Protokoll der Sitzung vom 23.01.2013

Meiner Fraktion fehlt bei diesem Gesetz auch der fachbereichsübergreifende Ansatz. Die Landesregierung hat es versäumt, alle Ministerien gleichmäßig für das Thema zu sensibilisieren und ins Boot zu holen.

(Zuruf der Abgeordneten Lehmann [SPD])

- Frau Kollegin Lehmann, ich muss Ihrer Landesregierung ja nicht vertrauen.

(Beifall FDP)

Wenn aber Sie als regierungstragende Fraktion einen Antrag vorlegen, in dem Sie die Landesregierung auffordern, etwas zu machen, sich an die Gesetze zu halten, zweifle ich auch am Vertrauen der Regierungsfraktionen zu ihrer eigenen Landesregierung.

(Bischoff [SPD]: Wenn euch nichts Besseres einfällt!)

Die Landesregierung hat es versäumt, alle Ministerien gleichermaßen ins Boot zu holen und für das Thema zu sensibilisieren. Herr Prof. Schroeder wird nachher noch sprechen. Er hat in der Sitzung des Sozialausschusses in der vergangenen Woche gesagt, dass etwa die Anpassung der Bauverordnung in die Zuständigkeit des Infrastrukturministeriums falle. Ja, das ist richtig. Natürlich ist das rein fachlich richtig. Das ließe dann aber den Verdacht zu, dass es bislang eben kein koordiniertes Vorgehen zum Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen gab.

(Frau Lehmann [SPD]: Gucken Sie mal ins Maßnahmen- paket hinein!)

Damit, meine Damen und Herren, ist eine Chance vertan worden, in der Behindertenpolitik einen großen Schritt nach vorne zu machen.

Ich will nicht falsch verstanden werden: Der Gesetzentwurf enthält auch einige sinnvolle Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige, etwa jene im § 7 Abs. 2 die Kommunikationshilferegelung - oder in der Frage der Beweislasterleichterung im § 4 des Gesetzentwurfes. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gesetz die Vorgaben aus der UN-Behindertenrechtskonvention nicht in dem Maße umsetzt, wie es die Landesregierung den Betroffenen und ihren Angehörigen glaubhaft zu machen versucht.

Die FDP-Fraktion wird sich in der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf deshalb enthalten

(Sehr schade! bei der Fraktion DIE LINKE)

zum einen, da wir nicht erkennen, dass dem Konnexitätsprinzip Rechnung getragen wird, und zum anderen, weil der Gesetzentwurf nicht weit genug geht. Es reicht eben nicht aus, Dinge anzukündigen und sie dann aber im konkreten Fall nicht umzusetzen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Die Aussprache wird mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fortgesetzt. Herr Abgeordneter Maresch hat das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mich auf diese Rede vorbereitete, ging ich in Gedanken noch einmal den langen, beschwerlichen Weg unserer Gesetzesnovellierung ab und stellte mir dabei folgende Fragen: Haben wir alles richtig gemacht? Was hätten wir besser machen können? Was ergibt sich daraus in Zukunft für uns und vor allem für die Menschen mit Behinderung im Land Brandenburg?

Ja, wir haben die Betroffenen in einem sehr intensiven Prozess beteiligt. Sie haben mit gut durchdachten und präzise formulierten Forderungen Wünsche und Darstellungen ihrer jeweiligen Bedarfe aktiv eingebracht. Wir haben sie nicht nur reden lassen, sondern ihnen aufmerksam zugehört und ihre Vorschläge ernsthaft aufgegriffen. Sie hatten also, wie es die UNBehindertenrechtskonvention fordert, nicht nur ein reines Rederecht, sondern ein aktives Mitsprache- und Teilhaberecht an dem Gesetz, in welchem es vorwiegend um sie und ihre Teilhabe geht. Diesen Weg gilt es nun konsequent weiterzugehen.

Es wurden auch andere Argumente ausgetauscht, wir haben einige gehört. Die Kommunen äußerten Ängste vor den möglicherweise entstehenden Kosten bei Ausweitung des Geltungsbereichs des Gesetzes. Kollege Andreas Büttner hat es gerade explizit dargestellt. Das Konnexitätsprinzip wäre in großer Gefahr. Andererseits werden die Betroffenen nicht müde zu betonen, dass sie nirgendwo anders als in den Kommunen leben und die Bestimmungen der UN-Konvention gemäß Artikel 4 Absatz 5 ohne Ausnahmen für alle Teile eines Bundesstaates gelten.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Aussage gegen Aussage. Das wollen einige lösen, indem sie das Gesetz einfach nicht mehr auf der mittlerweile drei Jahre rechtskräftigen UN-Konvention fußen lassen wollen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre der falsche Weg, genauso wie es falsch ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Sie diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, egal, was Sie diesbezüglich hier darstellen. Hier geht es auch um Politik, jedoch vorrangig um diese Menschen, um die Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen. Dies wäre der völlig falsche Weg, wäre sogar ein Schritt zurück. Nicht nur das: Es wäre ein großer Fehler gewesen, weil das Land Brandenburg erst das zweite Bundesland ist, welches sein Behindertengleichstellungsgesetz novelliert.

Unser Land kann damit ein positives Zeichen setzen und Vorbild sein. Es kann aber auch bundesweit ein Negativbeispiel werden. So wie jeder von uns sicherlich schon einmal einen

Blick in das schon 2010 novellierte Behindertengleichstellungsgesetz von Sachsen-Anhalt geworfen hat, werden nun andere Bundesländer, die eine Novellierung durchführen oder planen, in unserem neuen Gesetz lesen.

Wir tragen also nicht nur Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung unseres eigenen Bundeslandes, sondern müssen uns unser Hineinwirken in die noch ausstehenden Gesetzesnovellen Deutschlands bewusst machen. Nicht nur unsere Brandenburger Betroffenen würden fragen, warum die UN-Behindertenrechtskonvention nicht Grundlage des neuen Behindertengleichstellungsgesetzes geworden ist und warum deren Geltungsbereich nicht auf die Kommunen ausgeweitet wird, in denen sie ihren Lebensmittelpunkt haben. Die anderen Bundesländer würden uns mit dieser Frage ebenfalls konfrontieren. Sie verfolgen die behindertenpolitischen Entwicklungen in unserem Land sehr genau. So erkannte die Monitoringstelle des Instituts für Menschenrechte im Dezember des vergangenen Jahres genau diese Entwicklung in Brandenburg an. In Ihren Ausführungen benannte Sie nicht nur den Entwurf unserer Gesetzesnovelle positiv, sondern orientierte bundesweit darauf, alle Landesgleichstellungsgesetze auf der Grundlage der UN-Konvention zu novellieren.

Die Ausweitung des Geltungsbereichs auf die Kommunen ist für die Monitoringstelle eine logische Konsequenz. Eine Beschränkung durch Kosten und Konnexität kennt weder die UNBehindertenrechtskonvention noch die Monitoringstelle. Alle Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge sind aus der Sicht der UN-Konvention zu bestimmen. Zwischen Alt und Neu kann hier nicht unterschieden werden - und schon gar nicht auf dem Rücken der Betroffenen. Ihnen sind Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu garantieren. Diese Aufgabe fußt auf dem Prinzip der Nichtdiskriminierung, Inklusion und Partizipation und erfordert, alle gesetzlichen Rahmenbedingungen dahin gehend zu überprüfen und anzupassen. Dem Behindertengleichstellungsgesetz kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Argumente, dass man sich doch bisher gut um die behinderten Menschen gekümmert und sie gut versorgt habe, sind hier völlig fehl am Platz. Sie entspringen dem völlig überholten Fürsorgeprinzip. Menschen mit Behinderung haben ohne Kostenvorbehalt ein Wunsch- und Wahlrecht. Sie haben ein Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung.

(Beifall SPD)

Wer ist eigentlich gemeint, wenn davon gesprochen wird, dass diese Menschen bereits gut versorgt seien? Die 47-jährige Schlaganfallpatientin - mein Jahrgang -, die aufgrund fehlender ambulanter Strukturen und fehlenden barrierefreien Wohnraums gegen ihren Willen in ein Heim ziehen muss? Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, denen auf Ämtern und in jahrelangen Rechtsstreiten gegen ihre Kostenträger jeder Mut und jeder Nerv genommen wird? Die Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, die sich hochkonzentriert und mit großer Ausdauer ihrer Arbeit für ein sehr geringes Entgelt widmen?

Menschenrechte sind nicht zum Nulltarif zu haben. Hier hat der Erkenntnisprozess in einigen Köpfen offensichtlich noch nicht einmal begonnen. Inklusion ist kein Experiment, ist kein Spiel, kein Basar, auf welchem man die Kosten so lange hinund herschiebt, bis sie sich hoffentlich in Luft auflösen. Wer

mit Menschenrechten spielt, der spielt mit Menschen. Da können Sie die Kosten hin- und herschieben, wie Sie wollen, die Umsetzung der verbindlichen Menschenrechte lässt sich nicht wegverhandeln.

Wann fangen wir an zu begreifen, dass wir schnell selbst einer von ihnen sein können? Wann begreifen wir, dass genau diese Menschen mit ihrer Andersartigkeit die ganze Gesellschaft bereichern? Sie sorgen für Vielfalt und haben mithin Fähigkeiten und Begabungen, die manch einer von uns gerne hätte.

Hinter drei Eckpunkte dürfen wir in Brandenburg nicht zurück: die Ausweitung des gesetzlichen Geltungsbereichs auf die Kommunen, die konsequente Zugrundelegung der UN-Behindertenrechtskonvention und vor allem die Stärkung der Position des Beauftragten der Landesregierung als impulsgebende, koordinierende und kontrollierende Instanz.

(Beifall DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Selbst dann bliebe noch viel zu tun zu einem inklusiven Gesellschaftssystem, in welchem sich die Betroffenen weitestgehend unabhängig und selbstständig bewegen können. Noch fragt unser System eher nach dem Warum und nicht nach dem Wie, also nach dem Bedarf der Betroffenen. Aber unser Behindertengleichstellungsgesetz kann eine gute Grundlage werden, dies möglichst schnell zu ändern. Es ist eine große Chance, die nicht vertan werden darf.

Wir wollen ehrlich miteinander umgehen. Mein Jahrgang hat einen gemeinschaftlichen und gleichberechtigten Umgang mit Betroffenen nicht von Kindheit an erlernt. Wir stehen jedoch heute in der Verantwortung, genau das bewusst zu machen und zu gestalten, dass Menschen mit Behinderung eben kein Mehr an Leistung und Lebensqualität wollen, sondern das, was allen Menschen zusteht oder möglich ist.

Der Erkenntnis ist es egal, wann man sie erlangt, den Betroffenen kann es nicht egal sein, wann wir das verstehen. Sie verlieren wichtige Lebenszeit im Ringen um Selbstbestimmung, Gleichberechtigung oder um ein tatsächliches Wunsch- und Wahlrecht. Lassen Sie uns also die richtigen Schritte gehen, wie sie auf Bundesebene gefordert werden und in unserem Falle bereits große Anerkennung fanden!

Noch einmal: Ausweitung des Geltungsbereichs auf die Kommunen, Zugrundelegung der UN-Behindertenrechtskonvention, Stärkung der Position der beauftragten Person der Landesregierung.

Nach diesen ersten Schritten sollten wir unverzüglich die nächsten gehen. Gesetze müssen überprüft und angepasst werden. Regionale Teilhabepläne müssen entwickelt und soziale Strukturen verändert werden. Es geht um einen direkten Kurs in eine inklusive Gesellschaft. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Maresch. - Bevor wir die Aussprache mit dem nächsten Redner fortsetzen, gibt es eine Kurzintervention. Herr Abgeordneter Büttner von der FDPFraktion hat sie angemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kollege Maresch, Sie haben in Ihrer Rede mehrfach dargestellt, dass Ihnen die Kosten dessen im Prinzip egal sind. Ich kenne Ihre Auffassung, die haben Sie uns sowohl in persönlichen Gesprächen als auch im Ausschuss mehrfach zur Kenntnis gegeben.

Sie haben gerade eine Sache gemacht, die nicht fair war. Sie haben nämlich versucht, unsere Bedenken, die wir hinsichtlich der Einhaltung des Konnexitätsprinzips haben, damit zu verbinden, dass wir ein Problem damit hätten, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, oder es würde uns nicht um die Belange der Menschen mit Behinderung gehen. Das, Herr Kollege Maresch, weise ich ausdrücklich zurück.

Der zweite Punkt. Wenn Sie die Kosten ausblenden, müssen Sie aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir bei allem berechtigten Anspruch der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - ich glaube, wir sind uns da einig, dass wir die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen wollen - eine Landesverfassung haben, deren Artikel 97 Abs. 3 das Konnexitätsprinzip enthält.

Ich als Abgeordneter - da spreche ich auch für meine Fraktion werde keinem Gesetz zustimmen, bei dem wir berechtigten Zweifel haben, dass die Landesverfassung an der Stelle eingehalten ist. Deswegen enthalten wir uns bei dem Gesetz, Herr Kollege Maresch. Spiegeln Sie das bitte nicht so, als seien uns die Rechte der Menschen mit Behinderung egal. Auch dabei müssen rechtsstaatliche Verfahren eingehalten und die Verfassung beachtet werden. Wenn wir daran Zweifel haben, können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Es gibt jetzt die Möglichkeit einer Reaktion auf die Kurzintervention. Herr Abgeordneter Maresch nimmt diese wahr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass meine Rede nicht falsch zu verstehen war. Lieber Andreas Büttner, falls das falsch verstanden wurde: Ich würde niemals dein persönliches Engagement und das von Frau Blechinger oder anderer für Menschen mit Behinderung infrage stellen. Das war niemals mein Ziel, ich denke, das habe ich auch nicht ausgedrückt.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Das hast du auch nicht ge- sagt!)

- Ich habe das auch nicht gesagt.

Was ich aber ganz deutlich sage, und das hat mich bei der Anhörung negativ beeindruckt, ist, dass die Vertreterin des Städte- und Gemeindebundes im Rahmen ihrer Stellungnahme O-Ton, ich habe es mir aufgeschrieben, und dieser Satz hat sich mir eingebrannt - sagte: Dieses Gesetz - sie meinte das, was wir jetzt beschließen - ist unnötig. - Das kann einfach nicht sein.

Andreas, sieh mir das bitte nach. Ich bin Politiker geworden, weil ich für diese Menschen - auch aufgrund eigener Erfahrung etwas erreichen will. Meine Erfahrung sagt mir, dass Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen in den Kommunen leben. Ich habe es ehrlich gesagt satt, dass mir jedes Mal gesagt wird: Wir haben kein Geld, das Land kann uns kein Geld geben. - Der Mensch mit Behinderung muss also weiter so leben wie bisher. Und das ist eben negativ. Das habe ich satt!

Ich bin wirklich froh, dass wir dieses Gesetz heute hoffentlich beschließen und in Bälde - es ist klar, dass das mittel- und langfristig geplant werden wird - solche Aussagen der Kommunen nicht mehr vorkommen. Diese Menschen und ihre Angehörigen leben in ihren Kommunen, und auch die Kommunen haben verdammt noch mal endlich diese Verantwortung zu übernehmen!