Protokoll der Sitzung vom 18.12.2002

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neue Koalition hat sich das Motto „Gemeinsinn und Erneuerung: Ein Brandenburg für alle“ gegeben. Der Satz umschreibt sowohl das Ziel als auch - Frau Wanka, da bin ich natürlich vollkommen anderer Meinung als Sie - den Weg für die kommenden fünf Jahre. Wenn Sie vorhin gesagt haben, der Koalitionsvertrag sei unkonkret, müssen Sie ihn wirklich verwechselt haben. Momentan sitzt die „Selbsterfahrungsgruppe Bundeskabinett“ in Meseberg und versucht, die gemachten Festlegungen zu deuten. Dass diese Deutung nicht ganz einfach ist, hat man gestern Abend wieder im Fernsehen hören können: Wir sind uns sicher, dass wir in vielen Punkten keine Einigung erzielt haben werden, wenn wir Meseberg verlassen, aber wir sind uns sicher, dass wir uns einig sind. - Wenn das der Kontext der Bundesregierung für die kommenden Jahre ist, dann: Gute Nacht, Deutschland!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Unser Ziel ist es, Brandenburg auf gesunde Füße zu stellen. Dafür wird die SPD-Fraktion, dafür wird die Koalition, dafür wird die Landesregierung in den kommenden Jahren hart arbeiten. Wir wollen und wir werden auch in fünf Jahren sagen: Brandenburg ist vorangekommen. Ich bin sicher, dass uns das nachdrücklich gelingen wird.

(Zuruf bei der CDU)

- Sie kennen sich mit der Ost-CDU noch besser aus, das glaube ich Ihnen.

Wir Sozialdemokraten haben im Wahlkampf versprochen, für mehr Zusammengehörigkeit und mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Wir werden Wort halten.

Deshalb werden wir dem Landtag das Schüler-BAföG vorlegen. Zum neuen Schuljahr können dann Kinder aus einkommensschwachen Familien mit finanzieller Unterstützung in der Abiturstufe rechnen. Wir halten Wort.

Deshalb werden wir im Landtag Anfang des kommenden Jahres ein Mindestlohn- und Vergabegesetz diskutieren, damit ab Sommer öffentliche Aufträge nur noch vergeben werden, wenn Tarifverträge eingehalten und - meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, mit Ihnen war das leider nicht möglich - ein Mindestlohn gezahlt wird. Wir halten Wort.

(Beifall SPD - Zuruf von der CDU)

- Wir werden uns darüber an dieser Stelle noch unterhalten können.

Deshalb werden wir im nächsten Haushalt dafür sorgen, dass die Zuschüsse für die Kindertagesstätten in Brandenburg steigen, sodass neue Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden können, damit jedes Kind die beste Förderung erhält. Frau Wanka, ich hätte von Ihnen gern Ihre persönliche Meinung zu der im Bundeskoalitionsvertrag nun wirklich konkret festgeschriebenen Herdprämie gehört. Sie ist das falsche Signal - sie ist das falsche Signal an die Familien und an die Gesellschaft.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir werden sehr schnell dafür sorgen, dass neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden, damit in den Schulen die Qualität der Ausbildung steigt und unsere Kinder mehr Lebenschancen erhalten. Wir halten auch in diesem Punkt Wort.

Diese Kernprojekte der neuen Regierung stehen im Koalitionsvertrag. Sie müssen sehr schnell darüber hinweggeblättert haben, wenn Ihnen das nicht aufgefallen sein sollte. Sie standen auch schon im Regierungsprogramm der SPD, das wir vor der Landtagswahl vorgelegt haben. Darauf sind wir stolz. Die SPD-Fraktion wird mit aller Kraft dafür sorgen, dass es nicht nur beim Papier bleibt, sondern dass die Brandenburgerinnen und Brandenburger ganz konkrete Verbesserungen in ihrem Leben spüren werden.

Der Satz „Unseren Kindern soll es einmal besser gehen“ gehörte immer zu den Leitideen der Sozialdemokraten. Leider ist diese Leitidee in den letzten Jahren etwas aus dem Blick geraten - angesichts der vielen Veränderungen nach der Wende, angesichts der fast vollständigen Deindustrialisierung, des Umbaus der gesamten Gesellschaft vielleicht auch in Teilen verständlich. Aber wir wollen, dass dieser Satz wieder Wirklichkeit wird: „Unseren Kindern soll es einmal besser gehen.“ Das ist für uns sozial und gerecht. Wir werden das kraftvoll durchsetzen, so wie es schon in unserem Wahlprogramm stand.

Wir lassen uns dabei von den Zielen des vorsorgenden Sozialstaates leiten. Uns geht es nicht um eine Vollkaskoversicherung des Lebens. Uns geht es um Eigenverantwortung, um Engagement, um Initiative, und zwar immer so früh wie möglich. Wir wollen nicht, dass das sprichwörtliche Kind in den Brunnen fällt; wir wollen, dass es gar nicht erst auf den Brunnenrand klettert.

(Beifall SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns allen ist klar, dass wir in einer globalisierten Welt nicht jedem und jeder einen sicheren und unbefristeten Arbeitsplatz versprechen können, dass wir nicht jedem und jeder ein festes Einkommen versprechen können. Was wir versprechen können, ist aber, alles dafür zu tun, dass jedes Kind, jeder Brandenburger die Chance auf einen guten Arbeitsplatz und gleichzeitig auf eine ordentliche Bezahlung hat. Das geht nicht im Gegeneinander. Das geht nur im Miteinander - im Miteinander von Politik, Gewerkschaften, Unternehmen, Verbänden und Initiativen.

Das geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Denn zu einem vorsorgenden Sozialstaat gehört auch eine stabile und moderne Wirtschaft. Dazu gehören ordentliche Finanzen. Dazu

gehört eben auch ein hohes Maß an Gemeinsinn; denn ohne gesellschaftlichen Zusammenhalt ist alles nichts.

Deshalb werden wir uns stärker als bisher darum bemühen, für mehr Gerechtigkeit im Land zu sorgen. Das eine kann man nicht gegen das andere ausspielen. Ganz im Gegenteil: Wir wollen, dass sich eine moderne Wirtschaft und ein vorsorgender Sozialstaat wechselseitig befruchten.

In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, die Basis unserer Wirtschaft zu verbreitern. Es ist gelungen, das Fundament fester und stabiler zu machen. Das zeigt die gesunkene Arbeitslosigkeit. Das zeigt die nicht weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich. Das zeigt die im Bundesvergleich bessere Wirtschaftsentwicklung in Brandenburg.

Wir wollen das wirtschaftliche Fundament in den nächsten fünf Jahren weiter festigen. Deshalb wird der Mittelstand weiter Vorfahrt haben. Deshalb werden wir die Wirtschaftsförderung weiter verbessern; denn nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. Deshalb werden wir mit Mikrokrediten kleinen und kleinsten Unternehmen und Geschäftsideen eine Chance geben. Deshalb werden wir mit mehr Partnerschaftsbeauftragten unseren Unternehmen auf den Wachstumsmärkten in Mittel- und Osteuropa immer mehr Türen öffnen. Deshalb werden wir mit einer erneuerten Fachkräftestrategie dafür sorgen, dass der Fachkräfteengpass so klein wie möglich ist. Deshalb werden wir die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wissenschaft auf der einen Seite und Unternehmen und Wirtschaft auf der anderen Seite weiter verbessern.

Das alles ist Vorsorge und wachstumsorientierte Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik. Diese Politik ist gut für unser Land.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen drei, vier Jahren haben viele Familien Mut gefasst. Die sinkende Arbeitslosigkeit und die wachsende Wirtschaft haben zu mehr gesellschaftlicher Stabilität geführt. Leider ist es noch nicht gelungen, alle Brandenburger an diesem Aufschwung teilhaben zu lassen. Leider bedroht die Wirtschafts- und Finanzkrise die Erfolge der vergangenen Jahre. Doch wir Sozialdemokraten werden nicht ruhen. Wir werden dafür sorgen, dass neue Aufstiegsmöglichkeiten entstehen. Wir werden dafür sorgen, dass mehr Kinder - nicht weniger - einen Schulabschluss machen. Wir werden dafür sorgen, dass mehr Kinder behütet und gesund aufwachsen. Deshalb bauen wir die Netzwerke „Gesunde Kinder“ aus. Wir werden dafür sorgen, dass mehr Kinder - nicht weniger Kinder - das Abitur machen. Deshalb bringen wir das Schüler-BAföG auf den Weg.

Frau Wanka, natürlich ist der Zugang zum Abitur für Kinder eine Grundvoraussetzung für eine spätere Karriere, die mit einem Studium beginnt, nicht endet. Dass nun ausgerechnet die CDU die Durchlässigkeit des Schulsystems zu einer ihrer Grundforderungen erhebt, war mir bis heute neu; aber auch ich lerne dazu.

Vielleicht haben Sie vor ein paar Wochen bei „37 Grad“ einen Bericht gesehen, in dem gezeigt wurde, dass Kinder der 4. Klasse in bayerischen Grundschulen zu einer Art Abschlussprüfung gezwungen werden, die am Ende über ihre Karrierechancen für das gesamte Leben entscheidet.

(Zurufe von der CDU)

Das ist das, was ich in der Diskussion bisher von Ihnen kenne. Deshalb hat mich der Tonfall vorhin etwas verwundert.

(Zurufe von der CDU)

Wenn Sie diesbezüglich dazugelernt haben sollten, würde ich mich sehr freuen; denn langes gemeinsames Lernen und der Zugang zum Abitur sind Grundpositionen, die ich hier auch für die SPD vertreten werde.

(Beifall SPD und DIE LINKE sowie von der Regierungs- bank - Zurufe von der CDU)

Wir sind uns auch darin einig - das habe ich auf den Plakaten zur Landtagswahl gelesen -: Wir werden dafür sorgen, dass weniger Unterricht ausfällt. - Sie können klatschen, wenn ich fertig bin. - Deshalb stärken wir die Autonomie der Schulen und stellen neue Lehrer ein.

So verstehen wir Sozialdemokraten das Ziel: „Gemeinsinn und Erneuerung: Ein Brandenburg für alle“. Wir brauchen eine gute wirtschaftliche Entwicklung, aber wir brauchen eben auch eine stabile Gesellschaft, in der niemand von Lebenschancen ausgeschlossen wird. Das ist der Kern der neuen Landesregierung, und - meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ein bisschen stolz, es sagen zu dürfen - es ist auch ein zutiefst sozialdemokratischer Kern.

(Beifall SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum sozialdemokratischen Kern gehört auch das Engagement für diejenigen, die von der wirtschaftlichen Erneuerung der vergangenen Jahre nicht in dem Maße profitieren konnten. Uns geht es ganz konkret um ältere Langzeitarbeitslose. Wer nach über einem Jahr ohne Job immer wieder Absagen erhält, der fällt nicht nur langsam aus seinem Beruf, sondern den verlässt auch immer mehr der Mut und ihm oder ihr fehlt immer mehr die Perspektive.

Genau deshalb hat die alte rot-schwarze Bundesregierung das Programm „Kommunal-Kombi“ entwickelt. Dabei wird nach dem alten Motto von Regine Hildebrandt „Wir wollen lieber Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ gehandelt. Mit dreijährigen sozialversicherungspflichtigen Jobs erhalten ältere Langzeitarbeitslose eine Brücke in die Rente.

Wir Sozialdemokraten halten dieses Programm, wie auch immer es heißt, für gut und richtig. Deshalb muss es unbedingt fortgesetzt werden. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und FDP, werden wir der Bundesregierung gerade auch in diesem Bereich sehr genau auf die Finger schauen und im schlimmsten Fall auch einmal auf die Finger klopfen.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Genau!)

Hände weg vom Kommunal-Kombi!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Kollegen von CDU und FDP täten gut daran, ihren Kollegen in Berlin - zurzeit in Meseberg zu erreichen -

(Heiterkeit bei der SPD)

zu erklären, wie gut und wichtig dieses Programm gerade für Ostdeutschland ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU hat ihr Wahlprogramm für die Landtagswahl unter das Stichwort „Klarer Kurs“ gestellt. Das war, wenn ich mich recht entsinne, die Überschrift. Ich habe jetzt von der Bundesregierung gehört, man fahre „auf Sicht“. Diese Sicht hat nur den Nachteil, dass hin und wieder Boden-“Niebel“ auftritt und „Westerwellen“ auf der Straße zu finden sind. Hinzu kommt, dass mittlerweile wenn ich an die Infrastruktur Ost denke - auch der „Rahm“ sauer geworden ist.

(Heiterkeit und vereinzelt Beifall SPD)

Deshalb kann ich Ihnen nur raten - Frau Wanka hat vorhin auf die Erfolge der schwarz-roten Bundesregierung in den letzten Jahren sehr dezidiert hingewiesen -: Sorgen Sie dafür, dass für Brandenburg weiterhin ein verlässlicher bundespolitischer Rahmen besteht. Wir sind in vielen Dingen vom Bund sehr stark abhängig. Die Signale, die ich momentan von der Bundesregierung vernehme, lassen mich nicht gut schlafen.

Wir brauchen nicht weniger Solidarität in der Gesellschaft. Wir brauchen kein Spiel Alt gegen Jung; wir brauchen kein Spiel Arm gegen Reich. Wir brauchen mehr Solidarität, wir brauchen mehr Zusammenhalt. Deshalb ist das neoliberale Fundament der neuen Bundesregierung von vornherein kein geeignetes Fundament, um ein stabiles Haus darauf zu bauen.

Ich hoffe sehr, dass dieser neoliberalen Bundesregierung sehr genau bewusst ist, dass die Gesellschaft vor großen Herausforderungen steht, und sich nicht allzu sehr darauf verlässt, mit Klientelpolitik auf irgendeine Art und Weise über die Jahre zu kommen. Frau Merkel meint, man könne sich so „durchmerkeln“.

(Zuruf des Abgeordneten Burkardt [CDU])