Protokoll der Sitzung vom 18.12.2002

Zu behaupten, die SPD habe erfolgreich ihren Braunkohlekurs gegenüber der Linken durchgesetzt, wäre Euphemismus. Es ist noch viel schlimmer. Hieß es im SPD-Wahlprogramm noch, „neue Tagebaue wird es jedoch nur mit dem Einsatz der neuen, CO2-armen Technologie geben“, strebt die Koalition jetzt an, dass neue Braunkohlekraftwerke ab 2020 nur noch bei drastischer Reduktion des CO2-Ausstoßes genehmigt werden. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass nie die Frage war, ob angesichts bereits bestehender und weiter wachsender Überkapazitäten im Grundlastbereich neue Braunkohlekraftwerke mit oder ohne CCS ab sofort oder erst ab 2020 gebaut werden sollen, sondern ob mit einem planungsrechtlichen Verbot neuer Tagebaue der Energiewirtschaft die Unausweichlichkeit einer neuen Energiepolitik deutlich gemacht wird. Das Bemerkenswerte daran ist: Die genannte Zielsetzung, die sich im Koalitionsvertrag findet, hat nicht das Geringste mit dem SPD-Wahlprogramm oder dem Programm der Linken zu tun. Man fragt sich also, wessen Handschrift hier in den Koalitionsvertrag hineingekommen ist.

Wenn wir über Klimapolitik reden, dann sage ich auch Folgendes: Die freudige Botschaft des vergangenen Wochenendes war: Frau Merkel muss sich in Kürze einen neuen Klimaflüsterer und unser Ministerpräsident einen neuen Kohlekumpel suchen. Für die Entlassung von Lars Joseffson durch die schwedische Reichsregierung war nicht nur seine Atompolitik ursächlich, nein, die schwedische Wirtschaftsministerin hat ausdrücklich bemängelt, dass Vattenfall die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen zu halbherzig betrieben habe und - ich zitiere aus der „SZ“ -:

„Vattenfall konzentriert sich außerhalb Schwedens auf fossile Brennstoffe wie Kohle, zum Beispiel in der Lausitz. Auch dafür sei Joseffson verantwortlich“,

so die Ministerin. Ich denke, dieser Personalwechsel ist nicht nur eine zeitverzögerte Fernwirkung des von der Linken, den Umweltverbänden und uns gemeinsam betriebenen Volksbegehrens gegen neue Tagebaue für eine neue Energiepolitik. Er eröffnet uns auch Chancen für eine grundsätzliche Umorientierung der Energiepolitik in Brandenburg. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall GRÜNE/B90)

Es ist traurig, aber wahr, wenn die Lausitz vor dem „Verheizen“ gerettet werden soll - „Verheizen“ ist der richtige Begriff, denn zwei Drittel der in der Braunkohle steckenden Primärenergie wird als Abwärme in die Luft und in die Gewässer abgegeben -, dann retten uns eher die Schweden oder eine ambitionierte Klimaschutzpolitik der EU als das Vertrauen auf Änderung in der Landespolitik.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wenn nicht der neue Vattenfallchef jetzt aufgrund besserer Einsicht seine Anträge zurückzieht oder gar nicht erst stellt, dann wird - das ist die Realität, Herr Christoffers - die Genehmigung neuer Tagebaue in Ihrer Verantwortung noch vor 2014 unvermeidlich.

Ich bin gespannt, wie Sie mit dem Danaergeschenk des Bundes umgehen werden, die Entscheidung über Zulassung oder Verzicht auf eine CO2-Verpressung allein den Ländern zu überlassen. Wir jedenfalls werden unseren Teil dazu beitragen, dass die Entscheidung hierzulande nicht anders ausgeht als in Schleswig-Holstein.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wer über Wirtschaftspolitik redet, sollte zunächst einmal die Grundlagen richtig beschreiben. Bei Ihnen heißt es - und es klang auch in Ihrer heutigen Rede wieder so an -:

„Brandenburg ist eine Wirtschaftsregion auf industrieller Grundlage und soll auch in Zukunft ein Industrieland bleiben.“

Ist Ihnen da vielleicht irgendetwas entgangen? Ein rechtzeitiger Blick in den Jahreswirtschaftsbericht 2009 hätte da vielleicht geholfen. Ihm können Sie auf Seite 13 nicht nur entnehmen, dass die Industrieproduktion nur einen untergeordneten Anteil an der brandenburgischen Wertschöpfung ausmacht und damit genauso wie der Besatz mit Industriebetrieben weit unter dem bundesdeutschen und auch ostdeutschen Durchschnitt liegt, sondern es wird auch wörtlich beklagt, dass der geringe Industriebesatz sich auf das gesamte Wirtschaftswachstum im Lande Brandenburg auswirkt. Ich denke, in der Fehldefinition Brandenburgs als Industrieland kommt die klassische sozialdemokratische Verherrlichung der Großindustrie als zentrales Aktionsfeld traditioneller linker Wirtschaftspolitik zum Ausdruck.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

Nein, Brandenburg ist unverändert und wird hoffentlich auch auf Dauer ein Land der Klein- und Mittelbetriebe, ergänzt um einige Industriebetriebe, sein, ein Land des Handwerks und des Dienstleistungssektors in einer vielfältigen und damit stabilen Unternehmenslandschaft. Diese zu fördern und zu pflegen sollte die erste Aufgabe Brandenburger Wirtschaftspolitik sein.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt bei der CDU)

In Ihrer Koalitionsvereinbarung findet sich der schöne Satz:

„Der im Land betriebene Kurs der Erneuerung aus eigener Kraft ist richtig und soll energisch weitergeführt werden.“

Haben Sie da vielleicht wieder etwas übersehen? Ist es nicht vielmehr so, dass der Landeshaushalt bis heute immer noch fast zur Hälfte aus Mitteln der EU und des Bundes aus dem Solidaritätsbeitrag und dem Länderfinanzausgleich finanziert wird? Gibt es überhaupt irgendein nennenswertes Förderprogramm, das rein aus Landesmitteln und nicht aus der GAK oder den europäischen Fonds finanziert wird? Haben Sie nicht die Komplementärfinanzierung aus EU- und GAK-Mitteln so auf die Spitze getrieben, dass mitunter überhaupt kein Landesanteil mehr aufgebracht werden muss? Ist nicht der gesamte Osten unverändert eine Transferökonomie, die nach Berechnungen der Wirtschaftsforschungsinstitute mit 80 bis 90 Milliarden Euro pro Jahr im Wesentlichen über die Zuflüsse aus den westdeutschen Bundesländern in das Sozialsystem am Leben gehalten wird? Statt hier eine nicht vorhandene eigene Kraft zu

beschwören, sollten wir uns lieber Gedanken machen, wofür wir das uns nur noch befristet zufließende Geld einsetzen wollen, um diese eigene Kraft überhaupt erst einmal zu schaffen. Wofür wollen wir angesichts der zum Ende der Legislaturperiode auslaufenden Programme der EU unsere Fördermittel noch einsetzen? Wie sichern wir eine Mehrfachnutzung der weniger werdenden Mittel?

Mutig wäre es, in der Wirtschaftsförderung jetzt vollständig auf rückzahlbare Zuschüsse umzusteigen. Richtig wäre es, im Ergebnis der Finanzkrise den absoluten Schwerpunkt auf die Sicherstellung der Kreditvergabe an heimische Unternehmen zu legen. Richtig wäre es, einen Ideenwettbewerb der Regionen um die besten Ansiedlungsprojekte zuzulassen. Mutig wäre es, die Fördermittelvergabe zu dezentralisieren. Angesichts der weltweiten Überbeanspruchung der Rohstoffvorräte wäre es zudem wichtig, neben der Einführung von sozialen Anforderungen ressorcenschonende und energieeffiziente Produktionsverfahren zum zentralen Kriterium der Wirtschaftsförderung zu erheben. Dies wäre wirklich überfällig. Denn nur mit dem konsequenten Kurs eines Programms der ökologischen und sozialen Modernisierung lassen sich Arbeitsplätze schaffen und die Auswirkungen des Klimawandels begrenzen.

Stattdessen verbleibt man im Klein-Klein des Stärken-stärkenKonzepts. Dabei sollte jedem in der aktuellen Wirtschaftskrise deutlich geworden sein, dass die einseitige Ausrichtung der Wirtschaftsförderung auf die räumliche Konzentration einzelner Branchen in Wirklichkeit ein Schwächen-schaffen-Konzept gewesen ist. Die Diversifizierung macht Standorte stabil, nicht der Aufbau wirtschaftlicher Monostrukturen.

Mit der längst überfälligen Abschaffung der früher bejubelten Branchenschwerpunktorte wird von der Landesregierung nun ein überfälliger Schritt vollzogen, um sofort in die falsche Richtung weiterzumarschieren. In Zukunft sollten die Fördermittel auf weniger Branchen und möglicherweise auch weniger regionale Wachstumskerne konzentriert werden. Damit behalten Sie die Unterteilung des Landes in förderwürdige Wachstumsregionen und abgehängte Regionen bei und verschärfen dies auch noch. Fast ganz Brandenburg ist ländlicher Raum, aber es ist nicht erkennbar, wo dieser ländliche Raum in dieser Regierung noch irgendwelche Fürsprecher hat. Das ist nicht mutig. Das ist auch keine Reform. Das ist ein weiterer Beitrag zu einer fortgesetzten Entleerung der ländlichen Räume.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

Brandenburg soll kein Billiglohnland sein. Bravo! Darüber, dass die SPD in der alten Koalition ihren Beitrag geleistet hat, dass es genauso gekommen ist, wollen wir einmal hinwegsehen.

(Görke [DIE LINKE]: Es sei ihr verziehen! Ab jetzt wird es besser!)

Daher möchte ich das von Ihnen geplante Vergabegesetz und die Forderung nach einem bundesweiten Mindestlohn auch als Schritt in die richtige Richtung sehen. Aber wieso schweigen Sie sich über die Höhe des Mindestlohns aus? An welchen Mindestlohn wollen Sie denn Ihre Vergaberichtlinie knüpfen? 7,50 Euro oder die tarifvertraglich geregelten Mindestöhne? Dann wird es auch weiterhin so sein, dass Wachdienste, die für

das Land tätig sind, den Grundlohn von 5 Euro pro Stunde zahlen. Das darf nicht sein.

(Görke [DIE LINKE]: Das ist auch nicht mehr so. Da sind Sie einfach falsch informiert!)

Ich denke, dieser Politik des Sparens auf Kosten Dritter sollte auf jeden Fall ein Riegel vorgeschoben werden.

Wenn man in diesem Programm einen Schwerpunkt sucht, dann wird man ihn im Stellenabbau im öffentlichen Dienst finden. Hier werden Stellenzielzahlen als politische Zahlen vorgegeben: Im Jahr 2014 sollen noch 45 500 Stellen im öffentlichen Dienst des Landes verbleiben. Ob damit die Aufrechterhaltung des Bildungssystems, eine funktionierende Polizei, die Lebensmittelüberwachung, eine funktionierende Umweltverwaltung oder Justiz noch möglich sind, darüber wird kein Wort verloren. Statt zunächst einmal kritisch zu analysieren, welche Aufgaben der Staat in Zukunft noch wahrnehmen soll, werden politische Zielzahlen dekretiert.

Bereits heute hat das Land Brandenburg die niedrigsten Personalausgaben pro Einwohner, und dies wird sich auch nach der überfälligen Ost-West-Angleichung zum 1. Januar nur unwesentlich ändern. Im allgemeinen Rennen der Länderfinanzminister um den niedrigsten Personaletat sind wir nach einer Aufstellung der Bremer Finanzsenatorin der Kostenführer im Benchmark geworden. Das mag man als Erfolg feiern.

Wir sagen auch nicht, dass es keine Einsparmöglichkeiten in den Personalhaushalten mehr geben soll. Die Personalplanung muss berücksichtigen, dass Brandenburg pro Jahr gegenwärtig die Einwohnerschaft einer Kleinstadt verliert. Verwaltungsstrukturen müssen diesem Prozess angepasst werden, aber bitte nicht über politische Zielzahlen, für die es keine Grundlage gibt, sondern in einem aufgabenkritischen Prozess unter Einbeziehung der Betroffenen. Hier wollen wir gern Unterstützung leisten.

(Beifall GRÜNE/B90)

Kommen wir zum scheinbar Positiven. Die Zahl der gemeldeten Erwerbslosen ist in den letzten fünf Jahren um rund 100 000 gesunken. Seltsam nur, dass im gleichen Zeitraum die Zahl der Beschäftigten um nur 20 000 gestiegen ist. Noch seltsamer: In mehreren Kreisen Brandenburgs ist die Erwerbslosenquote massiv zurückgegangen, während die Zahl der Arbeitsplätze genauso massiv gesunken ist. So ist im Landkreis Spree-Neiße die Erwerbslosenquote um 7 % gesunken, während die Zahl der Arbeitsplätze gleichzeitig um 5 000 zurückgegangen ist. Wie erklärt sich dieses Wunder?

Zum einen schlägt der Generationswandel hier schon voll durch. Es scheiden wesentlich mehr Menschen aus dem Arbeitsleben aus, als Schulabgänger und Hochschulabsolventen nachkommen. Zum anderen wirken sich die langen Jahre der Abwanderung mobiler und besser gebildeter Einwohner aus. Als Drittes ist es der Zuzug im Berliner Umland. Wer dort sein neues Einfamilienhaus bezieht, behält zumeist auch seinen Arbeitsplatz und pendelt täglich nach Berlin. Der Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung wird im Ergebnis dieses demografischen Wandels auch in den nächsten Jahren unvermeidlich weitergehen und den bereits einsetzenden Fachkräfte

mangel dramatisch verschärfen. Nachdem in den letzten Jahren jeder neunte Jugendliche, das heißt Zehntausende von jungen Erwachsenen, die Schule ohne Abschluss verlassen hat, muss der Schwerpunkt aktiver Arbeitsmarktpolitik bei deren Nachqualifizierung gesetzt werden und nicht bei der Auflage eines zweiten Arbeitsmarktes, dessen Finanzierung in den Sternen steht.

(Vereinzelt Beifall)

Egal, ob junger Hilfsarbeiter oder älterer Erwerbsloser, wir benötigen eine umfassende Qualifizierungsoffensive, um den zukünftigen Personalbedarf unserer Betriebe decken zu können. Der Fachkräftemangel ist keine Fiktion, sondern wird in dieser Legislaturperiode voll auf die Betriebe durchschlagen. Deshalb: Sparen Sie sich das Geld für den zweiten Arbeitsmarkt. Konzentrieren Sie sich auf Qualifizierungsmaßnahmen. Wenn wir unseren Staatshaushalt jemals in den Griff bekommen wollen, brauchen wir Beschäftigte, die eigenes Geld verdienen und nicht von öffentlichen Mitteln abhängig sind.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ich schließe: „Gemeinsinn und Erneuerung“ haben Sie Ihr Programm genannt, viel Lyrik aufgeschrieben, aber wenig neue Inhalte formuliert. Soziale Gerechtigkeit haben Sie als Schwerpunkt Ihrer Politik deklariert; das ist nicht nur für eine rot-rote Regierung, sondern für jede Regierung heutzutage - so sollte man meinen - eine Selbstverständlichkeit.

Wir als Bündnisgrüne sind nicht primär darüber enttäuscht, dass Sie keine klassische grüne Politik machen, dass Sie dem Umwelt- und Naturschutz in Ihrem Programm weniger Platz einräumen als der Ausstattung der freiwilligen Feuerwehren. Ein Mehr an Naturschutzgebieten, neue Artenschutzprogramme oder gar die Abkehr von der Verfolgung der Kormorane und Elstern haben wir von Ihnen auch gar nicht erwartet.

Wir sind aber darüber entsetzt, dass Sie für das Fortbestehen unserer Zivilisation entscheidende Themen der nachhaltigen Entwicklung unter „ferner liefen“ dem Umweltkapitel zuordnen, statt Nachhaltigkeit als zentralen Ansatz einer zukunftsfähigen Politik von der ersten Seite an als zentralen Leitgedanken zu formulieren und als roten Leitfaden durch Ihr gesamtes Programm laufen zu lassen.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Wir sind enttäuscht darüber, dass die dringend notwendige Erneuerung nicht stattfindet, sondern der Kleinmut wieder einmal gesiegt hat. Wir Bündnisgrünen stecken deswegen nicht auf. Wir werden die Arbeit der neuen Landesregierung kritisch und konstruktiv begleiten. Wir werden Handlungsalternativen aufzeigen, auf Defizite aufmerksam machen und Ansätze unterstützen, die die ökologische Modernisierung des Landes vorantreiben und soziale Teilhabe und Chancengerechtigkeit zum Ziel haben.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Wahl uns Bündnisgrünen in diesen Landtag haben die Wählerinnen und Wähler uns beauftragt, unsere grundlegenden Alternativen zur herrschenden Landespolitik zu entwickeln und vor Ihnen auszubreiten. Damit ist Ihnen zugleich die Chance gegeben, unseren Gedanken und Vorschlä

gen in den nächsten fünf Jahren nicht nur zuzuhören, sondern das Gehörte auch zu prüfen, abzuwägen und in die Tat umzusetzen. Nutzen Sie diese Chance!

(Beifall GRÜNE/B90, SPD und DIE LINKE sowie der Ab- geordneten Frau Prof. Dr. Wanka und Senftleben [CDU])

Das Wort erhält noch einmal die CDU-Fraktion. Frau Prof. Dr. Wanka, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur kurz: Frau Kaiser, Rollenwechsel ist nicht einfach, ganz eindeutig!

(Hört, hört! und Gelächter bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)