Protokoll der Sitzung vom 18.12.2002

(Beifall SPD und DIE LINKE sowie von der Regierungs- bank)

Die neue Regierungskoalition bekennt sich dezidiert zu dem Ziel, keine Region im Land abzuhängen, keine Region aufzu

geben. Die Bürgerinnen und Bürger im Land Brandenburg können sich darauf verlassen: Die öffentliche Daseinsvorsorge wird überall gewährleistet, auch wenn sich viele Formen der Leistungserbringung allein schon durch die demografische Entwicklung verändern werden. Es wird nichts so bleiben, wie es war; aber wir werden die öffentliche Daseinsvorsorge sichern.

Darauf zielen unter anderem die Anstrengungen, Mobilität für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes zu gewährleisten. Die Regierungskoalition wird das Mobilitätsticket über das Jahr 2010 hinaus fortführen.

In der Fläche des Landes ist und bleibt die Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig, ja, sie ist und bleibt das Rückgrat des ländlichen Raumes. Wir setzen die Agrarwirtschaftsinitiative fort. Die Agrarförderung soll gezielt eingesetzt werden, um existenzsichernde Arbeitsplätze in der Fläche unseres Landes zu schaffen und zu erhalten und auch, um immer ökologischeres Wirtschaften zu unterstützen.

Die Landesregierung, meine Damen und Herren, setzt sich dafür ein, dass die Mittel der ersten und zweiten Säule der EUAgrarförderung, die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe Argrarstruktur und Küstenschutz erhalten bleiben, und wir werden dafür kämpfen - das wird ein harter Kampf werden -, dass die erfolgreichen Strukturen der brandenburgischen Landwirtschaft auch in Zukunft nicht benachteiligt werden.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Dafür bitte ich das gesamte Parlament auch künftig um Unterstützung.

Das gilt nicht zuletzt dafür, die Ergebnisse der Bodenreform unangetastet zu lassen. Pläne der Bundesregierung, dieses eigentlich abgeschlossene Thema neu aufzurollen, werden wir energisch bekämpfen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zum Prinzip „Ein Brandenburg für alle“, auf das sich die neue Koalition verpflichtet hat, gehört ganz wesentlich zugleich ein schonender wie dem Gemeinwohl verpflichteter Umgang mit unserer natürlichen Lebenswelt. Auch dazu an dieser Stelle nur ein Beispiel, aber dieses klipp und klar: „Ein Brandenburg für alle“ bedeutet für uns selbstverständlich auch Brandenburger Seen für alle. Wir werden uns nachhaltig dafür einsetzen, dass alle Bürger jederzeit Zugang zu den Seen unseres Landes haben.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Armut wird sich diese neue Regierung nicht abfinden. Das beste Mittel gegen Armut sind Arbeitsplätze, von denen Frauen und Männer vernünftig leben und ihren Kindern einen guten Start ins Leben ermöglichen können. Dabei gilt die Maxime „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für Männer wie Frauen gleichermaßen. Das wird die Richtschnur dieser Landesregierung sein und bleiben.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Brandenburg will kein Billiglohnland sein, sondern ein Land, in dem gute Arbeit auch anständig entlohnt wird. Gute Arbeit schafft mehr als Kaufkraft und sichert mehr als nur den

unmittelbaren Lebensunterhalt. Sie ist Basis für Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass auf der Ebene des Bundes ein existenzsichernder gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Die Zeit dafür ist in Deutschland reif.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

In Brandenburg werden wir die Vergabe öffentlicher Aufträge an soziale Standards und die Bezahlung wenigstens an Mindestlohnniveau binden. Arbeitslosen, vor allem Langzeitarbeitslosen und älteren Arbeitslosen, wird die neue Landesregierung mithilfe neu geschaffener, öffentlich geförderter Beschäftigungsverhältnisse eine neue berufliche Perspektive ermöglichen. Wir wollen bis 2014 eine aktivere öffentliche Beschäftigungspolitik ermöglichen. Deshalb haben wir uns verpflichtet, 8 000 öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse unter Nutzung der vorhandenen Bundesmittel unter der Bedingung zu schaffen, dass diese nicht in Konkurrenz zu regulären Beschäftigungsverhältnissen stehen werden.

In der Gesundheitspolitik verfolgen wir das Ziel, eine auskömmliche ambulante Versorgung in allen Regionen des Landes sicherzustellen. Die Wiederkehr der Gemeindeschwester AGnES in modernisierter Form ist nicht nur ein Gebot der Vernunft, nein, meine Damen und Herren, diese Wiederkehr von AGnES ist auch ein Beleg dafür, dass gute, für die Menschen hilfreiche und passende Lösungen auch für schwierige Fragestellungen möglich sind. Wir werden auch die Telemedizin mit aller Kraft ausbauen.

Die neue Regierungskoalition wird dafür sorgen, dass die Brandenburger Krankenhäuser in den kommenden fünf Jahren mit Landesmitteln in Höhe von 400 Millionen Euro weiter modernisiert und ausgebaut werden. Mittelfristig streben wir gemeinsam mit Berlin an, unsere Region zum leistungsstärksten Zentrum der Gesundheitswirtschaft in Deutschland zu entwickeln. Das schafft Tausende moderne Arbeitsplätze und Perspektiven für die Menschen in unserem Land. Die Spitzenforschung in den Live Sciences, den Lebenswissenschaften, in der Hauptstadtregion ist dafür eine gute Grundlage.

Meine Damen und Herren, die Partner der neuen Regierungskoalition sind sich einig: Was verteilt werden soll, muss zuvor erarbeitet und erwirtschaftet werden.

(Oh! bei der CDU)

Niemand macht sich etwas vor. Vor uns liegen Jahre, in denen die Haushaltslage des Landes äußerst angespannt sein wird. Die Konsolidierung der Brandenburger Landesfinanzen, bei der in der vergangenen Wahlperiode bemerkenswerte Ergebnisse erreicht wurden, ist mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich schwerer geworden. Zusätzliche Belastungen für die Kommunen und auch für das Land drohen aufgrund der schon erwähnten Steuer- und Abgabenpolitik der neuen Bundesregierung. Zugleich laufen Sonderzuweisungen des Bundes zur Bewältigung der Folgen der deutschen Teilung aus.

Was steht an? Gegenüber dem Vorjahr müssen wir im Jahr 2010 mit weiteren Mindereinnahmen in Höhe von ungefähr 140 Millionen Euro rechnen. Sollte das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz von Schwarz-Gelb verabschiedet werden, werden wir mit zusätzlichen 50 Millionen Euro Min

dereinnahmen im Jahr 2010 rechnen müssen, in den Folgejahren wahrscheinlich mit Mindereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe. Zugleich werden die Sonderzuweisungen des Bundes zur Bewältigung der Folgen der deutschen Teilung rückläufig sein. Die kumulierten Mindereinnahmen des Landes in dieser Legislatur betragen dann fast 1,5 Milliarden Euro.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Das ist doch nicht neu!)

Dabei steigen natürlicherweise die Pensionslasten. Wir können uns auch nicht darauf verlassen, dass die Zinsen nicht steigen.

Meine Damen und Herren, damit habe ich nur ganz kurz umrissen: Die weitere Konsolidierung unseres Haushalts wird eine der schwierigsten Aufgaben der nächsten fünf Jahre sein und bleiben.

Zur ehrlichen Bestandsaufnahme gehört ebenso: Die finanzielle Situation der Kommunen wird zunehmend schwieriger. Übrigens, angesichts der Situation bin ich ganz froh, dass der Finanzminister schon graue Haare hat, sonst würde er sie mit Sicherheit bekommen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die kommunale Ebene konnte zwar 2008 mit einem Überschuss abschließen, die Steuereinnahmen sind jedoch auch hier rückläufig, und die Schlüsselzuweisungen werden sich verringern. Mit den geplanten Gesetzen auf Bundesebene wird sich auch diese Situation verschärfen.

Hier ist ein schwieriger Balanceakte angesagt; denn trotz aller Belastungen darf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes nicht abgewürgt werden. Die Kinder und Jugendlichen, für die wir uns ganz besonders einsetzen, dürfen nicht morgen unter den Kosten, die wir heute verursachen, leiden. Dabei macht sich niemand etwas vor. Es werden ausgesprochen schmerzliche Entscheidungen in diesem Landtag zu treffen sein.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Welche denn?)

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Das vorhandene Geld soll vordringlich für besonders zukunftswirksame Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Innovation genutzt werden. Die Koalitionspartner sehen sich vor einer großen Herausforderung, nämlich langfristig und stabil die Balance zwischen Personalstärke und finanziellen Möglichkeiten des Landes einerseits und der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sowie einer bürgernahen und effektiven Aufgabenerledigung andererseits zu halten. Ich sage aber hier für die öffentlich Bediensteten des Landes: Der Kurs der vergangenen zwei Jahrzehnte wird beibehalten, betriebsbedingte Kündigungen schließen wir aus. Das ist eine ganz klare Vereinbarung in dieser Koalition, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Dem vorhersehbaren Rückgang der aktiv Beschäftigten durch Altersabgänge bis 2014 auf etwa 43 700 und bis 2019 auf etwa 36 000 treten wir entgegen. Wir werden dafür sorgen, dass der Personalbestand bis zum Jahr 2014 bei ca. 45 500 und bis 2019 bei 40 000 gehalten wird. Dazu suchen wir den Dialog mit den Beschäftigten und unter anderem im Rahmen des Tarifvertrags Umbau mit den Gewerkschaften. Besondere Bedeutung mes

sen wir der Neueinstellung von Lehrerinnen und Lehrern sowie Kita-Erzieherinnen und -Erziehern bei.

Meine Damen und Herren, innere Sicherheit sowie zu diesem Zweck die sichtbare Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum bleiben wichtige Anliegen dieser Regierung. Die Ausstattung der Polizei werden wir weiter modernisieren. Gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien des Landes sowie innerhalb einer großen und ständig wachsenden Zahl von zivilgesellschaftlichen Akteuren setzen sich die Landesregierung und die sie tragenden Parteien für ein tolerantes, für ein weltoffenes Brandenburg ein.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Allen Formen von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus werden wir entschieden entgegentreten. Die Verherrlichung von Diktaturen - gleich, welcher Art - hat in unserem Gemeinwesen keinen Platz, meine Damen und Herren!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Deshalb wird die neue Landesregierung den Kampf gegen Rechtsextremismus mit aller Kraft fortführen. Schwerpunkte bleiben dabei die Säulen Repression und Prävention. Wir werden die Brandenburger Justiz stärken und bürgerfreundlicher machen. Dazu gehören die Verkürzung der Dauer von Gerichtsverfahren, vor allem an Sozialgerichten, und die Schaffung zusätzlicher Richterstellen bei den Sozialgerichten sowie der Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs und auch die Stärkung des Opferschutzes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bessere Lebenschancen für mehr Menschen in Brandenburg, wirtschaftliche Dynamik und Erneuerung, mehr Zusammenhalt und stärkerer Gemeinsinn - diese Ziele werden wir nur dann erreichen, wenn in der neuen Regierungskoalition ein Rad ins andere greift. Hier ist ein wirklich integrierter Ansatz nötig. Deshalb muss und wird es etwa eine gut abstimmte und produktive Zusammenarbeit zwischen Arbeits- bzw. Familienministerium, Bildungsministerium und Wirtschaftsministerium geben. Die enge und produktive Zusammenarbeit aller Ressorts wird in den nächsten Jahren zu meinen Hauptaufgaben gehören. Die Probleme sind ressortübergreifend; die Lösungen müssen es genauso sein.

Meine Damen und Herren! Die Koalitionsbildung von SPD und DIE LINKE hat in den vergangenen Wochen lebhafte Debatten ausgelöst. Darum abschließend einige klärende Worte zum Charakter dieses politischen Bündnisses: Niemand verklärt diese neue Koalition zu einem historischen Projekt. Hier haben sich zwei Parteien nüchtern auf koalitionsvertraglicher Grundlage zusammengetan, um die Probleme im Lande zu lösen und so vielen Menschen wie möglich eine bessere Zukunft zu bieten. In diesem Sinne blickt die Koalition nicht zurück, sondern sie packt an und baut auf, weil es im Hier und Jetzt genug zu tun gibt. Das ist unsere wichtigste Aufgabe. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten, dass die Koalition Probleme löst und Zukunft möglich macht. Aber, meine Damen und Herren, natürlich findet Politik nicht im geschichtslosen Raum statt. Wir alle kommen irgendwoher. Wir alle haben unsere Erfahrungen gemacht, und der erste Daseinsgrund der 1989 wiedergegründeten Sozialdemokratie im Osten Deutsch

lands war es nun einmal, das illegitime Machtmonopol der SED zu brechen, aus dem später die Partei DIE LINKE hervorgegangen ist. Die Koalitionspartner haben mit ihren Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen intensiv über Herkunft, Haltung und Werte gesprochen. Alle an dieser Regierungskoalition Beteiligten sind sich einig darüber, dass diese Koalition mit irgendwelchen Schlussstrichen nichts zu tun haben will und nichts zu tun haben wird.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Einig, meine Damen und Herren, sind sich die Koalitionspartner weiterhin darin, dass die ostdeutsche Friedens- und Bürgerbewegung sowie die Arbeit der 1989 wiedergegründeten, seit 1946 von der SED unterdrückten und verfolgten Sozialdemokratie zur positiven Entwicklung unseres Landes entscheidend beigetragen hat. Erst die Volksbewegung des Herbstes 1989 in der DDR machte es möglich, dass auch aus der SED heraus der Aufbruch zu einer demokratischen Partei im pluralistischen Wettbewerb mit anderen Parteien erfolgen konnte. In unserem Koalitionsvertrag haben wir deshalb ganz klar und unmissverständlich festgehalten:

„Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben.“

(Unruhe bei der CDU)

„Der offene und kritische Umgang mit früheren Fehlern ist ebenso notwendig wie die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Unrecht. Wir werden die Lehren der Geschichte umfassend beherzigen und weitergeben. Unser Respekt und unsere Zuwendung gelten den Opfern der Diktatur, das Andenken an erlittene Repressionen werden wir wach halten.“

(Beifall SPD und DIE LINKE - Unmut bei der CDU)