Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

Ich kann nur wiederholen: Die Frage, ob er das darf, haben wir nicht zu bewerten.

(Oh! sowie Zurufe bei der CDU - Einzelbeifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank. - Sie dürfen anderer Meinung bleiben.

Wir schlagen vor, dass die Fragen 49, 53 und 54 mit Ihrem Einverständnis gemeinsam beantwortet werden. Das Wort erhält für die Dringliche Anfrage 49 (Polizeieinsatz in Neuruppin) der Abgeordnete Groß.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Stichwort Polizeieinsatz in Neuruppin. Vorab ganz deutlich: Auch für uns ist die Versammlungsfreiheit ein hohes und zu schützendes Gut in der Demokratie, mit der verantwortungsbewusst umzugehen ist.

Auf der genehmigten Demonstration gegen den Neonaziaufmarsch der sogenannten Freien Kräfte und - das muss man auch sagen - vermeintlich anderer Rechtsextremer am 24.09.2011 kam es zu einer mit polizeilichen Maßnahmen versehenen Auflösung einer ordentlich angemeldeten und von der Versammlungs- und Einsatzleitung genehmigten Versammlung durch die vor Ort wirkenden Polizeikräfte. Dabei wurden Demonstrantinnen und Demonstranten von der angemeldeten, zeitbefristeten Versammlung ausgeschlossen und andere während dieser Zeit von Polizeikräften mit Polizeifahrzeugen umstellt. Ich sage es deutlich: Auch ich war dabei. Wir wurden eingekesselt. Auch wurden Bürger, die an dieser zeitbefristeten Versammlung nicht weiter teilnehmen wollten - auch nach den Ankündigungen, den Raum zu verlassen -, genötigt, in dieser Räumlichkeit zu verbleiben.

Es gab zwischen vermittelnden Abgeordneten auch aus diesem Hause Gespräche mit der Versammlungs- und Einsatzleitung.

Ich frage die Landesregierung: War der Landesregierung das Einsatzkonzept bekannt, war es mit den zuständigen Verantwortungsbereichen abgestimmt? Gab es eine Abstimmung mit den Versammlungsleitern des Aktionsbündnisses von „Neuruppin bleibt bunt“?

Ich frage des Weiteren: Während der laufenden Vermittlungsgespräche zu der spontan angemeldeten Versammlung und des von den Demonstrantinnen und Demonstranten gewollten alternativen und friedlichen Rückzugs auf die genehmigte Demonstrationsstrecke ist mit der Räumung der umstellten Personen von der Straße und von den Bürgersteigen begonnen worden, trotz entgegenstehender Zusagen des Versammlungsleiters.

(Senftleben [CDU]: Was ist denn das?)

Ich bitte, meine etwas längere Frage zu entschuldigen. - Danke.

Nein, Herr Abgeordneter, das entschuldige ich nicht. Ich bitte Sie, in Zukunft die Fragen, die Sie einreichen, zu stellen und das nicht als Gelegenheit zum Halten von Vorträgen zu benutzen. Das gilt übrigens für alle Abgeordneten.

Wir kommen zur Dringlichen Anfrage 53 (Demonstration in Neuruppin). Es geht um den gleichen Sachverhalt. Der Abgeordnete Richter stellt die Frage.

Anlässlich eines Neonazi-Aufzuges am vergangenen Samstag in Neuruppin fand auf Initiative des Bündnisses „Neuruppin bleibt bunt“ eine Demonstration statt.

Im Verlauf dieser Demonstration blockierten Teilnehmer des Bündnisses zeitweise die Strecke des Demonstrationszuges der Neonazis. Trotz wiederholter Aufforderung der Polizei beendeten diese die Sitzblockade nicht. Schließlich schritten die Beamten ein und trugen die Demonstrationsteilnehmer weg, obwohl die Verhandlungen über eine freiwillige Räumung oder eine Änderung der Strecke noch nicht beendet waren. Die Teilnehmer der Sitzblockade wurden anschließend über Stunden festgehalten.

Ich frage die Landesregierung: Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen der Polizeibeamten?

Vielen Dank. - Zum gleichen Sachverhalt haben wir die Dringliche Anfrage 54 (Regelwerk zum Umgang mit Sitzblocka- den), die der Abgeordnete Vogel stellen wird.

Meine Frage geht ein bisschen ins Grundsätzliche. Insofern lautet auch die Überschrift „Regelwerk zum Umgang mit Sitzblockaden“, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Sitzblockaden unter die Versammlungsfreiheit fallen und somit grundsätzlich zu schützen sind. Ob eine Blockadeaktion dennoch im Einzelfall eine Nötigung darstellt, ist demnach von den äußeren Umständen abhängig. In Neuruppin ist die Polizei am Samstag gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorgegangen, die einem Aufzug von Rechtsextremen mittels einer angemeldeten - Herr Groß und ich waren die Anmelder -, spontanen Sitzblockade begegnen wollten.

Die Polizei hat die Sitzblockade wenige Minuten nach ihrem Beginn mit Fahrzeugen umstellt und die Versammlung damit abgeriegelt.

Kurz danach begann die Polizei bereits, die Sitzblockade aufzulösen und Gegendemonstrantinnen und -demonstranten wie auch auf der Kreuzung befindliche Zuschauer oder Menschen, die die Demonstration verlassen wollten, in die Poststraße zu verbringen. Dort wurden sie bis zu vier Stunden - es gibt auch die Aussage: viereinhalb Stunden - festgehalten, einer Leibesvisitation unterzogen, fotografiert, und ihre Personalien wurden aufgenommen. Als Begründung wurde seitens der Polizei aufgeführt, dass es eine Straftat sei, den Aufzug der Rechtsextremen auf der angemeldeten Route zu behindern.

Da ein Aufeinanderprallen der beiden Versammlungen durch eine Routenänderung als milderes Mittel unproblematisch hätte vermieden werden können - was übrigens ständige Praxis in Brandenburg darstellt -, stellt sich die Frage, warum das in diesem Fall nicht geschah. Insbesondere stellt sich aber die Frage, inwieweit in Brandenburg ein Regelwerk bzw. eine Handreichung zur Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Blockaden existiert.

Deshalb frage ich die Landesregierung: Welche grundsätzlichen Vorgaben für Polizeikräfte zum Umgang mit Sitzblockaden wurden bei dem Einsatz in Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt?

Vielen Dank. - Die Antwort gibt uns Innenminister Woidke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den Fragenden sehr dankbar für die zum Polizeieinsatz am vergangenen Samstag in Neuruppin eingereichten Fragen. Polizeiliche Einsätze stehen nicht selten im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit; mit Recht wird dabei von der Polizei erwartet, dass sie ihr Vorgehen und ihre Einsatztaktik erläutert. Kritische Fragen zu polizeilichen Einsätzen sind legitim und normal, Hinweise zu polizeilichen Einsätzen müssen ernst genommen und ausgewertet werden. Die Polizei, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist selbstverständlich bereit, sich dieser Debatte offen und konstruktiv zu stellen. Die heutigen Fragen geben mir die Gelegenheit, vor Ihnen - im Landtag - zum Sachverhalt Stellung zu nehmen. Selbstverständlich - auch das betone ich - sind wir gegenüber den Akteuren in Neuruppin gesprächsbereit.

Lassen Sie mich vorab eine grundsätzliche Bemerkung machen: Das Engagement gegen Rechtsextremismus ist ein Markenzeichen der streitbaren Demokratie in Brandenburg geworden. Das ist sehr gut so; viele Bürgerinnen und Bürger haben daran aktiv Anteil.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Dieses Engagement wollen und müssen wir auch in Zukunft fördern und unterstützen; Ihr Beifall zeigt mir, dass das Konsens hier im Hause ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe den Polizeipräsidenten gebeten, den Einsatz in Neuruppin umfassend auszuwerten. Die Polizei wird allen Hinweisen und Kritikpunkten zu diesem Einsatz nachgehen. Das ist - ich habe es einführend gesagt - eine Selbstverständlichkeit für eine demokratische Polizei.

Falls im Rahmen des Einsatzes Fehler gemacht worden sind, werden wir daraus für künftige Einsätze die notwendigen Konsequenzen ableiten. Ich rate aber dazu, sich mit vorschnellen Urteilen zurückzuhalten und die Ergebnisse dieser Auswertung abzuwarten.

(Beifall CDU)

Für abschließende Bewertungen ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. Es gibt unterschiedliche Darstellungen der Abläufe in

Neuruppin, und es ist nicht verwunderlich, dass die einzelnen Varianten nicht wirklich zueinander passen.

Nun aber zum konkreten Hergang des Geschehens, wie er sich nach bisheriger Feststellung des Polizeipräsidiums darstellt: Die drei Fragen beziehen sich insbesondere auf die Versammlung des Aktionsbündnisses „Neuruppin bleibt bunt“ am 24. September 2011. Anlass der Veranstaltung war die Versammlung der Freien Kräfte Neuruppin, die am selben Tag in der Zeit von 12 bis 20 Uhr stattfinden sollte und angemeldet war.

Nachdem die Versammlung des Aktionsbündnisses zunächst wie angemeldet verlief, löste sich nach Angaben der Polizei um ca. 11.25 Uhr eine Personengruppe von 250 Personen. Diese Personen bildeten in der Folge eine Sitzblockade auf der genehmigten Aufzugsstrecke der Freien Kräfte Neuruppin. Hierbei handelte es sich - entgegen Ihren Annahmen, Herr Vogel nicht um eine angemeldete, sondern eine sogenannte spontane Versammlung.

(Vogel [GRÜNE/B90]: Das habe ich gesagt!)

Der stellvertretende Versammlungsleiter der angemeldeten Versammlung übernahm für diese Sitzblockade ausdrücklich keine Verantwortung und führte stattdessen die angemeldete Versammlung wie vorgesehen weiter. Der von der Polizei telefonisch kontaktierte Versammlungsleiter äußerte sich entsprechend. Diese Spontanversammlung war nicht angemeldet, die Polizei hätte also bereits zu diesem Zeitpunkt gemäß § 15 Abs. 3 Versammlungsgesetz die Möglichkeit gehabt, die Blockade aufzulösen.

Nachdem Sie, Herr Abgeordneter Groß, sich als Teilnehmer dieser spontanen Blockade um 11.37 Uhr gegenüber der Polizei als Versammlungsleiter erklärt hatten, räumte die Polizei dieser Sitzblockade zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen ein Zeitfenster von ca. 20 Minuten zur Demonstration gegen den Aufzug der Freien Kräfte Neuruppin ein. Diese zeitliche Beschränkung der spontanen Sitzblockade erfolgte vor dem Hintergrund des erwarteten Aufzugs der Freien Kräfte Neuruppin, sie diente somit der Sicherstellung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 Grundgesetz für beide Versammlungen - ich unterstreiche: für beide Versammlungen.

Die Polizei hat damit flexibel und versammlungsfreundlich reagiert und diese Spontanversammlung der Gegendemonstranten in Form einer Sitzblockade für kurze Zeit geduldet. Eine solche spontane Sitzblockade kann, Herr Vogel, durch die Versammlungsfreiheit gedeckt sein. Verhinderungsblockaden gegen angemeldete und genehmigte Versammlungen sind dagegen grundsätzlich rechtswidrig, auch das ist Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Sie, Herr Groß, haben als Versammlungsleiter diese spontane Versammlung gegen 12.15 Uhr für beendet erklärt. Bei den anschließend durch Sie mit der Polizei geführten weiteren Gesprächen handelte es sich nach Auskunft der Polizei nicht mehr um ich zitiere aus Ihrer Frage - „Vermittlungsgespräche“. Die mit Ihnen nach der Beendigung der spontanen Versammlung geführten Gespräche beinhalteten im Wesentlichen Möglichkeiten des Verlassens des Veranstaltungsraums und die Darlegung der Rechtslage vor Ort durch Polizeibeamte. Auch dem gegen 12.44 Uhr eingereichten Gesuch eines Neuruppiner

Stadtverordneten, eine weitere Versammlung für diesen Bereich anzumelden, konnte aus rechtlichen Gründen nicht entsprochen werden, da es sich hierbei um eine Teilnahme an der immer noch andauernden, zu diesem Zeitpunkt schon unzulässigen Sitzblockade gehandelt hätte.

Trotz der Beendigung der Versammlung durch den Versammlungsleiter verließen nur wenige Personen den Versammlungsort. Die übrigen Versammlungsteilnehmer führten die Sitzblockade dagegen weiter fort und zeigten keinerlei Absicht, den Aufforderungen der Polizei Folge zu leisten, und, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verhinderungsblockade war dann nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt.

Auch Ihre Annahme, sehr geehrter Abgeordneter Vogel, dass die Polizei die Sitzblockade bereits wenige Minuten nach Beginn umstellt und abgeriegelt und kurz danach mit deren Auflösung begonnen habe, entspricht nicht meinem derzeitigen Kenntnisstand. Nach den bisherigen Feststellungen des Polizeipräsidiums begann die Polizei einige Minuten nach der erklärten Beendigung der Spontandemonstration durch den Versammlungsleiter ab 12.19 Uhr mit Lautsprecherdurchsagen, um damit die Auflösung der Sitzblockade zu erreichen. Diese Durchsagen wurden im Zehn-Minuten-Takt durchgeführt, zuletzt um 12.45 Uhr mit Ankündigung der beabsichtigten Räumung. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jedes weitere Verbleiben am Versammlungsort die Straftatbestände der Nötigung und der Störung von Versammlungen erfüllen könnte. Diese Hinweise entsprechen inhaltlich vollständig auch einer von der Staatsanwaltschaft Neuruppin noch vor der Demonstration veröffentlichten Pressemitteilung über die Strafbarkeit bestimmter Störungen des Versammlungsrechts.

Erst danach, also etwa eine Stunde nach Beginn der Blockade, begannen die polizeilichen Einsatzkräfte mit den Maßnahmen zur Strafverfolgung gegen die Blockadeteilnehmer.

Es bestand der Anfangsverdacht der Störung eines Aufzugs gemäß § 21 Versammlungsgesetz sowie der Nötigung gemäß § 240 Strafgesetzbuch. Zu diesen Strafverfolgungsmaßnahmen waren die Polizeieinsatzkräfte aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet. Die Polizei ist an Recht und Gesetz gebunden; darauf haben alle Polizisten ihren Eid geschworen.

Zu diesem Zweck bedurfte es in Abstimmung mit der vor Ort anwesenden Staatsanwaltschaft der entsprechenden Identitätsfeststellungen nach der Strafprozessordnung. Diese dauerten allerdings - das räume ich ein - teilweise sehr lange; das bedauere ich ausdrücklich. Die genauen Umstände, unter denen diese Identitätsfeststellungen erfolgten, werden wir uns sehr genau ansehen; denn vor allem daran gibt es jetzt Kritik von Teilnehmern und auch von Beobachtern der Versammlung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die soeben angesprochenen Rechtsfragen sind auch - ich komme damit auf Ihre Frage zurück, Herr Vogel - in einem Erlass des Innenministeriums vom 1. November 2010 ausführlich dargestellt. Darin werden die Möglichkeiten des polizeilichen Einschreitens bei Sitzblockaden ausführlich erörtert und auch die Grenzen vorgegeben. Der Erlass beachtet die einschlägige Rechtsprechung unseres Oberverwaltungsgerichts, der Strafgerichte und selbstverständlich des Bundesverfassungsgerichts zur Versammlungsfreiheit. Der Inhalt des Erlasses steht auch völlig im Einklang mit dem von Ihnen zitierten jüngeren Beschluss des Bundesverfassungsge

richts vom März dieses Jahres. Ich kann Ihnen den Erlass gern zur Verfügung stellen, nehme aber an, dass diese Fragen nochmals im Innenausschuss und im Rechtsausschuss des Landtages erörtert werden. Ich bin gern dazu bereit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Sach- und Rechtslage war die Auflösung der Sitzblockade gerechtfertigt. Bestimmte Vorwürfe gegen unsere Polizei empfinde ich als in hohem Maße unsachlich, teilweise auch als maßlos.

(Beifall CDU und der Abgeordneten Prof. Dr. Heppener [SPD])

Gegen derartige Vorverurteilungen nehme ich die Polizei und die an diesem Einsatz beteiligten Polizisten ausdrücklich in Schutz.

(Vereinzelt Beifall SPD und Beifall CDU)