchmal nicht ganz leichte Versorgungen zu übernehmen. An dieser Stelle möchte ich für dieses Engagement einmal Danke sagen.

(Beifall bei CDU, SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Genauso erstaunlich finde ich die Entwicklung der ambulanten Pflegedienste. Wir haben 548 ambulante Pflegedienste, die jeden Tag über Land fahren, die bei Wind und Wetter unterwegs sind und die Menschen zu Hause - in ihrem häuslichen Umfeld - pflegen. Wir haben das Heimgesetz gerade verabschiedet; die häusliche Umgebung ist uns besonders wichtig.

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir sehr am Herzen liegt. Kollegin Lehmann ist darauf eingegangen, dass wir das Altenpflegehilfegesetz verabschiedet haben. Das ist ein richtiger Schritt, weil wir jungen Menschen und auch Menschen, die es sich vielleicht nicht so ganz zutrauen oder nicht wissen, ob die Pflege für sie überhaupt eine Berufschance ist, helfen, einen Einstieg zu finden. Wir bilden in Brandenburg jedoch Altenpfleger in Größenordnungen aus, die leider oftmals das Land verlassen, weil die Bezahlung in den alten Bundesländern einfach eine andere ist. Wir müssen dies ganz dringend in Angriff nehmen; da schaue ich auch zu Ministerin Ziegler, die dann auf einer anderen Ebene tätig sein wird. Wir müssen es auf Bundesebene schaffen, dass anerkannt wird, dass der Pflegebedarf bei einer Pflegestufe I im Osten genau den gleichen Aufwand bedeutet wie im Westen. Damit würden wir auch die Bezahlung in den Pflegeheimen und bei den Pflegediensten angleichen können. Das ist mir und - denke ich auch Ihnen ein Herzensanliegen. Diese Aufgabe sollten wir so