Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Der Ministerpräsident hat das Bedürfnis, noch einmal zu sprechen.

(Zuruf von der SPD: Reg' dich nicht auf!)

Nein, ich bleibe ganz ruhig.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Axel Vogel, mit den Problemen, die Sie mit Ihrem bayerischen Bergvölkchen hatten und haben, müssen Sie selber klarkommen.

(Beifall SPD, DIE LINKE und von Minister Dr. Markov)

Wenn Sie dort auswandern mussten, ist das Ihr Problem.

Eines sei jedoch gesagt: Ich bin mit dem Begriff, den Klaus Ness verwandt hat - „bürgerliche Opposition“ -, auch nicht so

glücklich. Sie haben ja Recht, es ist ein Begriff, der eigentlich nicht von uns geprägt wird, sondern die sogenannte bürgerliche Koalition in Berlin, die da viel Unheil anrichtet, bezeichnet sich seit Monaten als „die bürgerliche Koalition“, quasi als die Inkarnation der Bürgerlichkeit überhaupt, und das finde ich so schräg. Deshalb teile ich durchaus, was Sie, Axel Vogel, gesagt haben. Das sollten wir ihnen nicht überlassen.

(Beifall SPD)

Bürgerlichkeit ist auch in anderen Reihen zu Hause, und zwar teilweise sogar besser.

Frau Blechinger, eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Lesen Sie doch einfach einmal die Studien der letzten zwölf Monate, die in großer Dicke und großer Vielzahl über den Zustand der Seelen in Ostdeutschland erschienen sind. Von „SUPERillu“ bis „FAZ“ - Sie können all das nachlesen. Es gibt eben keine signifikanten Unterschiede im Selbstverständnis der Sachsen, Thüringer, Mecklenburger und Brandenburger. Die gibt es eben gerade nicht, und das ist ja das Erstaunliche für viele Betrachter, dass sich eine solche, über ganz Ostdeutschland ziehende gleiche Sicht gehalten hat. Das ist doch gerade das Problem, mit dem wir umgehen, über das wir sprechen. Wenn es ein Brandenburg-Spezifikum wäre, dann hätten Sie Recht, und dann könnten Sie sagen: Dort ist alles falsch gemacht worden. „Ich war zwar zehn Jahre dabei,“ - müssten Sie sagen - „aber es ist alles falsch gemacht worden“.

Aber das ist es eben gerade nicht, sondern das Erstaunliche ist, dass trotz völlig unterschiedlicher Regierungen - CDU, SPD, Koalitionen in den fünf Ländern - gleiche Befunde erhoben werden. Ich bitte einfach, das nicht zu verschweigen, sondern das ist das Thema, über das wir heute geredet haben. Das ist das Thema, mit dem uns auseinandersetzen müssen - und nicht mit Dingen, die in den Ländern unterschiedlich sind. Die Befunde sind ähnlich. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Wort erhält nun die antragstellende Fraktion, für die die Abgeordnete Teuteberg spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen war viel von Meinungsfreiheit die Rede. Wir hatten gestern die M100-Preisverleihung in Potsdam. Herr Sarrazin hält heute seine erste Lesung. Und Frau Merkel hat gestern Wichtiges und Wegweisendes zur Meinungsfreiheit gesagt, nämlich dazu Stellung genommen, ob man alles aussprechen dürfe. Natürlich darf man das, aber man muss sich auch auf die folgenden Diskussionen gefasst machen. Und wenn man ein öffentliches Amt hat, zumal das eines Ministerpräsidenten, muss man sie auch aushalten können.

(Ministerpräsident Platzeck: Ich halte sie gern aus!)

Herr Ministerpräsident, ich habe das Spiegel-Interview sehr sorgfältig gelesen. Eine Frage, die sich mir dabei stellte, war: Was hätte Willy Brandt dazu gesagt? Er hätte ganz bestimmt nicht gesagt: Das muss man doch mal sagen dürfen, was Sie da so zum Besten gegeben haben. - Seit dem Frühjahr 2009

bekommen wir in Brandenburg vermehrt historische Ausführungen von Ihnen. Das Buch „Zukunft braucht Herkunft“ hat den Auftakt dazu gegeben. Dann braucht man auch die öffentliche Debatte. Und man wird wohl noch diskutieren dürfen. Allerdings muss man, wenn die öffentliche Debatte auch Widerstand aufweist, nicht trotzig schnell gemachte Aussagen zum letzten Schluss historischer Weisheit hochstilisieren.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Allzu viel sterile Aufgeregtheit war heute zu spüren, die Sie sonst doch so gerne anderen vorwerfen. Ja, es ist wahr: Es gab keinen Masterplan, es gab keine Blaupause in den Schubladen des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Aber es ist auch wahr: Mit einer baldigen Wiedervereinigung haben viele nicht gerechnet. Noch im Frühjahr 1989 haben junge Menschen an der Berliner Mauer ihr Leben riskiert. Das hätten sie bestimmt nicht getan, wenn jedem hätte klar sein müssen, dass die Wiedervereinigung bevorsteht und man dafür Pläne machen muss.

Wahr ist aber auch - und darüber bin ich froh und dankbar -, dass damals mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher Menschen die Regierungsgeschäfte der Bundesrepublik geführt haben, denen „Zukunft braucht Herkunft“ nicht fremd war, die historischen Instinkt, außenpolitische Weitsicht und Verantwortungsgefühl für alle Deutschen aufwiesen - Tugenden, die manchem abgehen.

(Beifall FDP und CDU)

Die deutsche Wiedervereinigung ist ein beispielloser Prozess, der im Ausland viel positiver gesehen wird, für den es einfach kein Beispiel gab und der eine große Leistung darstellt. Ich wollte heute eigentlich nicht zurückblicken, aber wenn Herr Ness oder Frau Kaiser doch wieder mit Geschichtsklitterung beginnen, dann muss man das noch einmal dürfen.

Herr Ness, es tut mir leid, aber zum Thema „SPD und Wiedervereinigung“ möchte ich doch noch eine kritische Anmerkung machen, von der allerdings Willy Brandt und Richard Schröder ausdrücklich auszunehmen sind.

(Holzschuher [SPD]: Sie haben Willy Brandt zitiert!)

Aber jetzt zu Oskar Lafontaine. Er hat am 25.11.1989 in der „Süddeutschen Zeitung“ vorgeschlagen, die Bürgerinnen und Bürger der DDR nicht mehr als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes zu behandeln. Auch dürfe man ihnen nach dem Mauerfall nicht mehr den Zugriff auf die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik ermöglichen. Das war die Lage 1989.

(Zurufe von der FDP und der CDU: Aha!)

Noch eine Anmerkung zu der Debatte um ökologische Verantwortung. Natürlich begann die in den 70er Jahren. Aber in der Bundesrepublik wurde nicht, wie in der DDR noch 1989, eine Umweltbibliothek gestürmt. Das MfS im Kreis Eberswalde berichtete 1989:

„Aus der Gemeinde Brodowin kommen vermehrt Eingaben zu Fragen des Umweltschutzes. Dadurch entstand vor allem politischer Schaden. Hierdurch wurden die Kräfte bestärkt, die unter dem Deckmantel des Umweltschutzes

versuchen, ihre negative Einstellung zur gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR zu verstecken.“

So viel zum Stand der großen ökologischen Debatte in der DDR.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Wer ist hier eigentlich nicht auf der Höhe der Zeit? Hinter den Zielen der langsamen Annäherung und einer Verfassungsdiskussion ganz in Ruhe standen sicherlich hehre Motive, und man konnte diese Ziele auch redlicherweise vertreten. Sie haben viele ehrbare Personen genannt, die das so sahen. Aber Tatsache ist auch: Spätestens nach den Ereignissen im August 1991 in Moskau musste doch jeder politisch denkende Mensch verstanden haben, dass das außenpolitische Fenster für die Wiedervereinigung nur kurz geöffnet war. Was diesen Punkt angeht, muss man sich nach 20 Jahren „mal ehrlich machen“, wie es Herr Vogel richtig gesagt hat.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Zur Deindustrialisierung, zur Umweltsituation, zu Ursache und Wirkung haben Frau Dr. Ludwig und Herr Vogel schon viel Richtiges gesagt. Zu ergänzen wären noch der Verfall der Innenstädte, überhaupt ein Leben von der Substanz, die schlimme Wohnsituation, übrigens auch die schlechte Situation der Rentner, die nicht von Sonderversorgungssystemen profitierten.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Zu erwähnen sind auch die unwürdige Situation behinderter Menschen in der DDR oder auch die Mehr-Klassen-Medizin; denn es lagen Welten zwischen einem normalen Kreis- oder Bezirkskrankenhaus und den Sonderkrankenhäusern für Regierung und bewaffnete Organe.

(Zuruf von der SPD: Herr Rösler arbeitet daran!)

Was ebenfalls nicht zur deutschen Einheit beiträgt, sind die Aussagen von Frau Kaiser zur Solidarität der Westdeutschen. Einerseits wird zugestanden, dass zwar Milliarden geflossen sind. Andererseits wird das damit abgetan, die Transfers hätten doch alle auf Gesetzen und Haushaltsbeschlüssen beruht. Ja, natürlich, das gilt für alle Transfers. Aber deshalb ist diese Leistung doch nicht weniger wert! Alles, was in der Gesellschaft umverteilt wird, muss vorher auf der Grundlage von Steuergesetzen den Bürgern genommen werden.

(Beifall FDP und CDU)

Man darf diese Solidarität nicht relativieren.

(Dr. Woidke [SPD]: Niemand hat relativiert!)

Gut täte uns wechselseitige Dankbarkeit von Ost- und Westdeutschen für das, was sie eingebracht haben. Dankbar kann man sein, ohne sich klein zu fühlen oder den anderen klein zu machen. Das wäre ein Fortschritt.

(Beifall FDP)

Und schließlich: Wenn man das Interview tatsächlich Wort für Wort liest - Worte sind verräterisch -, dann findet man dort die

Aussage: „Wir feiern... 20 Jahre Brandenburg und gedenken... der deutschen Einheit“. Gedenken können wir vielem Traurigen. Wir können der vielen Toten, der Opfer gedenken. Aber die deutsche Einheit ist genauso wie 20 Jahre Brandenburg ein Grund zum Feiern.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Wir sollten nicht den falschen Eindruck nähren, dass es 20 Jahre Brandenburg ohne deutsche Einheit hätte geben können.

Was ist bei diesem Thema eigentlich unsere Aufgabe als Politiker? Bestimmt nicht, Stimmungen einfach nur aufzunehmen und Gefühle des Zurückgesetztseins noch zu bestärken. Wir sollten an der positiven Identität von Brandenburg arbeiten, die sich nicht aus der Abgrenzung zu anderen Bundesländern oder den Westdeutschen definiert, sondern positiv, aus sich heraus.

Es gibt Irrtümer auf beiden Seiten bei der deutschen Einheit. Nicht ohne Grund hat Richard Schröder in seinem Buch Irrtümer von beiden Seiten aufgearbeitet. Deshalb lassen Sie uns an so einer positiven Identität gemeinsam arbeiten. Ich glaube, nur das bringt uns weiter. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.