Protokoll der Sitzung vom 07.06.2012

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Stark. - Die Aussprache wird mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fortgesetzt. Herr Abgeordneter Wichmann hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren - vor allem verehrte Frau von Halem, als dieser Gesetzentwurf letzte Woche auf meinem Tisch landete, war ich - muss ich Ihnen ehrlich sagen -, ein bisschen baff, weil gerade die Abgeordneten der Grünen im Bundestag aber auch in den Landtagen - sie sind ja Vorreiter, was Transparenz angeht

(Zuruf von der CDU)

nicht nur an jeder Stelle und bei jeder Gelegenheit Transparenz fordern, sondern ja auch Transparenz leben, indem sie bei Facebook und Twitter fast alles für die Bürgerinnen und Bürger öffentlich und auch dauerhaft im Netz gespeichert nachvollziehbar machen. Selbst private Familienfeiern kann man da mit Fotos nachvollziehen. Dass Sie dann hier einen Gesetzentwurf vorlegen, in dem dann steht, dass Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wissen sollen, woher ihre kommunalen gewählten Vertreter in der Stadtverordnetenversammlung, im Kreistag bis hin zum Landtag eigentlich kommen, wo sie wohnen und wo man sie erreichen kann, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

(Beifall CDU)

Ich habe mich sehr gefreut, dass Kollegin Britta Stark dies ganz genauso für die SPD-Landtagsfraktion hier vorn dargestellt hat. Nur, was ich wiederum, verehrte Kollegin Stark, nicht nachvollziehen kann, ist: Wenn Sie so eindeutig, wie ich auch, zu dem Ergebnis kommen, dass wir weder den Wohnort noch die Adresse noch den Geburtsort aus dem Wahlrechtsverzeichnis und dem Stimmzettel herausstreichen müssen,

(Zuruf der Abgeordneten Stark [SPD])

weil wir beide der Meinung sind, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf hätten, dies zu erfahren, dann frage ich mich, worüber wir dann noch im Innenausschuss diskutieren wollen, worüber wir sozusagen noch ein Verfahren führen wollen, wozu wir heute eine Überweisung beschließen wollen. Das ist an dieser Stelle inkonsequent. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Dieser Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht vollkommen über

flüssig, den müssen wir auch nicht im Innenausschuss noch einmal diskutieren. Es tut mir leid - an die Adresse der Grünen! -, dass ich das an dieser Stelle so deutlich sagen muss.

Ich möchte Ihnen auch sagen: Wir erleben ja in der Enquetekommission 5/2, wenn es um die Diskussion bezüglich der Kommunalreform geht, dass wir mit der Bildung der Großgemeinden auch miterleben mussten, dass bürgerschaftliches Engagement zurückgegangen ist, dass an vielen Stellen auch die politische Betätigung von Menschen zurückgegangen ist und dass an vielen Stellen in vielen Großgemeinden auch Anonymität eingezogen ist. Ich denke, wir sollten mit einer Wahlrechtsänderung dieser Anonymität nicht noch mehr Vorschub leisten, dass Bürgerinnen und Bürger dann eben nicht mehr wissen, woher ihre Vertreter in ihrer Großgemeinde eigentlich kommen

(Beifall CDU)

und ob sie sich für ihre Interessen vor Ort in der Großgemeinde dann überhaupt noch einsetzen können.

Nun kann man ja sagen: Ein Landtagsabgeordneter ist über sein Wahlkreisbüro erreichbar, da muss man vielleicht nicht die Wohnadresse nutzen. Aber gerade ein kommunaler Mandatsträger hat keine Mitarbeiter und kein Wahlkreisbüro, er wäre für den Bürger auf dem Postweg nur noch über die Stadtbzw. Kreisverwaltung erreichbar, weil man eine andere Postadresse nicht mehr nachvollziehen und herausfinden kann. Da muss ich ehrlich sagen: Wer ein öffentliches Amt anstrebt und ein Mandat annimmt, der hat für die Bürger da zu sein und muss auch für Bürgerinnen und Bürger auf dem Postweg erreichbar sein.

Zu dem lächerlichen Argument, dass es vielleicht kriminelle Übergriffe oder Anschläge geben könnte, muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich bin seit über 15 Jahren in der Kommunalpolitik, ich kenne nicht einen Kommunalpolitiker, der einen kriminellen Übergriff auf seine Wohnung, vor seiner Wohnung oder in seinem privaten Umfeld - Gott sei Dank! - erleben musste. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wer so etwas vorhat, wer diese kriminelle Energie hat, der findet die Adresse auch so heraus. Den Vorzug, dass Bürgerinnen und Bürger wissen, wo ihre kommunalen Vertreter erreichbar sind, einem eventuell alle 20 Jahre einmal auftretenden Einzelfall zu opfern, da können wir überhaupt nicht mitgehen; das muss ich Ihnen, Frau von Halem, ehrlich sagen. Deshalb lehnen wir heute gleich in 1. Lesung diesen Gesetzentwurf ab. Er ist überflüssig, er ist keine Verbesserung und es gibt für diese Änderung auch keinerlei Notwendigkeit. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wichmann. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Der Abgeordnete Dr. Scharfenberg hat das Wort.

Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Es geht wieder auf Wahlen zu - nach einer gewissen Zeit der Abstinenz. Aber wir sind noch weit genug von den nächsten Wahlen entfernt,

sodass man über wahlrechtliche Änderungen sehr wohl noch reden kann. Das Spannungsfeld, das sich mit diesem Gesetzentwurf der Grünen ergibt, ist von meinen Vorrednern aufgezeigt worden. Einerseits ist unstrittig: Datenschutz ist ein hehres Anliegen, andererseits ist die Forderung nach Transparenz genauso berechtigt. Natürlich stehen wir vor der Frage. Welche Anforderungen stellen wir bei der Besetzung von öffentlichen Ämtern?

Frau von Halem, wenn Sie darauf aufmerksam gemacht haben, dass es dem einzelnen Kandidaten dann überlassen werden kann, ob er diese Daten veröffentlicht oder nicht, dann will ich hier zum Ausdruck bringen: Die eigentliche Entscheidung wird ja in der Wahlkabine getroffen, da hat der Wähler einen Stimmschein vorliegen, auf dem die Angaben zu den Kandidaten stehen. Ich halte es für legitim, dass eine solche Wahlentscheidung auch in Abhängigkeit von diesen Daten vorgenommen wird. Das kann ein Kriterium sein, das einen Wähler zu einer Wahlentscheidung bewegt. Insofern wäre das natürlich eine Form der Ungleichstellung. Aber nichtsdestotrotz: Das, was Sie hier gesagt haben, halten wir für wichtig genug, um es noch einmal im Ausschuss zu diskutieren.

So haben wir es auch vorher zum Ausdruck gebracht, und dazu stehen wir. Deshalb stimmen wir der Überweisung in den Innenausschuss zu. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Goetz hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen richtet sich auf Datenschutz bezogen auf Wahlbewerber. Das ist ein Thema, das wir im Innenausschuss inhaltlich gern erörtern können. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. Ich glaube, das war der kürzeste Redebeitrag, es war Rekordzeit.

Das Wort erhält jetzt die Landesregierung. Herr Minister Dr. Woidke wird die Aussprache fortsetzen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon vieles zu diesem Thema gesagt worden. Vielleicht noch einige kurze Anmerkungen.

Dass beides, sowohl Anschrift als auch Geburtsort, Frau von Halem, bisher auftaucht, hat Gründe. Darüber wurde schon von Vorrednern gesprochen. Es ist aber auch - und das sollte man nicht vergessen - ein Service für die Wähler.

(Beifall CDU)

Die vollständige Anschrift der Wahlbewerber bezweckt, dass deren Identität zweifelsfrei für den Wähler erkennbar ist, und das muss es auch sein.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Denn es gibt häufig - der Blick ins Telefonbuch reicht - mehrere Anna Beckers, mehrere Alexander Müllers und mehrere andere. Kennen die Wähler die Wohnanschrift, können sie sich aber außerdem noch - neben der Verwechslungsgefahr - direkt an die Bewerber für Kommunalparlamente oder Landesparlamente wenden. Auch das ist, meine ich, ein Grund, dies beizubehalten. Genau aus diesen Gründen wird die Anschrift auch bei Europa- und Bundestagswahlen veröffentlicht.

Sicher kann man darüber diskutieren, ob die öffentliche Bekanntmachung der vollständigen Adresse im Amtsblatt und im Internet zwingend erforderlich ist. Gleiches dürfte grundsätzlich auch für die Angabe des Geburtsorts der Wahlbewerber gelten, zumal der Geburtsort nur bei Parlamentswahlen veröffentlicht wird. Allerdings ist für nicht wenige Wähler auch die Herkunft der nominierten Kandidaten ein Punkt, der in ihre Entscheidung zumindest mit einfließen kann.

Kritischer sehe ich aber, auf die Angabe der Wohnanschrift auf den Stimmzetteln zu verzichten, besonders bei Kommunalwahlen. Bei Kommunalwahlen wird bekanntermaßen mehr nach Personen als nach Parteien gewählt. Für die Wähler muss spätestens bei der Stimmabgabe zweifelsfrei erkennbar sein, wer da zur Wahl steht. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD sowie vereinzelt CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Woidke. - Das Wort erhält noch einmal die einbringende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Abgeordnete von Halem nimmt noch einmal Stellung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich erst einmal ausdrücklich gegen etwas verwahren: Dieser Antrag hat nichts mit unserem Anspruch an Transparenz zu tun, und zwar überhaupt gar nichts.

(Zuruf von der CDU: Doch!)

- Nein. Wir möchten die Transparenz freiwillig haben. Wir möchten, dass die Leute selber entscheiden können, was sie von sich veröffentlichen und was nicht.

Darüber hinaus möchte ich sagen: Die Vorstellung, dass der Geburtsort etwas mit der Vita zu tun haben müsste oder damit, wo jemand sozialisiert ist, finde ich sehr, sehr merkwürdig, liebe Kollegin Britta Stark.

(Frau Stark [SPD]: Mag sein, dass Sie das finden!)

- Gut, das mögen Sie vielleicht anders sehen. Aber es gibt genügend Menschen, bei denen der Geburtsort überhaupt nichts damit zu tun hat.

Diesen Rückschluss, zu sagen, wenn der Mensch dort geboren ist, dann hat das auch etwas mit der Sozialisation zu tun, finde

ich etwas kurzsichtig. Aber ich diskutiere gerne mit Ihnen darüber im Ausschuss, und ich freue mich, wenn es dafür offensichtlich Mehrheiten gibt. Denn wir können natürlich noch Mittel und Wege finden.

Ich habe selbst gesagt, dass ich über den Transparenzanspruch auch von Wählerinnen und Wählern gegenüber denjenigen, die das Amt tatsächlich annehmen, spreche. Es wurde hier mehrfach von denen gesprochen, die das Amt schließlich auch annehmen. Es geht aber bei der Regelung, wie sie jetzt in den Wahlgesetzen steht, um alle Listen, wenn man darüber verhandelt, ob das zum Beispiel auf den Stimmzetteln steht, die Stimmzettel aber nicht im Internet veröffentlicht werden. Mir geht es sehr wohl auch um die jahrelange Verfolgbarkeit der Privatadressen von Menschen, die irgendwann einmal kandidiert haben.

Ich freue mich, wenn es jetzt in den Ausschuss geht, und dort reden wir weiter. - Danke.

(Beifall GRÜNE/B90)

Damit haben wir das Ende der Aussprache erreicht und kommen zur Abstimmung. Die Parlamentarischen Geschäftsführer empfehlen die Überweisung des Gesetzentwurfs in Drucksache 5/5387 - „Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften“ an den Hauptausschuss - federführend - und an den Ausschuss für Inneres. Wer dieser Überweisung Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Ausschussüberweisung wurde bei einer Enthaltung mehrheitlich zugestimmt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6 und eröffne Tagesordnungspunkt 7:

Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften über die Rechte der Sorben/Wenden im Land Brandenburg