Protokoll der Sitzung vom 18.12.2002

Von der Sicherung und Weiterentwicklung öffentlicher Daseinsvorsorge war bereits die Rede. Zu besseren Rahmenbedingungen dafür gehört ohne Wenn und Aber die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen; denn damit, dass Wohnraum, Energie, öffentlicher Personennahverkehr hochwertig und erschwinglich vor Ort für alle Bürgerinnen und Bürger erreichbar sind, hat auch die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen durchaus etwas zu tun. Deshalb stehen wir für starke entscheidungs- und handlungsfähige Kommunen, für die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Städten und Kreisen. Dafür kann es - selbstverständlich nach Kommunikation mit den kommunalen Spitzenverbänden - entsprechende Regelungen und Gesetze geben. Dadurch werden aber bestehende Kooperationsformen nicht infrage gestellt, sondern weiter gefördert.

Die Funktionalreform wird - fast möchte ich sagen: endlich wieder aufgenommen. Der Vertrag hält fest: Es werden zusätzliche Aufgabenverlagerungen vom Land auf die Landkreise und von den Landkreisen auf die Gemeinden geprüft.

Meine Damen und Herren! Brandenburg mit Berlin in seiner Mitte liegt - das ist keine Überraschung - mitten in Europa. Die Politik der Koalition ist uneingeschränkt proeuropäisch mit dem Blick nach Brüssel genauso wie auf das Zusammenleben mit unseren polnischen Nachbarn gerichtet. Deshalb ist es auch keine Nebensächlichkeit, dass Brandenburg für ein wettbewerbsfähiges und soziales Europa gleichermaßen steht. Die Koalitionspartner werden sich in Abstimmung mit den Gewerkschaften für ein neues Verhältnis von sozialen Grundrechten und wirtschaftlichen Grundfreiheiten in den europäischen Verträgen einsetzen.

Die Landesregierung wird ihren Beitrag zur Vorbereitung des Landes auf die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle EUAusländer ab dem 1. Mai 2011 leisten.

Der Oder-Partnerschaft wollen wir Beständigkeit und Struktur geben. Die Zusammenarbeit mit den Nachbarwoiwodschaften und Ländern an Oder und Neiße soll im Bereich Arbeitsmarkt, in der Bildungs- und Verkehrspolitik sowie im Tourismus vertieft werden, sodass die in der Region lebenden Menschen dies als immer selbstverständlicher erleben. Die Euro-Regionen sollen sich zu Trägern der grenzüberschreitenden regionalen Entwicklung profilieren.

Meine Damen und Herren, somit komme ich zum Schlusspunkt. Sozial gerechter, wirtschaftlich stabil, zukunfts- und bürgerrechtsorientiert, ökologisch und europäisch - das könnte aus der Sicht der Linken in ein paar Jahren das Markenzeichen Brandenburgs sein, das Markenzeichen eines Landes, in dem wir den Alltag der Brandenburgerinnen und Brandenburger durch eine Politik mit Gemeinsinn und Verantwortung gestalten. Die rot-rote Koalition wird insofern alltäglich. Wir selbst und Sie werden uns sicherlich an diese Koalition gewöhnen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält Abgeordneter Vogel. Er spricht für die Fraktion GRÜNE/B90. Während er zum Rednerpult kommt, begrüße ich Mitarbeiter des Amtes Biesenthal. Seien Sie bei uns herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem 6. November 2009 wird nunmehr auch Brandenburg von einer rot-roten Koalition regiert. Dies als historisch zu bejubeln oder zu betrauern ist wahrlich nicht unsere Sache. Denn nach Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sind derartige Farbkombinationen nun wirklich nichts Neues mehr.

Bei aller Parteikonkurrenz, bei aller Kritik an Zielen und politischer Programmatik der Linken, trotz der Vergangenheit einzelner Politiker und auch trotz möglicher, demnächst zu Tage tretender Gedächtnisverluste Einzelner, die dann böse auf Sie zurückfallen werden, muss man doch redlicherweise feststellen: Die Linke ist nicht erst mit dieser Regierungsbildung Bestandteil des demokratischen Parteiensystems Brandenburgs geworden. Der Umgang mit ihr ist nicht erst seit gestern Teil der demokratischen Normalität für alle Parteien in diesem Lande.

Ich habe noch keinen christdemokratischen Landrat oder liberalen Amtsdirektor erlebt, der sich geweigert hätte, sich mit den Stimmen der Linken gegen einen SPD-Kandidaten ins Amt hieven zu lassen.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE - Zurufe von der SPD)

Auch wenn der Grund für den Wechsel des Koalitionspartners einzig in der von Ihnen, Herr Ministerpräsident, heute an erster Stelle genannten Erwartung der Bürger an die Sicherstellung einer ordentlichen und geschlossenen Arbeit einer stabilen politischen Mehrheit, kurz: der Sicherstellung Ihrer Wiederwahl, gelegen haben mag, möchte ich doch am Anfang unserer Arbeit als Opposition in diesem Landtag eines deutlich sagen: Diese Regierung ist nicht nur eine durch das Ergebnis der Landtagswahlen vom 27. September 2009 formal legitimierte Regierung, sie ist auch eine legitime demokratische Regierung für dieses Land.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt DIE LINKE)

Mit dieser Begründung hätte man doch als Ministerpräsident einfach einmal zu seiner Entscheidung stehen können - Punkt - und nicht wochenlang wie das personifizierte schlechte Gewissen mit immer neuen und immer haltloseren Begründungen und Analogieschlüssen diese Koalitionsbildung meinen verteidigen zu müssen

(Beifall der Abgeordneten von Halem [GRÜNE/B90])

und dabei so nebenher mit einer 20%-Hürde und der Existenz eines Parteizuchtmeisters als neue Kriterien, als Grundvoraus

setzung für Regierungsbeteiligungen, ein sehr seltsames Politikverständnis zu offenbaren. Das hätten wir uns lieber erspart.

Wir Bündnisgrünen stehen für eine sachliche Bewertung der Ziele dieser Koalition. Wir wenden uns entschieden gegen mythische Überhöhungen und Verteufelungen der jetzigen Landesregierung,

(Vereinzelt Beifall Die LINKE - Zurufe bei der Fraktion DIE LINKE)

wir messen die rot-rote Koalition an ihren Inhalten und ihren Taten, nicht an einem vermeintlichen Tabubruch der Brandenburger Sozialdemokratie.

(Jürgens [DIE LINKE]: Da hätten Sie ein Alleinstel- lungsmerkmal der Opposition! Das wäre schön!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die weltweite Umweltkrise, der Verlust der biologischen Vielfalt und die Ausplünderung der Ressourcen gehen an Brandenburg nicht vorbei und verlangen genauso wie die globale Krise mutige Antworten auch in der Brandenburger Landespolitik. Aber nicht nur die an der klimaschädlichen Braunkohleverstromung ausgerichtete Energiepolitik, auch der Bildungsnotstand, das weithin sinkende Vertrauen in Demokratie und das marktwirtschaftliche System erfordern neue Konzepte. Wir brauchen einen fundamentalen Politikwechsel. Wir brauchen den Einstieg in eine neue Art des Wirtschaftens und des Konsums. Wir brauchen einen anderen Lebensstil, wenn wir unsere Gesellschaft zukunftsfest machen wollen.

Dies erforderte eine mutige Politik. Dies erforderte die Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen, die Bereitschaft, auch inhaltliche Auseinandersetzungen mit der Mehrheitsgesellschaft zu führen und für einen anderen Lebensstil zu werben. Dies erforderte die Bereitschaft, für einen konsequenten Ausbau des Verkehrssystems einzutreten, statt mit Herrn Ramsauer um neue Bundesstraßen zu streiten, sich für Hundert Prozent Ökolandbau statt für die Verheißungen der Gentechnik einzusetzen, mit einer solaren Bauordnung auch noch den letzten Hausbesitzer zum Einsatz der Sonnenenergie zu bringen - um nur wenige Beispiele zu nennen.

Die Lösung der fundamentalen Probleme unserer Zeit duldet keinen Aufschub. Sie anzupacken erforderte Mut und schnelles Handeln. Aber, wer auch immer hierzulande gehofft haben mag, dass jetzt rote Riesenkänguruhs zu großen Sprüngen ansetzen, muss nach der Lektüre des Koalitionsvertrages feststellen, dass er sein Fernglas verkehrt herum gehalten hat: statt muskulöser Hinterbeine Hasenfüße.

(Beifall GRÜNE/B90)

Denn mit der Bildung dieser Regierung ist der Mut der Brandenburger Sozialdemokratie auch schon erschöpft. Rot-Rot ist ihr schon Tabubruch genug. Da kommt nicht mehr viel hinterher. Nur nicht noch mehr anecken, scheint ihre Devise zu sein. Denn diese Regierung ist keine Reformkoalition, sondern setzt fast nahtlos die Politik der schwarz-roten Koalition fort.

Ich will Rot-Rot und Schwarz-Rot beileibe nicht in einen Topf werfen. Natürlich gibt es Unterschiede. Die Vereinbarungen zur Residenzpflicht oder zur Verlängerung der Bleiberechts

regelung für Flüchtlinge wären mit der Brandenburger CDU wohl kaum möglich gewesen. Aber zu häufig finden sich die Unterschiede allenfalls in Nuancen. Wenn wir in der Bildungspolitik Unterschiede zur Politik der bisherigen Koalition finden wollen, dann reicht keine Lupe, dann muss man schon das Elektronenmikroskop anwerfen. Dazu wird Frau von Halem weiter ausführen.

Nehmen wir uns den Koalitionsvertrag vor. Zumeist wird an Entscheidungen von Schwarz-Rot „angeknüpft“, „weiterentwickelt“, „fortgeschrieben“, „bestätigt“. In den Einführungssätzen finden sich mitunter hervorragend klingende Lyrik aus dem Lexikon politischer Allgemeinplätze und tolle Zielformulierungen, denen jeder nur zustimmen kann. Aber Lyrik ersetzt keine Inhalte. Wir alle wollen „wirtschaftliche Entwicklung und bessere Lebenschancen“ ermöglichen. Wir alle wollen „weder Menschen noch Regionen zurücklassen“. Dann aber völlige Fehlanzeige, wenn es um die Benennung politischer Instrumente geht, um diese Ziele zu erreichen. Keine Idee dazu, wie man den Ärztemangel im ländlichen Raum beheben will. In den nächsten fünf Jahren will man erst nach Instrumenten suchen. Noch schlimmer ist, dass man in der Wirtschaftspolitik einer weiteren Konzentration das Wort redet und entgegen der erklärten Zielsetzung noch mehr Regionen abhängen wird.

Mutige Forderungen stellt man nur an die Bundespolitik, zum Beispiel zum Atomausstieg, zur Grundsicherung der Kinder, gegen die Privatisierung der Bahn oder zur Tarifvertragsgestaltung für Eisenbahner, aber nicht an sich selbst. Hier findet man Prüfaufträge, wo auch klare Beschlüsse möglich gewesen wären, sei es zum kommunalen Wahlrecht mit 16 oder zum Wassernutzungsentgelt für den Bergbau.

Dass für uns in einer derartigen Koalitionsvereinbarung die Neuausrichtung der gesamten Politik an den Prinzipien von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit als roter Leitfaden entscheidend gewesen wäre, das ist ja klar. Nachhaltigkeit, Herr Ministerpräsident, ist etwas anderes, als den Erhalt des Seenzugangs für alle Brandenburger einzuklagen. Nachhaltige Entwicklung und Generationengerechtigkeit sind keine Ressortaufgaben der Umweltministerin, an die Sie die Verantwortung delegieren, statt sie als zentrale Aufgabe in der Staatskanzlei anzusiedeln. Eine formale Deklaration reicht uns nicht aus. Immerhin, auf Seite 42 findet man dann noch die Forderung:

„Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung muss in allen Fachpolitiken Berücksichtigung finden.“

Nachdem man alle Fachpolitiken ohne erkennbare Ansätze hierzu auf den vorherigen Seiten formuliert hat, will man sich nun im Jahr 2010 mit dem Handlungsbedarf befassen. Aber die Koalition schafft es ja nicht einmal, sich vorbehaltlos zu einer Fortsetzung der Arbeit des Nachhaltigkeitsbeirates zu bekennen. Sie wollen an der Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt mitwirken, statt gleich mutig die Erarbeitung einer behördenverbindlichen Strategie der gesamten Landesregierung in den Mittelpunkt ihrer Naturschutzpolitik zu stellen.

Mit der Ausgliederung der Landnutzung und der ländlichen Entwicklung aus dem Umweltministerium nehmen Sie der neuen Umweltministerin nicht nur jeden Gestaltungseinfluss auf die wichtigsten Natur- und Landschaftsnutzer, auf Landwirtschaft, Fischerei und Forst, Sie entziehen ihr zugleich den Zugriff auf die finanziellen und personellen Ressourcen, die

dieses Haus in den letzten Jahren überhaupt noch am Leben erhalten hat.

(Beifall GRÜNE/B90)

Frau Tack, ich beneide Sie nicht um die Übernahme dieses ausgeweideten Ressorts, aber ich sichere Ihnen jede Unterstützung unserer Fraktion bei der Bewältigung Ihrer schwierigen Aufgabe zu.

Wer heute einen Koalitionsvertrag sehen will - das klang hier schon an -, der die Zeichen der Zeit erkannt hat, der die Verbindung von Ökologie und Ökonomie zur fundamentalen Grundlage seiner Politik erklärt und diesen roten Faden auch von Anfang bis Ende durch seinen Koalitionsvertrag zieht, wer rasche Schritte zur ökologischen Modernisierung der Wirtschaft neben einer mutigen Schulpolitik in den Mittelpunkt seines politischen Handelns gestellt sehen möchte, der muss in das Saarland blicken. Es tut mir leid, das sagen zu müssen: Verglichen mit der hiesigen SPD ist die CDU im Saarland geradezu eine revolutionäre Truppe.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Verglichen damit ist Ihr Vertrag ein Dokument der Mutlosigkeit und Reformverweigerung. Aufbruch sieht anders aus.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Schauen wir zur Energiepolitik, zur Klimapolitik; kurz vor Kopenhagen ja nicht ganz verfehlt. Brandenburg ist nach wie vor das Bundesland mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß des Treibhausgases CO2 und wird dies nach diesem Koalitionsvertrag auch bis in die nächste Generation hinein bleiben.

(Bischoff [SPD]: Und Spitzenreiter bei regenerativen Energien!)

Wenn PIK-Chef Schellnhuber nun fordert, dass der CO2-Ausstoß ab sofort pro Jahr um 3 % sinken muss, wenn man nicht ab 2020 in eine weltweite „Kriegswirtschaft“ eintreten will, dann müssten wir in Brandenburg den CO2-Ausstoß bis zum Ende der Legislaturperiode bereits auf 50 Millionen Tonnen und bis 2020 auf 40 Millionen Tonnen gesenkt haben. Sie dagegen wollen bis 2020 den CO2-Ausstoß wieder auf den Stand von 1995 zurückfahren. Das bedeuten Ihre 55 Millionen Tonnen. Das bedeutet Ihre lächerlich niedrige Zielsetzung einer CO2-Reduzierung um 40 % gegenüber 1990. Im Energieteil findet sich kein einziges überprüfbares Teilziel für das Ende der Legislaturperiode. Noch schlimmer - da haben Sie sich geirrt, Frau Wanka -, die Prozentsätze sind vielleicht dieselben, aber klammheimlich hat man die Jahreszahlen verschoben. Klammheimlich haben Sie die Zielvorgaben der gültigen Energiestrategie 2020 für eine erweiterte CO2-Reduzierung bis 2030 um fünf Jahre nach hinten vertagt. Dabei hatte der von Ihnen als neu angekündigte Ausbau der erneuerbaren Energien sowieso schon keinen Neuigkeitswert. Jetzt fallen Sie sogar noch gegenüber der bereits unter Schwarz-Rot beschlossenen Energiestrategie 2020 zurück.

(Zuruf von der CDU: Auch noch!)

Auch das gehört zur Wahrheit: Ohne gleichzeitige Beschränkung der Braunkohleverstromung führt der lobenswerte Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zu weniger Kohle und

CO2, sondern nur zu mehr Strom, und der wird, wie heute auch schon, europaweit verkauft werden.

(Beifall GRÜNE/B90)

Zu behaupten, die SPD habe erfolgreich ihren Braunkohlekurs gegenüber der Linken durchgesetzt, wäre Euphemismus. Es ist noch viel schlimmer. Hieß es im SPD-Wahlprogramm noch, „neue Tagebaue wird es jedoch nur mit dem Einsatz der neuen, CO2-armen Technologie geben“, strebt die Koalition jetzt an, dass neue Braunkohlekraftwerke ab 2020 nur noch bei drastischer Reduktion des CO2-Ausstoßes genehmigt werden. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass nie die Frage war, ob angesichts bereits bestehender und weiter wachsender Überkapazitäten im Grundlastbereich neue Braunkohlekraftwerke mit oder ohne CCS ab sofort oder erst ab 2020 gebaut werden sollen, sondern ob mit einem planungsrechtlichen Verbot neuer Tagebaue der Energiewirtschaft die Unausweichlichkeit einer neuen Energiepolitik deutlich gemacht wird. Das Bemerkenswerte daran ist: Die genannte Zielsetzung, die sich im Koalitionsvertrag findet, hat nicht das Geringste mit dem SPD-Wahlprogramm oder dem Programm der Linken zu tun. Man fragt sich also, wessen Handschrift hier in den Koalitionsvertrag hineingekommen ist.