Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Im Gegensatz zu Herrn Tomczak sind wir der Meinung, dass eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten nicht im Sinne des Urteils ist. Eine Vereinheitlichung des Wirtschaftsraums Berlin und Brandenburg begrüßen wir auch. Bloß würde uns das doch eher in der Form vorschweben, dass sich die Berliner den Brandenburger Regelungen anpassen - und nicht umgekehrt.

Das Verfassungsgerichtsurteil hat ausdrücklich auf den Schutz von Ehe und Familie, das Recht auf Erholung und Erhalt der Gesundheit Bezug genommen, und eine zu großzügige Regelung an den Sonntagen wurde als verfassungswidrig eingestuft, obwohl die bestehenden Regelungen des Brandenburgischen Landesöffnungsgesetzes mit der Möglichkeit der Öffnung an sechs Sonn- und Feiertagen nicht explizit als verfassungswidrig bewertet wurden. So war eine Öffnung an allen Adventssonntagen oder an mehreren Sonntagen in Folge nicht ausgeschlossen. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt den Vorgaben des Verfassungsgerichts Rechnung und nimmt auch kleinere sinnvolle Anpassungen vor.

Wir stehen dem Gesetzentwurf durchaus positiv gegenüber. Wir befürworten die Überweisung an die beiden erwähnten Ausschüsse. Wir freuen uns auf die schon anberaumte Anhörung am 29. September und sehen der weiteren Diskussion in den Ausschüssen mit Interesse entgegen. - Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90)

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Rednerliste zum Tagesordnungspunkt 10 angelangt. Ich stelle die Empfehlung der Parlamentarischen Geschäftsführer, den Gesetzentwurf in der Drucksache 5/1891, an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie - federführend - und an den Ausschuss für Wirtschaft zu überweisen, zur Abstimmung. Wer dieser Empfehlung Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 10 und rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Gesetz über Hoch- und Höchstspannungsleitungen in der Erde (Brandenburgisches Erdkabelgesetz - ErdKGBbg)

Gesetzentwurf der Fraktion der FDP der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/1887

1. Lesung

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beginnt der Abgeordnete Vogel die Debatte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt große Meinungsunterschiede zwischen FDP und Grünen wie auch zwischen CDU, Linken und SPD über den Einsatz der Atomenergie in Deutschland. Aber es gibt keine Differenzen zwischen den Fraktionen dieses Hauses darüber, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien unerlässlich ist, wenn wir die zukünftige Energieversorgung ressourcenschonend und klimagerecht gestalten wollen.

(Beifall FDP)

Inzwischen produzieren wir in Brandenburg 58 % unseres Stromverbrauchs aus Windenergie, Photovoltaik oder Biomasse. Die installierte Leistung der Windkraftanlagen und der Photovoltaik steigt im Monatsrhythmus und wird nach den Zielen der Energiestrategie bis 2020 auch weiter steigen. Allerdings wird der Löwenanteil des Naturstroms, wie es der Netzbetreiber „50 Hertz“ neuerdings tituliert, nicht unmittelbar vor Ort verbraucht, sondern aus unseren ländlichen Regionen in die Städte und bei starkem Windanfall auch in fernere Regionen transportiert.

Leider hat der Ausbau der Stromnetze mit dem Ausbau insbesondere der Windenergieanlagen nicht Schritt gehalten. Eine Folge sind Abschaltungen und die Drosselung von Windkraftanlagen und damit einhergehend der Verlust regionaler Wertschöpfung. Der weitere Ausbau von Windkraftanlagen ist sinnlos, wenn der damit erzeugte Strom nicht abgeführt werden kann.

Die dezentralen Windenergieanlagen sind dabei in der Regel auf den Abtransport des erzeugten Stroms über das Hochspannungsnetz angewiesen. Hochspannungsnetze, das sind die im Eigentum der regionalen Netzbetreiber, zum Beispiel E.On Edis, stehenden 110-kV-Leitungen. Ohne den Ausbau dieser regionalen Verteilernetze wird das Wachstum der erneuerbaren Energien bald zum Erliegen kommen.

Daneben steht dann das Höchstspannungsnetz mit 380-kV-Leitungen, die von „50 Hertz“ betrieben werden. Hier beabsichtigen die Bundesregierung und die EU, 380-kV-Höchstspannungsleitungen von Neuenhagen nach Bertikow und von Vierraden nach Krajnik Dolny auf der polnischen Seite sowie von Neuenhagen nach Wustermark zu bauen. Deren Bedeutung ist für erneuerbare Energien aktuell wohl nur sekundär, für die überregionale Stromableitung zukünftig aber wohl groß.

Verständlicherweise führt der Neubau von Freileitungen immer wieder zu Akzeptanzproblemen bei der örtlichen Bevölkerung.

Anwohnerinnen und Anwohner sowie Gäste wehren sich aus Angst vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Sie wehren sich gegen die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes wie gegen den hohen Naturverbrauch. Von Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern wird es zunehmend als ungerecht empfunden, dass sie für die zwangsweise Einräumung von Grunddienstbarkeiten für Stromleitungstrassen nur einmalig und mit einem geringen Anteil am Verkehrswert der Grundstücke entschädigt werden, dauerhaft aber mit der Wertminderung ihrer Grundstücke leben müssen.

Aber auch die Kommunen wehren sich, für neue Stromtrassen doch zu erheblichen Einschränkungen im kommunalen Gestaltungsspielraum veranlasst zu werden. Wegen der Stromtrassen stehen im Ergebnis weniger Flächen für Siedlungen oder zur Erholungsnutzung zur Verfügung. Insbesondere neue Höchstspannungsfreileitungen belasten die Transitregion durch die Veränderung des Landschaftsbildes und bringen im Gegenzug keinen Nutzen für die Kommunen, da der Strom hier weder erzeugt noch verbraucht wird.

(Herr Ness [SPD] telefoniert.)

- Herr Präsident, ich nahm an, Telefonieren sei im Plenarsaal nicht zulässig.

Herr Schulze, haben Sie die Bemerkung gehört?

Ich meinte eigentlich Herrn Ness.

- Gibt es noch mehr Telefonierer? Von den Besucherbänken aus darf telefoniert werden, aber aus Reihen der Abgeordneten bitte nicht.

Danke für die Aufmerksamkeit.

Die Kommunen haben jedenfalls keinen Nutzen, da der Strom hier weder erzeugt noch verbraucht wird. Die Folge dieser Akzeptanzprobleme sind oft gerichtliche Auseinandersetzungen, die den Netzausbau erheblich verlangsamen können - unnötige gerichtliche Auseinandersetzungen, die wir uns ersparen könnten.

Inzwischen haben sich in Brandenburg, in der Prignitz, im Barnim und der Uckermark Initiativen gegen neue Freileitungstrassen gebildet. „Hochspannung tieflegen“ heißt zum Beispiel die Initiative in der Prignitz, „Biosphäre unter Strom - keine Freileitung durchs Reservat“ die in Nordostbrandenburg. Allen diesen Initiativen ist gemein, dass sie die geplanten Leitungen akzeptieren wollen, wenn diese als Erdkabel verlegt werden. Diese Forderung greifen wir heute auf.

Dass wir heute einen gemeinsamen Gesetzentwurf von FDP, also den klassischen Wirtschaftsliberalen, und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als deren traditionellen ökologischen Gegenpol, vorlegen können, zeigt, dass es auch Win-win-Alter

nativen für die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Kommunen geben kann.

Fangen wir mit den Hochspannungsleitungen an. Erdverkabelung ist bei den 110-kV-Leitungen bereits heute Stand der Technik und auch bei langen Strecken unproblematisch. In Berlin oder in Dänemark ist die Erdverkabelung des 110-kVHochspannungsnetzes bereits Standard. Das 110-kV-Netz der Firma ENERTRAG in der Uckermark wurde bereits vor 15 Jahren ohne Klage und übrigens auch ohne Planfeststellungsverfahren unter der Erde verlegt. Als wesentlicher Grund dafür wurde vor längerem schon vom ENERTRAG-Chef Herrn Müller genannt, dass man sich mit der Erdverkabelung ein teueres und langwieriges Planfeststellungsverfahren ersparen konnte, da man sich mit den Grundeigentümern unproblematisch über die dingliche Sicherung für die Erdverlegung verständigen konnte.

Es gibt im Übrigen auch kein Bundesgesetz, das die Erdverkabelung von 110-kV-Leitungen grundsätzlich infrage stellt. Entsprechend hat die Gemeinsame Landesplanung in ihrer landesplanerischen Beurteilung der 110-kV-Leitung Perleberg - Wittstock völlig selbstverständlich an mehreren Stellen die abschnittsweise Erdverkabelung gefordert, und das vom BMU geförderte Forum „Netzintegration EE“, ein gemeinsames Gremium von Stromnetzbetreibern, Verbänden, Umweltorganisationen, Bürgerinitiativen und wissenschaftlichen Institutionen, ein Forum, in dem auch Vattenfall mitarbeitet, wird nach derzeitigem Arbeitsstand in seinem Abschlussbericht die grundsätzliche Erdverkabelung aller neuen 110-kV-Leitungen fordern. Wir wollen, dass diese Regel bereits für unsere heute geplanten 110-kV-Leitungen greift. Deshalb schlagen wir die vollständige Erdverkabelung als Regelfall vor.

Allerdings soll die Landesregierung die Möglichkeit erhalten, aus zwingenden Gründen von diesem Regelfall abweichen zu können.

Schwieriger wird es beim Höchstspannungsnetz, also den 380kV-Leitungen. Während das Energieleitungsausbaugesetz des Bundes - kurz EnLAG - die Erdverkabelung für vier Pilotvorhaben vorsieht, ging Brandenburg leer aus. Das ist besonders ärgerlich, weil die Brandenburger Stromverbraucher nach den Regeln dieses Gesetzes nun für die Kosten der Erdverkabelung in Niedersachen, Thüringen und Bayern aufkommen müssen, selbst aber nicht davon profitieren. Völlig unabhängig davon, ob die Gesetzgebungskompetenz für das EnLAG überhaupt beim Bund lag - eine Frage, die der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages eindeutig verneint hat -, bedeutet die Verankerung des Baus der Uckermarkleitung im EnLAG noch lange nicht, dass die Länder keine Mitgestaltungsmöglichkeiten mehr haben. Das EnLAG ist in erster Linie dazu bestimmt, die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf an bestimmten Höchstspannungsleitungen festzuschreiben, um so den Planfeststellungsbehörden diese Prüfung aus der Hand zu nehmen. Die Länder bleiben dessen ungeachtet berechtigt, den Netzausbau durch fachliche Vorgaben zu lenken.

Auch wenn der eine oder andere von uns an der Notwendigkeit der Uckermark-Leitung zweifelt, stellt sich unser Gesetzentwurf dem Bau dieser Leitungen nicht entgegen, sondern versucht, die rechtlich zulässigen Schranken zu bestimmen, rechtsverbindliche Schranken, auf die auch die Netzbetreiber

angewiesen sind. Oberster Grundsatz Brandenburgs sollte daher zunächst sein, dass die für das Schutzgut Mensch eingeführten Abstandsregeln des EnLAG für Wohnsiedlungen von 400 Metern und einzeln stehenden Gebäuden von 200 Metern auch in Brandenburg gelten. Den Netzbetreibern steht es frei, diesen Abstand bei neuen Freileitungen einzuhalten. Wenn sie dies aber nicht beabsichtigen oder es aus zwingenden Gründen nicht möglich ist, so sollen sie zur Erdverkabelung verpflichtet werden. Diese Regelungen könnten vermutlich auch untergesetzlich durch verbindliche Planungsvorgaben in einer Abstandsleitlinie geregelt werden. Nach unserer Kenntnis liegt Brandenburg mit der Vorgabe eines 50-Meter-Abstands hier am unteren Ende der Skala. Herr Vogelsänger und Herr Christoffers, nehmen Sie dies also als dringenden Hinweis, hier kurzfristig tätig zu werden, unabhängig von der Verabschiedung dieses Gesetzes.

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90)

Des Weiteren wollen wir mit dem Gesetz die naturschutzfachlichen Schranken bestimmen. Dabei gehen wir von dem Grundsatz aus, dass Freileitungen generell um große Schutzgebiete herum geführt werden sollen. Erst, wenn dies räumlich nicht möglich ist oder der Netzbetreiber aus anderen Gründen an der Trassierung durch Schutzgebiete festhalten will, soll die Erdverkabelung vorgeschrieben werden. Dabei ist uns durchaus bewusst, dass die Erdverkabelung von 380-kV-Leitungen insbesondere in der Bauphase - massive Eingriffe in die Natur darstellt. Daher sehen wir eine Verordnungsermächtigung vor, mit der die Landesregierung naturschutzfachlich, aber auch ökonomisch gebotene Ausnahmeregelungen bestimmen kann. Denn es ist wenig sinnvoll, für die Überquerung eines linienhaften FFH-Gebiets - wie es der Großteil der Brandenburger Flüsse ist - für kurze Abschnitte eine Erdverkabelung vorzuschreiben. Auch, wenn Moore und Feuchtgebiete grundsätzlich nicht durch Erdkabel gequert werden sollen, muss es auch hier für kürzere Abschnitte Ausnahmemöglichkeiten geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer wieder haben sich Vertreter aller im Landtag vertretenen Parteien für die Erdverkabelung in sensiblen Gebieten ausgesprochen. Lassen wir nun den Worten Taten folgen. Lassen Sie uns gemeinsam in den Ausschüssen die rechtlichen Möglichkeiten ausloten und Festlegungen zum Wohl von Mensch, Wirtschaft und Natur treffen. - Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90 und FDP)

Bevor die Abgeordnete Hackenschmidt für die SPD-Fraktion fortsetzt, begrüße ich die zweite Gruppe aus Gladbeck. Einen angenehmen Nachmittag bei uns! Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP-Fraktion spricht ein Thema an, das uns in Brandenburg bewegen wird: den Netzausbau. Herr Vogel hatte schon darauf hingewiesen, dass wir nicht darum herumkommen werden; die Problemlagen der erneuerbaren Energien

sind bekannt. Ich bin der Ansicht, dass wir uns in einem Punkt einig sind: Wir wollen ihren Ausbau. Sie haben in der Einleitung auf die eine oder andere Energieform hingewiesen, bezüglich derer wir vielleicht den Schulterschluss für eine Gegenstrategie hinbekommen.

Das zweite zu klärende Problem wird sein, ob wir perspektivisch in dem Kontext weitermachen können, die Stromerzeugung irgendwo anzusiedeln - man muss schauen, wie die Voraussetzungen sind -, oder ob man nicht dort, wo Netze ausgebaut werden müssen, dezentrale Lösungen initiieren kann. Die Frage ist, inwieweit dann Höchstspannungs- oder Hochspannungsleitungen notwendig sind.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Das sind konkrete fachliche Fragen, an denen wir uns orientieren müssen.

Ich teile nicht ganz Ihren Optimismus in Bezug auf die Akzeptanz. Ich glaube, dass es derzeit noch nicht ganz in der Bevölkerung angekommen ist - bestimmte Bevölkerungsgruppen fordern das Erdkabel. Ich bin der Ansicht, dass es, wenn es so weit ist, eine Bürgerinitiative gegen das Erdkabel geben wird, wie es auf der anderen Seite eine gegen die Freileitungen gab.

Ich vermag nicht vorherzusagen, dass die eine Variante eine größere Akzeptanz findet als die andere. Es finden sich immer irgendwelche Fahnenträger, die vorneweg marschieren. Über diese Brücke gehe ich nicht. Wir müssen dann abwägen, was wichtig ist: beispielsweise natürlich die das Landschaftsbild prägende Beeinflussung - keine Frage. Es gibt Gebiete, in denen viele Windkrafträder stehen. Da ist die Frage: Was machen wir, eine Freileitung oder doch die Erdverkabelung?

Bei mir rennen Sie eine offene Tür ein, weil ich in der letzten Wahlperiode schon gefordert habe - als das Uckermark-Kabel noch in der Diskussion war -, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen, um zeitlichen Vorlauf zu haben. Jetzt bringen Sie diesen Gesetzentwurf ein. Wir werden ihn an den Wirtschaftsausschuss überweisen, damit wir diese zeitliche Schiene für eine Debatte nutzen können.

Wir haben dem Parlamentarischen Beratungsdienst einen Prüfauftrag hinsichtlich der Frage, ob wir überhaupt Regelungskompetenz haben oder angesichts des Bundesgesetzes dazu nicht mehr in der Lage sind, erteilt. Sie ist noch offen. Im Ziel sind wir uns einig: Neue Stromleitungen sind notwendig, um den gewollten Ausbau der erneuerbaren Energien zu ermöglichen. Wir sind bei der Landesenergiestrategie garantiert auf demselben Weg. Es ist nun einmal so, dass der Windstrom hauptsächlich im Norden produziert wird und dann in den Süden verbracht werden muss. Wir sind als Energieland Brandenburg - wofür wir stehen und auch den Leitstern bekommen haben - immer noch in der Verantwortung, Lohn und Brot für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten.