Protokoll der Sitzung vom 31.08.2011

Wir haben ein klares Konzept, wie Sie die weitere Entwicklung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Brandenburg aktiv gestalten und zu einem Gewinn für erwerbsfähige Brandenburger und erwerbsfähige polnische Bürger machen möchten. Unser Konzept beinhaltet drei Entwicklungsstränge, welche parallel gefördert werden müssen. Wir benötigen - erstens - auf Grundlage bestehender Daten der Arbeitsagenturen und Statistikämter des Landes und der polnischen Woiwodschaften eine gemeinsame grenzübergreifende Arbeitsmarktstatistik, welche die Entwicklung und Defizite auf den nationalen Arbeitsmärkten auflistet. Eine solche Statistik ist notwendig, um die schrittweise Harmonisierung der gegenwärtig getrennten Arbeitsmärkte anhand valider Daten auch begleiten und gegebenenfalls Korrekturen in den Arbeitsmarktpolitiken vornehmen zu können.

Parallel dazu muss ein Fachkräftepanel aufgebaut werden, auf welchem der aktuelle Fachkräftebedarf, freie Stellen sowie die zu deren Besetzung an die Bewerber gestellten Anforderungen dargestellt werden. Dies ermöglicht sowohl für Initiativbewerber als auch für die Arbeitsagenturen einen besseren, ja vereinfachten Überblick über offene Stellen.

Herr Dr. Bernig, Sie haben davon geredet, dass wir hier eine Kultur des Willkommens schaffen müssen. Ich gebe Ihnen da absolut Recht. Aber fangen wir doch auch damit an, zum Beispiel, indem wir die polnische Sprache stärken. Sie muss in der Aus- und Weiterbildung gestärkt werden. Wir leben doch in dieser Grenzregion, und so, wie der bilinguale Austausch an der deutsch-französischen Grenze völlig selbstverständlich ist, so muss er auch in Brandenburg zur Normalität werden.

Ich glaube im Übrigen - weil ich gerade „deutsch-französische Grenze“ gesagt habe -, dass es noch einen Schritt weitergehen muss und eine gemeinsame Landesentwicklung - da guck ich mal den Infrastrukturminister an -, auch grenzüberschreitend, geben sollte. Die Region rund um Freiburg, Basel und die französische Region machen uns das sehr gut vor. Das wäre auch ein Modellprojekt für eine Region hier in Brandenburg. Ich glaube, an der Stelle, Herr Minister Vogelsänger, könnten wir gut zusammenarbeiten und da auch weiterarbeiten.

(Minister Vogelsänger: Nicht nur da!)

- Nicht nur da, das ist ja in Ordnung. Wir wollen uns ja nicht gleich komplett umarmen.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Wir fordern deshalb von der Landesregierung, endlich ernst zu machen mit der Intensivierung des kulturellen Austauschs zwischen Brandenburg und seinen östlichen Nachbarn und endlich das, was Sie im Koalitionsvertrag verankert haben - ein Mehrsprachigkeitskonzept -, zu entwickeln.

Nicht zuletzt muss dort, wo Arbeitnehmer und Arbeitgeber aktiv sind, auch die öffentliche Verwaltung ihren Beitrag zum Gelingen eines gemeinsamen Arbeitsmarktes leisten. Interkulturelle Kompetenz, also die Fähigkeit, mit kulturellen Unter

schieden und gegebenenfalls damit verbundenen Problemen umzugehen, ist der Schlüssel, wenn die Verwaltung die Entwicklung am Arbeitsmarkt fördernd begleiten und nicht zu deren Bremsklotz werden soll.

Wir wissen auch, dass die Ausgestaltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht innerhalb von ein oder zwei Jahren möglich sein wird. Das wird ein Prozess sein, der deutlich länger dauert. Wir sind aber überzeugt davon, dass unser Konzept deutlich besser dafür geeignet ist, den Prozess der europäischen Integration auf dem Arbeitsmarkt zu steuern, als Sie es mit Ihren Vorschlägen hier heute gemacht haben. - Vielen Dank.

(Beifall FDP sowie vereinzelt CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort, für die Frau Abgeordnete Nonnemacher spricht.

Na, so der ganz große Renner scheint das heute Abend nicht mehr zu sein.

Frau Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der befürchtete Massenansturm osteuropäischer Arbeitskräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt ist ausgeblieben. Das ist das Kurzresultat der seit Mai 2011 geltenden uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nach Deutschland kamen ab Mai 2011 lediglich 24 000 Zuwanderer aus Osteuropa. Am liebsten gingen die gutqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Bayern oder Baden-Württemberg, auch nach Nordrhein-Westfalen. Laut Bundesagentur für Arbeit blieben in Brandenburg nur 1 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, 800 Arbeitskräfte in geringfügige Beschäftigung, lediglich 400 nahmen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Brandenburg an; Herr Dr. Bernig hat die Zahlen soweit auch schon mitgeteilt.

Mit einem Massenansturm war nach der vorausgehenden Abschottungspolitik auch nicht zu rechnen. Seit 2004 zog es qualifizierte Fachkräfte eher nach Schweden, Irland und Großbritannien. Diese Länder hatten ihre Grenzen komplett geöffnet. Sie schützten von Anfang an ihre einheimischen und zugewanderten Beschäftigten vor Lohndumping und ihre Unternehmen vor unfairen Wettbewerbsverhältnissen.

Die Übergangsfristausschöpfung bis zum letzten Tag zeigte zuwanderungswilligen Fachkräften das Stopp-Signal: Nein, ihr seid hier nicht willkommen. - Brandenburg ist von einer Willkommenskultur meilenweit entfernt und hat die Gestaltung dieser Willkommenskultur in den letzten Jahren einfach verschlafen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Auch im Wettbewerb um die jungen Köpfe konnte Brandenburg nur wenige polnische Jugendliche für eine betriebliche Ausbildung gewinnen. Dabei hatten wir noch Glück, denn im Bereich der IHK Cottbus beteiligten sich immerhin 80 Jugendliche an einem Praktikantenprogramm, das von polnischen Schulen durchgeführt wurde. Für das kommende Lehrjahr

registrierten sich bisher nur 19 Jugendliche aus Polen, um ihre Lehre in Brandenburg anzutreten.

Wir müssen mit viel Sensibilität und Behutsamkeit um diese Jugendlichen aus Polen werben, denn auf der polnischen Seite gibt es natürlich Sorge, dass Brandenburg sein Fachkräfteproblem auf Kosten der polnischen Seite lösen will. Hier müssen die Grenzen in den Köpfen noch sehr viel durchlässiger werden - in beide Richtungen. Dazu benötigen brandenburgische Unternehmen und Behörden Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter mit Polnischkenntnissen. An Sprachkompetenz fehlt es; die Sprachbarriere ist ein großes Problem. Deshalb setzt sich auch die erwähnte „Frankfurter Erklärung“ vom Januar 2011 für den Abbau von Sprachbarrieren ein. Auch Projekte an Kitas und Hochschulen sollen gefördert werden; Papier ist ja geduldig. In praxi ist es nicht so leicht, Polnisch zu lernen. An der VHS Potsdam und im Bildungszentrum der IHK wird kein Polnischkurs angeboten. Auf unsere Anfrage wird angeraten, sich doch besser in Berlin oder Frankfurt (Oder) um ein Kursangebot zu bemühen.

Im vorliegenden Antrag ist von der interkulturellen Kompetenz bis zum obligatorischen branchenübergreifenden Mindestlohn jetzt aber fast jeder Gedanke zur Förderung von Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit im westpolnischbrandenburgischen Wirtschaftsraum enthalten. Jahrelang haben die SPD und große Teile der Gewerkschaft auf der Bremse gestanden und sind dem Zerrbild der uns überrollenden Lawine osteuropäischer Arbeitskräfte nicht entschieden entgegengetreten. Jetzt, wo die Karawane an Brandenburg vorbeigezogen ist und allenfalls ein kleines Rinnsal migrationswilliger Nachbarn nach Brandenburg rübertröpfelt, wird die Flucht nach vorn angetreten. Jetzt sind uns die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Estland, Lettland, Litauen und Polen, der Slowakei, aus Tschechien und Slowenien sowie Ungarn willkommen und können von den Vorteilen eines zusammenwachsenden Europas profitieren, die ihnen sieben Jahre lange vorenthalten wurden. Wir freuen uns über diesen Paradigmenwechsel und stimmen dem Antrag natürlich gerne zu.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ganz dick grün anstreichen möchten wir den Satz, dass offene Grenzen zentraler Bestandteil der Europäischen Union sind, ohne Ausgrenzung und Diskriminierung. Vielleicht spricht sich das auch bis Guben rum.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Herr Minister Baaske, Sie haben das Wort.

Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Abend!

(Zuruf von der CDU: Frau Präsidentin!)

Ich glaube, ehrlich gesagt, dass Frau Schier, Herr Büttner und auch die Kollegin Nonnemacher nicht immer richtig hingehört

haben, als die Kollegen aus der Koalition gesprochen haben. Ich habe den Antrag so verstanden, dass das, was bisher geschehen ist, gut ist, dass man diesen Weg weitergehen soll und dass genau das, was zwischen dem Saarland und Frankreich möglich ist - Frau Nonnemacher und Herr Büttner haben es gesagt -, auch hier mal möglich wird.

Das funktionierte bei denen auch nicht innerhalb von wenigen Monaten oder Jahren, sondern dauerte Jahrzehnte. Auf diesen Weg wollen wir uns auch begeben, wozu die hier angesprochenen Aspekte der Kooperation gehören. Sie können doch nicht davon ausgehen, dass wir plötzlich eine Nation oder ein Land sind, in dem die Hälfte der Menschen Polnisch sprechen kann, oder dass man plötzlich in Slubice auf viele Menschen trifft, die Deutsch sprechen.

Zum kulturellen Austausch, lieber Herr Büttner: Sie werden in Brandenburg kaum noch einen Verein finden, der keinen polnischen Partnerverein hat. In den letzten Jahren haben wir diesbezüglich viel getan - wahrscheinlich mehr als die Sachsen und die Mecklenburger, obwohl diese Länder auch eine Grenze zu Polen oder Tschechien haben. Insofern ist viel passiert.

Ich möchte Folgendes betonen: Wir sollten diesen Antrag so verstehen, dass wir Rückenwind für das bekommen, was wir in den letzten Monaten und Jahren erreicht haben,

(Beifall DIE LINKE)

und dass wir die Vision, die in Frankreich und im Saarland möglich war, aufnehmen und mehr daraus machen.

All die Zahlen möchte ich nicht wiederholen, sondern nur so viel sagen: Die Prognose vom März hat sich im Wesentlichen bestätigt. Das ist auch in Ordnung so. Dass es in Brandenburg relativ wenig Zuwanderung und relativ wenige Arbeitnehmer aus Polen gibt, hat nicht unbedingt etwas mit fehlender Willkommenskultur zu tun, sondern eher mit der Bezahlung, Frau Nonnemacher. Dessen sind wir uns, denke ich, bewusst. Wenn man in Bayern, Baden-Württemberg oder Hamburg wesentlich besser bezahlt wird als in Brandenburg, geht man natürlich dorthin. Das haben uns die Polen damals auch so gesagt.

Die Situation mit den Azubis in Polen haben wir uns vor Ort angesehen. Mehr als 80 % der jungen Menschen dort gehen an die Universitäten und nicht in die duale Ausbildung. Insofern brauchen Sie auf dieses Pferd nicht zu setzen. Für diejenigen, die die duale Ausbildung wählen, kann es lukrativ sein, die Ausbildung in Deutschland zu absolvieren, und zwar zu den in Deutschland geltenden Ausbildungsbeträgen. Schließlich gibt es in Polen keine duale, sondern lediglich eine schulische Berufsausbildung. Aus diesem Grund ist die deutsche Ausbildung wesentlich besser, die zum Teil sogar - das sagten uns einige von den polnischen Universitäten - an das Studium heranreicht, das man an den polnischen Universitäten ablegt. Beim Bachelor zum Beispiel sei das Curriculum in einigen Fächern durchaus ähnlich.

Alles andere wurde bereits gesagt. Die Intention des Antrages ist sehr deutlich: Es geht um eine weitere Verbesserung und um mehr Rückenwind für die Landesregierung, aber - so ist der erste Satz zu verstehen - auch für den Landtag. Insofern bitte ich um Zustimmung zu dem Antrag der Koalition. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Minister Baaske. - Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung. Zunächst stimmen wir ab über den Antrag „Volle Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit als Chance für die deutsch-polnische Grenzregion politisch gestalten“, der Ihnen in der Drucksache 5/3847 vorliegt und durch die Fraktion der SPD und die Fraktion DIE LINKE eingebracht wurde. Wer diesem Antrag Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag angenommen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich stelle den Entschließungsantrag „Den Brandenburger Arbeitsmarkt endlich fit für die Arbeitnehmerfreizügigkeit machen!“, der Ihnen in der Drucksache 5/3930 vorliegt und durch die FDP-Fraktion eingebracht wurde, zur Abstimmung. Wer diesem Entschließungsantrag Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist diesem Antrag nicht Folge geleistet worden. Er ist abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 13 und rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Mobilität von Jugendlichen im ländlichen Raum gewährleisten

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/3846

Es eröffnet die Aussprache Herr Abgeordneter Lakenmacher für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der letzte Tagesordnungspunkt - das Beste kommt zum Schluss.

(Beifall CDU - Görke [DIE LINKE]: Das wollen wir erst einmal sehen! Nun los! - Bischoff [SPD]: Keine Vor- schusslorbeeren!)

„Der Linienbus war gestern“ - das war eine Überschrift der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ in der vergangenen Woche. In dem Bericht war zu lesen, dass der Infrastrukturminister, Herr Vogelsänger, von Jugendlichen, die Teilnehmer am Projekt „JugendMobil“ waren, Alternativen - und zwar dringend notwendige Alternativen - zum immer weiter ausgedünnten Personennahverkehr in Brandenburg vorgestellt bekommen hat. Tatsache ist: Je weiter man sich von den Städten, von urbanen Gebieten entfernt, desto dünner werden die Angebote im öffentlichen Personennahverkehr.

Wir haben es bereits mehrfach thematisiert, und darüber herrscht auch, denke ich, Einigkeit: Das althergebrachte Mobilitätskonzept der Beförderung von Jugendlichen in Linienbussen und Regionalzügen für die Jugendlichen ist gegenwärtig nicht mehr ausreichend. Es fehlt den Jugendlichen an Alternativen. Die schrumpfenden Nahverkehrsangebote in den ländlichen Regionen reichen nicht mehr aus. Daher benötigen die