Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion ist, was die Frage der Aberkennung des Mandates angeht, mit dem Grundgesetz unvereinbar. Er ist mit der Brandenburgischen Landesverfassung unvereinbar.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Er ist mit den Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie unvereinbar, und nichts, was wir jetzt hier diskutieren oder aufklären könnten, kann daran etwas ändern.

Welche Rechte ein Abgeordneter hat, das ergibt sich zunächst einmal aus der Verfassung des Landes Brandenburg oder aus dem Grundgesetz, auf dem ja unsere Verfassung aufbaut. In beiden gibt es nur sehr wenige Regelungen darüber, unter welchen Voraussetzungen eigentlich ein Abgeordneter nicht wählbar ist oder gar sein Mandat verlieren kann. Das liegt nun aber nicht daran, dass der Gesetzgeber frei wäre, beliebige Einschränkungen vorzunehmen, sondern das liegt am Selbstverständnis einer parlamentarischen Demokratie. Es liegt am Selbstverständnis unseres Wahlrechts. Alle Abgeordneten wurden in freier, allgemeiner Wahl gewählt. Grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes können sich zur Wahl stellen, und zwar ohne jede Einschränkung und moralische Wertung. In der Demokratie ist die Entscheidung, ob ein Kandidat eines Parlaments würdig oder nicht würdig ist, ausschließlich vom Wähler zu treffen. Er entscheidet, ob jemand hierher gehört oder nicht.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Nun gibt es ein paar Einschränkungen, die in allen Demokratien der Welt üblich sind, wie das Wahlalter oder die Staatsangehörigkeit. Es gibt auch die Einschränkung, dass jemand, der aufgrund schwerer psychischer Krankheit nicht in der Lage ist, das Wahlrecht auszuüben, vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen werden kann. Mehr Einschränkungen als diese gibt es im Prinzip nicht.

In Brandenburg haben wir noch eine Regelung, die Abgeordnetenanklage im Artikel 61 der Landesverfassung. Die knüpft aber nun nicht an irgendwelche moralischen Einstellungen vor der Wahl an, sondern an ein Verhalten nach der Wahl. In ganz bestimmten schweren Ausnahmefällen ist es möglich, einen Abgeordneten beim Verfassungsgericht anzuklagen, weil er Verfehlungen in Ausübung seines Mandats begangen hat. Das hat nichts mit dem zu tun, was Sie hier ansprechen.

Mehr Einschränkungen gibt es nicht, und zwar nicht nur im Land Brandenburg und in Deutschland, sondern in allen Demokratien der Welt. Es gehört zum Selbstverständnis jeder Demokratie, dass kein Parlament Einschränkungen bei der Ausübung des Mandats von Abgeordneten beschließen kann.

Nun weisen Sie darauf hin, das es in Thüringen und Sachsen andere Regelungen gebe. Ja, in Thüringen gab es eine solche Regelung. Aber Sie wissen: Der Thüringische Verfassungsgerichtshof hat im Jahre 2000 entschieden, dass diese Regelung

mit der Thüringer Landesverfassung unvereinbar und damit nichtig sei. Nun kann man aber nicht sagen, das es in Thüringen ganz anders als in Brandenburg. Denn diese Grundsätze gelten in Thüringen wie in Brandenburg, in Deutschland wie in den USA und überall in den parlamentarischen Demokratien der Welt gleich.

Natürlich hat dieses Urteil unmittelbare Auswirkungen, weil es Selbstverständlichkeiten feststellt. Ich muss sie Ihnen ersparen, weil meine fünfminütige Redezeit nicht ausreicht, diese zu erklären. Aber dieses Urteil nimmt bereits vorweg: Ihr Gesetzentwurf ist mit der Verfassung nicht vereinbar.

Lassen Sie uns doch einmal ein kurzes Gedankenexperiment durchspielen; Sie tun es in Ihrem Gesetzentwurf selbst. Er sieht vor, dass frei gewählte Abgeordnete selbst dann aus dem Parlament ausgeschlossen werden können, wenn sie vorher offen mit ihrer Vergangenheit umgegangen sind. Das soll möglich sein, obwohl das zur Zeit der Wahl so nicht geregelt war. Das schreiben Sie in der Begründung. Sonst würde es ja ins Leere gehen, und es würden nur die ausgeschlossen werden können, die vorher gelogen haben. Wie begründen Sie, dass man die Entscheidung des Wählers ignorieren kann? Sie begründen es damit, dass der Abgeordnete ein Vertreter des gesamten Volkes sei und man deshalb nicht nur auf die Auffassungen derer abstellen könne, die den betreffenden Abgeordneten gewählt haben. Sondern es müsse das gesamte Volk berücksichtigt werden. So steht es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs. Ob das Volk von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern repräsentiert werden möchte, sei zumindest zweifelhaft. Ja, natürlich ist das zweifelhaft. Es ist auch zweifelhaft, dass das Volk in seiner großen Mehrheit möchte, dass irgendwelche Rechtsextremen in einem Parlament sitzen. Es ist sogar zweifelhaft, dass die große Mehrheit der Brandenburger Bevölkerung CDU wählen würde. Das gilt auch für die SPD. Keine Partei hier hat die absolute Mehrheit des Volkes hinter sich. Aber so ist das eben in der parlamentarischen Demokratie.

Auf den Gedanken, man könne jemanden ausschließen, weil er möglicherweise der moralischen Integrität der Mehrheit des Volkes nicht entspricht, wäre ich nie gekommen. Das ist, wenn man es wörtlich nimmt, die Diktatur der Mehrheit und hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Herr Dombrowski hat gesagt, wir sollten fair miteinander umgehen. Das will ich tun, obwohl ich über diesen Gesetzentwurf Sie merken es - entrüstet bin, weil ich das von einer CDU-Fraktion nicht erwartet hätte, mit der wir lange Jahre zusammengearbeitet haben.

(Bischoff [SPD]: Die Rechtsstaatsverteidiger!)

Ich bin bereit, einer Überweisung zuzustimmen, aber nur, um in der Anhörung klarzumachen, dass dieser Entwurf - weiß Gott! - keine Art der Aufarbeitung von staatlichem Unrecht, von einem Unrechtsstaat, von einem diktatorischen Unrechtsstaat ist, sondern dass er das Kind mit dem Bade ausschüttet. Ich hoffe, dass Sie sich noch einmal in Ruhe darüber Gedanken machen, und vielleicht nehmen Sie den Entwurf einfach zurück. Er hilft uns überhaupt nicht weiter. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE sowie des Abgeordneten Vogel [GRÜNE/B90])

Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Goetz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass wir in Brandenburg große Probleme mit nicht aufgearbeiteter Vergangenheit haben.

So ist das: Geschichte holt einen immer wieder ein. Einigkeit in diesem Hause besteht dahin gehend, diese Aufarbeitung wenigstens jetzt zu vollziehen. Ob das die Bestellung einer Beauftragten ist, die scheinbar alle Fraktionen übergreifend erfolgen wird, oder ob es die Verabschiedung von Gesetzen ist, die die Überprüfung einzelner Abgeordneter dieses Landtages auf frühere Zuträgerschaft, Denunziation oder Mitarbeit bei der Stasi beinhalten wird. All das wird kommen.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, bei aller Wertschätzung: Einiges geht nicht. Es geht nicht, dass eine Mehrheit dieses Hauses darüber entscheidet, ob ein einzelner Abgeordneter oder eine Minderheit von Abgeordneten diesem Landtag weiter angehören kann oder nicht. Das geht beim besten Willen nicht.

Meine Damen und Herren! Es ist vieles angeführt worden, was die Landesverfassung und das Grundgesetz, was die parlamentarischen Demokratien weltweit anbetrifft. All dies ist richtig. Es gab - und es drängen sich bei dieser Frage ganz schräge Vergleiche auf - eine Zeit, in der Mehrheiten in Parlamenten darüber entschieden haben, welche Minderheit dazugehören soll. Das kann es einfach nicht sein. Diesen Punkt können wir nicht akzeptieren. Insofern muss dieser Punkt, bei aller Wertschätzung für das Anliegen, das dahinter steht, aus Ihrem Gesetzentwurf gestrichen werden.

Bei allem Willen zur Überprüfung, bei allem Unverständnis darüber, wer dem Haus angehört oder noch angehört, und auch bei aller Betroffenheit, dass er nicht mehr dazugehören soll: An der Stelle, wo ein Mandat in freier Wahl errungen wurde, gibt es eine Grenze des Einflusses durch das Parlament. Es ist Sache des einzelnen Abgeordneten, zu entscheiden, ob er dieses Mandat weiter ausübt oder es zurückgibt, wie es ja in einem Fall geschehen ist.

Herr Kollege Holzschuher, ein Beispiel haben Sie vergessen: Das passive Wahlrecht kann durchaus aberkannt werden, und zwar nicht nur bei einer Behinderung. In § 45 des Strafgesetzbuches ist normiert, dass derjenige, der zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, sein passives Wahlrecht für einen bestimmten Zeitraum verliert. Diese Möglichkeit kommt also hinzu. Wenn dem so ist, dann verliert er natürlich auch sein Mandat. Es ist aber ein Gericht, das darüber entscheidet, das heißt ein Urteil fällt, das begründet wird. Wenn der Betroffene nicht einverstanden ist, kann er in Berufung gehen. Im Ergebnis all dessen kann bei schweren Straftaten das Mandat verlorengehen.

Nicht zulässig sind allerdings Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten, auch nicht in das freie Mandat, wie im Gesetzentwurf vorgeschlagen, indem einfach behauptet wird, dieser oder jener Abgeordnete sei „unwürdig“. Auch mir sind nicht alle Kollegen hier gleich sympathisch; das können Sie

sich sicherlich denken. Da gibt es deutliche Unterschiede. Ich habe sechs sehr gute Freunde in der eigenen Fraktion, und dann stuft sich das zu anderen Fraktionen ab. Klar ist aber auch: Bei allen unterschiedlichen Auffassungen, die jeder einzelne von uns hat, und seien sie noch so schräg, werde ich mich immer dafür einsetzen, dass auch eine aus meiner Sicht völlig falsche Meinung hier frei geäußert werden darf. Das ist die Grundlage, auf der ich in diesem Hause arbeite. Dazu gehört dann auch, dass das Mandat behalten werden kann.

Ich bin mit einer Überweisung des Gesetzentwurfs einverstanden. Wir können gern in den Ausschüssen darüber reden. Aber eine Aberkennung des Mandats durch den Landtag kommt für die FDP nicht infrage. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Für die Linksfraktion spricht der Abgeordnete Görke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Kollege Dombrowski, seit dem 21. Oktober, dem Tag der Konstituierung dieses Landtages, war auch Ihrer Fraktion bekannt, dass wir spätestens am 16. oder 17. Dezember, also heute oder morgen, eine Rechtsgrundlage für die Überprüfung der Landtagsabgeordneten auf hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-Mitarbeit beschließen wollten. Wenn Ihre Fraktion tatsächlich an einer fairen Lösung - Sie sprachen vorhin davon - interessiert gewesen wäre, dann hätten Sie - a) nicht den Anhörungsantrag in letzter Minute vor der Hauptausschusssitzung gestellt, in der es um die Beschlussfassung über den Gesetzentwurf der Grünen gehen sollte.

(Senftleben [CDU]: Das war einen Tag vorher!)

Sie hätten auch - b) - wie alle anderen Fraktionen einfach einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Grünen stellen können, anstatt jetzt mit anderthalb Monaten Verspätung einen, wie Sie sagen, „eigenen“ Gesetzentwurf einzureichen.

(Senftleben [CDU]: Hätten Sie vorher nicht gelogen, wä- re alles anders!)

Damit komme ich zu Ihrem Gesetzentwurf. Herr Kollege Senftleben, wäre die CDU heute der kleine Koalitionspartner, wäre klar, was mit dem Gesetzentwurf einer großen Oppositionspartei passieren würde: Die CDU würde ihn in 1. Lesung ablehnen, und er käme in das Archiv der Landtagsdrucksachen.

Die Linke und der Koalitionspartner SPD praktizieren dieses Verfahren nicht. Wir sind für die Überweisung, obwohl wir das hat Kollege Holzschuher eineindeutig belegt - erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich Ihres Gesetzentwurfs haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben uns einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eins zu eins dem Text des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes entspricht. Das kann man machen, nur sollte man vorher wenigstens die vom Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar bereits im Jahr 2000 als nichtig erklärte Passage des § 8 streichen. Erlauben Sie mir ein

Zitat aus den Leitsätzen des Urteils. Das Gericht stellte unter anderem fest:

„Die Verfassung bildet die ,Rahmenordnung‘ des Staatswesens, in die sich die einfachen Gesetze einfügen müssen. Die Verfassung als Rahmen stellt dabei die Grenze des Gesetzesrechts dar: Einfachrechtliche Regelungen dürfen die Verfassung lediglich ausgestalten, sie hingegen nicht ändern.“

Ich zitiere weiter:

„Der Entzug des Abgeordnetenmandats unter den in § 8 ThürAbgÜpG genannten Voraussetzungen hätte eines verfassungsändernden Gesetzes bedurft.“

- Kollege Goetz hat das soeben noch einmal begründet.

„Die aufgrund eines Überprüfungsverfahrens gegen einen Abgeordneten wegen Zusammenarbeit mit dem MfS/ AfNS zu treffenden Würdigungen obliegen den Parteien und der Thüringer Öffentlichkeit.“

Genau das ist der Duktus des Änderungsantrags der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE.

Mit Verlaub, das alles hätten auch Sie vorher herausbekommen können, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Wir werden das noch einmal in der Anhörung und der Ausschussbefassung nacharbeiten. Alles dazu später. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Der Abgeordnete Vogel spricht für die Fraktion GRÜNE/B90.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat einen Gesetzentwurf zur Stasi-Überprüfung der Abgeordneten vorgelegt, der vorgibt, als Tiger mit geblecktem Gebiss, als Verteidiger einer wehrhaften Demokratie daherzukommen. Nach näherer Betrachtung stellt man fest: Bei den Beißwerkzeugen handelt es sich, soweit es reale Konsequenzen für ehemalige Stasi-Zuträger betrifft, um die dritten Zähne. Allerdings reicht die Beißkraft des Kiefers noch aus, als Kollateralschaden der repräsentativen parlamentarischen Demokratie ins Bein zu zwicken. Fühlen wir daher Ihrem Gesetzentwurf ein wenig auf die Zähne.

Schlüsselbegriffe Ihres Gesetzentwurfs, um den Ausschluss von Abgeordneten durch eine Parlamentsmehrheit zu rechtfertigen, sind „Selbstreinigungskraft des Parlaments“ und „unwürdige Abgeordnete“. Liest es sich in der Einführung und in § 1 des Gesetzentwurfs noch so, als ob ausnahmslos alle Abgeordneten mit HM- oder IM-Vergangenheit aus dem Parlament ausgeschlossen werden müssten, so relativiert sich das nach einem Blick in die Begründung total. Hier setzt ein Geeiere bei der Definition des Begriffs „Parlamentsunwürdigkeit“ ein, das angesichts der vorher formulierten markigen Ansprüche nur noch peinlich wirkt.

Hier heißt es beispielsweise, dass es für die Annahme einer Parlamentsunwürdigkeit weder notwendig noch hinreichend sei, wenn der Abgeordnete „nachhaltig und zum Schaden ande

rer Bürger für das MfS/AfNS tätig gewesen ist“. Ein Abgeordneter kann also einerseits etwa auch dann unwürdig sein, wenn er anderen Bürgern nicht geschadet haben sollte; andererseits kann er würdig sein, auch wenn er anderen nachhaltig Schaden zugefügt haben sollte. Das ist schon sehr seltsam.