Protokoll der Sitzung vom 10.11.2010

Lassen Sie mich mit einem Zitat meines akademischen Lehrers an der Humboldt-Universität nach 1990, Herrn Prof. Krauß leider viel zu früh, im Sommer dieses Jahres, verstorben - enden. Er hat bei seiner Antrittsvorlesung 1993 an der Humboldt-Universität über Rechtsstaat und Strafrecht referiert und folgende Formulierung gefunden:

„Der Rechtsstaat ist der Maßstab jeder Freiheitsbeschränkung und nicht der Stab, mit dem man die Latte überspringt.“

Dies gilt auch für die Sicherungsverwahrung. - Schönen Dank.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, der Minister hat rund vier Minuten überzogen. Sie können dies bei Ihren Redezeiten berücksichtigen. Er bekommt trotzdem noch eine Chance, denn Frau Teuteberg hat eine Kurzintervention angemeldet.

Sehr geehrter Herr Minister Schöneburg! Nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, möchte ich zwei Dinge anmerken: Zum einen haben wir viele Übereinstimmungen, was die Bedeutung des Rechtsstaates betrifft. Aber das Urteil des EGMR, ob man es nun begrüßt oder nicht, ist in erster Linie ein Arbeitsauftrag und kein Grund zum Jubeln oder Begrüßen für Sie. Wir sind für diese Legislaturperiode gewählt

(Beifall FDP sowie CDU)

da interessiert es uns Liberale relativ wenig, wer was vorher versäumt hat.

Zum Zweiten, was diese gewaltlosen Vermögensdelikte betrifft, bezüglich derer Sie kritisiert haben, dass sie noch Anlasstaten für eine Sicherungsverwahrung sein könnten: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass diese gewaltlosen Vermögensdelikte nur dann Anlasstat für eine Sicherungsverwahrung sein können, wenn sie zum Teil sogar kumulativ gewerbs- und bandenmäßig betrieben werden oder mindestens bei anderen Delikten eine dieser beiden Voraussetzungen vorliegt und es sich damit regelmäßig um Delikte der organisierten Kriminalität handelt?

Zweitens: Die von Ihnen als abstrakt bezeichnete Bedingung des Mindestfreiheitsstrafmaßes von zehn Jahren dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Man muss ein klares Kriterium haben. Insofern kann ich nicht erkennen, warum die

Kriterien, die hierbei angelegt wurden, nicht rechtsstaatlich sein sollten. - Danke.

(Beifall FDP sowie CDU)

Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit, hierauf zu reagieren, wenn Sie möchten. - Sie verzichten. Danke. Wir setzen mit dem Beitrag der Abgeordneten Mächtig fort. - Zum Schluss. Nun folgt zunächst der Abgeordnete Eichelbaum für die CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich feststellen, dass auch bei der Sicherungsverwahrung das Strucksche Gesetz gilt. Demnach verlässt kein Gesetz das Parlament so, wie es eingebracht worden ist. Heute findet bereits im Bundestag eine Anhörung zum Thema Sicherungsverwahrung statt. Wir sind in einem Punkt bei Ihnen: Man muss die Vermögensdelikte natürlich aus dem Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung herausnehmen. Das ist auch erklärter Wille der Bundesregierung; und hier muss sicherlich noch einmal nachgebessert werden.

Worüber ich mich dann aber wundere, ist, dass jetzt wieder die Diskussion um die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Heranwachsende und Jugendliche aufgemacht wird. Hier müssen Sie einmal Ihren Koalitionspartner fragen, denn diese Gesetzesänderung wurde von der damaligen SPD-Bundesjustizministerin Zypries eingebracht. Sie war richtig, deshalb ändert die Koalition daran nichts.

Es ist nun leider auch so, dass einige wenige junge Täter auch nach einer verbüßten längeren Haftstrafe rückfällig werden. Die Anordnungsvoraussetzungen sind bei ihnen ja viel strenger als im Erwachsenenstrafrecht.

(Zuruf von der Regierungsbank)

- Doch, sie sind es. Es sind zwei Sachverständigengutachten notwendig, es muss mindestens eine siebenjährige Haftstrafe vorliegen, und der Täter muss auch nach seiner Entlassung noch eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Der Bundesgerichtshof hat dies am 9. März dieses Jahres noch einmal eindeutig bestätigt und zum Ausdruck gebracht, dass die Regelung weder gegen die Verfassung noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.

Im Übrigen warne ich auch bei dem Thema Sicherungsverwahrung vor allzu großer Therapiegläubigkeit. Es gibt Täter, die schon richtige Gefängniskarrieren hinter sich haben, sie wurden schon fünf- bis sechsmal verurteilt ohne Anordnung einer Sicherungsverwahrung und sind trotzdem rückfällig geworden. Hier muss man einmal zur Kenntnis nehmen, dass eine Vielzahl von Sicherungsverwahrten einfach nicht therapiewillig oder auch nicht therapiefähig ist. Das ist einfach eine Tatsache.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Herr Minister Schöneburg, Sie sagten vorhin, dass es Studien gibt, die zu dem Ergebnis kommen, dass von zehn Schwerkriminellen nur ungefähr zwei rückfällig werden. Ich sage

Ihnen: Jede einzelne Wiederholungstat eines solchen Schwerverbrechers ist eine Tat zu viel, und das muss auf jeden Fall verhindert werden.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Sie wissen ganz genau, dass die Rückfallquote bei Sexualstraftätern 20 bis 30 % und bei Tätern mit sexuellen Neigungen zu Kindern sogar bis zu 80 % beträgt. Deshalb bin ich eher dafür, eine konkrete Begutachtung vorzunehmen als sich auf irgendwelche allgemeinen Studien zu verlassen.

Herr Minister Schöneburg, Sie sprechen immer die Rechte des Straftäters an. Ich habe einmal ganz genau zugehört, aber in Ihrer Rede kam das Wort „Opfer“ überhaupt nicht vor. Dazu muss man auch einmal in aller Deutlichkeit sagen, dass auch die rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf den Schutz des Staates haben. Diese Schutzpflicht speist sich nicht nur aus Artikel 2 des Grundgesetzes, sondern auch aus Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wer das alles ausblendet, der tut nichts Gutes für das Image der Europäischen Menschenrechtskonvention in Deutschland.

(Beifall CDU)

Anstatt sich mit wirklich eigenen Alternativvorschlägen in die bundesweite Diskussion einzubringen, verstecken Sie sich hinter Vorschlägen des Stadtstaates Hamburg. Ich frage: Wo waren Sie denn bei den Bund-Länder-Gesprächen im Sommer dieses Jahres, als die Länder und der Bund versucht haben, gemeinsame Lösungen zu finden? Sie können sich nicht immer hinter anderen verstecken, zum Beispiel hinter Hamburg, wenn es um eine bundesgesetzliche Regelung geht, oder hinter Arbeitsgruppen, wenn es um den Vollzug in Brandenburg geht. Sie tragen die Verantwortung, und dieser Verantwortung müssen Sie endlich auch einmal nachkommen.

(Holzschuher [SPD]: Was ist denn so schlimm an Ham- burg? Es hat vielleicht die falsche Regierung, aber was soll's!)

Die Wahrheit ist doch Folgendes: Sie sind mit Ihrer Auffassung völlig isoliert. Selbst die SPD-regierten Länder und die SPDBundestagsfraktion haben angekündigt, die Pläne des Bundes zur Reform der Sicherungsverwahrung zu unterstützen. So sieht zum Beispiel Sachsen-Anhalts SPD-Justizministerin Angela Kolb bei ihren Länderkollegen weitgehend Einverständnis bei der geplanten Neuregelung der Sicherungsverwahrung von Schwerverbrechern. Sie sagte:

„Grundsätzlich stößt der Gesetzentwurf auf Zustimmung.“

Oder der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef Olaf Scholz sagte:

„Wir halten den nun vorgeschlagenen Weg zu einem neuen System der Sicherungsverwahrung für gangbar.“

Ich kann Ihnen auch noch einmal den Beschluss der Justizministerkonferenz vorlesen, bei der Sie selbst dabei waren. Dort wurde beschlossen:

„Die Justizministerinnen und Justizminister unterstützen die Bemühungen des Bundesgesetzgebers, durch ein The

rapieunterbringungsgesetz die rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung von Personen zu schaffen, die infolge des EGMR-Urteils aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten oder müssen, die aber wegen einer psychischen Störung für die Allgemeinheit weiterhin gefährlich sind.“

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Ja, eben!)

Im Übrigen gab es auch schon Überlegungen in der vergangenen Legislaturperiode, das Thema Sicherungsverwahrung anzugehen. Frau Blechinger hatte hierzu schon Kontakt mit Sachsen-Anhalt aufgenommen, es gab Gespräche.

(Jürgens [DIE LINKE]: Da gab es sechs Gegenstimmen! - Zuruf des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])

Von daher möchte ich die von Ihnen erhobenen Vorwürfe zurückweisen. Ich sage Ihnen: Mit Resignation und einer destruktiven Kritik kommen wir bei diesem Thema nicht weiter. Es gibt sicherlich Grenzen, aber wir sollten uns hier auf das Mögliche konzentrieren.

(Beifall CDU)

Das Wort erhält noch einmal die antragstellende Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Mächtig.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Eichelbaum! Wie oft denn noch? Wir haben einen Rechtsausschuss. In diesem Rechtsausschuss diskutieren wir.

(Zuruf des Abgeordneten Eichelbaum [CDU])

- Hören Sie doch einfach zu; Sie können ja noch nicht einmal das, und genau das ist Ihr Problem.

Wir haben in der vergangenen Woche - hieran darf ich Sie erinnern; Wiederholung ist die Mutter der Weisheit - darauf aufmerksam gemacht, dass das heute zum Thema dieses Hauses wird, dass wir im vergangenen Jahr bereits darüber gesprochen haben, dass es Konzepte gibt, die uns der Minister vorgestellt hat, und Initiativen, mit denen er uns im Rechtsausschuss vertraut gemacht hat. Ich nehme zur Kenntnis: Es ist genau wie jetzt. Sie schwatzen mit Ihrem Nachbarn, merken nicht, worüber wir eigentlich reden, und bauen dann eine Pappfigur auf, um auf diese einzudreschen. Das Problem ist: Dort steht nicht der Minister. Sie müssen in die eigenen Reihen schauen. Wer nicht zuhört, wird nicht lernen. Lernen Sie zuerst das Zuhören; ich bin sicher, dann können wir auch über die neuen Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung reden. - Danke.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Rednerliste angelangt. Ich stelle den Entschließungsantrag in der Drucksache 5/2298 der Fraktionen der CDU und der FDP zur Abstimmung. Wer diesem Folge leisten möchte, den bitte ich

um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist dieser Entschließungsantrag ohne Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.

Damit schließe ich Tagesordnungspunkt 2 und rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Fragestunde

Drucksache 5/2222