Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

Minister Rupprecht hatte zu Anfang der Legislaturperiode zur Chefsache erklärt, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss reduzieren zu wollen. Genau das täte man mit guter inklusiver Beschulung. Passiert ist wenig, und jetzt geht sogar wohl der Anspruch unter der allradgetriebenen Macht der Sparbeschlüsse unter. Wir sind gespannt, mit wie viel PS die neue Ministerin das Thema fährt. Allerdings muss ich ehrlich sagen: Die Antwort auf die heute früh gestellte Frage nach der Zukunft der Förderschule in Guben, wo die Möglichkeit inklusiver Beschulung überhaupt nicht einbezogen wurde, hat mir nicht sehr viel Mut gegeben.

(Beifall GRÜNE/B90)

Frau Abgeordnete von Halem, Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.

Für die Landesregierung spricht Ministerin Münch.

Ministerin für Bildung, Jugend und Sport Dr. Münch

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass vieles von dem, was wir in dieser Debatte gehört

haben, dem Grundthema, um das es uns geht, nämlich die Inklusion, höchst unangemessen ist. Da beziehe ich ausdrücklich Ihren Beitrag am Schluss ein, Frau von Halem. Ich weigere mich, auf eine solche Frage zu antworten. Das, was unser Problem ist, hat sich auch in dieser Debatte gezeigt: Zum großen Teil ein diffuses Gefühl von Panikmache, Angstmache, Fehlinformationen und Missverständnissen. Das ist nicht der richtige Weg, mit dem Thema Inklusion umzugehen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf brauchen verstärkt unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung, und wir werden auch in Zukunft unseren Beitrag dazu leisten. Aber die Fokussierung auf den Lernort Förderschule ist dabei zu kurz gegriffen, und ich weiß nicht, woher Sie Ihre Behauptung nehmen, dass die Förderschulen Spaßnahmen zum Opfer fielen.

Wir brauchen allerdings innovative und an den Bedürfnissen der behinderten Kinder und Jugendlichen ausgerichtete Förderstrategien. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen leitet einen gesellschaftlichen Perspektivwechsel ein, und ich habe den Eindruck, der ist partiell im Parlament noch nicht angekommen.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Ja, richtig! Gott sei Dank!)

Die UN-Konvention geht davon aus, dass jeder Schüler und jede Schülerin ein uneingeschränktes Recht auf Beschulung in einer allgemeinen Schule hat. Das ist richtig, Frau von Halem, aber unsere allgemeinen Schulen sind in der Regel nicht darauf eingestellt, und deswegen geht es auch nicht, einfach zu sagen: Lasst uns doch einfach mal planen - wir legen die Förderschule mit der Grundschule zusammen.

Frau Ministerin Dr. Münch, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ich möchte erst einmal weitersprechen. - Mit dieser Zielstellung erarbeiten wir einen mittelfristigen Entwicklungsplan für das Land Brandenburg zur schulischen Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dieser ist Teil des Maßnahmenplans der Landesregierung zur Inklusion und wird die Schuljahre 2011/12 bis 2019/20 umfassen. Die allgemeinbildenden Schulen sind aufgefordert, sich zu einer inklusiven Schule zu entwickeln, und da brauchen wir noch sehr viele Schritte. Diese Schulen brauchen eine Willkommenskultur, wie wir überall in der Gesellschaft eine Willkommenskultur für Menschen brauchen, die irgendwie anders sind als das, was wir als normal definieren. Vielfalt muss als positives Element erlebt werden.

Wir haben hervorragende Beispiele im Land, wo es tatsächlich funktioniert, und das sind die Leuchtsterne, die wir jetzt auch schon haben: genau diese Schulen, die auf diesem Weg schon vorangekommen sind. Dort gibt es eine ganze Menge, was wir lernen können. Wir müssen lernen, auf individuelle Unterschiede aller Kinder einzugehen, nicht nur auf Kinder mit besonderem Förderbedarf. Es geht darum, eine Schule für alle zu werden. Die sonderpädagogische Kompetenz an den allgemein

bildenden Schulen wird verstärkt. Verpflichtende Fortbildungsangebote und Fachtagungen werden auch den Lehrkräften von allgemeinbildenden Schulen helfen und dabei unterstützen, diese Schule für alle umzusetzen.

Der Bedarf an sonderpädagogisch qualifizierten Lehrkräften wird kontinuierlich durch Einstellung und Ausbildung von Lehrkräften gedeckt. Das Wissenschaftsministerium und die Universität Potsdam reden sehr intensiv und sind kurz davor, hinsichtlich der erneuten Aufnahme eines Studiengangs Sonderpädagogik tatsächlich zu Beschlüssen zu kommen. Natürlich spielt der Bereich der inklusiven Pädagogik für alle Lehrkräfte eine sehr große Rolle, denn darum geht es ja. Wir sollten uns nicht weiter leisten, wie in keinem anderen Land der Welt - Frau von Halem hat das ja zitiert -, ganz frühzeitig Kinder auszusondern, sie damit zu stigmatisieren und ihnen die Chance zu nehmen, einen adäquaten Schulabschluss, einen adäquaten Berufsabschluss zu erlangen und im Grunde ihren Lebensweg dadurch vorzubahnen. Das ist der falsche Weg. Und dass Brandenburg im bundesweiten Vergleich noch schlechter dasteht als andere Länder, ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Hier ist es höchste Zeit umzusteuern. Es geht darum, die Kinder fach- und sachgerecht zur Überwindung von Barrieren zu versorgen. Es geht um die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben durch die Ermöglichung uneingeschränkten Lernens in unseren allgemeinbildenden Schulen. Und wir müssen natürlich in diesem Zusammenhang auch über die künftige Rolle der Förderschulen nachdenken. Ziel unserer Bemühungen ist die Verbindung der notwendigen sonderpädagogischen Förderung aller Kinder, die dies tatsächlich brauchen, mit einer möglichst wohnortnahen Beschulung. Das MBJS hat hierzu bereits Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden als den Schulträgern und dem zuständigen Dezernenten der Landkreise und kreisfreien Städte aufgenommen.

Lassen Sie mich noch kurz auf die Schulabschlüsse eingehen; auch das wurde bereits erwähnt. Die Kultusministerkonferenz hat in ihrer Plenarsitzung im Juni 2009 in Stralsund ihren Beschluss bekräftigt, die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss bis 2012 wenn möglich zu halbieren. Diese Aussage bezieht sich ausdrücklich auf den durch nationale Bildungsstandards abgesicherten Hauptschulabschluss. Darum geht es, meine Damen und Herren. Die Maßnahmen, die die Landesregierung eingeleitet hat, umfassen alle diese Punkte. Wir werden sie selbstverständlich mit allen im Bildungsbereich beteiligten Akteure und den Betroffenen intensiv diskutieren. Das ist der richtige Weg hin zu Inklusion.

Den Antrag der CDU-Fraktion, der uns heute vorliegt, brauchen wir dafür in dieser Form nicht. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Ministerin Dr. Münch. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion fort. Herr Abgeordneter Hoffmann hat noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst, Frau Ministerin, glaube ich, es geht hier nicht um Panikmache, sondern um das, was wir in der Praxis jeden Tag schon jetzt erle

ben: dass es kaum noch möglich ist, erste Klassen in Förderschulen einzurichten, dass die wenigen ausgebildeten Sonderpädagogen von den Förderschulen abgezogen werden und man sich dann wundert, dass die Qualität dort vielleicht nicht mehr der entspricht, die wir haben wollen.

(Beifall CDU)

Herr Günther, es verlangt ja niemand, dass alle Überflieger sein müssen; aber was haben Sie denn nicht begriffen? Zum Ersten habe ich ein ganz klares Bekenntnis zur Behindertenrechtskonvention vorgetragen. Das habe ich extra gesagt, um Missverständnissen vorzubeugen. Wir haben gesagt, dass das ein langer Prozess ist; das sagt auch Frau Wöllert. Sie sagt, dass das nicht in ein, zwei Jahren gelingen kann. Wir haben nur gesagt: Wir müssen uns auch um die Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in dieser Zeit kümmern, und wir müssen dafür sorgen, dass sie in dieser Zeit entsprechende Förderung erhalten. Wir können nicht einfach, weil wir vielleicht irgendwann ein inklusives Bildungssystem bekommen, jetzt schon sagen: Wir schwächen die Förderschulen und untergraben damit im Prinzip die Möglichkeit, den Kindern...

(Frau Lehmann [SPD]: Wer sagt denn das?!)

- Schauen Sie in die Förderschulen, dann sehen Sie, was dort los ist.

Zur Sache mit den Abschlüssen, Herr Günther: Warum wundern Sie sich eigentlich nicht, dass relativ wenige Oberschüler das Abitur machen? Sie verlangen von der allgemeinen Förderschule das, was Sie von keiner anderen Schulform, was Sie auch von keiner Förderschule verlangen, nämlich dass sie im Laufe der Schulzeit die Behinderungen der Schüler ausgleichen. Die Kinder an der Förderschule sind ja nicht ohne Grund dort. Sie sind dort, weil sie eine speziell auf sie zugeschnittene Förderung brauchen.

(Frau Wöllert [DIE LINKE]: Sie haben es nicht verstan- den!)

- Frau Wöllert, es ist nun einmal so, dass wir dafür extra Förderschulen haben, weil man dort gezielt auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen kann.

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter Hoffmann, lassen Sie eine Frage des Abgeordneten Günther zu?

Bitte, Herr Günther.

Herr Hoffmann, ich tue das nur selten, weil ich dem redenden Kollegen gern in Gänze zuhöre.

Ich möchte nur, dass Sie mir bestätigen, was Sie eben gesagt haben: Auf der einen Seite gibt es wenig Kinder, die an der Oberschule das Abitur ablegen. Sie haben das damit in Verbindung gebracht, dass ich sagte, dass 96 % der Kinder einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen gar keinen Abschluss erlangen. Ist diese Aussage so korrekt, haben Sie diese Aussage wirklich so getroffen?

Ich kann Ihrer Frage jetzt nicht ganz folgen. Zunächst muss man sagen: Dass die Schüler an Förderschulen überhaupt keinen Abschluss erhalten, ist Unsinn. Natürlich bekommen sie einen Förderschulabschluss. Das ist kein bundesweit anerkannter Hauptschulabschluss, aber natürlich bekommen sie einen Abschluss und sind mit diesem Abschluss auch befähigt, verschiedene Berufsausbildungen zu machen. Das können Sie doch nicht wegdiskutieren!

(Beifall CDU)

Wir wollen, dass wir uns dafür einsetzen, dass auch Förderschüler, die es nicht so leicht haben, die trotzdem ihre Potenziale ausreizen, die sich ganz große Mühe geben und im Rahmen ihrer Möglichkeiten tolle Leistungen vollbringen, die Möglichkeit haben, einen bundesweit anerkannten Hauptschulabschluss zu bekommen.

(Beifall CDU)

Es ist doch wirklich ein Irrglaube, zu sagen: Wir haben viele Förderschüler, die keinen Hauptschulabschluss bekommen, und wir wollen sie alle ins Regelschulsystem bringen, denn dort bekommen sie automatisch einen Schulabschluss. - Das ist doch realitätsfern. Wir wollen, dass wir uns dafür einsetzen, dass Förderschüler in Zukunft einen bundesweit anerkannten Hauptschulabschluss bekommen.

Herr Abgeordneter Hoffmann, lassen Sie eine Frage des Abgeordneten Krause zu?

Ich wollte nur kurz nachfragen, ob Ihnen bekannt ist, dass der Kreisverband Ihrer Partei in der Uckermark einen anderen Weg beschreitet und dort mit uns, mit der FDP und der SPD nicht der Meinung ist, wie Sie sie vertreten, dass es ein Irrglaube sei, anzunehmen, dass es zu Erfolgen führen kann, wenn man die gesamte Schülerschaft gemeinsam unterrichtet und zum Beispiel in Angermünde die Förderschule schließt, um die Kinder an der städtischen Schule gemeinsam zu unterrichten.

Herr Krause, ich habe überhaupt nicht gesagt, dass es ein Irrglaube sei, anzunehmen, dass das dazu führen kann. Ich habe nur gesagt, es sei ein Irrglaube, anzunehmen, dass es automatisch passiert, wenn wir Schüler mit erhöhtem Förderbedarf ein

fach in die Regelschule schicken, ohne dass wir dort für die entsprechende Ausstattung sorgen. Genau das ist es, was wir täglich erleben. Eben das wollen wir nicht. Deshalb sagen wir: Bis wir ein inklusives Bildungssystem haben, müssen wir auch Sorge für die Förderschulen tragen. Dieser Aufgabe kommen Sie nach unserer Meinung bis jetzt nicht entsprechend nach. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall CDU)

Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/2938, eingereicht von der CDU-Fraktion, „Förderschulen als Bestandteil unseres Bildungssystems achten“. Wer diesem Antrag Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist diesem Antrag nicht Folge geleistet worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 14 und rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Mehr Schulpsychologinnen und Schulpsychologen im Land Brandenburg

Antrag der Fraktion der FDP der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN