Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

(Beifall GRÜNE/B90)

Wir Brandenburger können es uns nicht leisten, die Integration von Menschen mit Behinderungen in Einzelkonzepten abzutun, die in der Konsequenz nur unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Die Verengung des Themas Barrierefreiheit auf medizinische Einrichtungen lässt die Interessen vieler anderer Menschen mit Behinderungen außen vor. Wenn Sie zu dem Thema Gesprächsbedarf anmelden, dann achten Sie darauf, dass Sie dabei einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen.

Wir Liberale setzen uns dafür ein, dass die Ergebnisse der behindertenpolitischen Regionalkonferenzen schnell und ohne Umwege Eingang in ein Gesamtkonzept finden. Wir werden die Ergebnisse im Sozialausschuss gemeinsam bewerten und daraus entsprechende Maßnahmen ableiten. Die Sensibilität des Themas verlangt, dass dies mit fraktionsübergreifender Zustimmung geschieht.

Auch aus fachlichen Gründen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie fordern neue Förderprogramme und die Bindung bestehender Förderprogramme an Vorgaben zur Herstellung von Barrierefreiheit. Ferner fordern Sie neue gesetzgeberische Maßnahmen im Sinne von baulichen und anderen Standards. Wir sollten zuerst prüfen lassen, welche Fördermöglichkeiten bereits bestehen und welche Art der Förderung sinnvoll ist. Vor dem Hintergrund bereits bestehender Förderprogramme, noch nicht vorliegender Ergebnisse aus den Regionalkonferenzen, aber auch mit Blick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit vieler medizinischer Einrichtungen in Brandenburg halten wir Ihren Antrag in der vorliegenden Form einerseits für vorschnell und andererseits für überzogen. Wir werden den Antrag der Regierungsfraktionen in der vorliegenden Form deshalb jetzt ablehnen.

Der Änderungsantrag der CDU sieht vor, aus bestehenden Förderprogrammen auch Mittel für Arztpraxen bereitzustellen, und ist deshalb zielführender und auch zustimmungsfähig. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, GRÜNE/B90 sowie vereinzelt CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Abgeordneten Nonnemacher fort. Sie spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! In Brandenburg steht seit längerem die Novellierung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes vom 20. März 2003 an. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Bundesrepublik Deutschland ist diese seit dem 26. März 2009 völkerrechtlich verbindlich, und es ergibt sich weiterer Handlungsbedarf für die Umsetzung auf Landesebene.

Das Land Rheinland-Pfalz hat als erstes Bundesland nach der Ratifizierung einen umfassenden Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention vorgelegt, in dem Visionen, Ziele, Maßnahmen, Zuständigkeiten und auch ein Zeitrahmen festgelegt werden.

Im Brandenburger Koalitionsvertrag steht:

„Die Koalition wird das Landesbehindertengleichstellungsgesetz novellieren und ein diesbezügliches Maßnahmenpaket entwickeln. Dabei werden die Vorgaben der UN-Konvention für behinderte Menschen konkret im Alltag umgesetzt. Bei Sanierung und Neubau von öffentlichen Gebäuden soll Barrierefreiheit durchgesetzt werden.“

Damit werden die beiden Kernprobleme angesprochen. Die konkrete Umsetzung im Alltag findet bisher nicht statt, da das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen im Land Brandenburg in seinem Geltungsbereich nur für Landesbehörden gilt und eben nicht in der Lebenswirklichkeit der Menschen in Kommunen und Landkreisen. Diese sind nicht an die Vorschriften gebunden. Die augenblicklich laufenden Diskussio

nen - auch in den Regionalkonferenzen - lassen befürchten, dass konkrete Vorgaben für den Alltag wieder auf dem Altar des Konnexitätsprinzips geopfert werden.

Das zweite angesprochene Problem ist die Durchsetzbarkeit. Immer wieder ist zu erleben, dass entgegen geltendem Recht öffentliche Gebäude nicht barrierefrei errichtet werden. Ich hätte mir zum Auftakt der Novellierung einen Antrag der Koalitionsfraktionen gewünscht, wie die Einbeziehung der kommunalen Ebene und die Durchsetzung von Barrierefreiheit substanziell verbessert werden können, auch bei knappen Kassen: Bereitstellung von Gebärdendolmetschern für gehörlose Eltern, bessere Zugänglichkeit von Rathäusern, Meldestellen, Gesundheitsämtern, bessere Internetauftritte in den Kommunen, Verbandsklagen gegen unnachvollziehbare bauaufsichtsbehördliche Maßnahmen.

(Frau Lehmann [SPD]: Das kommt noch!)

Anstatt da einzugreifen, werden jetzt erst einmal die privatwirtschaftlichen Akteure im Gesundheitswesen in die Pflicht genommen. Würde man den Inhalt Ihres Antrages im Sinne der Barrierefreiheit in leichter Sprache zusammenfassen, so würde er etwa folgendermaßen lauten: „Wir haben kein Geld. Vielleicht haben die Ärzte welches. Wir reden einmal mit denen.“

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Das Strickmuster des Antrages ist inzwischen bekannt. Die Koalitionsfraktionen bitten die liebe Landesregierung, ohne Zeitvorgaben doch einmal zu schauen, ob andere Akteure die Hausaufgaben erledigen können, vor denen sie sich selbst drückt.

Die Empfehlung, es solle der Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen den berufsständischen Vereinigungen und den Behindertenverbänden in Betracht gezogen werden, ist doch wohl der Gipfel an Beliebigkeit. Das können die Angesprochenen auch ohne die Moderation der lieben Landesregierung, verehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen. - Aber schön, dass wir darüber gesprochen haben.

(Beifall des Abgeordneten Büttner [FDP])

Herr Maresch, Ihre Rede der persönlichen Betroffenheit, das alltägliche Elend, das wir erleben, hat mich wirklich sehr tief beeindruckt. Wir alle wissen, dass wir so viele Probleme in diesem Land haben. Aber ich bedauere außerordentlich, dass die Luft, die in diesem Antrag gequirlt wird, so unsäglich dünn ist. Als Auftakt für die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes lässt das nichts Gutes ahnen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU macht aus diesem Elaborat erst einen einigermaßen sinnvollen Antrag, wenn man überhaupt dem Gesamtkonzept vorgreifen will. Wir werden den Änderungsantrag unterstützen.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Wir fahren in der Debatte fort mit dem Beitrag der Landesregierung. Frau Ministerin Tack erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele Argumente sind ausgetauscht. Dieses Defizit, das beschrieben worden ist, wonach es zu wenige Möglichkeiten gibt, die freie Arztwahl in Wohnortnähe mit barrierefreiem Zugang zu wählen, ist ein Alltagsproblem. Dieses Alltagsproblems haben sich die Koalitionsfraktionen angenommen, um es zu lösen.

Was den CDU-Änderungsantrag anbelangt, kann ich nur sagen: Ich schließe mich den Rednern der SPD und der Linksfraktion an, diesen abzulehnen.

Wir wissen, dass es kein ausschließlich brandenburgisches Problem ist. Das hat eine Länderumfrage gezeigt. Es ist ein Bundesproblem. Dieses Bundesproblem - um einmal eine neue Ebene aufzumachen - muss auch bundespolitisch und bundesweit mitbefördert werden. Auf der 20. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister im Juni 2010 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht worden, aber, wie gesagt, ein spezieller und erster Schritt.

Es wurde beschlossen, das Bundesministerium für Gesundheit zu bitten, als Aufsichtsbehörde für den gemeinsamen Bundesausschuss zu fungieren. Die gynäkologische Versorgung von Frauen mit Behinderung und eingeschränkter Mobilität soll durch die Setzung geeigneter Rahmenbedingungen verbessert werden. Das ist wirklich ein kleiner Schritt, aber ein entschlossener.

Bisher - das will ich in diesem Zusammenhang erwähnen - ist zwar - das haben Sie schon unterstrichen - der barrierefreie Zugang zu Verwaltungen und Dienstleistungsbetrieben sozialrechtlich geregelt, nicht aber zu Praxen niedergelassener Ärzte und zu Therapeuten in ähnlichen Einrichtungen.

Aus meiner Sicht sind weitere Initiativen im Vorfeld und auch auf unserer nächsten Gesundheitsministerkonferenz notwendig, um bestehende Regelungslücken - die gibt es ganz offensichtlich - im Sozialrecht des Bundes schließen zu helfen. Gleichwohl müssen wir im Interesse der Menschen mit Behinderung beginnen, die Zugangshürden in der ambulanten medizinischen Versorgung abzubauen. Ich will hier unterstreichen: Es geht nicht nur um die Menschen mit Behinderung - um die geht es vordringlich -, sondern es geht auch um junge Menschen, Eltern, Frauen und Männer mit Kleinstkindern, mit Kinderwagen, und um ältere Menschen, die besondere Probleme haben, die Zugangshürden zu überwinden.

Es ist beschrieben worden, wir können in bestehende Verträge aus Gründen des Bestandsschutzes nicht eingreifen, wenn kein zwingender Grund vorliegt. Aber bei Praxisneugründungen und Umwidmung - auch das ist schon besprochen worden -, bei der Übernahme neuer Praxen gibt es hinlänglich gute finanzielle Unterstützung, um Umbaumaßnahmen zur Schaffung von Barrierefreiheit vornehmen zu können.

An dieser Stelle setzen die im Antrag vorgeschlagenen gesetzgeberischen Maßnahmen im Sinne von baulichen und anderen Standards sowie die Bindung bestehender Förderprogramme an barrierefreie Standards an. Auch die Auflage spezieller Förderprogramme - da kann ich nur sagen: unter Maßgabe vorhan

dener Haushaltsmittel - und der Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen den Selbstverwaltungsorganen in der gesetzlichen Krankenversicherung und den Krankenkassen sind zielführende Vorschläge.

Sie haben vorhin beklagt, dass wir das hier nennen. Wir nennen es, um den Abschluss von mehr Zielvereinbarungen zu befördern. Denn wir beklagen gemeinsam: Es gibt viel zu wenige barrierefreie Arztpraxen im Land. Darin sind wir uns einig. Da dürfen wir gemeinsam keine Illusionen haben.

(Frau Lehmann [SPD]: So ist es!)

Wir müssen das Maßnahmenbündel in Angriff nehmen. Es ist ambitioniert und erfordert eine enge Kooperation. Deshalb kann ich an dieser Stelle nur sagen: Die zuständigen Ministerien Soziales, Infrastruktur und Gesundheit - werden hier gemeinsam einen ersten Schritt gehen. Wir werden Sie informieren, wie das Abstimmungsergebnis aussieht. Wir sind uns einig. Wir müssen hier einen wesentlichen Schritt im Sinne von Barrierefreiheit vorankommen. Das ist Ihnen zugesichert. Deshalb dient uns dieser Antrag sehr wohl, wenn er in der Abstimmung angenommen wird.

Den Patientinnen und Patienten kann ich raten, sich vertrauensvoll an die Gesundheitsämter zu wenden, die eine Lotsenfunktion haben. Sie können Antwort darauf geben, wo im Versorgungssystem geeignet ausgestattete Praxen vorhanden sind. Das ist immer schwierig, aber sie haben den Überblick: Wo gibt es was? Wo kann man es nutzen? Wir wollen es zumindest benennen, damit auch vonseiten der Gesundheitsämter die Unterstützung erfolgen kann, auf dieses Defizit aufmerksam zu machen und es zur Kenntnis zu nehmen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Die Abgeordnete Wöllert erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was uns eint, ist, dass wir alle langfristig an der Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen arbeiten wollen.

Ich möchte daran erinnern, dass diese Konvention insgesamt 40 Artikel enthält und die Teilhabe auf allen Gebieten der Gesellschaft ermöglichen soll und dass es dabei nicht um sofortiges Inkraftsetzen aller einzelnen Artikel geht. Dann müssten wir nämlich ab sofort alle Förderschulen schließen, da in Artikel 24 das inklusive Bildungssystem in allen Bereichen der Bildung und das lebenslange Lernen gefordert werden. Hier gehen wir schrittweise vor, wie in allen anderen Bereichen auch.

(Frau Blechinger [CDU] meldet Fragebedarf an.)

- Nein, ich werde jetzt keine Frage beantworten, Frau Blechinger. Ich werde jetzt einfach ausreden.

Ich denke, das ist der Gegenstand dessen, was wir in unserem Entschließungsantrag als Ergänzung zum Antrag der FDP

Fraktion im Februar ganz aktuell aufgegriffen haben. Speziell die Praxen waren nicht mit aufgeführt - dieses Problem nicht -, aber bei dieser Veranstaltung sind sie explizit benannt worden. Deshalb haben wir diesen Handlungsbedarf gesehen. Es soll geprüft werden, ob die Förderprogramme des Landes eventuell zur nachträglichen behindertengerechten Ausgestaltung von Arztpraxen oder anderen therapeutischen Praxen eingesetzt werden können.

Ich denke, wir sind nicht in der Lage, mit Aufträgen zu entscheiden, wo genau Fördermittel verwendet werden sollen, da dies nur ein Ausschnitt für barrierefreien Zugang ist. Wir könnten auch sagen: Wir müssen die Fördermittel einsetzen, um alle Schulen und Kitas künftig barrierefrei auszustatten. Ich denke, dieser Abwägungsprozess muss erfolgen.

Frau Blechinger, da Sie anmahnten, wir hätten zu viele Erklärungen im Antrag: Es gibt einen Artikel 8 in der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen, der sehr viele Absätze hat und „Bewusstseinsbildung“ heißt. Ich denke, diese Erklärungen gehören durchaus in den Antrag, denn auf die Frage, was Partizipation und eigene Mitwirkung bei solchen Zielvereinbarungen bedeuten, haben die Verbände der Menschen mit Behinderungen selbst gesagt, sie möchten bei der Erarbeitung und Umsetzung dieser Zielvereinbarungen mitwirken. Das haben wir in unserem Antrag umgesetzt. Deshalb gibt es überhaupt keine Veranlassung, Ihrem Änderungsantrag zuzustimmen. Ich kann nur sagen: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Er ist eine richtige Ergänzung zum Entschließungsantrag. Ich denke, dann können wir gut verfahren und das, was wir gemeinsam vorhaben, in die Tat umsetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen nun zur Abstimmung. Es geht zuerst um den Änderungsantrag, eingebracht durch die CDUFraktion, Drucksache 5/1963, Änderung des Antragstextes. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Bei einer deutlichen Mehrheit von Gegenstimmen ist der Antrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag in der Sache, Drucksache 5/1922, eingebracht von SPD und DIE LINKE, Barrierefreie Arztpraxen, therapeutische Praxen und psychotherapeutische Praxen. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist mit einer deutlichen Mehrheit angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: