ob es jetzt, nach 20 Jahren Erfahrungen nicht möglich sein sollte, dass Leute vor der Veröffentlichung von Akten, vor der Möglichkeit ihrer Kenntnisnahme durch die Presse beispielsweise, in Kenntnis darüber gesetzt werden sollten, wenn diese Akten sie belasten, bevor ein Urteil feststeht.
Ich habe die Fragen auch ausdrücklich an die Vertreterinnen und Vertreter der Presse gerichtet. Nehmen Sie sich die Ruhe, die Überschriften der letzten Tage noch einmal zu lesen. Wir haben zwei neue Fälle, und das ist schlimm genug. Dafür übernehmen wir die Verantwortung, soweit wir das politisch können, und wir müssen es auch. Aber bis zur Nummer Sieben haben es die „Bild-Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“ gebracht, und gerade diese beiden in einem Zusammenhang zu nennen fällt mir sehr schwer.
Halten Sie denn diesen Umgang, bitte, für verhältnismäßig? Halten Sie von der CDU es für verhältnismäßig,
aufgrund solcher Meldungen Neuwahlen - gleich Neuwahlen zu fordern? Halten Sie es für verantwortlich, ohne jede politische Alternative - allein über eine solch fragwürdige Debatte eine Regierungskrise und Neuwahlen herbeizureden?
Es gibt einen Konsens über den Umgang mit den Stasiunterlagen, und der sollte wichtig bleiben. Aufarbeitung sollte stattfinden, Opfer sollten unterstützt und Täter erkannt werden. Die Strukturen des MfS, die Machtstrukturen der DDR sollten aufgearbeitet werden.
Wissenschaftliche Arbeit und historische Forschung - das ist der Anspruch. Diesen Zielen und Ansprüchen sollten wir genügen. Ob ihnen in den letzten Wochen entsprochen wurde? Wenn der tagespolitische Zweck von Leuten dazu führt, dass sich die Debatte allein auf IMs beschränkt, dann - schließe ich daraus ist hier eine politische Allzweckwaffe gegen eine ungeliebte Koalition bundesweit in Anschlag gebracht worden.
Ich denke, dass das nicht den Zielen und Ansprüchen des StasiUnterlagen-Gesetzes entspricht, die ich ausdrücklich teile. Ob dieser Umgang mit Akten angemessen und verhältnismäßig ist, werden wir klären.
Angesichts der Weigerung einzelner Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE, sich ihrer Biografie und Verantwortung zu stellen, stellt sich diese Frage ebenfalls. Dass diese Art des Umgangs mit Vergangenheit Aufklärung und demokratisches Bewusstsein fördert, bezweifle ich ebenfalls.
Meine Damen und Herren, gesagt ist gesagt. Ich relativiere nicht. Ich relativiere nicht die politische Verantwortung meiner Partei und auch nicht meine persönliche Verantwortung. Ich relativiere nicht die Kritik am Verhalten von Dr. Hoffmann und Frau Adolph und auch nicht den Vorwurf der Wählertäuschung. Aber ich bitte Sie! Die gestellten Fragen kann ich mir, meiner Fraktion und uns in diesem Parlament nicht ersparen, damit uns Geschichte künftig nicht handlungsunfähig macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was folgt nun aus dieser Debatte? Erstens: Setzen wir das Parlament in seine Rechte und in seine Verantwortung ein! Verabschieden wir zügig die Änderung des Abgeordnetengesetzes und klären so sachlich und angemessen einen Teil der Biografien aller Abgeordneten.
Zweitens: Wir haben heute die Chance, uns eindringlich in Erinnerung zu rufen, dass mit der Einteilung einer Gesellschaft in Freund und Feind mit Schwarz-Weiß-Denken und mit moralischen Überlegenheitsansprüchen, an die ich mich gut erinnere und die ich nicht wiederhaben möchte,
und erst recht nicht mit Zwecken, welche die Mittel heiligen, keine demokratische Gesellschaft zu gestalten ist, weil es mit den Lehren aus der Geschichte eben nicht nur um Vergangenheit, sondern hier und heute um Gegenwart und Zukunft geht. Vielen Dank.
„Von ihrer Landesregierung erwarten die Menschen in Brandenburg, dass sie dauerhaft stabile politische Verhältnisse im Lande gewährleistet sowie ordentlich und geschlossen ihre Arbeit verrichtet.“
Kaum zu glauben, dass seitdem nicht einmal vier Wochen vergangen sind, vier Wochen, in denen im Wochenrhythmus über neue Stasi-Fälle oder Stasi-Anschein-Fälle in den Medien berichtet wird, vier Wochen, in denen zunächst die Fraktion DIE LINKE, dann zunehmend die gesamte Landesregierung und inzwischen das gesamte Land in der Diktion des Ministerpräsidenten schmerzlich damit konfrontiert wurden, dass Schein und Sein, Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinanderklaffen. Vier Wochen, in denen deutlich wurde, dass wir von einer Versöhnung zwischen Opfern und Tätern der Diktatur des Proletariats meilenweit entfernt sind, vier Wochen aber auch, in denen der Keim des Misstrauens zwischen uns Abgeordnete gesät wurde und langsam, aber sicher gewachsen ist.
Ich frage Sie: Wer von uns würde heute noch seine Hand für einen vor 1970 geborenen Abgeordneten der Linken ins Feuer legen? Wer von Ihnen würde heute noch eine Ehrenerklärung für einen langjährigen Kollegen abgeben?
Es ist keine vier Wochen her, dass ich in meiner Antwort auf diese Regierungserklärung an dieser Stelle warnte, dass „mögliche demnächst zutage tretende Gedächtnisverluste Einzelner dann böse auf Sie - DIE LINKE - zurückfallen werden.“ Heute muss ich mich an dieser Stelle korrigieren: Die Gedächtnisverluste Einzelner fallen nicht nur böse auf Sie, DIE LINKE, zurück, sondern sie fallen auf die gesamte Landesregierung zurück, ja, sie drohen inzwischen das Ansehen des gesamten Landes bundesweit zu schädigen.
An dieser Stelle möchte ich aber auch gleich einfügen: Ich gehe bis zum Beweis des Gegenteils davon aus, dass die Führung der Linken von den Fällen keine Kenntnis hatte. Wenn sie davon Kenntnis gehabt haben sollte und dies bekannt wird, werde ich der Erste sein, der von diesem Ministerpräsidenten - Herr Minister Platzeck - die Auflösung dieser Koalition fordern wird.
Es sind aber nicht allein die Gedächtnisverluste oder die im Wochenrhythmus zutage geförderten Verpflichtungserklärungen und Aktenauszüge der Stasi-Unterlagen-Behörde, die das Ansehen der Regierung und das Ansehen des Ministerpräsi
denten beschädigen. Nicht zuletzt sind es auch das Verhalten und die Reaktionen - mitunter auch die Nichtreaktionen - des Ministerpräsidenten selbst, die sein persönliches Ansehen bundesweit auf den Nullpunkt zu bringen drohen.
Was hätten wir von einem Ministerpräsidenten erwartet, der in seiner ersten Regierungserklärung eine gute Viertelstunde lang über das Prinzip Verantwortung referiert? - Ganz einfach! Dass er Verantwortung auch dann übernimmt, wenn es gefordert ist, dass er angesichts immer neu auftauchender belastender Materialien aus der Stasi-Unterlagen-Behörde und dem dazugehörigen Medienecho die Verantwortung für deren Aufarbeitung nicht an seinen Koalitionspartner delegiert, sondern von sich aus vor die Presse und vor uns als gewählte Volksvertreter tritt und erklärt, wie er mit der Situation umzugehen gedenkt und Vertrauen in seine Regierung wiederherstellen will.
Wir hätten gern erfahren, welchen Maßstab er an die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen legt, die mit der Stasi in Kontakt standen. Wir hätten gern gewusst, ab wann er einen Abgeordneten als Träger seiner Regierung für untragbar hält und welche Konsequenzen er dann von diesem Abgeordneten und den Fraktionen, von dessen Fraktion erwartet.
Wenn schon wir als Abgeordnete mangels nach außen erkennbarer und dokumentierter Handlungen keinen Aufklärungswillen des Ministerpräsidenten ersehen können, dann hätten wir wenigstens gern gehört, woran er selbst seinen Aufklärungswillen festmacht. Wir hätten auch gern gehört, ab wann für ihn das Maß voll ist, ab wann er für seine Regierung keine Legitimierung mehr sieht und wie er dann zu handeln gedenkt.
Weil wir all dies bis vorgestern nicht gehört hatten, haben wir diese Sondersitzung beantragt, um Ihnen hier Gelegenheit zu geben, sich selbst zu erklären. Was wir allerdings nicht hören wollten, ist, dass die Verantwortung auf zwei Sündenböcke abgewälzt wird, dass die Opposition einen dicken Balken im eigenen Auge hat und die Sozialdemokratie der Hort des Wahren und Guten ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich noch einige Gedanken in unserer eigenen Sache als Abgeordnete und Parteimitglieder vorausschicken. Der Ministerpräsident hatte auch schon herausgearbeitet, wieso es möglich ist, dass sich dieser Landtag - wenn momentan auch nur in Gestalt einer einzigen Fraktion - als Biotop für ehemalige Stasi-Aktivisten herausgestellt hat.
Das ist aber - und das hat er deutlich herausgearbeitet - eine Folge von Versäumnissen des gesamten Hauses in den letzten zwanzig Jahren. Es ist die Folge dessen, dass das anders als in anderen ostdeutschen Bundesländern mit obligatorischen Überprüfungen, wo dieser Fall hätte erst gar nicht auftreten können,
jeder Kandidat von vornherein gewusst hätte, dass er nach erfolgter Wahl durchleuchtet werden würde. Das war hier nicht gegeben.
Was der Ministerpräsident aber nicht genannt hat, sind die Gründe für diesen Verzicht auf eine Regelüberprüfung, der uns die heutige Situation erspart hätte. Diese Gründe sind unseres Erachtens in der Frühzeit dieses Bundeslandes zu suchen. Nennen wir die Gründe: Stolpe-Faktor und Diestel-Bremse,
ein ehemaliger Ministerpräsident, der kein Interesse an einer offensiven Aufarbeitung seiner Kontakte mit der Staatssicherheit hatte,
eine oppositionelle Linke, die lieber nicht zu genau wissen wollte, mit wem sie da in einer Fraktion sitzt, ein bis heute und jetzt nehme ich einmal mein Recht auf Indemnität in Anspruch - dubios erscheinender CDU-Fraktionsvorsitzender und Ex-Innenminister der letzten DDR-Regierung,