Protokoll der Sitzung vom 02.06.2010

Ich würde gern fortfahren. Vielleicht hat man dann noch mehr Substanz.

(Beifall SPD)

Auch in Zeiten einer angespannten Haushaltslage setzen wir politische Prioritäten, Prioritäten zugunsten junger Menschen, deren Leben offen sein soll, Prioritäten für junge Menschen, für die „Aufstieg durch Leistung“ kein leeres Versprechen bedeutet, Prioritäten eben für Lebenschancen. Genau darum geht es, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich bin Ihnen im Grunde genommen für diese Debatte sehr dankbar, denn sie zeigt den Widerspruch und den Riss, der durch unsere unterschiedlichen Auffassungen geht. Herr Burkardt, ich weiß nicht, ob Sie das Instrument Schüler-BAföG wirklich verstanden haben, denn gerade Ihre Biografie zeigt doch, dass es junge Menschen einmal besser haben sollen, dass sie sich eben nicht durch ein so schweres Leben boxen müssen wie Sie.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Diese Landesregierung steht für ein Land, in dem gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird, Teilhabe eben durch Bildung. Genau dafür müssen wir die Rahmen setzen. Die Prioritätensetzung der Landesregierung für die Bildung bedeutet deshalb vor allem, Bildungsgerechtigkeit für alle, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, sicherzustellen.

Meine Damen und Herren von der Grünen-Fraktion, ich verstehe an diesem Punkt absolut nicht die Überheblichkeit, mit der Sie glauben davon ausgehen zu können, dass das ein Randphänomen sei. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, werden Sie feststellen, dass 40 % aller Familien mit Kindern in diesem Land hinsichtlich des Schüler-BAföGs anspruchsberechtigt sind. Da kann man nicht von Prekariat, irgendwelchen Randphänomen oder einer Klientelgruppe sprechen. Es geht um 40 % der Familien.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich bin dem Ministerpräsidenten dankbar dafür, dass er den Bogen vom Schüler-BAföG zum Studenten-BAföG geschlagen hat, denn im Grunde genommen ist es die gleiche Philosophie. Wir brauchen Chancengerechtigkeit, damit jeder Einzelne seine Talente entfalten kann. Das beginnt sehr früh; es wurde heute sehr ausführlich dargestellt, dass wir uns schon um die ganz Kleinen kümmern. Es geht auch darum, soziale und finanzielle Nachteile auszugleichen - sowohl an den ersten Bildungsschritten als auch später im Studium. Nichts anderes tun wir. Ich werde es niemals akzeptieren, dass Kindern und Jugendlichen ihre Lebenschancen schon als Schülerinnen und Schüler verbaut werden.

Ziel der Landesregierung ist es, dass mehr Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien Abitur machen. Das ist das richtige Ziel. Es handelt sich, wie gesagt, um 40 % unserer Kinder. Die vorgesehene Höhe der Förderung in Höhe von 100 oder 50 Euro mag auf den ersten Blick bescheiden wirken. Wer aber die Lebenssituation und die Realität der Familien in unserem Land kennt, weiß, welche entscheidende Bedeutung auch ein solcher Beitrag haben kann.

Brandenburg übernimmt mit diesem Gesetz eine Vorreiterrolle bei der Unterstützung von Schülerinnen und Schülern aus ein

kommensschwachen Familien. Wir sind davon überzeugt, dass diese Förderung zur Wahrung der Chancengleichheit auch bundesweit sinnvoll ist, und wir werden in diesem Sinne auch im Rahmen des Bundesrates aktiv werden.

Frau Ministerin, die Abgeordnete von Halem von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Fragebedarf.

Ja, bitte, Frau von Halem.

Wenn Sie davon reden, dass 40 % der Kinder diesen Förderbedarf hätten, dann sehen Sie gleichzeitig, dass soziale Selektion beim Übergang in die weiterführenden Schulen stattfindet. Sie wissen, es gibt die Diskussion über eine qualitative Verbesserung im Kita-Bereich, über eine weitere Aufstockung zugunsten des Betreuungsschlüssels - diesbezüglich ist Brandenburg weiter ein Schlusslicht - und vielfältige Möglichkeiten zur Behebung der Defizite in der Qualität im Grundschulbereich. Sind Sie angesichts dessen tatsächlich der Meinung, dass das Geld, das für das Schüler-BAföG aufgewendet wird, an dieser Stelle, wo es die Landesregierung einzusetzen gedenkt, am besten aufgehoben ist, oder wäre es vielleicht an anderer Stelle besser investiert?

(Frau Lehmann [SPD]: Haben wir doch schon!)

Sehr geehrte Frau von Halem, ich weiß im Grunde genommen nicht, wo der Denkfehler bei Ihnen liegt. Es geht ja darum, dass eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Der Bildungsminister - auch die Vorredner - hat Ihnen noch einmal ausführlich dargestellt, dass wir selbstverständlich an allen Teilen der Bildungsbiografie arbeiten müssen. Da sind wir dran. Wir werden 36 Millionen Euro ausgeben, um die Situation in den Kitas zu verbessern. Wir arbeiten genau an den Brücken zwischen Kita und Schule, zwischen der Sek I und der Sek II - das ist der Punkt, an dem wir jetzt stehen -, und wir arbeiten natürlich auch an dem Übergang Schule - Hochschule und auch an dem Bereich Berufsbildung. Das ist ein breites Spektrum. Da schließt sich der Bogen zum lebenslangen Lernen wirklich an.

Eine unserer zentralen Prioritäten und Anstrengungen bezieht sich genau darauf. Ich halte auch die Evaluation, die wir mit dem Entschließungsantrag heute beschließen werden, für sehr wichtig; denn wenn wir Hellseher wären und wüssten, wie sich jede einzelne Maßnahme auswirkt, bräuchten wir keine Evaluation. Wir stellen uns dieser Prüfung; wir evaluieren ja auch andere Dinge, die wir angestoßen haben, weil es wichtig ist, am Anfang eines Weges einen wichtigen und mutigen Schritt zu tun, der sich in eine Kette von Maßnahmen einreiht, die wir für die Verbesserung der Bildung geschmiedet haben. Diesen Schritt gehen wir heute. Ich finde es höchst bedauerlich, dass Sie aus Bedenkenträgerei oder taktischen Erwägungen heraus diesen Schritt mit uns nicht mitgehen. Die Bevölkerung des Landes hat eine solche Opposition nicht verdient.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die Landesregierung hat die Redezeit deutlich überschritten. Das heißt, alle Fraktionen haben noch einmal die Möglichkeit, von einer um 6 Minuten erweiterten Redezeit Gebrauch zu machen.

Ich frage, wer davon Gebrauch machen möchte. Möchte die CDU-Fraktion? - Sie möchte. Die SPD-Fraktion? - Sie möchte. Die FDP-Fraktion? - Sie möchte auch. Die Fraktion DIE LINKE? - Sie möchte ebenfalls. Die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN? - Sie möchte auch. Gut, dann gibt es eine neue Runde: sechs Minuten für jede Fraktion. Wir beginnen mit der Fraktion der CDU. Herr Abgeordneter Hoffmann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin, nur noch einmal kurz: Das höchste Amt im Land - habe ich mir gerade sagen lassen - hat der Parlamentspräsident inne. Ansonsten wollte ich bei dieser emotional und leidenschaftlich geführten Debatte ein bisschen zur Versachlichung mahnen. Ich möchte Folgendes zum Ausdruck bringen: Sie haben gesagt, es gehe ein Riss durch die Fraktionen dieses Landtags. Ich glaube, es gibt tatsächlich einen Riss. Wir bewerten den vorliegenden Gesetzentwurf nämlich unterschiedlich. Aber ich glaube, Sie machen diesen Riss an einer Stelle aus, an der er nicht ist; denn Sie tun immer so, als würden wir die Zielsetzung, mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien zum Abitur zu führen, infrage stellen. Das tun wir nicht.

(Beifall CDU)

Das tun wir genauso wenig wie die Leute, die an der Anhörung teilgenommen haben. Wir haben einfach andere Bedenken. Sie tun auch so, als wäre uns nicht klar, wie viel 100 Euro für manche Familien in diesem Land bedeuten. Auch das ist nicht richtig. Ich habe in meiner Rede ausdrücklich gesagt, dass wir die Stellungnahme des Landeselternrats, in der darauf hingewiesen wird, dass für viele Eltern, für viele Familien 100 Euro im Monat viel Geld sind, ausdrücklich teilen und das auch anerkennen. Das ist uns schon bewusst. Sie tun so, als wären wir nur in reichen Gegenden präsent - den Stadtteil Berliner Vorstadt kenne ich zum Beispiel gar nicht -, aber das trifft nicht zu. Ich bin viel in der Prignitz unterwegs, da gibt es viele Familien, die ihren Lebensunterhalt von Hartz IV bestreiten müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Es ist uns schon klar, dass sich diese Betroffenen über zusätzliche Leistungen freuen. Das ist doch logisch. Wer würde sich denn nicht freuen, wenn er 100 Euro im Monat mehr bekäme!

(Frau Wöllert [DIE LINKE]: Darum geht es doch gar nicht!)

Uns geht es in erster Linie darum, dass wir uns hier Gedanken darüber machen müssen, wie wir das wenige Geld, das wir im Landeshaushalt noch zur Verfügung haben, am effektivsten einsetzen, um dieses Ziel zu erreichen.

(Beifall CDU)

Jetzt können Sie uns als Opposition doch nicht absprechen, dass wir hinsichtlich des von Ihnen gewählten Instruments ebenso Bedenken haben wie viele andere Experten. Ich nenne stellvertretend Günther Fuchs, weil er einen gewissen Ruf genießt und auch anerkannt ist. Das können Sie uns doch nicht absprechen. Da können Sie doch nicht sagen: Eine solche Opposition hat das Land nicht verdient. - Im Gegenteil: Ich finde, eine solche Regierung, die der Opposition untersagen will, Bedenken zu äußern, hat dieses Land nicht verdient, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall CDU, FDP und GRÜNE/B90 - Zuruf von der SPD)

(Frau Alter [SPD]: Das Land hat diese Regierung ge- wählt! - Frau Lehmann [SPD]: Das ist nicht so wichtig! - Heiterkeit)

- Frau Alter, wir reden nachher noch einmal. - Eine weitere Sache: Sie tun so, als sei Ihr Entschließungsantrag, in dem von einer Evaluation hinsichtlich der Wirkung dieses Gesetzes die Rede ist, der große Wurf. Dazu muss ich sagen: Das ist nicht der große Wurf. Das hätte von Anfang an dabei sein sollen. Es ist doch eigentlich ganz selbstverständlich, dass man, wenn man so viel Geld für einen Schuss ins Blaue in die Hand nimmt, nach ein paar Jahren wenigstens einmal prüft, ob man irgendetwas getroffen hat. Das sollte nun wirklich selbstverständlich sein.

(Beifall CDU und FDP)

Das können Sie hier doch nicht ernsthaft als großen Wurf verkaufen wollen. Das geht nun wirklich nicht! Wir haben eine Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler, das Geld, das er dem Staat in die Hand gibt, verantwortungsbewusst auszugeben. Wir haben Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit. Wir glauben, es gibt andere Instrumente, mit denen man dieses Ziel besser erreichen und mehr dafür tun könnte. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. - Danke schön.

(Beifall CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoffmann. - Wir fahren in der Debatte mit dem Redebeitrag des Abgeordneten Günther von der SPD-Fraktion fort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dombrowski und Herr Hoffmann haben gerade gesagt, es sei auch der CDU wichtig, Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien zu fördern, damit sie höhere Bildung anstreben. Das höre ich sehr gern. Aber nach der Diskussion, die wir in den letzten Minuten geführt haben, fehlt mir schon sehr der Glaube.

Sie sagen sehr oft, wir sollten uns um Dinge kümmern, die wir auf Landesebene bewerkstelligen könnten, und nicht so sehr auf die Bundesregierung schimpfen. Das haben wir nun getan und ein Schüler-BAföG vorgelegt. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Jetzt sind Sie dran. Kümmern Sie sich um Ihre

Bundesregierung. Treten Sie Ihrer Bundesregierung wohin auch immer sie wollen, aber bringen Sie sie dazu, die Regelsätze für Kinder möglichst schnell so zu gestalten, dass unser SchülerBAföG quasi gegenstandslos wird.

(Dr. Woidke [SPD]: Jawohl, Herr Hoffmann! Darüber würden wir uns freuen! Viel Glück bei der Diskussion!)

Noch eine Anmerkung zum Stil der Diskussion: Man kann ja zum Ausdruck bringen, dass man die Vorlage der Regierung für unsinnig hält, weil man einen anderen Weg will. Aber die Art und Weise, wie Sie das hier vorgetragen haben, ist für mich kein Beleg dafür, dass Sie die Familien, um die es hier geht und die deren Anzahl nicht so gering ist, wie Sie vielleicht vermuten, kennen oder irgendein Interesse an ihnen haben.

Herr Abgeordneter Günther, es gibt Fragebedarf.

Nein, Herr Dombrowski hatte schon Gelegenheit und wird sich hier noch weitere erzwingen.

(Beifall SPD)

Ich sage zum Abschluss: Sie sollten sich einmal selbst beobachten. Ich freue mich schon auf den neuen Landtag. Wissen Sie warum? Weil es dort mehr Zuschauerplätze geben wird und weil mehr Brandenburgerinnen und Brandenburger sehen können, wie Sie sich benehmen, gerade bei solchen Themen. Viel Spaß mit Ihrem Projekt 15.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Günther. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Der Abgeordnete Büttner erhält das Wort.

Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Günther, Sie reden von Stil und beenden dann Ihren Beitrag mit diesen Worten! Das hat gezeigt, dass Stil bei Ihnen nicht vorhanden ist.

(Beifall FDP und CDU)

Frau Ministerin Dr. Münch, selbstverständlich haben wir Respekt vor dem Amt des Ministerpräsidenten. Sie haben in Ihrem Redebeitrag gesagt, eine solche Opposition habe das Land nicht verdient. Ich erwarte auch von Ihnen als Ministerin, dass Sie mehr Respekt vor der Opposition zeigen.