Ich frage Sie: Wie will man denn Gerechtigkeit definieren, wenn klar ist, dass 40 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren Reallohnverluste hinnehmen mussten, wir aber auf der anderen Seite konstatieren müssen, dass die Manager von Jahr zu Jahr mehr Geld bekommen? Es kann schlicht und ergreifend nicht gerecht sein, wenn ein Manager das 600-fache Gehalt einer Krankenschwester oder einer Verkäuferin bekommt. Das ist doch nicht fair! Das kann nicht gerecht sein!
Wenn in dieser Republik 4 Millionen Menschen weniger als 7 Euro pro Stunde bekommen, dann ist das schlicht und ergreifend eine Sauerei. Auch das kann nichts mit Gerechtigkeit zu tun haben. Da muss die Politik handeln, und das werden wir auch tun.
Herr Minister, Sie haben gerade die Bundeskanzlerin und andere zitiert. Meine Frage: Wie kommt es, dass Herr Dr. Schwarz
er ist Geschäftsführer der Flughafengesellschaft, in deren Aufsichtsrat das Land Brandenburg Verantwortung trägt - Bonitätszuschläge erhält und der bestbezahlte Mann in diesem Land ist? Wie wohlfeil sind eigentlich Ihre Aussagen vor dem Hintergrund dessen, dass dort, wo diese Landesregierung Verantwortung trägt, genau gegenteilig gehandelt wird? Wie stehen Sie dazu?
Mit Verlaub, ich bin Mathelehrer. Sie sind jetzt auf ganz dünnem Eis, mein lieber Herr Bretz. Ich habe von dem 700-fachen Gehalt einer Krankenschwester gesprochen; sie erhält um die 1 500 Euro im Monat. Rechnen Sie selbst nach und schauen Sie, was Herr Schwarz verdient! Ich habe vorhin über eine ganz andere Liga gesprochen.
Ich kann Ihnen das gern genau vorrechnen. Nehmen Sie einen Taschenrechner, wenn Sie es im Kopf nicht können! Sie haben sich gerade wirklich ein Armutszeugnis ausgestellt.
Richtig ist: Wir reden auch über den Thüringer Antrag. Dieser erinnert mich ein bisschen an Galileo Galilei, nach dem Motto: Es bewegt sich etwas in unserem Land. - Inzwischen gibt es zu diesem Thema sogar CDU-Parteitagsbeschlusslagen. Auch die CDU erkennt, dass politisch reagiert werden muss, weil 85 % der Deutschen einen Mindestlohn wollen. Die CDU allerdings sagt: Dann gucken wir doch mal, ob wir das nicht in den Branchen umsetzen können, in denen es keine Tarifverträge gibt. Das ist also ein softgewaschener Ansatz; darauf komme ich noch.
Galileo Galilei hat damals, nachdem er aus dem Gerichtssaal kam und sagen musste, dass das mit der Erde alles doch etwas komisch sei, leicht brummelig gesagt:
Ich denke, das gilt auch hier. Es wird Bewegung geben. Bei der CDU gibt es sie schon, und ich bin mir sicher, es wird sie auch bei der FDP geben. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode in dieser Republik einen ordentlichen Mindestlohn haben.
Frau Schier, Sie haben gesagt, dass Sie einen Mindestlohn wollen, der durch eine Kommission festgelegt wird.
Nichts anderes wollen wir. Wir wollen, dass die Tarifpartner sich hinsetzen und einen Mindestlohn verhandeln. Das soll unter Begleitung von Wissenschaftlern geschehen. In dem Thüringer Antrag steht dazu noch etwas anderes.
Frau Schier, in einem Punkt sind wir aber anderer Meinung: Wir wollen, dass dieser Mindestlohn, der auf höchster Ebene zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt worden ist, dann tat
sächlich für alle gilt. Es muss eine untere Grenze eingezogen werden, unter die man schlicht und einfach nicht gehen darf. Das wollen wir.
Nach Ihrer Vorstellung soll dieser Mindestlohn nur dort gelten, wo es keine Tarifverträge gibt. Das wird nicht funktionieren, weil eine solche Regelung immer und immer wieder unterlaufen wird.
- Genau, dann kommen die christlichen Gewerkschaften und schließen einen Tarifvertrag ab, der 4 Euro vorsieht. Und schwupps greift dort der Mindestlohn nicht. Diesen Effekt haben wir in der Leiharbeit. Eine solche Entwicklung wollen wir vermeiden. Wir wollen eine generelle untere Linie einziehen. Das werden wir tun - mit einem gesetzlichen Mindestlohn in dieser Republik.
Ich habe hier noch ein bisschen Text stehen. Wir können es doch so machen: Ich gewähre nachher noch einmal Zeit für Zwischenfragen; einen ganzen Teil der Antwort kann ich Ihnen vielleicht schon vorher geben.
Das sieht die Geschäftsordnung so nicht vor. Aber nach diesem Tagesordnungspunkt könnt ihr euch unter vier Augen gründlich unterhalten.
Was ich sagen wollte: In England gab es bis 1999 keinen Mindestlohn. Damals entzündete sich dort genau der gleiche Streit, den wir hier erleben. Es hieß, der Mindestlohn werde zu massenhaften Entlassungen führen, die Arbeitslosigkeit werde hochgehen. Der Untergang der Insel wurde prophezeit. Seit 2000 gibt es in England einen Mindestlohn.
Gewerkschafter und Arbeitgeber setzen sich jedes Jahr im Herbst zusammen - unter Begleitung durch Wissenschaftler und knobeln miteinander aus, wie hoch der Mindestlohn ist.
Eines finde ich besonders interessant: Es ist dort mitnichten so, dass Helen Hunt von der Gewerkschaft vor die Tür tritt und
sagt, sie sei jetzt für das und das, und die Unternehmer entgegnen, der Mindestlohn solle möglichst weit unten gehalten werden, sondern man äußert sich vorher gar nicht dazu. Man setzt sich zusammen, nach ein paar Wochen steigt weißer Rauch auf, und der Mindestlohn wird verkündet. Er gilt dann quasi als Gesetz.
Frau Schier, ich finde es so toll, dass Sie in England die Menschen in der U-Bahn, der Straßenbahn oder auf der Straße fragen können: Wie hoch ist euer Mindestlohn? - Die Menschen kennen den, weil es nur eine einzige Größe gibt. Wenn jemand sagt, er habe für 6 Pfund gearbeitet, der Mindestlohn aber bei 8 Pfund liegt, dann sagt man dem: Dafür darfst du gar nicht arbeiten gehen! - So denkt man dort inzwischen. Es hat sich inzwischen das Bewusstsein dafür verfestigt, dass der Mindestlohn eine Grenze ist, unter der man als Arbeitnehmer seine Leistung nicht anbieten darf. Ich finde es toll, wenn es so funktioniert. Auch wir wollen am Ende des Tages dort hinkommen.
Ich komme zum nächsten Punkt. Wir sind - die Zahl ist gerade herausgekommen - im September 2012 mit einer Arbeitslosenquote von 9,4 % durchs Ziel gegangen. Zwar sind in diesem Land noch 125 600 Menschen arbeitslos, aber es ist die geringste Arbeitslosenquote, die wir je hatten. Ich glaube, das ist eine tolle Zahl, auf die man auch stolz sein kann.
Aber in der „Agenda 2010“ wurden auch ein paar Maßnahmen beschlossen, die wir geraderücken müssen. Das ist uns nur möglich, wenn wir zum Beispiel auch für Minijobs eine untere Grenze in Form eines Mindestlohns einziehen.
Der Mindestlohn ist ein wichtiges Korrektiv für all das, was im Rahmen der Reformen Hartz I bis Hartz IV beschlossen worden ist. Deshalb brauchen wir den Mindestlohn.
Jetzt zu Brandenburg: Hier müssen 20 000 Menschen, die den lieben langen Tag lang arbeiten, dennoch zum Amt gehen, weil sie nicht so viel Geld haben, dass sie davon ihre Familie ernähren können. Sie müssen dann Leistungen nach Hartz IV aufstocken. 20 000 Leute, das ist so viel, wie die Stadt Luckenwalde Einwohner hat. Es ist also in Brandenburg so, als gingen alle, vom Kind bis zur Großmutter, in dieser Stadt zum Amt, um Leistungen aufzustocken, weil das Gehalt, das sie am Ende des Monats bekommen, nicht ausreicht, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Das ist eine Sauerei, meine Damen und Herren! Es hat auch etwas mit dem Wert von Arbeit und mit der Menschenwürde zu tun, wenn wir zulassen, dass Leute für so wenig Geld arbeiten gehen. Frau Schier, das muss ich Ihnen deutlich sagen: Dagegen kommen Sie mit Ihrem komischen Dumping-Argument gar nicht an.