Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen? Ziemlich wortgleich habe ich genau das gestern für die Brandenburger Kommunalverfassung beantragt, und Sie haben es abgelehnt.

(Zuruf des Abgeordneten Richter [SPD])

Mit dem Finger auf andere zu zeigen fällt Ihnen hingegen überhaupt nicht schwer.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Wird es hingegen ernst damit, Ihre blumigen Vorsätze in die Tat umzusetzen, verschrumpeln Sie wie angepikste Luftballons. Genau das ist - mit Verlaub - Scheinheiligkeit.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Hier sind die Baustellen. Das hätten Sie machen können. Das wäre eine Umsetzung in die Tat. Das sind die Baustellen, denen Sie sich auf Landesebene widmen sollten. Hier haben Sie Einfluss und Verantwortung. Das wäre wichtiger, als sich in blumigen Formulierungen zu ergehen und anderen zu sagen, was sie bessermachen sollten. Kehren Sie vor der eigenen Haustür!

(Beifall GRÜNE/B90 und FDP)

Minister Schöneburg spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einleitend eine persönliche Bemerkung. Herr Eichelbaum, dass Sie meine Arbeit als Landesverfassungsrichter heute mit so warmen Worten gewürdigt haben, ging mir wirklich ans Herz.

(Oh! bei der CDU - Beifall DIE LINKE)

Frau Muhß, Ihr Signal - ich glaube, es ist ein Signal, tätig zu werden - ist bei der Landesregierung angekommen bzw. war es vorher schon. Ich kann berichten, dass der Rechtsausschusses des Bundesrates am gestrigen Tag über den Antrag Mecklenburg-Vorpommerns zur Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz debattiert hat. Eingebracht wurde der Antrag durch Frau Kuder, CDU-Mitglied.

(Ach! bei der SPD)

Bayern stellte einen eigenen Antrag, auch mit der Zielrichtung: Kinderrechte ins Grundgesetz! Am Ende ist der mecklenburgvorprommersche Antrag mit einigen Änderungen mit 10:5:1 Stimmen angenommen worden.

(Beifall DIE LINKE)

Der Bundesrat wird aufgefordert, in diese Richtung initiativ zu werden. Warum haben sich so viele Bundesländer dazu entschlossen? Sicherlich nicht, um Schaufensterpolitik zu betreiben, sondern aus einem Rechts- und Verfassungsverständnis heraus, das davon ausgeht, dass die Verfassung die wesentlichen Staatsbeziehungen, die wesentlichen Beziehungen zwi

schen Bürger und Staat regelt. Man weiß natürlich, wenn man eine Norm in die Verfassung aufnimmt, dass die Wirklichkeit zum Teil anders aussieht. Sonst braucht man die Verfassungsnorm nicht. Man braucht sie nur, wenn sich daraus tatsächlich ein Rechtsanspruch ableitet. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Unseren Grundrechtsbasisartikel brauchten wir nicht, wenn die Würde des Menschen nicht überall gefährdet wäre und oftmals verletzt würde und diejenigen, deren Würde verletzt wird, über ihren verfassungsrechtlichen Anspruch gerichtlich dagegen vorgehen könnten. Die Verfassung bindet den Gesetzgeber. Das macht den Rechtsstaat aus. Der Gesetzgeber ist an den Normenbestand der Verfassung gebunden. Insofern ist es wichtig, dass Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden, damit sich der Gesetzgeber, wenn er Einfachgesetze erlässt, daran gebunden fühlt. Das ist der Grund, aus dem sich zehn Bundesländer im Rechtsausschuss des Bundesrates dazu entschieden haben, sich für eine Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung einzusetzen.

Dabei darf natürlich die Verfassung kein Wünsch-dir-wasSammelsurium sein; das ist ganz klar. Hier muss eine entsprechend ausgestaltete Zentralnorm geschaffen werden. Wir können Verfassungen nicht zu politischen Dokumenten machen, wie es in der DDR der Fall gewesen ist. In der DDR war die Verfassung etwas für die Jugendweihe, für Feiertage, aber kein juristisches Dokument. Das Grundgesetz und unsere Landesverfassung sind juristische Dokumente mit einklagbaren Rechten, und der Gesetzgeber muss sich daran orientieren.

Dass das notwendig ist und man nicht wie Herr Büttner sagen kann, es sei durch das Bundesverfassungsgericht schon alles umfassend ausgesprochen worden, zeigt ein Blick in die Rechtsgeschichte, meine Damen und Herren. In den 70er-Jahren wollte ein Kind den Anspruch auf eine ihm vorenthaltene Waisenrente geltend machen, und das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, die Verfassungsbeschwerde nicht anzunehmen, weil das Kind nicht Grundrechtsträger sei. Deswegen ist der Antrag verpufft. Erst im Jahr 2008 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass auch Kinder Grundrechtsträger sind und unter dem besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft stehen.

(Beifall DIE LINKE)

In Deutschland drückt sich die Politik zum Teil davor, Entscheidungen zu treffen; stattdessen delegiert sie sie auf das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat vor anderthalb Jahren im Zusammenhang mit der Hartz-IVEntscheidung ein Grundrecht auf ein soziales Existenzministerium kreiert. Normalerweise müsste es dem Gesetzgeber obliegen, ein solches Grundrecht im Grundgesetz zu fixieren. Insofern können wir uns auch nicht auf das Bundesverfassungsgericht zurückziehen, wenn es um die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz geht. Das ist Aufgabe der Politik, der Legislative. Ansonsten delegiert sie ihre Kompetenzen an das Bundesverfassungsgericht. - Schönen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Herr Krause, für einen Schlusssatz würde Ihre Zeit noch reichen. - Sie verzichten.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen in der Drucksache 5/4212. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen ist der Antrag mehrheitlich angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6 und rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Gesundheitsmonitoring am BER ausweiten und sofort beginnen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/4208

Des Weiteren liegen ein Entschließungsantrag der CDU-Fraktion in der Drucksache 5/4234, Neudruck, ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen in der Drucksache 5/4238 und ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion in der Drucksache 5/4259 vor.

Der Abgeordnete Jungclaus beginnt die Debatte für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! In Schönefeld stehen die Uhren auf kurz vor 12. In weniger als 7 Monaten soll der Flughafen Willy Brandt eröffnet werden. Die Flugrouten stehen noch nicht fest, das Nachtflugverbot wird noch mindestens zweimal im Landtag behandelt werden, die Umsetzung des Schallschutzprogramms läuft schleppend, und ein Gesundheitsmonitoring für den Flughafen ist nach wie vor noch nicht einmal beauftragt.

Wir möchten mit unserem Antrag die Gelegenheit geben, den bisher vorgesehenen Untersuchungsumfang des Gesundheitsmonitorings zu hinterfragen und Sie zu einer Ausweitung sowie einem schnelleren Beginn der Untersuchung zu bewegen. Der aktuelle Stand ist, dass Sie, Frau Ministerin Tack, für Brandenburg kein eigenes unabhängiges Gesundheitsmonitoring vorgesehen haben. Wir sind stattdessen als Vergleichsflughafen quasi als Anhängsel - einer Studie zur Lärmbelästigung und Lebensqualität am Flughafen Frankfurt am Main vorgesehen.

(Frau Lehmann [SPD]: Das ist Ihre Interpretation!)

Dagegen wäre ja grundsätzlich erst einmal nichts einzuwenden, sofern das Untersuchungsdesign dieser Studie den nötigen Gegebenheiten genügen würde. Aber genau dies ist nicht der Fall. Wie auch führende Experten in diesem Bereich, zum Beispiel Prof. Greiser, Prof. Kaltenbach oder der inzwischen in Ihrem Ministerium beschäftigte Dr. Maschke, kritisieren, weist das Modul 1 zur Lärmbelästigung erhebliche Defizite auf, beispielsweise die schwer kalkulierbare Response-Rate, die geringe Stichprobenzahl, die fehlende geschlechtsspezifische Unterscheidung sowie die Unmöglichkeit eines Vorher-Nachher-Vergleichs der Erkrankungsrate.

Dieses Modul soll nun auch in unserer Flughafenregion zum Einsatz kommen. Hierbei handelt es sich um die einzige vorgesehene Untersuchung, aus der man anscheinend Rückschlüsse

auf den Gesundheitszustand der Anwohnerinnen und Anwohner ziehen will. Wie der Antwort des Ministeriums auf die entsprechende Anfrage zu entnehmen ist, liegt der Schwerpunkt des Monitorings auf der Belästigung und der Lebensqualität, nicht aber auf dem Gesundheitszustand. Da stellt sich dann aber die Frage, womit Sie eigentlich den Titel „Gesundheitsmonitoring“ rechtfertigen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Im Umfeld des Flughafens Willy Brandt sollen nach Ihrem Bericht in der letzten Ausschusssitzung ca. 5 000 Bürgerinnen und Bürger zur Lärmbelästigung und Lebensqualität befragt werden. Abgesehen von der viel zu geringen Stichprobenzahl haben wir auch höchste Zweifel an der Objektivität der Untersuchungsergebnisse. Von dieser Untersuchungsart können keine belastbaren Ergebnisse zur Häufigkeit von Krankheiten oder Neuerkrankungsraten erwartet werden. Weiterhin bleibt fraglich, ob alle Bevölkerungsschichten bei einer derartigen Befragung ausreichend repräsentiert würden und die Ergebnisse verallgemeinert werden können. Höchst zweifelhaft ist auch, dass bisher keine Befragungen in einer unbelasteten Referenzregion vorgesehen ist, es sei denn, Sie haben sich im Rahmen Ihrer aktuellen Prüfung, die Sie im Ausschuss angekündigt hatten, doch noch dafür entschieden.

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Die Untersuchungen in Modul 1 können Sie sich so, wie sie vorgesehen sind, sparen. Damit Sie Ergebnisse erhalten, aus denen man Rückschlüsse auf die Entwicklung des Gesundheitszustandes ziehen kann, fordern wir mit unserem Antrag auch die Auswertung umfangreicher Krankenkassendaten als ergänzendes Modul. Diese Krankenkassendaten liegen standardisiert für die letzten Jahre vor und ermöglichen einen objektiven Vorher-Nachher-Vergleich zum Gesundheitszustand. Gleichzeitig könnten auch belastete mit unbelasteten Regionen verglichen werden, und die Stichprobenzahl könnte mit geringem Aufwand im sechsstelligen Bereich liegen und nicht, wie geplant, bei lediglich 5 000.

Das darf unserer Auffassung nach auch keine Geldfrage sein. Nachdem für das Gesundheitsmonitoring zumindest ursprünglich einmal 1,5 Millionen Euro im Raum standen, rechnet das Ministerium - wie wir auf entsprechende Nachfrage im Ausschuss erfahren haben - nur mit 100 000 Euro. Zum Vergleich: Das entspricht ungefähr einer halben Tankfüllung beim A 380.

Sofern Sie nicht bei einem Phantom-Monitoring bleiben wollen, fordern wir Sie auf, das ergänzende Modul 2 mit einer Auswertung umfangreicher Krankenkassendaten in diese Untersuchung aufzunehmen. Wer einen Flughafen in einer Großstadtregion baut und sagt: „Lärmschutz vor Wirtschaftlichkeit“, darf an dieser Stelle nicht sparen.

(Beifall GRÜNE/B90 und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Wir werben deshalb für ein aussagekräftiges Gesundheitsmonitoring und bitten daher um Unterstützung unseres Antrags. Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90 und des Abgeordneten Goetz [FDP])

Die Abgeordnete Lehmann spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Flughafen Berlin Brandenburg ist seit Langem das größte Infrastrukturprojekt in Ostdeutschland. Die Eröffnung unseres neuen Flughafens wird sich für unsere gesamte Region als Quantensprung erweisen. Er wird zusätzliches Wachstum, Steuereinnahmen und Arbeitsplätze aktivieren. Nicht zuletzt verbindet er uns mit Europa und dem Rest der Welt. Überall auf der Welt zählen internationale Flughäfen heute zu den größten Job- und Wachstumsmotoren.

Ich weiß, das klingt nach Wohlfühlpaket für Brandenburg. Aber solche Großprojekte haben auch immer Nebenwirkungen. Der eine bekommt durch den Flughafen einen Job, der andere ist direkt vom Fluglärm betroffen. Der eine ist also dafür, der andere dagegen.

(Schulze [SPD]: Das Spannende ist, wie man das ab- wägt!)

Klingt simpel, macht aber die Bandbreite der Probleme deutlich. Hierauf muss Politik reagieren,

(Zuruf des Abgeordneten Schulze [SPD])

und wir tun das auch. Natürlich fordern Bürgerinitiativen ihre Rechte ein, und auch das Bundesverwaltungsgericht hat uns seinen Vermerk ins Stammbuch geschrieben.