Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

(Frau Lehmann [SPD]: Genau so ist es!)

Dieses Programm enthält ein breites Bündel an Maßnahmen, das vom gesunden Aufwachsen über familiennahe Unterstützungssysteme bis hin zur familienfreundlichen Infrastruktur reicht. Nichts von wegen wir interessierten uns nicht dafür.

Aber wir wissen auch: Mit unseren landespolitischen Möglichkeiten allein können wir nicht das gesamte Feld der Kinderschutzpolitik abdecken. Hier ist zum einen die Gesellschaft gefragt. Dazu kann ich sagen: In Brandenburg funktioniert das schon ganz gut. Die Netzwerke Gesunde Kinder sowie viele andere Initiativen beweisen das jeden Tag.

Hier ist aber auch die Bundespolitik gefragt. Leider müssen wir den Bund immer wieder mahnen, die Rechte von Kindern ernster zu nehmen. Immer mehr Kinder und Jugendliche wachsen in Deutschland in Armut auf. Immer mehr Kindern fehlt, was für andere selbstverständlich zum Leben gehört: die Mitgliedschaft im Sportverein, die Musikschule, die passende Kleidung oder auch nur ein warmes Mittagessen.

Immer mehr Kinder erfahren nicht nur materielle Armut, sondern auch Bildungsarmut sowie gesundheitliche Beeinträchtigung und soziale Ausgrenzung. Da habe ich in zwölf Jahren Pflegeelternschaft so einiges erlebt; das können Sie mir glauben.

Zufällig habe ich vorgestern Abend im Zug eine völlig zerfledderte „Süddeutsche Zeitung“ gefunden, auf der obenauf folgender Artikel lag: „Der große Graben“ von Alex Rühle: „Nirgendwo hängt beruflicher Erfolg so sehr von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland“, ist der Untertitel.

Weiter unten steht:

„Die Schere geht auf in einem Alter, in dem viele Kinder noch gar nicht ,Schere‘ sagen können.“

Deswegen muss die Bundesregierung endlich dafür sorgen, dass die Infrastruktur für Familien ausgebaut wird. Sie muss dafür sorgen, dass jedes Kind in Kita, Schule und darüber hinaus Zugang zu Bildung hat, und sie darf nicht länger gegen die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz stehen. Für diese Kinderrechte werben ja nicht nur wir; dafür werben auch das Deutsche Kinderhilfswerk, der Deutsche Kinderschutzbund und UNICEF Deutschland unisono. Vielleicht kann man wenigstens diesen glauben, wenn schon nicht uns.

Hier kann auch niemand sagen, wir würden mit dem Finger auf andere zeigen und selbst nichts tun, wie es Frau Blechinger eben versucht hat. Denn das, was wir hier für die Bundesebene einfordern, gibt es in Brandenburg bereits seit langem, und zwar sehr dezidiert in Artikel 27 der Landesverfassung, wie es Herr Krause bereits ausführte.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. - Es ist der Bund, der hier noch hinterherhinkt. Wir fürchten, dass das so bleiben wird, wenn wir aufhören, für diese Rechte zu werben.

Ein häufig gehörter Einwand lautet, dass die in der Verfassung verankerten Menschenrechte auch für Kinder gelten. Das haben wir gerade wieder gehört. Dies stimmt zwar, reicht jedoch nicht aus. Es reicht bei weitem nicht, wenn wir Kinderschutz und Kinderrechte ernst nehmen.

Das Grundgesetz bildet den normativen Bezugsrahmen für unser Zusammenleben. Es stellt die Weichen dafür, wie wir jetzt und in Zukunft mit Kindern umgehen und was wir ihnen zugestehen. Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz würde ein für alle Mal klarstellen, dass Kinder eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten sind. Wenn die Kinderrechte im Grundgesetz verankert würden, müssten sich nicht nur

Behörden, sondern praktisch alle Gremien in diesem Land an diesen Grundsätzen orientieren, wenn sie Entscheidungen treffen, die sich auf Kinder auswirken.

Wir stellen diesen Antrag, weil wir ein Signal senden wollen, und zwar ein Signal an die anderen Länder, aber auch an den Bund, die UN-Kinderrechtskonvention endlich in vollem Umfang umzusetzen. Wir stellen diesen Antrag, weil wir es mit dem Kinderschutz und den Kinderrechten ernst meinen. - Vielen Dank.

(Frau Lehmann [SPD]: So ist es! - Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Büttner setzt die Debatte für die FDP-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen Torsten Krause und Ina Muhß, wenn ich den ersten Satz bzw. die ersten beiden Sätze Ihres Antrages heranziehe, stimmen wir völlig überein. Natürlich haben Kinder das Recht auf Achtung ihrer Würde und genießen in besonderer Weise den Schutz von Staat und Gesellschaft. Selbstverständlich sind Kinder und Jugendliche vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen.

Den zweiten Absatz Ihres Antrages lehnen wir allerdings ab. Ich werde Ihnen auch erklären, warum wir das tun. Herr Kollege Holzschuher, bisher haben stets Nicht-Juristen dazu gesprochen. Sie als Jurist haben diesen Antrag jedoch unterschrieben. Insofern war ich schon sehr überrascht, als ich gelesen habe, dass der letzte Satz der Begründung dieses Antrages lautet:

„In diesem Sinne sollten die Rechte von Kindern und Jugendlichen als Grundrechtsträger … in das Grundgesetz aufgenommen werden.“

Das scheint mir wieder einmal ein Beispiel dafür zu sein, dass Sie das Grundgesetz nicht verstanden haben.

(Oh! von der Fraktion DIE LINKE und SPD)

Selbstverständlich sind Kinder und Jugendliche Grundrechtsträger. Artikel 2 des Grundgesetzes - das Recht auf körperliche Unversehrtheit - gilt selbstverständlich für alle Menschen, wozu auch Kinder gehören, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP - Holzschuher [SPD]: Wir haben es aus- drücklich betonen wollen, weil die Kinder besonderen Schutz brauchen!)

Eine Verfassungsänderung führt nicht zu mehr Schutz oder zu mehr Rechten von Kindern. Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen hätte rein symbolischen Charakter. Sie, liebe Ina Muhß, haben gerade gesagt, das sei ein Signal. Die Verfassung ist aber als ein solch hohes Gut anzusehen, dass wir nicht Signale in die Verfassung bzw. in das Grundgesetz aufnehmen sollten.

(Frau Muhß [SPD]: Unser Antrag ist das Signal!)

Wir meinen, dass es nicht richtig ist, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen, weil sie bereits in das Grundgesetz aufgenommen worden sind, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Eine Änderung des Grundgesetzes könnte auch Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden. Die Aufnahme gesonderter Kinderrechte wird keines der bestehenden Probleme, auf die Kollegin Blechinger bereits hingewiesen hat - mangelnde Chancengleichheit, Kindesvernachlässigung und Kindesmissbrauch -, lösen. Das Einzige, was wir tun können, ist, präventiv tätig zu werden und bestehende Gesetze konsequent anzuwenden.

Kinderrechtsverletzungen lassen sich nicht unmittelbar auf das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Umsetzung zurückführen. Schon jetzt, lieber Torsten Krause, muss man bei der Auslegung von Gesetzen auf die Kinderrechtskonvention Bezug nehmen. Die UN-Kinderrechtskonvention hat bereits Eingang in das europäische Recht gefunden. Artikel 24 Abs. 1 der EUGrundrechtecharta lautet:

„Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.“

Zwei weitere Absätze folgen auf diese Weise.

Die Präambel der UN-Kinderrechtskonvention betrachtet Kinder als gleichwertige und gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft, mit der allen Menschen innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte. Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Dieser kindzentrierte Ansatz, lieber Kollege Krause, besteht seit Regierungsantritt der schwarz-gelben Bundesregierung. Aus diesem Grund gab es im Jahr 2009 einen Wahlabend, an dem man nur ein lachendes Auge haben konnte.

Die Vorbehalte gegen diese Konvention hat die schwarz-gelbe Bundesregierung zurückgenommen. Das hat die SPD in elf Jahren Regierungsverantwortung nicht zustande gebracht. Insofern brauchen Sie uns heute diesen Antrag, der Augenwischerei ist, auch nicht vorzulegen.

(Beifall FDP und CDU)

Wo war denn die SPD in Brandenburg in diesen elf Jahren? Die SPD-Regierung des Landes Brandenburg hätte sich dafür starkmachen können, aber nein, es wurde nichts dergleichen unternommen.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erkennt rechtsgrundsätzlich an, dass das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Artikel 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG ist. Deswegen sind sie auch Grundrechtsträger.

Frau Kollegin Blechinger hat darauf hingewiesen: All das, bei dem es um die praktische Umsetzung geht, bei dem wir Kindern die Möglichkeit geben können, geschützt zu werden, bei dem wir tatsächlich präventiv tätig werden und ihnen helfen können, haben Sie abgelehnt.

Dazu noch folgendes Beispiel: Im Mai 2010 hatten wir für das Land Brandenburg eine Kinderkommission gefordert, die sich mit den tatsächlichen Problemen der Kinder beschäftigen sollte. SPD und die Linke hatten diesen Antrag abgelehnt. Sie, Herr Kollege Krause, haben gesagt, man könne sich doch an den Bildungsausschuss wenden, bei dem es eine solche Kommission geben würde. Sie haben das Prinzip der Kommission nicht verstanden, und nun fordern Sie etwas, was die Situation der Kinder nicht wirklich beeinflussen kann. Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Frau Melior [SPD]: Schade! - Beifall FDP und CDU)

Die Abgeordnete von Halem setzt die Debatte für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim ersten Lesen klingt der vorliegende Antrag gut und plausibel. Kinderrechte stärken - ja, da machen wir doch mit. Beim zweiten Lesen wird man ein wenig stutzig. Was steht denn eigentlich in der UN-Kinderrechtskonvention?

(Krause [DIE LINKE]: Ganz viel!)

Eine umfassende Verankerung der UN-Kinderrechtskonvention würde Kindern und Jugendlichen auch ein Recht auf Bildung, auf soziale Sicherheit und auf die Förderung ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten garantieren. Das ist mehr, als die Brandenburger Verfassung fordert. Wäre es dann nicht angemessener, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren, als mit dem Finger auf andere zu zeigen?

Wo sind eigentlich die praktischen Politikfelder, für die die Landesregierung und die sie tragenden Parteien verantwortlich sind? Warum gibt es für annähernd 20 % aller Kinder, bei denen in den Kindertagesstätten Sprachförderbedarf konstatiert wird, keine ausreichende Sprachförderung? Warum liegt die Quote armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher in Brandenburg bei etwa 20 %? Warum verlassen 10 % aller Jugendlichen in Brandenburg die Schule ohne einen Schulabschluss? Was hilft uns da die Grundgesetzänderung?

Eine kleine Replik auf die gestrige Debatte kann ich mir nicht verkneifen. In der Begründung zu Ihrem Antrag wollen Sie die Rechte von Kindern und Jugendlichen als eigene Rechtspersönlichkeiten in das Grundgesetz aufgenommen sehen. So, so! Wenn ich höre, was die Kollegen Krause und Muhß heute sagen, und wenn ich daran denke, was der Kollege Richter von der SPD-Fraktion gestern gesagt hat, dann denke ich: Ich bin im falschen Film.

(Frau Alter [SPD]: Das denken wir manchmal!)

Heute begrüßen Sie verschiedene Forderungen aus der UNKinderrechtskonvention, wie etwa:

„… die Beteiligung bei öffentlichen Entscheidungen, die die Interessen der jungen Menschen berühren können...“

Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen? Ziemlich wortgleich habe ich genau das gestern für die Brandenburger Kommunalverfassung beantragt, und Sie haben es abgelehnt.