Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Die einfache Forderung für dieses Land lautet: Berücksichtigung der Ist-Morbidität in diesem Land und gleich hohe Geldvolumina für die gleichen Krankheiten wie in Gesamtdeutschland. Deshalb habe ich diesen Entschließungsantrag gemeinsam mit meiner Fraktion vorgelegt und bitte um Unterstützung dafür. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Prof. Schierack. - Wir setzen die Aussprache nunmehr mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Lehmann hat das Wort.

Mal sehen, ob ich das Gesetz richtig verstanden habe. - Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Ich darf mit einem Zitat des Bundesgesundheitsministers, Herrn Daniel Bahr, beginnen:

„Das Versorgungsstrukturgesetz schafft die Voraussetzungen dafür, dass wir auch in Zukunft in ganz Deutschland eine flächendeckende, wohnortnahe und bedarfsgerechte medizinische Versorgung gewährleisten können.“

Das klingt nach Durchbruch in Sachen Sicherstellung der medizinischen Versorgung auf dem Land. Aber ich sage Ihnen: Mitnichten, meine Damen und Herren! Dieses Gesetz wird den Mangel an Hausärzten, die Ausdünnung der Versorgungsstrukturen in den ländlichen Regionen bei gleichzeitiger Überversorgung in den Städten, lange Wartezeiten für Kassenpatienten bei Facharztterminen sowie die ungerechtfertigten Einkommensunterschiede zwischen den Vertragsärztinnen und -ärzten nicht beheben.

In den Medien wird dieses Gesetz auch gern als „Landarztgesetz“ bezeichnet, weil es Vergütungszuschläge für Ärzte in unterversorgten Gebieten vorsieht, wobei das nun wirklich nichts Neues ist. Dieses Instrument hatte bereits Ulla Schmidt mit der Gesundheitsreform 2007 eingeführt.

(Zurufe von der CDU)

Neu an Bahrs Landarztzuschlägen ist allerdings, dass sie nicht mehr über eine Umverteilung innerhalb der Gesamtvergütung der Kassenärzte finanziert werden, sondern ausschließlich von den Krankenkassen zu zahlen sind. Dies führt unweigerlich zur Ausgabensteigerung bei der gesetzlichen Krankenversicherung, und das wiederum zwingt die GKV, ihren Versicherten Sonderbeiträge aufzuerlegen.

Generell fehlt in diesem Gesetz ein wirksames Umverteilungsinstrument, das Überversorgung zugunsten des ländlichen Raumes abbauen hilft.

(Beifall GRÜNE/B90 und der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Die geplante spezialärztliche Versorgung als zusätzliche dritte Säule ist mir hierbei ein Dorn im Auge. Sie ist eine neue, zusätzliche Leistungsstruktur ohne jegliches Steuerungssegment und geht somit einseitig zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch wieder zulasten der Beitragszahler. Ohne Not wird ein neues Wettbewerbsfeld zulasten der gesetzlichen Krankenkassen geschaffen. Meine Sorge bei diesem Gesetz ist, dass es auf absehbare Zeit zu massiven Kostensteigerungen im Gesundheitssystem kommen wird, die Beitragszahler zur Kasse gebeten werden und keine Gegenleistung dafür erhalten.

Die Landesregierung wird das Versorgungsstrukturgesetz im Bundesrat ablehnen. Es schwächt die gesetzliche Krankenversicherung, geht zulasten der Beitragszahler und ist ein weiterer Schritt in Richtung private Pflegeversicherung. Dies liegt nicht im Sinne einer rot-roten Landesregierung. - Danke schön.

(Beifall SPD und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lehmann. - Wir setzen die Aussprache mit der FDP-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Büttner wird sprechen.

Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Am 5. September 2011 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgelegt - ein Gesetz, mit dem Maßnahmen getroffen werden, die zu konkreten Verbesserungen in der Versorgung der Patientinnen und Patienten führen werden, ein Gesetz, durch das Bürokratie in den Versorgungsstrukturen abgebaut und die Behandlungsabläufe für die Patienten zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten sowie anderen medizinischen Einrichtungen verbessert werden.

Die Bundesregierung legt mit diesem Gesetzentwurf den Grundstein dafür, dass unser Gesundheitswesen auch den Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft und den damit verbundenen Bedürfnissen der medizinischen Versorgung gerecht werden kann. Im Gegensatz zu dem, was die Vorgängerregierungen auf diesem Gebiet zustande gebracht haben, kann man mit Recht von einem weiten Wurf in der medizinischen Versorgung sprechen.

(Lachen bei der SPD)

- Darüber mögen Sie ja lachen, das sei Ihnen gegönnt.

Die Bundesregierung richtet die Bedarfsplanung neu aus. Wie in vielen anderen Bundesländern ist auch in Brandenburg die Situation mittlerweile so, dass mit der Bedarfsplanung nicht mehr nur eine Überversorgung reguliert werden muss, sondern die Träger der Selbstverwaltung in strukturschwachen Regionen, zum Beispiel der Uckermark, auch eine Unterversorgung abwenden müssen.

Genau hier handelt die Koalition im Bund, indem sie die Bedarfsplanung stärker regionalisiert und flexibilisiert. Die bisherige Orientierung an den Kreisgrenzen entfällt zugunsten von Regelungen, die auf die Bedingungen vor Ort, zum Beispiel die Bedingungen in Elsterwerda und Perleberg, eingehen.

Darüber hinaus löst der Bundesgesundheitsminister mit dem Verzicht auf eine Staffelung bei der Vergütung der in ländlichen Regionen praktizierenden Ärzte ein zentrales Problem in der medizinischen Versorgung. Bisher mussten Landärzte im Vergleich zu ihren Kollegen in Ballungszentren mehr Patienten in ihren Praxen betreuen. Dies wird in Zukunft honoriert, und ich sage hier ganz deutlich: Damit wird auch den Brandenburger Patienten in der Fläche geholfen.

Zwei weitere Fortschritte zum Ist-Zustand sind die geplante Lockerung der Zweitpraxenregelung und die Aufhebung der bisher geltenden Residenzpflicht für Mediziner. Ärzte haben künftig die Möglichkeit, eine Praxis im ländlichen Raum auch von ihrem Wohnort in der Stadt aus zu betreiben - eine Regelung, die endlich der Bedeutung des Arztberufes als freier Beruf gerecht wird.

Nicht zuletzt wird mit der Einführung eines neuen, sektorenverbindenden Versorgungsbereiches der ambulanten spezialärztlichen Versorgung eine neue Qualität in der Versorgung für Menschen geschaffen, die an seltenen Krankheiten oder an Krankheiten mit besonderem Krankheitsverlauf leiden - eben weil es unter Umständen sinnvoll sein kann, im Krankenhaus begonnene komplexe Behandlungen auf ambulanter Ebene weiterzuführen. Auch wenn Frau Ministerin Tack etwas anderes behauptet, werden wir durch die neuen Regelungen zu einer besseren Vernetzung der stationären und ambulanten Versorgung kommen und dadurch dafür sorgen, dass wir in Brandenburg auch weiterhin eine wohnortnahe spezialärztliche Versorgungsstruktur aufrechterhalten können.

Lassen Sie mich noch einige Worte zum Antrag der Regierungsfraktionen sagen. Ich finde es schade, dass die Landesregierung die vom Bund ausgestreckte Hand nicht annimmt und dem Parlament heute einen Antrag vorlegt, der einzig und allein das Ziel hat, einen Gesetzentwurf zu torpedieren, mit dem auch meine Fraktion sicherlich nicht in allen Punkten übereinstimmt, der aber - das betone ich ausdrücklich - konkrete Verbesserungen in der medizinischen Versorgungsstruktur bringen wird, die zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung für die Menschen in der Fläche Brandenburgs beitragen werden.

Die erste Forderung dieses Antrages hat bereits doppelt Eingang in den Gesetzentwurf der Bundesregierung gefunden. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Krankenhäuser ambulante Leistungen anbieten und über die KV abrechnen können, wenn der Landesausschuss einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf feststellt. Zudem heben wir mit der Einführung der spezi

alärztlichen Versorgung die bisherige Trennung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor auf, ganz so, wie Sie es auch fordern.

(Zuruf der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Ihre Forderung nach einer finanziellen Umverteilung zwischen Ärzten in Ballungsgebieten und denen im ländlichen Raum steht dem Selbstverständnis der ärztlichen Tätigkeit als freier Beruf entgegen. Der von Ihnen vorgelegte Antrag ist mehr als verzichtbar, und es erstaunt mich immer wieder sehr, dass diese Landesregierung jeden - ich betone: jeden - Vorschlag des Bundes ablehnt, nur um parteitaktische Spielchen zu spielen. Sie tun das

(Frau Lehmann [SPD]: Nein, Sie machen das!)

das ist das Bittere - in diesem Fall auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten, denen von der Bundesregierung eine bessere Versorgung in Aussicht gestellt wird und denen diese Verbesserung von der rot-roten Landesregierung vorenthalten wird.

Deshalb, Frau Ministerin Tack, auch wenn Sie heute Morgen in der Fragestunde darauf eingegangen sind, passt es leider ins Bild, dass Brandenburg, vertreten durch Sie - das hat nicht einmal die Kassenärztliche Vereinigung verstanden -, in der letzten Bundesratssitzung einen gemeinsamen Antrag der Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen nicht mitgetragen hat, der eine Anhebung der Finanzmittel für die ambulante Versorgung in den Regionen mit allgemein bekannter Morbidität, zu denen auch Brandenburg gehört, vorsah.

So kann man keine Politik machen. Ich fordere Sie auf, dem Gesetzentwurf im Bundesrat zuzustimmen und endlich Ihre Hausaufgaben hier im Land zu machen, etwa, indem Sie die technischen Voraussetzungen für die Anwendung der Telemedizin in allen Bereichen Brandenburgs schaffen. Ihre Sturköpfigkeit in diesem Bereich bringt die Bürger in diesem Land und uns als Parlament jedenfalls nicht weiter und ist ein Zeichen politischer Verantwortungslosigkeit, Frau Tack. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Frau Abgeordnete Nonnemacher spricht.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Wir haben in der Aktuellen Stunde zur Gesundheitsversorgung im April ausführlich über das Grundproblem gesprochen, das da ist: In strukturschwachen ländlichen Gebieten und in den sozialen Brennpunkten städtischer Ballungsräume besteht oder droht ärztliche Unterversorgung. Von generellem Ärztemangel kann überhaupt nicht die Rede sein. Die Zahl der Vertragsärzte ist kontinuierlich und stark gestiegen, auf zuletzt 141 000 im Jahr 2010. In 89 % aller Planungsbezirke besteht zum Teil erhebliche Überversorgung. Auch wenn das Wort „Ärztemangel“ immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt

wird - wir haben in Deutschland keinen Ärztemangel, sondern eine ausgeprägte Fehlverteilung von Ärzten,

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90, SPD sowie DIE LIN- KE)

zum Nachteil von demografischen und sozialen Problemregionen. Diese Fehlverteilung zu korrigieren, das heißt, konsequente und mutige Lösungen für den Abbau von Überversorgung zu suchen und wirksame Anreize zur Niederlassung in einem unterversorgten oder gefährdeten Gebiet zu setzen, wäre eine wichtige Aufgabe des Versorgungsstrukturgesetzes gewesen.

Aber Gesundheitsversorgung besteht nicht nur aus Ärztezahlen, sie geht viel weiter. Seit Jahren warten wir auf eine echte Pflegereform, auf Gesetze zur Prävention und Gesundheitsförderung

(Vereinzelt Beifall SPD)

und auf eine Stärkung der Primärversorgung. Wir brauchen eine bessere Verzahnung der stationären und ambulanten Bereiche und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen.

(Frau Lehmann [SPD]: Richtig!)

Patientinnen und Patienten mit ihren Bedürfnissen müssen im Fokus eines Versorgungsgesetzes stehen. Sektoren- und professionsübergreifende Versorgungsstrukturen können die Qualität der Versorgung der Bevölkerung gerade in Problemregionen verbessern.

Wird nun das GKV-Versorgungsstrukturgesetz diesen Anforderungen gerecht? Nein, wird es nicht! Von der Idee der Patientenzentriertheit hat man sich schnell verabschiedet. Ursprünglich sollte der Untertitel des Gesetzes lauten: „das Angebot vom Bedarf der Patienten her gestalten“. Stattdessen lesen wir jetzt:

„Leitidee unserer Überlegungen und Vorschläge ist die Verbesserung bzw. der Erhalt der freiheitlichen Ausübung des Arztberufes und der Diagnose- und Therapiefreiheit.“

Alles klar? Noch Fragen? Wenn jetzt jemandem die Vokabel „Klientelpolitik“ in den Sinn kommt, dann liegt er völlig richtig.

(Frau Lehmann [SPD]: Das würde uns nicht einfallen!)

Ein Kollege von mir hat den Gesetzentwurf einmal als „ÄrzteBeglückungsgesetz“ bezeichnet.

(Heiterkeit der Abgeordneten Stark [SPD])

Die leitenden Krankenhausärzte Deutschlands sprechen von einem Versorgungsgesetz für Vertragsärzte. Ihnen werden weitere Honorarsteigerungen in Aussicht gestellt, von denen nur ein kleiner Teil bei den Landärzten selbst ankommt. Nach massiven Honorarsteigerungen von 2007 bis 2010 um 4,7 Milliarden Euro oder 17 % gibt es jetzt unter dem Deckmäntelchen der Landarztförderung erneut einen kräftigen Schluck aus der Pulle.