Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

die das Flughafenasylverfahren unter einem SPD-Bundesinnenminister Otto Schily und einem Vizekanzler und Bundesaußenminister Joschka Fischer von den Grünen in sieben Jahren Regierungsverantwortung eben nicht abgeschafft haben.

(Vereinzelt Beifall CDU - Frau Melior [SPD]: Na, dann wird es jetzt aber Zeit!)

Da frage ich Sie, Frau Stark: Warum denn nicht? Da frage ich Sie, Frau Nonnemacher: Warum denn nicht? Sie hatten sieben Jahre Zeit dazu!

Es ist auch so, dass gerade unter Rot-Grün eine durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily eingesetzte Arbeitsgruppe das Flughafenasylverfahren gerade auf seine Verhältnismäßigkeit hin untersucht hat. Im Ergebnis hat er daran festgehalten, und er wusste schon, warum: aus guten Gründen!

(Zurufe von der Fraktion GRÜNE/B90)

Es ist gut und richtig, über humanitäre Aspekte zu reden, und dazu sind wir immer bereit. Eine an humanitären Grundsätzen ausgerichtete Gesellschaft wird auch immer bereit sein, Schutzbedürftige aufzunehmen. Oberstes Gebot von Flüchtlingspolitik muss der Schutz von Verfolgten sein; das ist klar. Schutz muss auch großzügig gewährt sein.

Wir sind aber gegen jede Großzügigkeit, wenn es um die Aufweichung von absolut bewährten Verfahren geht wie eben des Flughafenasylverfahrens, das heute hier zur Debatte steht, ein Verfahren, das bewusst darauf ausgerichtet ist, bestimmten Entwicklungen im Asylbereich von vornherein entgegenzuwirken.

Jedem der Einwände, das Asylrecht und die dabei angewandten und bewährten Verfahren vertrügen Lockerung, kann ich nur entgegnen: Asylpolitik ist immer für Jahre, ist nicht für den Moment und nicht nur für die Gegenwart. Asylpolitik muss auch weit vorausschauend für schwierige Großwetterlagen, die uns immer wieder ereilen können, vorausplanen.

Ich hatte den Asylkompromiss von 1992/93 schon angesprochen. Neben den Regelungen der sicheren Drittstaaten und der sicheren Herkunftsstaaten war dieses Flughafenasylverfahren auch ein ganz wesentlicher Teil des Asylkompromisses, der damals notwendig war. Deshalb stehen wir auch in Zukunft für eine vorausschauende und antizipierte Asylpolitik und die Beibehaltung des Flughafenasylverfahrens als Bestandteil einer solchen Politik und lehnen den vorliegenden Antrag ab. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lakenmacher. - Die Aussprache wird mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fortgesetzt. Frau Abgeordnete Fortunato hat das Wort.

Frau Vorsitzende! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lakenmacher, wer von explodierender Grenzkriminalität spricht, sollte sich nicht an der Wortwahl anderer reiben.

(Beifall DIE LINKE, GRÜNE/B90 sowie vereinzelt SPD)

Was sich mir auch nicht erschließt, ist Ihre Aussage, „bestimmten Entwicklungen im Asylbereich vorzubeugen“. Das müssen Sie mir vielleicht noch einmal erklären, welche Entwicklungen dies sind.

Nun zum Flughafenasylverfahren: Das Flughafenasylverfahren das wurde hier schon mehrmals gesagt - ist für mich eine weitere Form der Abschottung der Grenzen. Es war ein Kompromiss 1993, ein Asylkompromiss. Es wird derzeit in der Bundesrepublik Deutschland in Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München durchgeführt, also nicht an allen Flughäfen. Es war also ein Kompromiss.

(Zuruf des Abgeordneten Lakenmacher [CDU])

Kompromisse haben gute und auch faule Seiten. Dieser Flughafenkompromiss hat eine faule Seite!

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt DIE LINKE und SPD)

Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass die Linke, die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeinsam ein Signal aus Brandenburg setzen wollen: Wir wollen kein Flughafenasylverfahren auf dem neuen Flughafen BER und auf keinem anderen Flughafen in Deutschland!

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Menschenrechtsverbände, Kirchen und Flüchtlingsräte fordern zu Recht seit Jahren die Abschaffung dieses Verfahrens. Die Unterbringung während des Flughafenasylverfahrens auf dem Flughafengelände ist problematisch für die Menschen. Sie können sich dort nicht frei bewegen und müssen ausharren und warten, was mit ihrem Antrag passiert. Derzeit richtet sich die Kritik vermehrt besonders an das Land Brandenburg, denn auf dem neuen Flughafen BER soll dieses Verfahren weitergeführt werden. Seit Jahren findet es in Schönefeld statt. Doch wäh

rend in Schönefeld die Menschen unter schwierigen Bedingungen räumlich und persönlich eingeschränkt ihren Antrag vorbringen müssen, können andere Menschen - nur 40 km Luftlinie entfernt - in Berlin-Tegel landen und dasselbe Verfahren in den Räumen der dortigen Erstaufnahme-Einrichtung durchlaufen. Das ist obendrein eine Ungleichbehandlung. Dieses Verfahren gefährdet also die Grundrechte auf Asyl. Es können unter Bedingungen des Flughafenasylverfahrens falsche Entscheidungen getroffen werden!

Gerade die Entwicklung in den letzten Jahren in Nordafrika oder in den arabischen Ländern und in den Bürgerkriegsstaaten in Ex-Jugoslawien sollten gerade uns Deutschen eine Mahnung sein, mit diesem Menschengrundrecht auf Asyl, auf Schutz vor Verfolgung, nicht so leichtfertig umzugehen. Während man derzeit auf europäischer Ebene Änderungen in Asyl- und Aufnahmeverfahrensrichtlinien diskutiert und in deren Folge das Flughafenasylverfahren wahrscheinlich nicht mehr aufrechterhalten wird, hält der Bund daran fest. Auch mehrfaches Vorbringen durch das Land Brandenburg hat daran nichts ändern können. Doch glauben die Antragsteller daran, dass sich etwas ändern wird, ja, dass sich etwas ändern muss. Wir wollen die Landesregierung explizit noch einmal darin bestärken, ihre Bemühungen weiter fortzusetzen, letztlich durch eine Bundesratsinitiative.

Die Landesregierung sollte hier auch noch einmal auf einen besonderen Fakt hinweisen, dass zum Beispiel unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schon jetzt nicht mehr dieses Verfahren durchlaufen müssen. Rot-Rot hat bereits mit mehreren Initiativen auf Bundesebene Vorbildwirkung erzielt. Wir haben die Residenzpflicht gelockert und aufgehoben. In der Folge haben das auch andere Länder getan. Wir haben mit Berlin die Vereinbarung zum Aufenthalt von Flüchtlingen im jeweiligen benachbarten Bundesland geschlossen - andere Länder wollen dies nun auch tun. Gerade deshalb hat auch dieser Antrag eine hohe Bedeutung nach innen und nach außen.

Lassen Sie mich mit einem Wort von Bertolt Brecht aus den „Flüchtlingsgesprächen“ schließen:

„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“

- Ich danke Ihnen.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie SPD und DIE LINKE)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fortunato. - Bevor das Wort der FDP-Fraktion gegeben wird, stelle ich fest, dass wir die Mitglieder des Stadtmarketingvereins Luckenwalde hier zu Gast haben. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort erhält nun der Abgeordnete Goetz von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat sich mit diesem Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, sehr, sehr schwergetan. Es gibt viele verschiedene Seiten, die zu betrachten sind, die der umfangreichen Abwägung bedürfen, um dann zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen.

Ich möchte einige der Konflikte nennen, die uns hier bewegen. Es gibt viele Begriffe - Kollege Lakenmacher hat diese berechtigt vorgetragen -, mit denen gegen das Verfahren polemisiert wird, mit denen in das Verfahren auch Emotionen hineingetragen werden, die so diesem Verfahren nicht guttun. Es ist tatsächlich so, dass Stellen zum vorübergehenden Wohnen auf Flughäfen kein Knast, kein Gefängnis sind.

(Zuruf des Abgeordneten Vogel [GRÜNE/B90])

Es ist auch nicht so, dass dort jemand eingesperrt wird. Rechtsstaatlich betrachtet ist das Gegenteil der Fall: „Ausgesperrt“ ist die richtige Bezeichnung für das, was dort passiert. Die Menschen werden daran gehindert, nach Deutschland einzureisen. Es ist also ein Aussperren, kein Einsperren. Insofern stimmt die Begrifflichkeit nicht, die an verschiedenen Stellen dort verwendet wird.

(Frau Stark [SPD]: Das ist doch nun völlig egal, ob einge- sperrt oder ausgesperrt! - Weitere Zurufe)

Trotzdem ist festgestellt, bei allen Konflikten, die man hat, auch verfassungsgerichtlich festgestellt, dass auch das Flughafenasylverfahren grundgesetzlichen Anforderungen genügt. Das ist die eine Seite, die wir erleben, dass wir also sagen: Ja, es gibt Konflikte, ja, es gibt Schwierigkeiten. Aber diese Konflikte werden im Flughafenasylverfahren auf eine grundrechtskonforme Weise ausgetragen. Trotzdem: Auf der anderen Seite handelt es sich bei diesem Verfahren um eine Art „Rechtsstaat light“. Es gibt also deutliche Reduzierungen der rechtsstaatlichen Möglichkeiten, die wir in anderen Bereichen, beim normalen Asylverfahren haben. Deswegen ist natürlich eine Ungleichbehandlung gegeben, die zwar grundgesetzkonform ist das ist festgestellt, das haben wir zu akzeptieren -, wo aber jeder Einzelne sich fragen muss, ob er das so will, ob das seinen politischen Vorstellungen entspricht, ob das seinem Gerechtigkeitsempfinden entspricht und wir dabei bleiben sollen. Das ist ein Konflikt, den man hat.

Richtig ist, dass man in 19 Tagen möglicherweise ein Asylverfahren nicht wirklich in der gebotenen Qualität durchführen kann und dass bei einem Verfahren in 19 Tagen das Risiko wirklich größer ist, dass es dort zu Fehlentscheidungen kommt, als bei einem richtigen, langwierigen Verfahren. Andererseits kann solch ein Asylverfahren eben auch nicht fünf, sechs, sieben oder acht Jahre dauern, die normale Asylverfahren brauchen.

Wir brauchen im Grunde beides. Wir brauchen einen Kompromiss aus den sehr schnellen, sehr kurzen Flughafenasylverfahren und den eigentlichen Asylverfahren, die sich teilweise über viele Jahre hinziehen. Insofern bedarf das Asylverfahrensrecht insgesamt einer deutlichen Überarbeitung, um durchaus im anderen Bereich auch zu Straffungen zu kommen, aber im Asyl

verfahren auf Flughäfen auch eine Angleichung dieses Verfahrens vorzunehmen. Ich halte es für ungünstig, zwei verschiedene Verfahrensarten zu einem Thema zu haben, die bundesweit, auch in 40 km Entfernung - das ist angebracht worden -, in unterschiedlicher Weise wahrgenommen werden. Da ist, glaube ich, Vereinheitlichung angezeigt.

Die Konflikte gehen weiter. Im Regelfall werden die Anträge der Asylbewerber abgelehnt. Es gibt Statistiken dazu aus allen Bundesländern. Auch das ist gesicherte Praxis. Die meisten, die kommen und Asylanträge stellen, die am Ende aber doch nicht verfolgt werden, haben keinen Anspruch auf Asyl und werden deswegen dann entweder zurückgeschoben oder haben sich inzwischen Bleiberecht erworben, weil sie dann schon so viele Jahre hier sind, weil Familien hier sind, dass sie dann über die Duldung bei uns bleiben. Das ist die eine Variante.

Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass unter den vielen Bewerbern, auch wenn die Mehrheit abgelehnt wird, doch viele Einzelfälle sind, wo die Berechtigung des Asylbegehrens festgestellt wird. Der Konflikt, vor dem wir stehen, ist eben, ob wir dann sagen: „Wir nehmen in Kauf, mit einem sehr kurzen Verfahren, weil die meisten unberechtigt sind, auch die berechtigten Asylbewerber abzulehnen“, oder ob wir umgekehrt sagen: „Nein, diese berechtigten Asylbewerber führen zwingend dazu, dass wir auch die, die sich unberechtigt um Asyl bewerben, längere Zeit bei uns haben“, dass wir sie in ein längeres Verfahren hineinbringen, um an Ende zu einer richtigen Entscheidung zu kommen.

In diesem ganzen Spektrum haben wir uns bewegt. Wir haben es uns in der Fraktion nicht leicht gemacht, haben lange darüber diskutiert, auch in der Fraktionssitzung, wie wir damit umgehen wollen. Sie, meine Damen und Herren, haben hier drei Anträge gestellt. Ich persönlich - das ist jetzt keine Fraktionsmeinung - würde problemlos den ersten Antrag mittragen, auch den dritten.

Was ich nicht möchte, ist eine Abschaffung des Flughafenasylverfahrens nur für Schönefeld, weil ich bundesweit einheitliche Regelungen möchte und nicht möchte, dass im Grunde ein weiterer Sonderfall geschaffen wird, der sich dann von anderen großen deutschen Flughäfen wie insbesondere Frankfurt und München als Nummer 1 und 2 unterscheidet, was vorhersehbar ist.

Lassen Sie sich überraschen, wie die Abgeordneten der FDPFraktion abstimmen werden. Das Thema ist es allemal wert, weiter darüber zu diskutieren, es weiter zu behandeln. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Überweisung in den Innenausschuss erfolgt wäre, um uns dort noch stärker mit dem Thema befassen zu können. Das hätte unsere Zustimmung gesichert, das hätte uns das Thema weiter erörtern lassen, hätte auch mehr Öffentlichkeit geriert, die auch gewillt ist, sich damit zu befassen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. - Die Aussprache wird von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fortgesetzt. Frau Abgeordnete Nonnemacher hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ganz nach dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ bringen wir heute einen Antrag ein, nach dem auf das Flughafenasylverfahren verzichtet werden soll. Das Flughafenasylverfahren nach § 18a Asylverfahrensgesetz schränkt das Grundrecht auf Asyl massiv ein. Menschen, die ohne gültige Papiere einreisen und einen Asylantrag stellen wollen, werden an der Einreise gehindert. Innerhalb kurzer Fristen wird im Schnellverfahren über den Asylantrag entschieden.

Als prominentes Beispiel für einen Asylsuchenden verweise ich auf den Namenspatron des Flughafens, Willy Brandt. Er hat einst Schutz in Norwegen gesucht und auch gefunden. So wie es damals Willy Brandt erging, geht es vielen Asylbewerbern heute. Im eigenen Land unerwünscht, verfolgt und auf der Flucht, oft traumatisiert, haben sie Haus und Hof verloren und auch ihre Familien. Dennoch wird von ihnen verlangt, dass sie nicht nur in der kurzen Zeit von zwei Tagen einen lückenlosen Ablauf der Ereignisse schildern, sondern auch alle möglichen Unterlagen beibringen, deren Beschaffung realistischerweise mehrere Monate in Anspruch nehmen würde. Da sie das Unmögliche zu leisten nicht imstande sind, wird ihnen die Durchführung des Asylverfahrens verweigert und somit jegliche Hoffnung auf Schutz und Hilfe genommen.

Zutreffend führen die Wohlfahrtsverbände in ihren Pressemitteilungen aus, es sei schlichtweg unmöglich, die Unterlagen beizubringen, das Flughafenasylverfahren sei von Experten als hastig, unfair, mangelhaft und auch als rechtsstaatswidrig bezeichnet worden. Unter dem Druck der Fristen ist die notwendige Sorgfalt und eine umfassende Sachverhaltsaufklärung nicht zu leisten. Ein effektiver Rechtsschutz mit dem Zugang zu Rechtsanwälten und einer unabhängigen Beratung ist im Flughafenverfahren nicht gegeben. So sind die Fristen zum Einlegen von Rechtsmitteln sehr kurz und Abschiebehindernisse werden regelmäßig nicht umfassend geprüft.

In einer gemeinsamen Stellungnahme der Menschenrechtsverbände, der Kirchen und der Flüchtlingsräte vom 20. Januar dieses Jahres wird darauf verwiesen, dass die Ablehnung von Eilanträgen durch das Gericht bereits ohne schriftliche Begründung rechtskräftig werde, sodass die Betroffenen abgeschoben werden können, bevor sie die Möglichkeit erhalten, weiteren Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.