Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

heute auf der Tagesordnung. Dazu liegt Ihnen ein Antrag der Fraktionen von SPD und DIE LINKE vor.

Kinder haben Rechte, so weit dürfte das klar und unbestritten sein. Diese sind in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, in der Charta der Europäischen Union sowie bei uns in der Brandenburgischen Landesverfassung, Artikel 27, festgelegt. Nur im Grundgesetz sind sie nicht verankert. Das wollen wir heute versuchen zu ändern. Dazu liegt Ihnen unser Antrag vor. Wir verbinden damit die Hoffnung und die Erwartung, dass uns dies gelingt.

Aber nicht allein die Aussicht auf den Erfolg, dass hier ein Antrag eine Mehrheit bekommt oder Kinderrechte pro forma in die Verfassung aufgenommen werden, treibt uns dazu an, sondern ganz konkrete Erwartungen. Wir möchten, dass das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt gestellt wird, dies grundgesetzlich verankert ist und damit Relevanz für alle politischen Entscheidungen hier im Land erhält.

Bildung, Erziehung, sicheres und gesundes Aufwachsen sollen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern erfolgen. Wenn wir allein daran zurückdenken, welch eklatante Diskussion über die Berechnung des Regelsatzes für Kinder im Hartz-IV-Bereich es gab, erinnern wir uns auch daran, wie schwierig es war, durchzusetzen, dass Kinder nicht als kleine Erwachsene zu betrachten sind, sondern als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten, eigenen Bedürfnissen und in diesem Fall natürlich auch mit einer eigenen Berechnungsgrundlage.

Wir erwarten, dass es mit einer Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung eine Anerkennung der eigenständigen Persönlichkeit von Kindern und jungen Menschen gibt. Bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts hat der polnische Kinderrechtler und Kinderpädagoge Janusz Korczak festgehalten, dass Kinder eben nicht als werdende, als zukünftige Persönlichkeiten, sondern als seiende, als jetzt schon vorhandene Persönlichkeiten zu betrachten sind.

Wir begeben uns damit ganz offensichtlich und ganz bewusst in eine Auseinandersetzung mit Artikel 6 des Grundgesetzes, in dem das Elternrecht verankert ist. Die elterliche Erziehungsbefugnis soll im Interesse des Kindes ausgeübt werden, und in vielen Fällen wird das zum Glück auch so getan - aber eben nicht in allen Fällen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine abnehmende Bedürftigkeit dieses elterlichen Erziehungsrechtes bei zunehmender Einsichtsfähigkeit des Kindes gibt. Das ist auch ganz logisch. Je älter das Kind wird, umso mehr kann es auch über seine eigenen Lebensbereiche und über eigene Vorstellungen mitentscheiden.

Wir möchten und haben die Erwartung, dass sich durch diese Verankerung die Förderung und der Schutz von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft verbessern lassen. Wir gehen davon aus, dass die Verantwortung für den Kinderschutz natürlich im Elternhaus liegt - keine Frage -, aber eben nicht allein im Elternhaus. Es muss im öffentlichen Interesse liegen und staatliche Aufgabe sein, den Schutz und die Förderung von Kindern und jungen Menschen durchzusetzen.

Für die Linke steht dabei ein Leitbild für den Kinderschutz im Vordergrund, das auf einen vorsorgenden und dienstleistenden Sozialstaat setzt. Nicht zuletzt erwarten wir, dass mit einer Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz in unserer deut

schen Verfassung auch Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte verankert werden. Wir haben gestern bereits diskutiert, was damit alles zusammenhängt.

Kinder haben Rechte - so weit ist das klar, und die Diskussion dazu läuft bereits seit 20 Jahren. Allein die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist bisher nicht erreicht. Schon Anfang der Neunzigerjahre, als es die Verfassungsreformdiskussion gab - damals, als beide deutsche Staaten zueinander gefunden haben -, wurde Kritik daran geäußert, dass Kinderrechte nicht im Grundgesetz verankert sind. Eine Mehrheit, dies zu ändern, gab es jedoch nicht. Damals hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die Anerkennung im Rahmen der Grundrechtsträger Kinder natürlich mit umschließe und ausreichend sei. Diese Ansicht hat sich im Laufe der Jahre verändert; darauf komme ich später noch zurück.

Wir hatten am 29. August 2006 - das ist auch schon wieder über fünf Jahre her - das Berliner Forum unter dem Titel „Deutschland für Kinder“, auf dem die damalige und aktuelle Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, sagte, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, wenn den Belangen von Kindern zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt würde. Sie wurde dabei von der damaligen Bundesfamilienministerin unterstützt, und auch der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat diesen Ansatz geteilt. Allein - getan hat sich bis heute auf diesem Gebiet nichts.

Im November 2006 hat die Kinderkommission im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend und einstimmig beschlossen, dass Kinderrechte in die Verfassung gehören und es dort Spielräume gibt, die noch zu nutzen sind. Die Empfehlung der Kinderkommission wurde damals von über 200 bundesweit agierenden Organisationen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt. Über 50 000 Einzelpersonen unterstützen diese Empfehlung.

Im November 2006 gab es im Bundestag außerdem eine Anhörung zu dem Thema „Kinderrechte in die Verfassung“. Damals wurde noch einmal ganz explizit dargelegt, dass die Belange und Interessen der Kinder dem Elternrecht gleichwertig und dementsprechend zu verankern seien, und es wurde auf den Kritikpunkt, der in den Neunzigerjahren noch zur Ablehnung einer solchen Initiative geführt hat, Bezug genommen, indem man gesagt hat, dass die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes keine ausreichende Mitumfassung entwickelt haben, um den Schutzanspruch der Kinder ausreichend zu gewährleisten. Es wurde also schon vor mehreren Jahren in dieser Anhörung dargelegt, warum hier Handlungsbedarf besteht. Getan hat sich bisher nichts.

Im Herbst 2009 fand die Bundestagswahl statt - wir alle erinnern uns, mancher mit einem lachenden, mancher mit einem weinenden Auge; sei' s drum -, und im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, die noch im Amt ist, steht, Kinderrechte seien zu stärken. Getan hat sich bisher nichts, Herr Büttner.

(Büttner [FDP]: Haben wir gemacht!)

- Aber nicht im Grundgesetz. Darum geht es heute explizit. Die Bundeskanzlerin hat es, schon bevor es in der Koalitionsvereinbarung niedergeschrieben war, gesagt. Getan hat sich nichts. Seit dem 8. Juli 2011 - damit sind wir im Heute angekommen gibt es eine Bundesratsinitiative unseres Nachbarbundeslandes

Mecklenburg-Vorpommern. Darin geht es ebenfalls darum, Kinderrechte zu stärken und in der Verfassung zu verankern.

Wir, SPD und die Linke, haben Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, mit dem dieses Ziel unterstützt werden kann und in dem wir dazu auffordern, dass auch unsere brandenburgische Landesregierung diesen Weg geht und der Bundesregierung über den Bundesrat signalisiert, dass wir Kinderrechte in der Verfassung verankert sehen wollen.

Ich denke, dass uns Artikel 27 unserer brandenburgischen Landesverfassung dabei einen enormen Rückhalt und Rückenwind für diese Debatte geben kann; denn die Kernaussagen, die wir bereits bei uns in Brandenburg verankert haben, zielen auf ähnliche Punkte hin. Wir haben die Anerkennung der kindlichen Persönlichkeit verankert. Wir sagen: Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung sowie Missbrauch sind durch Staat und Gesellschaft in Brandenburg garantiert. Wir haben die Verpflichtung, Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen zu fördern. Ähnliches stellen wir uns auch auf Bundesebene vor. Ich glaube, dass wir dabei als Brandenburger mit gutem Beispiel vorangehen können.

Kinder haben Rechte, soweit ist das klar. Kinderrechte gehören aber nicht nur in die Bildungs- und Lehrpläne unseres Bundeslandes, sie gehören auch in die Landesverfassung. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Abgeordnete Blechinger spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

„Prominenter, als es in der Verfassung jetzt schon steht, kann es kaum stehen. Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung der Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit - das sind eigentlich die Themen von heute. Sie stehen im Grundgesetz; prominenter kann es nicht sein.“

Das war die Auffassung eines Experten bei der Anhörung zum Kinderschutzgesetz am 26. September im zuständigen Bundestagsausschuss. Auch der Vertreter des Landkreistages lehnte die Ergänzung des Grundgesetzes ab, während sich andere vehement dafür aussprachen. Ich halte das Anliegen dieses Antrags für legitim. Allerdings muss man die Zielsetzung hinterfragen.

In dem Ziel, Kinder und Jugendliche vor körperlicher und seelischer Misshandlung zu schützen, sind sich sowohl die Befürworter als auch die Gegner dieses Anliegens einig. Die Frage ist aber, ob man dieses Ziel durch eine Grundgesetzänderung erreicht. Denn wenn man dieser Logik folgt, müsste es ja den brandenburgischen Kindern besser gehen als Kindern in anderen Bundesländern, weil wir diese Rechte in unserer Verfassung schon verankert haben. Das kann man wohl vor dem Hintergrund der Kinderschutzfälle in der Vergangenheit beim besten Willen nicht behaupten.

Wenn es um eine bessere Rechtssetzung zugunsten von Kindern geht, so hat das Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen deutlich gemacht, dass Kinder Grundrechtsträger sind und

verfassungsrechtliche Ansprüche haben. Außerdem hat es klargestellt, dass bei der Abwägung der Interessen von Eltern gegenüber dem Kindeswohl dem kindlichen Anliegen nicht ein gleiches, sondern ein erheblich größeres Gewicht zukommt.

Ob dem in der täglichen Praxis immer die nötige Bedeutung beigemessen wird, steht auf einem anderen Blatt. Das ist dann aber nicht eine Frage der fehlenden Regelung, sondern der fehlenden Kompetenz der jeweiligen Entscheidungsträger.

(Beifall CDU)

Da das im Grundgesetz fixierte Wächteramt den Jugendämtern übertragen wurde, hängt es eben von der personellen Ausstattung, der Qualifikation und der Wertschätzung der Arbeit der Jugendämter ab, in welcher Weise sie diese Aufgaben wahrnehmen.

(Beifall CDU)

Insofern wird das jetzt vom Bundestag verabschiedete Kinderschutzgesetz mehr Auswirkungen auf die Verbesserung des Kinderschutzes haben als eine Änderung des Grundgesetzes. Ein weiteres Anliegen der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz könnte es sein, ein Signal an die jeweiligen Entscheidungsträger zu senden, das Wohl des Kindes stärker in den Fokus von Staat und Gesellschaft zu rücken, wie es im Antrag heißt. Diesem Anliegen könnte ich mich durchaus anschließen.

Die juristischen Grundlagen für Kinderrechte sind in vielen Gesetzen gelegt. Das KJHG formuliert sehr weitreichende Rechte für Kinder sowie Verpflichtungen für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, diese Rechte bei Wahrnehmung des staatlichen Wächteramts zu beachten. Die tagtägliche Umsetzung aber ist immer noch häufig eine Frage der Ressourcen, und die werden von den Landkreisen und kreisfreien Städten bereitgestellt, die bereits jetzt über stetig steigende Kosten der Jugendhilfe stöhnen. Dass da eine Grundgesetzänderung Abhilfe schafft, wage ich zu bezweifeln.

Was mich aber wirklich stört, ist die Tatsache, dass die Linke und die SPD sehr aktiv sind, wenn es um Entscheidungen zulasten Dritter geht.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Dort, wo Sie selbst Verantwortung tragen und die Rechte von Kindern bestmöglichst umsetzen könnten, interessieren Sie sich nicht sonderlich dafür.

(Beifall CDU)

Wir haben in dieser Legislaturperiode schon verschiedene Anträge eingebracht, sei es die Forderung nach einem Kinderschutzgesetz, wie es andere Bundesländer haben, die Forderung nach Einrichtung einer Kinderschutz-Hotline, wie sie Mecklenburg-Vorpommern mit Erfolg betreibt, die Forderung nach Einrichtung eines Kinderbeauftragten als zentrale Beschwerdestelle für Kinder, wie sie gerade wieder bei der Anhörung im Bundestag zum Kinderschutzgesetz gefordert wurde usw. Ja, Sie haben sogar eine Anhörung zu dem von Ihnen selbst in Auftrag gegebenen Bericht der Landesregierung zum Kinderschutz und zur Kindergesundheit abgelehnt.

(Beifall CDU)

Es interessiert Sie offenbar nicht, warum Eltern die kostenlosen U-Untersuchungen nicht wahrnehmen oder warum Ärzte bei erfolgter Untersuchung nicht die vorgeschriebene Rückmeldung an das Landesgesundheitsamt leisten. Sie wollen auch nicht wissen, warum nur 71 % der Kinder an den Untersuchungen im 30. bis 42. Lebensmonat teilgenommen haben, obwohl die Untersuchungen in der Kita stattfinden.

(Zurufe der Abgeordneten Frau Lehmann [SPD] und Frau Wöllert [DIE LINKE])

Offensichtlich interessiert es Sie schon gar nicht, warum der Gesundheitszustand der Jungen in diesem Alter so signifikant schlechter ist als der der Mädchen.

Das sind nur einige Fragen, die sich aus dem oben genannten Bericht über die Anhörung im Bundestag ergeben und die man durch eine Expertenanhörung zumindest intensiver beleuchten könnte. Aber daran waren Sie nicht interessiert.

Ich komme zum Schluss: Ich frage mich wirklich, ob Kinderrechte Ihnen ein aufrichtiges Anliegen sind oder ob es bloß um ein populistisches Signal geht, das nichts kostet. Da man aber nicht Gleiches mit Gleichem vergelten soll, werden wir Ihren Antrag nicht ablehnen.

(Beifall CDU sowie vereinzelt FDP und GRÜNE/B90 - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das finde ich total in Ord- nung!)

Die Abgeordnete Muhß setzt die Aussprache für die SPD-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten, die es in diesem Haus gibt und die auch heute wieder zutage getreten sind, gibt es doch auch Punkte, in denen wir uns einig sind. Diese Punkte betreffen zum Beispiel den Stellenwert von Kindern in unserem Land.

(Beifall des Abgeordneten Holzschuher [SPD])

Alle Kinder sollen gesund, frei von Angst, Bedrohung und Gewalt aufwachsen. Alle Kinder sollen ihre Fähigkeiten entfalten. Wir nehmen das ernst. Deswegen haben wir erst kürzlich das kinder- und familienpolitische Programm diskutiert und in den zuständigen Ausschuss überwiesen.

(Frau Lehmann [SPD]: Genau so ist es!)