Protokoll der Sitzung vom 01.07.2010

(Beifall FDP)

Frau Kaiser, auch ich sehe erheblichen Nachbesserungsbedarf bei der Ausgestaltung des Sparpakets. Ich habe das Gefühl übrigens im Einklang mit der Bundesjustizministerin -, dass die Balance zwischen Leistungs-, Belastungs- und Generationengerechtigkeit nicht zu 100 % gelungen ist. Auch ich sehe erheblichen Nachbesserungsbedarf zum Beispiel in der Frage des Elterngeldes. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass man dieses Betreuungsgeld wieder aus dem Plan streicht und

es nicht nach § 20 Abs. 13 Satz 1 besteuert wird. Auch ich hätte mir eine stärkere Belastung derjenigen gewünscht, die am Ende auch mehr tragen können, beispielsweise über die konsequente Streichung von Ausnahmetatbeständen, die insbesondere Bezieher sehr hoher Einkommen bevorteilen.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Vermögensteuer!)

Aber nun daraus den Vorwurf des sozialen Kahlschlags und der einseitigen Belastung der Schwächsten der Gesellschaft abzuleiten trägt nicht.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Sie können nicht rechnen!)

Der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt beträgt rund 55 %, während die Sparmaßnahmen im Bereich des Arbeitslosengeldes II und beim Elterngeld knapp ein Drittel der Summe ausmachen. Zudem wird der Bildungsbereich von Sparmaßnahmen ausgenommen. Davon profitieren auch Kinder aus Hartz-IV-Familien.

Forschung, Bildung und Entwicklung sind und bleiben ein Schwerpunkt der christlich-liberalen Koalition. Bei den zugesagten 12 Milliarden Euro bis 2013 wird es daher keine Kürzungen geben, und wir setzen damit eine klare Priorität für die Zukunft in unserem Land.

Wo sind eigentlich die Vorschläge von SPD und Linken, wie die Staatsverschuldung zurückzuführen ist?

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Vermögensteuer!)

Außer „Steuererhöhungen!“ hört man von ihnen nichts. Deutschland hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.

(Beifall FDP und CDU)

Wir müssen an die Ausgaben ran! Ich wäre froh, wenn dies die hiesigen Regierungsfraktionen auch einmal verstehen würden.

Der Bundeshaushalt 2011 und der Finanzplan bis zum Jahr 2014 untermauern den Willen, die Staatsfinanzen solide zu ordnen. Spätestens im Jahr 2013 wird Deutschland damit die Kriterien des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts wieder erfüllen.

Wir kümmern uns um die Zukunft des Landes. Ich wünsche mir eine sachlichere Diskussion dazu als das, was wir von Ihnen bisher erlebt haben. Sie können ja weiter Ihre ideologischen Debatten führen. Wir jedenfalls kümmern uns um die Zukunft in diesem Land. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Die Abgeordnete Nonnemacher spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Gäste! Gestatten Sie mir vorab eine Bemerkung. Die Bundesrepublik

Deutschland hat seit gestern Abend 21.15 Uhr einen neuen Bundespräsidenten.

(Beifall CDU und FDP)

Ich denke, ich spreche uns allen aus dem Herzen, wenn ich von hier aus Herrn Bundespräsident Wulff meine herzlichen Glückwünsche übermittle und ihm für sein hohes Amt alles Gute wünsche. Ich denke, ich spreche uns allen aus dem Herzen, wenn ich dem unterlegenen Kandidaten Joachim Gauck für sein Engagement und dafür, dass er die politische Debatte in diesem Land so sehr befruchtet hat, danke.

(Allgemeiner Beifall)

Wir kommen zum Sparpaket. Am Montag veröffentlichte die „PNN“ eine sehr schöne Karikatur von Herrn Stuttmann: An einer hochherrschaftlichen Villa prangt das Transparent: „Wir Reichen wollen endlich mehr bezahlen.“ Tissy Bruns vom „Tagesspiegel“ beginnt ihren Artikel „Neue soziale Ungleichheit“ am 11. Juni mit folgenden Worten:

„Höchste Alarmstufe, wenn Millionäre sich bei der Regierung beschweren müssen, dass sie zu wenig Steuern zahlen.“

Wenn sich massive Proteste aus den Reihen der Union häufen, wenn der CDU-Wirtschaftsrat das Sparpaket für unsozial und unausgewogen hält und Bundestagspräsident Lammert von der CDU eine stärkere Belastung von Spitzenverdienern fordert, dann ist das vernichtende Urteil über die soziale Schieflage des Paketes schon gefällt. Es ist „eine Rutschbahn abwärts für die Schwächsten unserer Gesellschaft und ein Schutzschirm für Reiche“, wie es Herr Ernst von der Linkspartei formuliert hat.

(Beifall der Abgeordneten Lieske [SPD])

Zunächst einmal begrüßt Bündnis 90/Die Grünen, dass es überhaupt einmal einen erkennbaren Sparwillen in diesem Land und einen Abschied vom Popanz vom immerwährenden Wirtschaftswachstum gibt. Wenn Bundesfinanzminister Schäuble im Bundestag verkündet, das Wachstum werde in Zukunft nicht ausreichen, um den Staatshaushalt zu konsolidieren, und deshalb müssten die Ausgaben verringert werden, so kann diese Hinwendung zu Realitätssinn und Vernunft gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Endlich erkennt die schwarz-gelbe Bundesregierung, dass Wachstumsträumereien, die noch vor kurzem für Steuersenkungen herhalten sollten, unsere Probleme nicht lösen. Der Kopf ist rund, damit das Denken mal die Richtung wechseln kann, und wir Grünen freuen uns über die geänderte Denkrichtung. Denn Haushaltskonsolidierung ist für uns ein Gebot des Nachhaltigkeitsgedankens und der Generationengerechtigkeit.

Zu einer Zeit aber, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und in der die soziale Herkunft mehr über das Schicksal entscheidet als noch vor 30 Jahren, darf Sparen nicht eine derart katastrophale Schieflage aufweisen. Durch Neujustierung von Sozialgesetzen sollen bis 2014 30,3 Milliarden Euro bei den sozial Schwachen gespart werden. Meine Vorredner haben schon auf die besonders empörenden Regelungen beim Elterngeld und den Unsinn, durch Streichung des Zuschusses zur Rentenversicherung bei ALG-II-Beziehern Menschen in die Altersgrundsicherung zu treiben, hingewiesen.

Die Bundesregierung begründet ihr Sparpaket immer damit, dass der Sozialetat 50 % des Haushalts ausmache. Aber hier müssen wir die Rente herausrechnen. Die Rentenausgaben betragen 80 Milliarden Euro, und wenn man diese herausrechnet, dann macht der Arbeits- und Sozialhaushalt noch 20 % des Bundesetats aus; aber 60 % der Ausgabenkürzungen finden in diesem Bereich statt. Mit dem Sparpaket setzt die Bundesregierung die Klientelpolitik unvermindert fort. Die Rücknahme der umstrittenen Steuergeschenke für Hoteliers wäre das Mindeste gewesen.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt DIE LINKE)

Wo werden die starken Schultern in diesem Land stärker belastet? Keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, keine Vermögensabgabe, kein Antasten des Ehegattensplittings, Zaghaftigkeit bei der Bankenabgabe, Ausklammerung der Erbschaftssteuer - noch nicht einmal das Steuerprivileg für schwere Dienstwagen wird angetastet. Auch an das Thema Subventionsabbau wird mit Samthandschuhen herangegangen. Das Umweltbundesamt hat die ökologisch kontraproduktiven Subventionen auf 48 Milliarden Euro taxiert. Hier hätte man noch richtig Einnahmen erzielen können!

(Beifall GRÜNE/B90)

Ich hätte gern noch über die Brennelementesteuer und den Atomausstieg gesprochen - wir können uns den Ausstieg aus dem Ausstieg nicht leisten -, aber dann wird der Herr Präsident böse, und somit beende ich meine Rede.

(Beifall GRÜNE/B90, SPD sowie DIE LINKE)

Für die Landesregierung spricht nun Minister Baaske.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Baaske!)

- Das klappt ja mit jeder Sitzung besser.

Ich werde mich bemühen, mit meiner Redezeit klarzukommen. Herr Burkardt, man kann natürlich große Exkurse über den 1. Juli in der Historie machen. Ich habe heute Morgen im Radio gehört, dass an einem 1. Juli im 19. Jahrhundert die ersten dreifarbigen Briefmarken herauskamen. Vielleicht wäre das ein Punkt gewesen, um ein bisschen Zeit zu schinden, weil einem das Thema nicht passt.

Ihnen, Herr Büttner, kann ich nur sagen: Stellen Sie doch beim nächsten Mal den Antrag, hier darüber zu diskutieren, welch ein ausgewogenes Sparpaket die Bundesregierung vorgelegt hat. Damit würden Sie sich lächerlich machen; Sie trauen sich nämlich selbst nicht, das so zu formulieren. Darum, meine ich, ist das Thema heute richtig gewählt. Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

„Armut und soziale Ausgrenzung müssen uns umtreiben. Viele Menschen in unserem wohlhabenden Staat spüren täglich, dass sie an Grenzen stoßen.“

Dieser Spruch ist nicht von mir, ist nicht von einem Mitglied meiner Fraktion, auch nicht von einem Mitglied der Fraktion der Linkspartei, sondern stammt von unserer Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen. Recht hat sie. Ich finde, dass sie die Situation in unserem Land vollkommen richtig beschreibt: Wir haben das Problem, dass viele Leute viel Geld und dass viele Leute wenig Geld haben und dass die Umverteilung nicht richtig funktioniert. Viele Menschen in unserem wohlhabenden Staat spüren täglich, dass sie an Grenzen stoßen.

Dann kümmert sie sich immer ganz warmherzig um Alleinerziehende und um Kinderarmut - Themen, die uns auch am Herzen liegen, Themen, die uns wichtig sind, die sie auch als Bundesarbeitsministerin benennt.

Was passiert in Wirklichkeit? Wir haben in diesem Jahr ein Ereignis, das auch das BMASF sehr beschäftigt, das Europäische Jahr gegen Armut und Ausgrenzung. Die Bundesregierung legte den Beginn der Fokuswoche auf vor zwei Wochen fest, in der vielfältige Veranstaltungen in der ganzen Republik stattfinden, die sich genau diesem Thema, Armut und soziale Ausgrenzung, widmen sollen. Aber am Montag vor drei Wochen beschloss die gleiche Bundesregierung ein Sparpaket, das dafür sorgt, dass sich Armut und soziale Ausgrenzung verstärken, und sie hat nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Darum sage ich: Es ist richtig, dass wir heute darüber diskutieren, denn es ist ein unausgewogenes Paket. Ich möchte dies an einigen Beispielen beweisen.

Nehmen wir nur einmal die Friseurin - wir könnten auch die Verkäuferin nehmen -, die ein Kind bekommt. Sie ist eine von 55 000 Alleinerziehenden im Land Brandenburg. 28 000 von ihnen sind auf Hartz IV angewiesen.

Wenn diese Frau ein Kind bekommt, wird sie wahrscheinlich dieser Meinung ist auch die Bundesfamilienministerin von der Leyen - arbeitslos werden, weil es schwierig ist, alleinerziehend ein kleines Kind zu versorgen und zugleich Arbeit zu finden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann noch so gut ausgestaltet sein, die Wahrscheinlichkeit bleibt relativ groß, dass diese Frau nach der Geburt des Kindes zu Hause bleiben muss.

Was geschieht danach? Sie wird sich sagen - aufgrund der bisherigen Regelung -, dass sie das Erziehungsjahr in Anspruch nehmen kann und in dieser Zeit 300 Euro erhält, um unter anderem damit ihr Kind und sich zu versorgen. Schließlich bekommt sie diese 300 Euro - so ist es jetzt - zusätzlich zum Hartz-IVSatz, der ihren Bedarf und den des Kindes decken soll. Im Normalfall erhält man im Erziehungsjahr 67 % des Vorjahres-Nettolohns, jedoch verdienen eine Friseurin oder eine Verkäuferin zum Teil so wenig, dass sie aufstockende Leistungen in Anspruch nehmen müssen, so auch die junge Mutter in unserem Fall.

Was geschieht nach der von Schwarz-Gelb geplanten Gesetzesänderung? - Der alleinerziehenden Mutter würde dieses zusätzliche Geld nicht mehr gezahlt werden. Dabei muss man beachten, dass sie nicht arbeitslos ist, weil sie keine Lust hat, arbeiten zu gehen, sondern aufgrund der Tatsache, dass sie ein Kind hat. Es gibt aber auch Frauen, die nicht arbeiten gehen möchten und dies auch nicht müssen, weil ihr Ehemann sehr gut verdient. Dennoch erhalten diese Hausfrauen auch künftig die 300 Euro Erziehungsgeld.

(Frau Alter [SPD]: Genau!)

Bei Betrachtung dessen sprechen Sie von Ausgewogenheit und sozialer Balance? - Es ist doch alles andere als das! Eine Mutter, die nicht arbeiten gehen möchte und dies auch nicht muss, bekommt die 300 Euro, der alleinerziehenden Mutter aber, die wegen ihres Kindes zu Hause bleiben muss, werden die 300 Euro gestrichen. Das ist im höchsten Maße unfair.

(Beifall SPD, DIE LINKE, GRÜNE/B90 sowie von Mi- nister Dr. Markov)