Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Es spricht der Abgeordnete Jungclaus.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Ohne Frage ist Brandenburg heute beim Hochwasserschutz deutlich besser vorbereitet als vor 13 Jahren. Andererseits haben wir in Brandenburg nach wie vor keinen wirklich vorbeugenden Hochwasserschutz. Darüber kann auch das publikumswirksame Engagement unseres Ministerpräsidenten nicht hinwegtäuschen. Nun war der Presse zu entnehmen, dass Sie sogar Ihren Pfingsturlaub abgebrochen haben. Ich meine, das wäre gar nicht nötig gewesen. Meiner Wahrnehmung nach kommen Frau Tack und Herr Speer auch ohne Sie ganz gut klar und haben die Situation - Achtung Wortspiel! - mit sehr viel Freude im Griff.
Deichbau ist aber nicht alles. Deiche suggerieren den Anwohnern zwar Sicherheit, aber sie erhöhen auch die Gefahr höherer Flutwellen am Unterlauf. Die angesichts der Todesfälle leider makabre Erkenntnis ist, dass, hätte zum Beispiel Polen seine Deiche in ähnlichem Ausmaß saniert wie wir, auch unsere aufgerüsteten Deiche den Wassermassen nicht standgehalten hätten. Der Kampf gegen das Wasser, wie wir ihn seit Jahrhunderten führen, kann daher so nicht von Erfolg gekrönt sein. Das Wettrüsten bei Deichen zu immer höheren und standhafteren Bollwerken gegen Naturgewalten ist daher auch keine nachhaltige Maßnahme.
Deshalb ist die von der SPD im Antrag formulierte Frage, ob nach dem Sommerhochwasser von 1997 die richtigen Schlussfolgerungen und Konsequenzen gezogen wurden, leider nicht nur positiv zu beantworten. Unumstritten ist, dass die Koordinierung der Hilfskräfte in Brandenburg und die Kooperation mit Polen deutlich besser funktioniert haben als beim Hochwasser 1997.
Das grundlegende Problem ist allerdings nach wie vor die Einengung der Flüsse. Nach der sogenannten Jahrhundertflut hatte die damalige Landesregierung angekündigt, 6 000 ha Überflutungsfläche zur Verfügung zu stellen. Geworden sind es dann gerade mal 60. Stattdessen wurden Hunderte Millionen Euro in rein technische Hochwasserschutzmaßnahmen wie Deichverstärkung, Bau von Rückhaltebecken und Uferbefestigungen gepumpt. Die Ausweisung angemessener Überschwemmungsflächen wäre kostengünstiger und wirksamer gewesen, also auch angesichts der angekündigten Haushaltssperre eine echte Alternative. Oder?
Die 60 ha Überflutungsflächen, die bisher geschaffen wurden, also gerade mal 1 % der ursprünglich angekündigten, reichen jedenfalls nicht aus. Das haben wir in den letzten Tagen sehr deutlich gesehen. Die Frage ist daher: Kommen die ausstehenden 99 % noch und, falls ja, wann?
Die wenigen positiven Beispiele des Deichrückbaus, die es in Brandenburg gibt, sind auf das Engagement von Naturschützern zurückzuführen,
die dabei häufig auch Schwierigkeiten im Umweltministerium überwinden mussten. Der Deichrückbau bei Lenzen, mit dem sich die Landesregierung heute gern schmückt, ist ein solches
Beispiel. Offenbar fehlt es den politisch Verantwortlichen an Stehvermögen, das sachlich als richtig Erkannte auch durchzusetzen. Die Entscheidung, wie viel Raum den Flüssen zurückgegeben wird, wurde leider nur nach dem geringsten politischen Widerstand getroffen. Auch Wasser folgt nun einmal dem Gesetz der Schwerkraft und strömt zum tiefsten Geländepunkt. Deshalb sollten an solchen Stellen weder Siedlungen gebaut noch Ackerflächen ausgewiesen werden.
Es ist beispielsweise unbegreiflich, warum in der Ziltendorfer Niederung, wo 1997 große Flächen überflutet wurden, trotzdem neue Häuser gebaut worden sind. Hier ist die Landesregierung gefragt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Bislang aber verhindert die Landesgesetzgebung ein generelles Bauverbot in Flussauen oder stärkere Restriktionen bei der landwirtschaftlichen Nutzung potenzieller Überschwemmungsflächen.
Anstatt endlich über einen nachhaltigen und ökologischen Hochwasserschutz nachzudenken, wird nun eine ganz andere Störquelle ausgemacht: der Biber. Die Biberschäden an den Deichen weisen jedoch lediglich auf das lückenhafte Bibermanagement in unserem Land hin. Hätte man eine gezielte Lenkung der Biberaktivitäten, zum Beispiel durch Weichholzpflanzungen oder Schaffung von Gewässerrandstreifen, vorgenommen und an den Deichen rechtzeitig passende Schutzmaßnahmen ergriffen oder, wie ich jetzt neu gelernt habe, Schafherden dort angesiedelt, hätte der Biber vermutlich die Deiche links liegen lassen.
Fest steht: Die Landesregierung muss dringend einen Kurswechsel in der Hochwasserpolitik vornehmen und konsequent mehr Überflutungsflächen schaffen. Sorgen Sie also dafür, dass die vor 13 Jahren gemachten Ankündigungen wenigstens ansatzweise umgesetzt werden. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man oberhalb von Frankfurt (Oder) Richtung Polen auf die Oder schaut, sieht man bis zum Horizont Wasser, das sehr friedlich wirkt. Es kommt im Wesentlichen infolge der starken Regenfälle von der tschechisch-polnischen Grenze herunter und hat in Polen, wie wir wissen, Schlimmes angerichtet. Es sind etliche Deichanlagen gebrochen, es sind Leute obdachlos geworden, und wir beklagen auch Tote in Polen im Einzugsgebiet sowohl der Oder als auch der Weichsel.
Wir haben, beginnend dann, als sichtbar wurde, dass diese Welle, die sich in Polen aufgebaut hat, auch Brandenburg erreicht, am 25. Mai das erste Mal die Katastrophenschutzleitung einberufen. Am 26. Mai hat der Katastrophenschutzstab die Arbeit aufgenommen und ist seither von 5 bis 22 Uhr besetzt, um die Maßnahmen, die landesseitig zu veranlassen sind und mit denen wir unterstützend tätig sind, zu koordinieren.
Welche Einrichtungen dort zusammenarbeiten, will ich Ihnen benennen. Das sind das Landesumweltamt mit dem Landesministerium selbst, der Landesbetrieb Forst, der Landesbetrieb Straßenwesen, die Landesschule & Technische Einrichtung für Brand- und Katastrophenschutz, das Landeskommando Brandenburg der Bundeswehr, die Bundesanstalt für technische Hilfe, Hilfsorganisationen - DRK, DRLG etc. - und die Polizei. Am 31.05. waren 4 300 Einsatzkräfte am Deich.
Die Zusammenarbeit der Stäbe der Einsatzeinrichtungen der Feuerwehr war in diesem Jahr exzellent. Über die Jahre konnte auch die Zusammenarbeit mit Polen verbessert werden.
Wir haben eine internationale Konferenz zum Schutz der Oder eingerichtet, deren Thema auch das Management von Hochwasser ist. Wir wissen, dass wir unsere Verantwortung beim Schutz vor Hochwasser - das betrifft die Deiche - und auch beim passiven Schutz wahrnehmen müssen, indem wir zusätzliche Polderflächen schaffen. Die Neuzeller Niederung ist genannt worden. Sie wird zu einem großen Teil dort, wo sie nicht bewohnt ist, als Polderfläche vorbereitet. Das heißt aber nicht, dass wir dann sicher sind. Es muss in der internationalen Konferenz zum Schutz der Oder erheblich darauf hingewirkt werden, dass auch in Polen Schutzmaßnahmen ausgeweitet werden, ansonsten ergäbe unser Beitrag nicht viel Sinn, sondern bliebe eher symbolischer Natur. Der Kollege Woidke sprach die Wassermassen an, die da herunterkommen. Nur mit den Polderflächen sind wir nicht in der Lage, ihrer entsprechend Herr zu werden.
Bei der Auswertung der Zusammenarbeit wird sich zeigen, dass es sicherlich Dinge gibt, die wir besser machen müssen. Der Biber ist angesprochen worden. Aber, Frau Kaiser, die Frage ist nicht, ob der Biber das Management versteht, sondern die Menschen müssen es verstehen.
Da geht es um knallharte Interessen, nämlich darum, ob direkt hinter dem Deich der fruchtbare Boden genutzt werden kann, denn das ist die Futterstelle - je mehr Futter, desto kleiner sind die Kreise, in denen der Biber seine Reviere organisiert, das wissen wir.
Wie wir damit umgehen, hat auch damit zu tun, ob man in der Lage ist, Forderungen nicht bloß zu erheben - das richtet sich an die Grünen -, sondern auch mit den Leuten vor Ort zu diskutieren und Verständnis zu gewinnen. Wir haben das zwar in der Neuzeller Niederung, jedoch bislang nicht in der Ziltendorfer Niederung erreicht. Verständnis kann man wohlfeil fordern, aber die Diskussion muss man vor Ort führen, damit die Bereitschaft wächst, nicht bloß nichts mehr zu tun, was die Gefährdungslage vergrößert, sondern dazu zu kommen, dass die Ziltendorfer Niederung auch auf absehbare Zeit für solche Zwecke zur Verfügung steht.
Wir wissen, dass sich in Polen die Situation nicht entspannt hat. Die Welle in der Warthe geht auf Gorzów zu; dort sind 12 000 Einwohner bedroht. Deswegen unterstützen wir die Arbeit in Polen mit Material, aber auch mit Hilfskräften.
Ich möchte mich an dieser Stelle - das haben bereits viele getan - für die Zusammenarbeit, für die hohe Bereitschaft der Kameradinnen und Kameraden, die an den Stellen des Deichs, an
denen er Schwäche gezeigt hat, gearbeitet haben, bedanken. Das betrifft im Wesentlichen den Einsatzabschnitt Neuzeller Niederung, an dem Brandschutzeinheiten aus den Landkreisen Teltow-Fläming, Dahme-Spreewald, Oberspreewald-Lausitz und Potsdam-Mittelmark zum Einsatz kamen und dort die Stabilisierung der Lage erreicht haben.
Ich möchte mich auch für die Bereitschaft der anderen bedanken, uns gegenüber Solidarität zu zeigen. Die Berliner Polizei und die Bundespolizei haben angeboten, uns mit ihren Bereitschaftskräften zu unterstützen, und die Bundeswehr hat ihre Kräfte, die hier in der Nähe stationiert sind, in Bereitschaft versetzt. Dafür im Namen der gesamten Landesregierung mein herzlicher Dank.
Bevor wir zum Redebeitrag des Abgeordneten Schippel kommen, begrüße ich Gewerkschafter, Betriebs- und Personalräte aus Westbrandenburg ganz herzlich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie schnell etablieren sich doch Begriffe wie „Jahrhunderthochwasser“. Ich glaube, wir müssen uns darauf einstellen, dass alles veränderbar ist. Vorhin war hier die Rede von Kindheitserinnerungen. Ich erinnere mich an ein anderes Hochwasser, und zwar an das Elbehochwasser. Ich erinnere mich daran, dass Teile meines Katastrophenbetreuungszuges in Dresden waren und dort Hilfe geleistet haben. Ich erinnere mich daran, wie ich in der einen Nacht Sandsäcke von Beeskow nach Perleberg und in der anderen Nacht Feldbetten von Cottbus nach Herzberg in die Lausitzhalle gefahren habe. Als ich dort ankam, stand ich vor einer erschreckenden Situation. Dort saßen Menschen auf Liegen in dieser riesigen Halle, apathisch, teilnahmslos, in Angst, was mit ihrem Lebenswerk, ihrem Hab und Gut passiert.
Von Herzberg musste ich weiter nach Mühlberg, weil die Feldbetten für die Bundeswehr gedacht waren. Es war erschreckend, durch die evakuierten Dörfer zu fahren, weil das einzige Licht bzw. der einzige helle Punkt die Feuerwehrgerätehäuser waren und die Menschen schon weg waren. In Mühlberg wurden wir gerade noch rechtzeitig von einer Bundeswehrpatrouille gestoppt, denn das Wasser war nur im Scheinwerferlicht zu sehen. Ich würde gern nachher noch darauf zurückkommen.
Zuvor möchte ich folgende Fragen stellen: Was würde denn an Oder, Elbe oder Spree passieren, wenn diese sogenannten Jahrhunderthochwasserstände überschritten würden? Was wäre passiert, wenn es bei den beiden Zugunglücken in den Jahren 2008 und 2009 und in dem Fall von Schwedt mit den gefüllten Kesselwagen - soweit ich das in Erinnerung habe - zu einer Katastrophe gekommen wäre? Was passiert, wenn eines der Flugzeuge - wie der neue A380 - mit mehreren hundert Menschen an Bord über Brandenburg verunglückt? Zugegeben, das sind hypothetische Fragen.
Eine Frage, meine Damen und Herren, ist jedoch nicht hypothetisch, sondern wird zwangsläufig, sollte ein solcher Umstand eintreten, gestellt werden: Habt ihr - die Politiker - alles nach menschlichem Ermessen Notwendige getan, um dieses zu verhindern bzw. die Folgen erträglich zu gestalten? Erst, wenn sie - wir - diese Frage mit gutem Gewissen und einem Ja beantworten können, werden wir unserem Wählerauftrag gerecht.
Um diese Frage positiv beantworten zu können, wurde gestern die Landesregierung zur Vorlage eines integrierten Brand- und Katastrophenschutzkonzeptes noch im Jahr 2010 beauftragt, was einen weiteren wichtigen Beitrag dazu liefert, auch wenn die Kollegen von den Grünen das gestern herunterreden wollten.
Einer der Schwerpunkte ist dabei: Wie kann man den gegensätzlichen Entwicklungen begegnen, die da heißen, mit immer weniger Menschen den Gefahren des Klimawandels mit Hochwasser, mit Wirbelstürmen etc. zu begegnen, mit immer weniger Menschen der Gefahr von Massenunfällen und vor allem deren Folgen gerecht zu werden? Wir haben veränderte Bundesgesetze, wir haben ein geändertes Zivilschutzgesetz und Ähnliches. Das ist eigentlich die entscheidende Frage, und die ist nicht nur für diese Legislaturperiode zu beantworten, sondern für die kommenden Jahrzehnte zu beantworten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf die eingangs erwähnten Bilder zurückkommen. Wir könnten diese Leistung, zum Teil in Dresden und zum Teil in Mühlberg zu sein, mit dem jetzigen Personalstamm nicht mehr leisten. Uns fehlen dazu aufgrund der erwähnten bundesgesetzlichen Änderungen, aufgrund des demografischen Faktors definitiv die Menschen. Das ist ein Punkt, der uns allen zu denken geben sollte.
Dieses Bild von Perleberg, als ich in der Nacht die Sandsäcke dorthin gebracht habe: Den Siegeswillen und den Enthusiasmus der Feuerwehrleute damals dort und der 130 Feuerwehrleute, die dieses Jahr an der Oder waren - im Übrigen aus dem OSL-Kreis; ich nehme den Dank mit, Herr Minister -, müssen wir uns erhalten. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass das Ehrenamt im Brand- und Katastrophenschutz eine herausgehobene Rolle hat und entsprechend gewürdigt wird.
Nur so werden wir es schaffen - das war das andere Bild der Menschen in Herzberg, die dort, wie gesagt, teilnahmslos und apathisch saßen, eigentlich mit der Welt abgeschlossen hatten -, diesen Menschen die Gewissheit zu geben, dass wir alles Menschenmögliche tun, um ihr Leben und ihr Hab und Gut zu schützen.
Meine Damen und Herren, mit der Annahme des Antrags der Regierungskoalition von SPD und Linke über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg haben Sie, hat der Landtag Brandenburg gestern eine gute Voraussetzung dafür geschaffen und dafür gesorgt, dass die Menschen an der Oder und die Menschen in ganz Brandenburg gewiss sein können, dass wir wissen - das kam hier überall zum Ausdruck -, was Eigeninitiative an der Stelle bedeutet, dass wir aber auch den gesetzlichen Rahmen schaffen müssen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schippel. Zu Ihrem Redebeitrag wurde eine Kurzintervention vom Abgeordneten Dombrowski angemeldet.