Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

(Zuruf des Abgeordneten Krause [DIE LINKE])

Der Staatssekretär meint: Wir haben euch nicht beschissen. Das stimmt, beschissen wurden wir nicht, wir wurden ausgetrickst und getäuscht. Ein solches Verhalten ist eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig.

(Holzschuher [SPD]: Jetzt reicht es, Herr Goetz, machen Sie sich nicht lächerlich!)

Jeder Hütchenspieler in der Berliner Fußgängerzone ist ein Musterbeispiel für Lauterkeit und Ehrlichkeit im Vergleich zu dem, was diese Landesregierung, was die hier zuständigen Behörden in diesem Punkt abgezogen haben.

(Anhaltende Zurufe von SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Angeblich werden 100 000 Leute vom Lärm entlastet. 200 000 neu belastete wird es geben! Wir als Region fordern, die Prioritäten zu ändern. Wir fordern absolute Transparenz - da sind wir uns scheinbar einig

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Nicht scheinbar!)

und Aufnahme sämtlicher betroffener Kommunen in die Kommission.

Wir fordern, die Prioritäten zu ändern. Natürlich kommt Sicherheit zuerst. Aber dann sollten eben doch der Lärmschutz und die Interessen der Betroffenen vor der Wirtschaftlichkeit beachtet werden. Ob der Weg nach Moskau 50 Kilometer länger oder kürzer ist, wird für die Flugroute am Ende nicht das Entscheidende sein.

Wir fordern alternative Routengestaltungen und auch zu prüfen, ob wirklich 15 Grad oder 45 Grad notwendig sind. Wir fordern selbstverständlich als Ziel, nicht im entferntesten daran zu denken, mittelfristig auch nachts zu fliegen.

(Anhaltende Zurufe und Unruhe)

Wenn der Flughafenchef der falsche ist, weil er sich uneinsichtig zeigt, dann gibt es einen Eigentümer. Der Eigentümer ist zu 37 % das Land Brandenburg. Der Eigentümer, der Aufsichtsrat, ist derjenige, der letztendlich darüber entscheidet, wer Flughafenchef ist und wie dort gearbeitet wird.

Vor einem Jahr gab es eine Reisegesellschaft.

Herr Präsident, ich bitte um ein bisschen Nachsicht, ich bin hier an diesem Pult der Einzige aus der Region.

(Lachen)

- Ja, das ist so!

Ich weiß genau, dass meine Nachbarn mir sagen werden, was ich alles nicht gesagt habe. Als Mitglied einer kleinen Fraktion habe ich nur fünf Minuten Redezeit. Die Argumente sind endlos.

Herr Goetz, Sie genießen meine Nachsicht schon über eine Minute.

Dann fasse ich noch kurz zusammen.

(Weitere Zurufe und Unruhe)

Aus den Bürgerinitiativen heraus ist gesagt worden - Herr Bretschneider war auch da -: Wir glauben Ihnen, wir glauben der Landesregierung, wir glauben den Behörden, die zuständig sind, nichts mehr. Wir können auch nicht von Aufsichtsratsmitgliedern Hilfe erwarten, die dann selbst dafür Sorge zu tragen haben, dass der Flughafen wirtschaftlich arbeitet. Man kann nicht eine Meute Hyänen beauftragen, einen Fleischberg zu bewachen. Aber Sie haben die Gelegenheit, uns durch Ihre Taten vom Gegenteil zu überzeugen. Diese Gelegenheit haben Sie. Allerdings haben Sie dafür keine zwei oder drei Jahre Zeit. Der

Markt steht. Die Leute sind stark verunsichert. Wir brauchen Lösungen, und zwar sehr schnell. Arbeiten Sie daran!

(Beifall FDP)

Minister Vogelsänger hat jetzt Gelegenheit, die überzogene Zeit wieder einzusparen. Er spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin den Grünen ausgesprochen dankbar dafür, dass wir heute diese Aktuelle Stunde haben. Nicht dankbar bin ich für den jetzt gehörten Beitrag.

Der Flughafen BBI ist eine Chance für die gesamte Region Berlin-Brandenburg. Er bringt auch Belastungen für die gesamte Region Berlin-Brandenburg und macht nicht an einem Wahlkreis halt. Das ist nun einmal so.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE - Frau Stark [SPD]: Jawohl!)

In der Tat haben wir einen großen Kommunikations- und Diskussionsbedarf. Dabei sind alle in besonderer Verantwortung: die Deutsche Flugsicherung, auch die Medien, selbstverständlich die Landesregierung, aber natürlich auch die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen.

Mein Ministerium hat dem Parlament eine umfassende Dokumentation zur Verfügung gestellt. Es gab eine sehr umfangreiche Diskussion im Ausschuss. Das wird nicht die letzte gewesen sein.

Ich will darauf hinweisen: Wir werden diese Dokumente auch im Internet zur Verfügung stellen.

Ich habe auch eine Bitte an das Parlament: Wir haben sehr viele Detailfragen von Abgeordneten. Ich würde die Antworten sehr gern - wir können uns darauf verständigen, dass wir das eine Woche, nachdem die Abgeordneten die Antworten erhalten haben, tun - auch ins Internet stellen, damit wir Informationen geben. Es sind detaillierte Anfragen zu Wahlkreisen. Natürlich haben die Abgeordneten das Recht, die Antworten vorher zu bekommen. Aber ich denke, es stört nicht, wenn wir sie dann ins Internet stellen, damit jeder diese Informationen bekommen kann.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich will einiges zusammenfassen. Es ist sehr misslich, dass wir unterschiedliche Regeln und Zuständigkeiten für die Planfeststellung und für die Flugrouten haben. Verschiedene Behörden entscheiden stark zeitversetzt in getrennten Verfahren. Das ist für alle Beteiligten, für die Betroffenen, die Flughafengesellschaft und das Ministerium, eine unbefriedigende Gesetzeslage. Das trifft übrigens nicht nur auf Berlin-Brandenburg zu, die gleiche Diskussion gab es im Jahr 2008 in Leipzig. Herr Jungclaus, diesbezüglich müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen: Rot-Grün stellte seinerzeit die Bundesregierung, und es gab keine Initiative seitens des Bundesgesetzge

bers, diesen misslichen Zustand zu ändern. So ehrlich muss man sein.

(Beifall CDU und vereinzelt SPD)

Die Planfeststellung von 2004 hat den Stand in den Beschluss übernommen, wie er dem Antrag auf Bau des Flughafens von 1999 zugrunde lag. Herr Genilke, ich möchte darstellen, was Sie gefordert haben. Dieser Antrag basierte seinerzeit auf Grobplanungen der Deutschen Flugsicherung im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr vom Mai 1998, die den Divergenzaspekt nicht enthielten. Mit Schreiben vom 20. August 1998 wies die Deutsche Flugsicherung erstmals darauf hin, dass es in Verkehrsspitzenzeiten für das gleichzeitige parallele Abfliegen erforderlich sein könnte, eine Divergenz von 15 Grad für die Abflugrouten einzuführen.

Mit einem abschließenden Schreiben vom 26.10.1998 bestätigte die Deutsche Flugsicherung gegenüber der Planfeststellungsbehörde, dass die der Flughafenplanung zugrunde liegenden Flugstrecken - ohne Divergenz - grundsätzlich den Planungen der Deutschen Flugsicherung entsprächen. Ein Hinweis auf mögliche Abflugverzögerungen in Spitzenzeiten bei fehlender Divergenz war enthalten. Die Deutsche Flugsicherung wies ferner darauf hin, dass die Festlegung des für die Inbetriebnahme des neuen Bahnensystems notwendigen Flugplans erst kurz vor Betriebsaufnahme unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrssituation, des Umweltschutzes und der sich ändernden navigatorischen Möglichkeiten erfolgen könnte. Es gab keine konkrete Aussage zu den Flugrouten.

Die Planung wurde von der Flughafengesellschaft nicht geändert. Das ursprüngliche Konzept wurde beantragt. Daran hat sich die Planfeststellungsbehörde gehalten. Sie musste das aus Rechtsgründen tun. Angesichts dieser unsicheren Ausgangslage, die im Übrigen auch damals zu vielfältiger Bürgerkritik geführt hat, wurde im Planfeststellungsbeschluss eine Reihe von Aussagen getroffen, unter anderem wurde in die Gesamtproblematik eine Abwägung der Frage des Lärms aufgenommen. Es gab den ausdrücklichen Hinweis auf ein gesondertes Verfahren im Hinblick auf die Festlegung der Flugrouten bzw. darauf, dass diese erst kurz vor Inbetriebnahme des BBI erfolgen solle. Diesen Satz hätte man wahrscheinlich immer wieder sagen müssen. Er steht im Planfeststellungsbeschluss. Darin steht auch: Vorbehalt nachträglicher Anordnung, insbesondere bei Verschiebung der Flugrouten, zum Beispiel aufgrund neuer Schutzgebiete. Ferner steht im Planfeststellungsbeschluss: Sicherstellung eines Anspruchs auf Schallschutz auch außerhalb von Schutzgebieten bei Nachweis. Dies sind drei wichtige Punkte. Insbesondere den ersten hätte man sicher immer wieder nach außen kommunizieren können.

Davon, dass es keine Abstimmung unter den Behörden gegeben habe, kann keine Rede sein. Ich sage es ganz deutlich: Der Hauptpunkt ist die schwierige Gesetzeslage. Daher kann Selbiges auch bei anderen Flughafenplanungen immer wieder passieren. In Leipzig trat das Problem nicht so gravierend wie in Berlin-Brandenburg auf, das hängt mit der Dimension zusammen. Man muss auf Bundesebene auf jeden Fall überlegen, ob die Gesetzeslage haltbar ist oder man entsprechend aktiv wird. Auch wenn es uns in der aktuellen Situation nicht mehr rettet, so muss über eine Änderung dieser Gesetzeslage nachgedacht werden.

Es bleibt eine große Herausforderung, den Bürgerinnen und Bürgern diese Rechtslage zu erklären und dabei um Verständ

nis zu werben. Der Flughafen ist eine große Entwicklungschance. Wir sehen, wie kompliziert es ist. Ich hatte heute ein Gespräch mit der Strausberger Bürgermeisterin und Vertretern der Region. Die Region um Strausberg ist auch betroffen. In dem Gespräch ging es jedoch vorrangig um die Chancen, die der BBI bietet, und darum, wie die Region um Strausberg daran partizipieren kann. Diese Region ist auch von Überflügen betroffen. Das zeigt die Schwierigkeiten, die wir haben.

Ein Flughafen wird immer mit Belastungen verbunden sein. Wir können sie letztlich nicht vermeiden und müssen dafür sorgen, dass sie möglichst gering sind. Es gibt nach meiner Wahrnehmung in Brandenburg und auch in Berlin noch immer sehr große Zustimmung zum BBI. Aber wir müssen akzeptieren, dass Bürgerinnen und Bürger den Flughafen grundsätzlich ablehnen - das ist bei den Anhängern der Grünen vielleicht etwas stärker ausgeprägt als bei denen der FDP, wenngleich der Redebeitrag des Kollegen Goetz ein wenig anders klang -, und wir müssen akzeptieren, dass viele Bürgerinnen und Bürger den Flughafen deshalb ablehnen, weil sie persönlich vom Fluglärm betroffen sind. Dennoch gilt es, mit diesen Menschen im Dialog zu bleiben. Ein Verkehrsgroßprojekt hat immer Kritiker und negative Auswirkungen. Deshalb ist der Dialog sehr wichtig.

Aus meiner Sicht war der Dialog in den letzten Jahren eher auf den engeren Umkreis von Schönefeld konzentriert. In Blankenfelde-Mahlow gab es weitaus mehr Veranstaltungen und Gespräche als in anderen Orten. Wir müssen zusehen, dass wir die Kommunikation ausweiten und verbessern.

Ich komme zur Fluglärmkommission. Darin sind die Länder Berlin und Brandenburg nicht Mitglied. Die Fluglärmkommission ist ein wichtiges Gremium, weil sie den betroffenen Kommunen die Möglichkeit gibt, Einfluss auf die Planung zu nehmen. Wir haben die Aufgabe, die Grobplanung der Deutschen Flugsicherung entsprechend zu optimieren. Auch in einer schwierigen Situation muss man sehen, welche Möglichkeiten es gibt. Wir haben uns entschieden, dass jene Kommunen zusätzlich in die Kommission aufgenommen werden sollten, die in einer Flughöhe von bis zu 2 000 Metern überflogen werden. Das betrifft neben den bereits in der Fluglärmkommission arbeitenden Gemeinden - ich möchte ihnen übrigens meinen ausdrücklichen Dank sagen, es sind ja heute einige Vertreter da Teltow, Stahnsdorf, Kleinmachow, Rangsdorf, Zeuthen, Königs Wusterhausen und Erkner. Vonseiten weiterer Kommunen wurde der Wunsch geäußert, in die Kommission aufgenommen zu werden. Aber man muss die Arbeitsfähigkeit der Kommission im Blick behalten. Die Deutsche Flugsicherung bzw. wir alle sind gehalten, Wege zu finden, weitere Kommunen in den Diskussionsprozess und Informationsfluss einzubeziehen; dies wird uns sicherlich gelingen.

Ich komme nun zu einer weiteren, von den Vorrednern schon dargestellten Problematik: Einerseits gilt es, die Möglichkeiten zu prüfen, wie die vorhandenen negativen Belastungen möglichst gering gehalten werden können. Das wird natürlich etwas Zeit erfordern. Vorschläge müssen geprüft werden. Ich halte die endgültige Festlegung der Planung im Frühjahr 2012 nicht für realistisch. Das sorgt für Unsicherheiten, die wir uns nicht leisten können. Der Prozess muss schneller voranschreiten. Die Möglichkeiten, den Vorschlag der Deutschen Flugsicherung zu optimieren, müssen trotzdem geprüft werden.

Was aus allen Redebeiträgen zu entnehmen war, gilt für die Landesregierung. Wir haben großes Interesse daran, dass die

negativen Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden möglichst gering gehalten werden. Aber es wird solche Auswirkungen geben.

Zur Standortentscheidung: Wir brauchen über die Standortentscheidung jetzt nicht mehr zu diskutieren. Sie ist unumkehrbar. Herr Genilke, nur noch ein Hinweis zu 1996: Da war ich Abgeordneter des brandenburgischen Landtages, und ich habe die Diskussion damals sehr interessiert verfolgt. Bundesverkehrsminister war Matthias Wissmann von Ihrer Partei, von der CDU. Den schätze ich in seiner Arbeit, die er jetzt leistet, sehr. Ich habe ihn auch als Bundestagsabgeordneten sehr geschätzt. Er war damals verantwortlich und hat sich massiv für den Standort Schönefeld eingesetzt. Regierender Bürgermeister war Eberhard Diepgen, auch CDU, der sich ebenfalls massiv für diesen Standort Schönefeld eingesetzt hat, und er war Aufsichtsratsvorsitzender, also an entscheidender Stelle. Das soll gar keine Ausrede sein; es sind einfach nur Fakten. Es nützt uns überhaupt nichts, jetzt irgendeine Standortdiskussion zu führen. Die Standortentscheidung ist getroffen, und wir müssen aus dieser Standortentscheidung das Beste für Berlin und Brandenburg machen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Landesregierung steht zum BBI, steht zu den Entwicklungschancen, aber wir haben auch die Pflicht und Schuldigkeit, möglichst große Akzeptanz in den Regionen zu schaffen. Hierbei wünsche ich uns viel Erfolg und bitte Sie um entsprechende Unterstützung. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)