Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Frau Abgeordnete Blechinger hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU-Fraktion zum Kinderschutz und zur Kindergesundheit ist vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich die Koalitionsfraktionen kollektiv geweigert hatten, eine Anhörung zum Bericht der Landesregierung in den jeweiligen Ausschüssen durchzuführen. Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass sich Abgeordnete der Möglichkeit verweigern, neue Erkenntnisse zu gewinnen, und sich über die Probleme von Akteuren im Kinderschutz zu informieren.
Oder wissen Sie, warum manche Landkreise die Beratungsangebote der Fachstelle Kinderschutz kaum nutzen? Interessiert es Sie nicht, warum an den zwei Lehrgängen zur Qualifizierung im Kinderschutz in Kindertageseinrichtungen nur sieben Fachkräfte aus Brandenburg teilgenommen haben? Oder können Sie sich erklären, warum trotz vielfältiger Beratungs- und Weiterbildungsangebote der Fachstelle Kinderschutz und des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitutes nach wie vor Unsicherheiten, bezogen auf Kinderschutzfragen und Umgang mit Verdachtsfällen bei Fachkräften der Jugendhilfe, bestehen, wie es aus der Beantwortung der Frage 8 hervorgeht? Wollen Sie nicht wissen, warum in Potsdam nur 52 % der Kinder an der Vorsorgeuntersuchung teilgenommen haben, während es in der Uckermark 93 % waren? Ist es für Sie unwichtig, dass in einem Landkreis 55 % der Kinder Sprachstörungen aufweisen, während es in anderen Landkreisen nur 13 % sind? Meinen Sie, es geht uns als Landtagsabgeordnete nichts an, wenn in einem Kreis 23 % aller untersuchten Jungen einen Förderbedarf haben, während die Förderbedarfsquote in anderen Kreisen nur bei 4,3 % liegt, bei Mädchen sogar nur bei 1,7 %? Oder sehen Sie keinen Handlungsbedarf, wenn in einem Kreis mehr als die Hälfte der untersuchten Kinder medizinisch relevante Befunde aufweist, während es in anderen Kreisen weniger als ein Siebentel ist?
Meine Damen und Herren, ich könnte diese Fragen fortsetzen, gehe aber davon aus, dass Sie alle die Antwort auf die Große Anfrage 17 aufmerksam gelesen und sich vielleicht die eine oder andere Frage schon selbst gestellt haben. Dabei reicht es meines Erachtens nicht aus, wenn die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Frage 26 darauf verweist, dass Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus 3,6 Mal höhere Raten in Bezug auf Sprachstörungen aufweisen; denn die SPD hat sich doch den vorsorgenden Sozialstaat auf die Fahne geschrieben, und dazu gehört eben auch, diese Zusammenhänge möglichst zu reduzieren. Als ich im Übrigen im Bildungsausschuss einen solchen Zusammenhang angedeutet habe, wurde das mit Empörung zurückgewiesen. Ich denke, Frau Wöllert und Frau Große können sich noch daran erinnern. Wenn aber wissenschaftliche Untersuchungen darauf verweisen, dass ein niedriger Bildungsstatus der Eltern sowie ein hoher Medienkonsum für die hohe Zahl der Sprachstörungen verantwortlich sind, muss hier angesetzt werden,
- denn wir wissen inzwischen, Herr Jürgens - diese Untersuchung haben wir im Bildungsausschuss besprochen -, dass die Kita das nicht kompensieren kann. Lesen Sie die Studie darüber.
- Doch, das häusliche Milieu ist das Entscheidende. Deshalb müssen wir die Eltern fortbilden und unterstützen, anstatt ihnen die Kinder so lange wie möglich zu entziehen. Das hilft in diesem Sinne nicht.
Bei aller Wertschätzung der Netzwerke Gesunde Kinder wäre es völlig unrealistisch, von den ehrenamtlichen Paten zu erwarten, dass sie Eltern in ihrem Erziehungsverhalten maßgeblich beeinflussen könnten.
Insgesamt beschränkt sich die Antwort der Landesregierung im Wesentlichen auf die Beschreibung des Istzustandes. Im Übrigen verweist sie darauf, dass sie bereits in der letzten Legislaturperiode alle notwendigen Maßnahmen zum Kinderschutz und zur Kindergesundheit eingeleitet habe und Kinderschutz außerdem eine pflichtige kommunale Selbstverwaltungsaufgabe sei. Die Landesregierung sieht ihre Verantwortung lediglich darin, Beratungsangebote bereitzustellen und Weiterbildung anzubieten, die, wie ich eingangs ausgeführt habe, sehr unterschiedlich angenommen werden. Selbst für die Zusammenarbeit der Jugendämter mit Schulen sieht die Landesregierung keinen Bedarf für landeseinheitliche Empfehlungen. Das ist umso unverständlicher, als gerade die Broschüre „Kooperation im Kinderschutz, Jugendhilfe und Schule“ zeigt, dass hier erheblicher Handlungsbedarf besteht.
„Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule im Kinderschutz ist vielerorts geprägt von breiter und verbreiteter Einsicht, engagiertem Versprechen und bejahen
den, ehrlich gemeinten Absichtserklärungen. Doch lässt diese noch zu oft klare und verbindliche Verfahren, Standards, Verabredungen vermissen. So „wursteln“ sich die Fachkräfte beider Professionen mehr oder weniger gut durch die Einzelfälle.“
„Es mangelt an verbindlichen und regelmäßigen Strukturen der Zusammenarbeit über den Einzelfall hinaus.“
Über diese nüchterne Feststellung täuschen auch nicht einige positive Einzelbeispiele hinweg. Warum gibt es keine landesweiten Empfehlungen für Kooperationsvereinbarungen zwischen Schulämtern und Jugendämtern, wie sie beispielsweise zwischen der Stadt Cottbus und dem Staatlichen Schulamt besteht? Warum gibt es nicht die Vorgabe, an allen Schulen eine Kontaktlehrerin Kinderschutz zu berufen, wie das in den Handlungs- und Verfahrensgrundsätzen des Staatlichen Schulamtes Eberswalde niedergelegt ist?
Es kann doch nicht sein, dass die Wirksamkeit des Kinderschutzes und die dafür notwendige Zusammenarbeit wichtiger Institutionen davon abhängt, in welchem Landkreis die Kinder leben. Wollen wir uns wirklich damit abfinden, dass Kinderschutz und Gesundheitsvorsorge in manchen Regionen Brandenburgs nicht den Stellenwert haben, den sie verdienen? Mit den Auswirkungen solcher Unterschiede werden wir spätestens dann konfrontiert, wenn die Kinder in die Schule kommen, oder haben Sie sich schon damit abgefunden, dass Brandenburg bei Bildungsvergleichen die hinteren Ränge belegt?
Ganz unverständlich ist die Antwort der Landesregierung auf die Frage Nr. 50. Wie kann es sein, dass der Landesregierung nicht bekannt ist, dass Kinder nicht oder nicht in ausreichendem Maße durch Fördermaßnahmen erreicht werden, kann man doch wenige Seiten danach feststellen, dass in manchen Landkreisen gerade einmal 10 % der Kinder mit Förderbedarf optimal versorgt sind? In anderen Landkreisen sind es 100 %.
Meine Damen und Herren! Wenn der Anspruch, dass Kinder in Brandenburg gesund aufwachsen und größtmöglichen Schutz vor Vernachlässigung und Misshandlung genießen, nicht nur ein Lippenbekenntnis sein soll, dann kann man sich nicht aus der Verantwortung stehlen und den Handlungsspielraum, den man als Land in diesem Bereich hat, so wenig ausschöpfen.
Im zweiten Teil meiner Rede werde ich noch auf die Möglichkeiten eingehen, die das Bundeskinderschutzgesetz bietet und wo wir das Land in der Verantwortung sehen. - Vorerst vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Blechinger. - Wir kommen nunmehr zum Redebeitrag der Fraktion der SPD. Frau Abgeordnete Muhß hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male behandeln wir heute einen Antrag der CDU, der kinderpolitische Maßnahmen bzw. Anliegen zum Inhalt hat. Nun hat Frau Blechinger zunächst ihren ersten Teil vorgetragen, in dem es vor allem um die Große Anfrage ging, und im zweiten Teil, vermute ich, wird sie auf den Antrag eingehen, den die CDU dazu gestellt hat. Ich gehe schon einmal vorab auf diesen Antrag ein.
Es ist auffällig, dass Sie alles, was vom Bund kommt, als Stein der Weisen betrachten - das kann ich von Ihrer Warte aus sogar noch verstehen -, aber dass Sie das, was wir in Brandenburg selbst entwickelt haben, immer unterschätzen. Das finde ich schade. Sie unterschätzen es selbst dann, wenn es sich nachweislich bewährt hat und Sie das schwarz auf weiß lesen können. Ein gutes Beispiel ist das neue Bundeskinderschutzgesetz. Es ist - so viel kann ich vorab sagen - eines der besseren Gesetze, die der Bundestag in dieser Legislaturperiode verabschiedet hat. Aber es hätte noch besser sein können, zum Beispiel dadurch, dass der Gesundheitsbereich einbezogen wird. Der bzw. die Gesundheitsminister von der FDP haben sich jedoch konsequent weggeduckt. Daraus resultieren einige der größten Schwachstellen des Gesetzes.
In Brandenburg haben wir diesen Fehler nicht begangen. Die Netzwerke Gesunde Kinder beziehen die Akteure des Gesundheitssektors, zum Beispiel Krankenhäuser, ausdrücklich ein. Auch vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Wir haben in Brandenburg in all den Jahren bewusst nicht darauf gewartet, ob und wann der Bund sich bewegt. Wir haben uns stattdessen eigene Gedanken gemacht, haben Initiativen entwickelt und sind damit gut gefahren. Mit „uns“ meine ich übrigens nicht allein den Landtag und auch nicht die SPD und ihre Koalitionspartner, zu denen übrigens auch einmal die CDU gehörte.
Mit „uns“ meine ich alle Brandenburgerinnen und Brandenburger, die sich für einen wirksamen Kinderschutz einsetzen, sei es nun beruflich oder ehrenamtlich.
Meine Damen und Herren! Anders als der vorliegende Antrag suggeriert, gibt es in Brandenburg bereits eine Reihe wirksamer Maßnahmen. Viele davon lassen sich bereits in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage nachlesen. Es gibt das Landesjugendamt und den Landesjugendhilfeausschuss, es gibt den Landesjugendplan mit seinen drei Schwerpunktbereichen: Weiterentwicklung und Qualifizierung der Jugendhilfe, Förderung des gleichmäßigen Ausbaus der Jugendhilfe und Wahrnehmung von überregionalen Aufgaben der Jugendhilfe. Es gibt die Fachstelle Kinderschutz und das System Frühe Hilfen, das auch präventive Ansätze kennt. Es gibt das Familienund Kinderpolitische Programm und das Programm der Landesregierung zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit im Land Brandenburg. Es gibt Empfehlungen zum Umgang und zur Zusammenarbeit bei Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung sowie bei entsprechenden Verdachtsfällen, die übrigens in Zusammenarbeit mit dem Landkreistag und dem
Städte- und Gemeindebund entstanden sind. Es gibt das SozialTherapeutische Institut Berlin-Brandenburg und das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut. So könnte ich weiter aufzählen. Ich finde, es ist eine stolze Bilanz. Jeden, der sich für die Wirksamkeit des Kinderschutzes in Brandenburg interessiert, kann ich nicht nur die hier diskutierte Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU wärmstens zur Lektüre empfehlen, sondern auch die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Krause. In beiden Dokumenten kann man vieles im Detail nachlesen, was wir hier nur anreißen können.
Wenn wir nun die Große Anfrage der CDU und vor allem die sehr ausführliche Antwort des Bildungsministeriums näher betrachten, so stellen wir fest: Vieles, eigentlich alles von dem, was die CDU fordert, ist dort bereits aufgeführt. Sie fordern eine bessere Information über Leistungsangebote für junge Eltern. Lesen Sie einfach noch einmal in der Antwort auf die Große Anfrage nach; es ist die Antwort auf Frage 2, die Information gibt es bereits. Sie fordern verbindliche Vorgaben. Was genau Sie darunter verstehen und wofür Sie sie brauchen, verraten Sie uns nicht. Außerdem vergessen Sie einen wesentlichen Punkt, nämlich die unterschiedlichen Bedarfe in den verschiedenen Teilen des Landes. Eine Region wie die Uckermark braucht einfach eine andere Angebotsstruktur als Potsdam. Schließlich übersehen Sie, dass es verbindliche Vorgaben in bestimmten Bereichen, nämlich dort, wo es wirklich sinnvoll ist, bereits gibt, zum Beispiel das polizeiliche Führungszeugnis. Weiterhin fordern Sie verbindliche Qualitätsstandards, verlässliche Rahmenbedingungen und zu guter Letzt noch eine Evaluation. Hier sagen wir Ihnen klipp und klar: Das ist Aufgabe der Jugendämter. Natürlich hilft das Land an dieser Stelle, indem es Handreichungen bietet, aber mehr Vorgaben, mehr Zentralisierung halten wir nicht für hilfreich.
Zu guter Letzt bauen Sie auf die Signalwirkung eines Ausführungsgesetzes. Da frage ich mich doch: Inwiefern hat ein Umsetzungsgesetz größere Signalwirkung als zum Beispiel unser Programm zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit, unser Familien- und Kinderpolitisches Programm oder die Netzwerke Gesunde Kinder? Die Antwort darauf müssen Sie schuldig bleiben, weil es darauf keine überzeugende Antwort gibt. Eigentlich wissen Sie es selbst: Die Signale stehen längst auf grün.
Meine Damen und Herren! Beim Lesen Ihres Antrags bin ich schließlich über einen Schlüsselbegriff gestolpert, den ich nicht unkommentiert lassen will. Er lautet „Flickenteppich“. So umschreiben Sie die kommunale Selbstverwaltung. Dabei lässt das Bundeskinderschutzgesetz keinen Zweifel offen. Kinderschutz fällt in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Darüber können wir einfach nicht hinwegsehen. Mit Ihrer Wortwahl offenbaren Sie eine Denkweise, die wir Sozialdemokraten uns nicht zu eigen machen werden. Anders als Sie bauen wir auf die kommunale Selbstverwaltung. Wir bauen auf die Sachkenntnis vor Ort, vor allem auf die Sachkenntnis im Detail, die von Potsdam aus gar nicht vorliegen kann. Deswegen gilt für uns: Das Land kann, will und wird sich nicht einmischen. Wir wollen, dass auf die regionalen Gegebenheiten Rücksicht genommen werden kann. Da könnte ich Herrn Hoffmann direkt ansprechen - er ist leider nicht anwesend -, denn die Prignitz ist dafür ein typisches Beispiel. Sie beteiligt sich nicht am Netzwerk Gesunde Kinder, sondern hat ihr eigenes System entwickelt, und das ist auch in Ordnung so.
Meine Damen und Herren! Einen der wichtigsten Punkte, wenn nicht gar den wichtigsten Punkt überhaupt, habe ich mir für den Schluss meiner Rede aufgehoben: Kinderschutz ist nicht allein eine Frage von Gesetzen und des Vertrauens, sondern auch eine Frage des Geldes. Das ist keine neue Erkenntnis. Leider sieht die Realität an diesem Punkt eher traurig aus. Schon heute sind viele Jugendämter an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Wenn sie infolge des Kinderschutzgesetzes noch weitere Aufgaben wahrnehmen sollen - was im Prinzip ja richtig ist -, dann erfordert das eine entsprechende Personalausstattung. Auch darauf wurde bei den Beratungen im Bundestag mehr als einmal nachdrücklich hingewiesen. Ich sage klipp und klar: Der Erfolg des Bundeskinderschutzgesetzes steht und fällt nicht mit einem brandenburgischen Ausführungsgesetz, sondern mit einer auskömmlichen Finanzierung.
Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion! Wenn Sie einen sinnvollen Beitrag zum Kinderschutz leisten wollen, wirken Sie auf Ihre Parteifreunde im Bund ein, verlangen Sie, dass eine transparente Kostenberechnung sowie eine tragfähige und faire Kostenregelung nachgereicht wird. Die Kommunen werden es Ihnen danken. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Muhß. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Der Abgeordnete Büttner hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1. Januar dieses Jahres ist das Bundeskinderschutzgesetz in Kraft getreten. Ziel ist es, Prävention und Intervention noch besser aufeinander abzustimmen und unter Einbindung aller beteiligten Akteure für einen besseren Schutz von Kindern zu sorgen. Neben
dem Ausbau früher Hilfen und stabiler Netzwerke für werdende Eltern sorgt der Bund mit der über vier Jahre angelegten Finanzierung des Einsatzes von Familienhebammen - bei Bedarf für mehr Qualität und niedrigschwellige Beratungs- und Hilfsangebote für Familien. Zudem wurde die Pflicht eingeführt, die Qualitätsentwicklung in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe fortzuführen.