Es wird zuweilen davon geredet, dass wir Ostdeutschen Konflikte eher meiden würden und mehr auf Konsens setzten. Wenn
diese Beobachtung denn richtig ist, dann ist leider auch die Schlussfolgerung richtig, dass die Opfer von vermiedenem Streit, von Scheu vor der Auseinandersetzung immer die Schwächsten der Gesellschaft sind. Kooperativ zu sein ist nun einmal kein Wert an sich. Es gibt Situationen, wo es das Gegenteil von Zivilcourage ist.
Ich finde es in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, mit welcher Verve sich heute ehemalige SED-Mitglieder manchmal über Kinderarmut ereifern, aber bisher wenig Worte zu diesem Unrecht verloren haben, das einst im Namen ihrer Partei begangen wurde.
Denn natürlich gibt es immer noch die Haltung, dass auf angeblich missratene Individualität von Heranwachsenden mit Strenge und Härte zu reagieren sei. Und es gibt eine Tradition des Wegschauens, wenn der Punkt erreicht ist, an dem ein Aufschrei notwendig wäre. Und übrigens: Zu diesem Konsens, wie dieses Kapitel der Jugendhilfe zu bewerten ist, ist noch nicht der ehemalige Abteilungsleiter im damaligen Ministerium gelangt, dessen Schriften heute leider noch in manchen Bildungseinrichtungen als Material für Pädagogen benutzt werden. Da ist noch viel zu tun in unserer Gesellschaft.
Natürlich bleibt auch die Frage an meine Elterngeneration, warum es viele zugelassen haben, dass sich eine machtbesessene Funktionärselite an diesen Kindern vergreifen konnte. Bei der von Frau Poppe schon erwähnten Erziehung zur allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit blieb der Einzelne auf der Strecke, und die Parole „Jedem nach seinen Bedürfnissen!“ kann da nur wie blanker Hohn klingen.
Zu Beginn habe ich gesagt, dass ich mich darüber freue, dass es eine Anlaufstelle geben wird. Genau genommen ist das natürlich das falsche Wort. Ich bin zwar froh darüber, dass wir einen Schritt weiter sind bei dem Versuch, den Betroffenen ein Stück ihrer Würde zurückzugeben. Tatsächlich ist dieses Gesetz aber viel eher Teil einer notwendigen Trauerarbeit, denn erst, wenn wir die Trauer über so viele zerstörte Leben, über viele nach Hilfe schreiende Kinderseelen zulassen, nähern wir uns der Herausforderung, die diese Geschichte bedeutet. Ich werde jedenfalls nicht vergessen, welchen Eindruck bei mir ein mehrstündiges Gespräch mit einem Betroffenen, der in Potsdam geboren ist und schilderte, was er damals - auf dem Gebiet eines anderen Bundeslandes - in einem Spezialkinderheim zu erleiden hatte, hinterlassen hat.
Das stimmt im Guten wie im Schlechten. Für denjenigen, der diese Liebe nicht mit sich trägt, sieht es dann sehr schwer aus.
Hilfe für die Opfer und Nachdenklichkeit über unser aller Fähigkeit zu Gnadenlosigkeit und zum Wegschauen bleiben eine Verpflichtung - dauerhaft. - Danke.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Teuteberg. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Der Abgeordnete Krause hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat aus der Präambel des Berichts zur „Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR“:
„Wir bedauern zutiefst, dass Kindern und Jugendlichen in zahlreichen Heimen der Jugendhilfe der DDR Leid und Unrecht zugefügt wurde. Unsere Gesellschaft muss diese menschenrechtsverletzende Praxis stärker als bisher zur Kenntnis nehmen und sich damit auseinandersetzen. Wir wollen den Betroffenen Hilfe bei der Bewältigung von Folgen der Heimerziehung in der DDR und deren Aufarbeitung anbieten.“
Die linke Fraktion im Landtag Brandenburg unterstützt diese Aussage und schließt sich vollumfänglich an. Um dies ab dem 1. Juli dieses Jahres gewährleisten zu können, haben sich alle ostdeutschen Bundesländer entsprechend vereinbart.
Damit Brandenburg seinen Beitrag zur Aufarbeitung dieses Teils unserer Vergangenheit leisten kann, ist es notwendig, die Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund beraten wir heute und morgen gemeinsam über das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Aufarbeitungsbeauftragtengesetzes.
Zielstellung des Gesetzentwurfs ist es, auf Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 7. Juli des vergangenen Jahres „Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen“ und des Beschlusses der Jugendministerinnen und -minister der Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Brandenburg vom 26. und 27. Mai 2011 in Essen zur Anerkennung des Unrechts an den ehemaligen ostdeutschen Heimkindern einen Fonds zur Finanzierung von Hilfen zur Unterstützung bei Folgeschäden, die aus der Heimunterbringung sowie erziehung resultieren, einzurichten.
Die Verwaltung des Fonds sowie die Bearbeitung eingehender Schreiben seitens der Bevölkerung und von Anträgen auf finanzielle Unterstützung im Rahmen des Fonds wird mit dem Gesetzentwurf an die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur, Frau Poppe, übertragen.
Vor dem Hintergrund, dass sich seit Errichtung dieser Stelle auch ehemalige Heimkinder vielfach an die Beauftragte gewandt haben, erscheint es nachvollziehbar, diesen Schritt zu gehen. Ungeachtet dessen hätte sich die Fraktion DIE LINKE im brandenburgischen Landtag jedoch auch vorstellen können, dass das zuständige Mitglied der Landesregierung für die Belange junger Menschen und der Jugendhilfe fachlich und inhaltlich diese Aufgabe hätte übernehmen können. Dafür spricht aus unserer Sicht auch, dass Gewalt und Unrecht ebenso in den Jugendhilfeeinrichtungen der DDR vorkamen.
Leid und Unrecht, welches Kinder und Jugendliche in den Heimen der DDR ereilte, war nicht Gegenstand der Beratungen des Runden Tischs „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“. Dieser betrachtete insbesondere das Schicksal von 700 000 bis 800 000 Säuglingen, Kindern und jungen Menschen, die sich zwischen 1949 und 1975 überwiegend in stationärer Heimunterbringung in Verantwortung der Kirche befanden.
„Auch wenn für das Gebiet der ehemaligen DDR noch keine vergleichbaren abschließenden Untersuchungen vorliegen und es auch über die bisher in Auftrag gegebenen Untersuchungen hinaus noch weiteren Forschungsbedarf gibt, so zeigen doch die Erfahrungen der zwischenzeitlich in diesen Ländern vereinzelt entstandenen Anlauf- und Beratungsstellen, dass zahlreiche der in diese Einrichtungen der Kinder- und Jugendfürsorge, in Jugendwerkhöfe, Spezial- und Normalkinderheime eingewiesene Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen Unrecht erlitten haben und vielfach darunter bis heute leiden.“
Aus vielen Berichten, Zuschriften und Dokumentationen wird jedoch bereits heute klar, dass eine ganze Reihe von ehemaligen Heimkindern Zwang und Gewalt in den Heimen der DDR erfahren haben, dass ihnen Bildung verweigert und damit eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung ihres zukünftigen und auch ihres heutigen Lebens vorenthalten wurde. Kinder und Jugendliche wurden zur Arbeit gezwungen, ihre Rechte wurden verletzt. Bis heute führen diese Erlebnisse für einen Teil der ehemaligen Heimkinder zu schweren Beeinträchtigungen in der Gestaltung ihres Lebens. Sie sind betroffen von Stigmatisierungen, psychischen Traumatisierungen und leiden unter schlechten beruflichen Chancen.
Mit der Einrichtung des Fonds für die ehemaligen Kinder und Jugendlichen der Heime in der DDR erkennen wir an, dass diesen Menschen Unrecht angetan wurde, dass wir der sie betreffenden Stigmatisierung entgegenwirken wollen und auf staatliche Unterstützung setzen und ihnen helfen wollen. Für diese staatliche Unterstützung stellt die Bundesregierung gemeinsam mit den ostdeutschen Bundesländern insgesamt 40 Millionen Euro zur Verfügung. Der brandenburgische Anteil beträgt 3,22 Millionen Euro. Aber ich gebe Herrn Kuhnert Recht: Wenn man die Zahlen zu den Betroffenen, die möglicherweise Anspruch darauf haben, ins Verhältnis setzt, ist es ein sehr geringer Betrag.
Neben der Verwaltung des Fonds wird die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur auch die zukünftige Anlaufstelle für alle ehemaligen Heimkinder sein, die Unterstützung bei der Aufarbeitung ihrer Biografie benötigen oder Einblick in ihre Akten nehmen möchten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend sagen, dass wir gemeinsam dafür sorgen wollen, dass Artikel 19 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, wonach die Vertragsstaaten alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen treffen, um das
Kind vor jeglicher Form von körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Vernachlässigung oder Ausbeutung - einschließlich des sexuellen Missbrauchs - schützen, Beachtung finden und vollumfänglich realisiert werden sollte. Lassen Sie uns gemeinsam dafür wirken, dass zukünftige Generationen keine Entschädigungsfonds einrichten müssen, da das vorausgegangene Leid niemandem zugefügt wurde. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Krause. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN fort. Herr Abgeordneter Vogel hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 22 Jahre nach der Friedlichen Revolution senden der Bund und die ostdeutschen Länder nun endlich ein wichtiges Zeichen an all diejenigen, die in Jugendwerkhöfen, Spezial- und Durchgangsheimen der DDR drangsaliert wurden. Das Zeichen heißt: Ihr sollt nicht länger mit euerm Schicksal alleingelassen werden. Wir nehmen eure Lebensläufe, eure Biografien ernst. Die Zeit der Tabuisierung und Stigmatisierung soll ein Ende haben!
Die Vorrednerinnen und Vorredner haben es mit unterschiedlicher Akzentuierung und verschiedener Empathie angesprochen: Über Jahrzehnte hinweg sind in der DDR Kinder und Jugendliche unter oft haftähnlichen Bedingungen einem übermächtigen Umerziehungsapparat ausgesetzt gewesen. Kinder und Jugendliche sollten mit Einzelarresten, Zwangsarbeit und körperlicher Züchtigung zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ herangezogen werden. Fiel die Tür - und nicht selten der Riegel ins Schloss, waren sie nicht länger Subjekt ihrer eigenen Biografie, sondern wurden sie zu Objekten von Willkür und Schikane. Selbst Kinder unter 14 Jahren wurden vor allem in den Anfangsjahren der DDR zu Zwangsarbeit verpflichtet. Allein 32 Jugendwerkhöfe gab es in der DDR und in vielen - nicht nur in Torgau - sind Kinder und Jugendliche systematisch misshandelt worden.
Es war also allerhöchste Zeit, dass die Opfer dieses Drillsystems gesellschaftlich rehabilitiert werden, dass wir als Gesellschaft dieses Tabu-Thema aufbrechen. Viel zu lange ist es viel zu still gewesen, wenn es um die Grausamkeiten der DDRGleichheitspädagogik geht. Heute fühlen sich viele Betroffene noch immer stigmatisiert. Das hat der erste Bericht zur Heimerziehung in der DDR erst vor wenigen Monaten deutlich gezeigt.
Mit der Erweiterung des Aufgabenfeldes der Aufarbeitungsbeauftragten - so lautet nun einmal der Begriff - als Anlaufstelle für ehemalige DDR-Heimkinder gehen wir heute einen Schritt in die richtige Richtung. Andere Länder haben teilweise andere Modelle für solche Anlaufstellen gewählt. Wir aber glauben, dass das Anliegen der Betroffenen bei Ulrike Poppe und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in sehr guten Händen ist. Seit ihrem Arbeitsbeginn hat die Aufarbeitungsbeauftragte ehemalige Heimkinder beraten und in Verfahren begleitet. Sie hat
damit im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine fatale Leerstelle gefüllt, die es zuvor in Brandenburg für Betroffene gegeben hat. Denn es ist doch nur allzu verständlich, dass sich viele ehemalige Heimkinder eben nicht an Jugendhilfeinstitutionen und andere Träger gewandt haben, weil sie Angst hatten, dort auf frühere Mitarbeiter zu treffen. Denn auch darüber müssen wir uns heute im Klaren sein: Viele Verantwortliche und Handlanger von einst haben sich 1989 sehr gut in das neue System hinübergerettet. Von Torgau, vermutlich dem schlimmsten aller Kinder- und Jugendknäste, wird berichtet, dass Viele Anschlussverwendungen - nicht selten ausgerechnet als Sozialpädagogen gefunden haben.
Es ist gut, dass Brandenburg mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun klare und verbindliche Zuständigkeiten schafft. Natürlich kann man kritisieren, dass man anderenorts wieder viel schneller war. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wir hätten wie Thüringen vor langer Zeit schon eine Beratungsstelle geschaffen. Doch das ist nicht mehr zu ändern, und wir sollten uns dann schon fragen, ob es neben den neuen Beratungsmöglichkeiten nicht weiteren Handlungsbedarf gibt. So ist es meines Erachtens an der Zeit, über eine Öffnung des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nachzudenken. Bisher erhielten ausschließlich diejenigen eine Entschädigung, die in Torgau einsaßen bzw. die eindeutig politische Motive für ihre Qualen nachweisen konnten; Frau Poppe hat es angesprochen. Andere gingen leer aus, auch wenn sie die gleichen Schikanen erleben mussten, nur eben an einem anderen Ort oder aus einem nicht mehr nachweisbaren vermeintlichen Grund. Ich kann verstehen, wenn sich manche dadurch als Opfer zweiter Klasse fühlen. Auch Frau Poppe spricht dieses Thema in ihrem Tätigkeitsbericht, den wir morgen diskutieren werden, deutlich an. Ich denke, es würde uns gut zu Gesicht stehen, hier gemeinsam mit dem Bund über Korrekturmöglichkeiten nachzudenken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wichtig, dass wir all denen, die in ihrer Kindheit und Jugend drangsaliert wurden, nicht nur heute unsere volle Aufmerksamkeit widmen. In diesem Sinne stimmen wir für die vorliegende Gesetzesänderung. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. - Da die Landesregierung auf einen weiteren Redebeitrag verzichtet hat, sind wir am Ende der Aussprache angelangt, und ich komme nunmehr zur Abstimmung.
Es liegt Ihnen der Gesetzentwurf auf Drucksache 5/5375 - es geht um das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Aufarbeitungsbeauftragtengesetzes -, eingebracht von der Landesregierung, vor. Wer diesem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz in 1. Lesung einstimmig angenommen worden. Ich weise darauf hin, dass die 2. Lesung des Gesetzentwurfs für den morgigen Plenartag vorgesehen ist und wir dies dann noch einmal behandeln.
Wirksamkeit der Instrumente des Kinderschutzes und bestehender Vorschriften zur Kindergesundheit im Land Brandenburg
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Frau Abgeordnete Blechinger hat das Wort.