Protokoll der Sitzung vom 06.05.2010

- Mir ist völlig klar, dass Sie das so sehen. Nur, so weit reicht es dann eben doch nicht. Gewählt ist gewählt. Damit werden Sie in den nächsten viereinhalb Jahren leben müssen.

Die Vizepräsidentschaft ist ein weiterer Punkt. Es ist ein völliges Unding in Deutschland - ich weiß, dass früher mit der Linken möglicherweise auch nicht fair umgegangen worden ist -, dass die Opposition keine Vizepräsidentschaft hat. Es geht uns dabei nicht um Dienstwagen und Chauffeure oder irgendwelche Büros.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Wenn wir zwei Vizepräsidenten haben und nur einer da ist, können die sich meinetwegen einen Chauffeur und ein Büro teilen alles kein Problem. Es geht darum, dass mit dem Amt des Vizepräsidenten argumentiert werden kann, dass jemand als Vizepräsident hier oben und eben nicht nur als Vertreter einer Fraktion, die, weil sie nicht zu den stärksten gehört, nicht den Vizepräsidenten stellt, sitzen kann. Es wäre eine Frage des demokratischen Selbstverständnisses gewesen. Es hätte niemandem wehgetan. Es wäre möglich gewesen. Auch das ist verweigert worden - schade, dass es so weit nicht reicht - möglicherweise aufseiten der Linken aus verletzter Eitelkeit, weil ihnen ähnlich mitgespielt wurde. Das kann ich nachvollziehen. Aber es wäre auch anders gegangen, und das wäre ein Zeichen gewesen, das Sie jetzt hätten setzen können. Schade, dass Sie diese Größe nicht hatten.

Das Rederecht des Stellvertreters ist angesprochen worden das ist ein wichtiger Punkt. Wenn man mit einem Abgeordneten in einem Ausschuss sitzt, heißt das beispielsweise für uns im Wissenschaftsausschuss Folgendes. Jens Lipsdorf hat als Vorsitzender diesen Ausschuss zu leiten, hat sich überparteilich zu verhalten, hat darauf zu achten, dass alle fair ihre Meinung sagen können. Wer soll dann dort, bitte schön, drastisch und deutlich die Position der FDP vertreten? Er darf es eigentlich nicht. Sie beschneiden das Rederecht des Stellvertreters, das wir an dieser Stelle dringend bräuchten, oder Sie kommen und sagen: „Er verletzt seine Pflichten als Ausschussvorsitzender“, wenn er klare FDP-Positionen vertritt.

(Beifall FDP und CDU)

Das ist nicht in Ordnung, weil Sie uns in unseren Rechten begrenzen.

Das tut der SPD nicht weh. Das tut der Linken nicht weh. Das tut der CDU auch nicht wirklich weh, weil sie zu zweit sind. Sie haben das Problem nicht. Aber die kleinen Fraktionen, FDP und Grüne, haben die Schwierigkeit, nicht fair, nicht voll argumentieren zu können. Liberale Positionen werden im Ausschuss automatisch verwässert. Es ist ärgerlich, dass Sie das so gehandhabt haben. - Jetzt freue ich mich auf die Zwischenfrage.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Mit Vergnügen.

Herr Goetz, sind Sie eventuell auch der Meinung, dass sich das Wahlergebnis, das im Landtag repräsentiert wird, auch in den Ausschüssen widerspiegeln muss?

Frau Kollegin, ich kann nicht ganz nachvollziehen, was das Wahlergebnis damit zu tun hat, ob jemand in einem Ausschuss reden darf. Man muss reingehen, den Finger heben und darauf hoffen, dass sich eine gnädige Mehrheit aus dem rot-roten Meer heraus findet und sagt: „Du darfst jetzt, bitte schön, reden.“ Das hat doch nichts mit dem Wahlergebnis zu tun.

(Frau Hackenschmidt [SPD]: Es gibt doch einen Vertreter, Sie können doch reden!)

- Frau Hackenschmidt, ich erkläre es Ihnen gern noch einmal. Wir haben einen Mann im Ausschuss. Im Wissenschaftsausschuss heißt das, Jens Lipsdorf als Vorsitzenden. Wenn der Vertreter reden soll, dann muss Jens Lipsdorf aufstehen und hinausgehen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihre Neigung zu Zwiegesprächen zu unterdrücken und sich zu konzentrieren.

So einfach ist das. Es wäre genauso einfach gewesen, für Abhilfe zu sorgen, indem man den beiden kleinen Fraktionen die Möglichkeit gibt, auch dann, wenn man einen Ausschussvorsitz hat, seine Meinung zu sagen, damit sich liberale bzw. grüne Positionen wiederfinden. - Ich merke, es gibt Grund zur Aufregung. Ich freue mich auf die nächste Zwischenfrage.

Herr Goetz, können Sie mir den Passus in der Geschäftsordnung nennen, der es dem Ausschussvorsitzenden verbietet, seine Meinung im Ausschuss kundzutun?

Es gibt Pflichten, Herr Kollege, wie der Ausschussvorsitzende einen Ausschuss zu führen hat, nämlich überparteilich und neutral.

(Jürgens [DIE LINKE]: Er hat Meinungsfreiheit!)

- Er hat das Recht, seine Meinung zu sagen. Aber genau dort ist er begrenzt, genauso wie der Landtagspräsident zum Beispiel hier seine Meinung nicht sagen darf und sich zurückhalten muss. So ist es auch bei Ausschüssen. Die Fairness gebietet es, ihn dann aus der Geschäftsführung des Ausschusses herauszunehmen und zu sagen: Du bist jetzt da und kannst deine Meinung sagen. - Schön wäre es gewesen, wenn es gegangen wäre.

Eines ist natürlich auch klar. Diese Geschäftsordnung, so viele Nachteile sie hat, so schlecht sie in Teilen auch ist, ist besser als keine Geschäftsordnung. Das nämlich würde Ihnen Tür und Tor öffnen, nur das zu machen, was Sie wollen. Insofern sind Ihnen leichte Zügel angelegt worden. Deswegen stimmen wir nicht dagegen. Dafür können wir auch nicht sein. Wir werden uns enthalten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP und CDU)

Der Abgeordnete Görke spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben unter Berücksichtigung der Erfahrungen der letzten 20 Jahre in allen Fraktionen ein halbes Jahr über viele Veränderungen diskutiert - ich bedanke mich beim Kollegen Schulze und bei der Kollegin Schier, die im Zusammenhang mit ihrer damaligen Verantwortung viele Sachen vordiskutiert haben -, sodass wir nun eine Geschäftsordnung verabschieden können, die aus meiner Sicht zu einer der besten in Deutschland gehört.

(Widerspruch bei CDU und FDP - Senftleben [CDU]: Exportschlager!)

- Da habe ich nichts zurückzunehmen.

Schauen Sie in die Geschäftsordnung einiger alter Bundesländer und sehen Sie, wie ordentlich dort das Rederecht definiert ist. Sie finden dort ähnliche Formulierungen wie jetzt in unserer.

Die wichtigste Änderung ist die, über die wir lange gestritten haben. Sie ist an vielen Widerständen gescheitert. Sie als CDU waren eines der Hemmnisse, das überwunden werden musste, wonach die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen hier im Landtag Brandenburg endlich Einzug halten kann. Es ist schon ein bisschen merkwürdig, dass Sie jetzt völlig überziehen, Herr Kollege Senftleben, und die grundsätzliche Öffentlichkeit auch auf die Sitzungen des Petitionsausschusses übertragen wollen. Ich bitte Sie wirklich - das habe ich auch im Hauptausschuss gesagt -: Schauen Sie noch einmal in den Aktenvermerk der Landesbeauftragten für den Datenschutz und und für das Recht auf Akteneinsicht, welche Positionen dort geäußert worden sind.

Im Übrigen will ich Sie einfach darüber aufklären: Bei den Sitzungen des Petitionsausschusses vor Ort geht es um Bürgersprechstunden und nicht um öffentliche Sitzungen des Petitionsausschusses. Wenn Sie es noch einmal hören wollen, Herr Kollege, dann ist der Kollege Domres gern bereit, Ihnen wie im Hauptausschuss eine Weiterbildungsveranstaltung dazu zu geben.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Ich will auch etwas zu dem Eindruck sagen, dass die Grünen, seitdem sie sind, die Initiatoren für die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen sein sollen. Ich empfehle einen Blick auf die Internetseite der Koalitionsfraktionen. Die Koalitionsvereinbarung von SPD und Linken trifft eine eindeutige Aussage dazu. Bevor sich dieser Landtag konstituierte, hatten wir schon vereinbart:

„Im Landtag streben die Koalitionspartner mehr Bürgerfreundlichkeit und Transparenz für Entscheidungsfindungsprozesse an. Die Sitzungen der Landtagsausschüsse sollen künftig... öffentlich sein.“

Danach handeln wir auch in Bezug auf den Petitionsausschuss, der die Bürgersprechstunden seit Kurzem als Variante anbieten kann.

Im Übrigen wurde die Rubrik „Bürgerfreundlichkeit und Transparenz“ maßgeblich initiiert, mitgestaltete Änderungen wurden vorangebracht. Die Regelung zum Verfahren bei der Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung nach Artikel 94 ist neu formuliert.

Die Gewährleistung des Rederechts, auch des Anhörungsrechts, wie vorhin schon erwähnt, des Rates für sorbisch/wendische Angelegenheiten - eine langjährige Forderung der Sorben und Wenden selbst - ist verankert worden.

Es gibt erstmalig Regelungen zum Verfahren bei der Durchführung von Sondersitzungen. Ich glaube, das kommt Ihnen als Opposition sehr entgegen.

Die Tagesordnungen von Ausschusssitzungen werden im Benehmen mit den anderen Fraktionen festgelegt. Damit sind dort die Minderheitenrechte der einzelnen Fraktionen gesichert.

Die Stärkung der Rechte der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht und die verfahrensrechtliche Absicherung der Arbeit der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur sind ebenfalls geregelt.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur politischen Kultur im Landtag sagen. Seit zehn Jahren, seitdem die alten Koalitionsfraktionen ausnahmslos Anträge ohne die Opposition eingebracht haben - es gab ein Hemmnis; wir wissen, wer das war -, gibt es nun wieder gemeinsame Anträge von Koalition und Opposition. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, den Stand zu ermitteln. Mit Stand Ende März 2010 wurde rund ein Drittel - 12 von 37 - der Sachanträge von SPD und Linken gemeinsam mit einer Oppositionsfraktion oder allen Oppositionsfraktionen eingebracht. Das ist ein Beleg dafür, dass wir auch auf der Grundlage einer neuen Geschäftsordnung miteinander in die gleiche Richtung marschieren können.

Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie der Geschäftsordnung zu. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Abgeordnete von Halem spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu keinem Thema haben wir in so vielen Runden diskutiert wie zur Geschäftsordnung, obwohl dieses Thema, wie man auf Neudeutsch sagt, ziemlich unsexy erscheint. Aber ich denke mir, dass die Diskussionen der letzten Monate und die Debatte dies widerlegt haben.

Für mich als Linguistin hat die Geschäftsordnung für die parlamentarische Auseinandersetzung eine ähnliche Funktion wie die Grammatik für die Sprache. Sie regelt die demokratischen Abläufe, innerhalb derer wir unsere politischen Ansichten gegeneinander abwägen, Pro und Kontra deklinieren. Sie unterscheidet also Haupt- und Nebensätze und schafft damit letztendlich klare Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten. Gleichzeitig hat die Geschäftsordnung neben aller Regelungsdichte auch noch eine ausgesprochen sympathische Seite - und das ist hier noch nicht erwähnt worden -, nämlich den § 100, der Abweichungen nur dann für unzulässig erklärt, wenn mindestens fünf Abgeordnete widersprechen. Diesen Paragraphen habe ich als Erstes gelernt.

Als Vertreterin der kleinsten Oppositionspartei kann ich hinzufügen, dass die jetzt vorliegende Geschäftsordnung nicht für alle gleich erfreulich ist. Das ist auch der Grund dafür, dass wir uns bei der Abstimmung nachher enthalten werden. Denn nicht nur sichert die Geschäftsordnung den Mehrheiten ihr Auskommen, sondern umgekehrt schaffen auch die Mehrheiten sich mit der Geschäftsordnung ihre Bewegungsfreiheiten. Das Ausmaß von Minderheitenrechten wird in der Demokratie von den Mehrheiten bestimmt. So war und ist es zum Beispiel für uns höchst unerfreulich, dass das Präsidium die Sitzordnung im Benehmen mit den Fraktionen bestimmt, was im konkreten Fall schlichtweg bedeutet, Mehrheitsverhältnissen zu unterliegen.

Zwei weitere Punkte hätten wir uns anders gewünscht: Wir halten es weiterhin für richtig und politisch geboten, dass wir, wenn wir schon nur einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin haben, diese aus den Reihen der stärksten Oppositionspartei heraus wählen, aber da sorgten die Mehrheiten für ihren eigenen Machterhalt. Auch die Option einer zusätzlichen Vizepräsidentin wurde mit dem aus unserer Sicht windigen Argument verworfen, das koste zu viel Geld. Das wäre leicht zu entkräften gewesen, denn es gab die Bereitschaft, die Kosten aufzuteilen - zumindest vonseiten der Opposition. Auch unkonventionelle Lösungen wären hier denkbar gewesen. Zum Beispiel sieht die Geschäftsordnung in Thüringen nur zwei Vizepräsidenten vor, de facto sind aber vier eingesetzt - somit können alle Parteien beteiligt werden. Aber nein, das war hier mit den Hüterinnen und Hütern der Macht nicht zu verhandeln.

Ebenso enttäuschend verliefen unsere Verhandlungen über die

Rederechte von Abgeordneten in den Ausschüssen. Gerade für uns als kleine Fraktion, die wir alle Fachbereiche auf wenige Personen verteilen müssen, wäre es ein Plus an Beweglichkeit, zu einzelnen Tagesordnungspunkten auch andere Abgeordnete reden lassen zu dürfen als die jeweiligen Ausschussmitglieder. Das bedeutet noch lange nicht, die festgelegten Stimmrechte anzutasten, Frau Wöllert. Aber warum sollte es nicht möglich sein, Abgeordneten in den Ausschüssen grundsätzlich Rederecht zu gewähren, in denen sie weder ordentliches noch stellvertretendes Mitglied sind? Warum muss es jetzt in § 79 heißen: „In Ausschüssen hat das ordentliche Mitglied und nur bei dessen Verhinderung das stellvertretende Mitglied Rederecht“? Dies ist gegenüber dem Stand, wie es vorher war, sogar eine Verschärfung. Weitere Mitglieder der entsprechenden Fraktionen haben nur ein Rederecht bei Verhinderung der beiden vorher Genannten. Auf diese Art und Weise auf wohlwollendes Entgegenkommen der Würdenträger hoffen zu müssen entspricht mitnichten unserem Verständnis von demokratisch gewährten Minderheitenrechten.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt bei der CDU - Zurufe des Abgeordneten Görke [DIE LINKE] und von der SPD)

Aber wir haben auch Grund zur Freude: Wir Bündnisgrünen haben zur konstituierenden Sitzung die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen beantragt. Wenn ich jetzt höre, die Koalition hätte dies bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dann kann ich dazu nur sagen: Bei uns steht es schon seit Jahren im Wahlprogramm, und wir haben nach der Wahl gesagt, dass dies eine unserer ersten Initiativen sein wird.