Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

Ich möchte sogleich mit der zuletzt aufgemachten und sehr abenteuerlichen These aufräumen, dass jeder Mensch dieser Erde - es gibt ca. 6 Milliarden Menschen - in der Europäischen Union Freizügigkeit genieße. Das ist natürlich nicht so. Das hat einen realistischen und teilweise schmerzlichen Hintergrund. Natürlich sind sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bewusst, welche Folgen das nach sich ziehen würde. Bei all der Ungerechtigkeit und wirtschaftlichen Unterschiede auf der Welt würde eine ungehinderte Zuzugsmöglichkeit die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wirtschaftlich und auch im Hinblick auf die Integration überfordern. Ich bedanke mich an dieser Stelle für die teilweise Zustimmung der SPD-Fraktion.

Bevor ich aus der EU zitiere, würde ich darüber nachdenken, was konkret gemeint ist. Das, was Sie gesagt haben, ist definitiv nicht gemeint.

Wir werden den Antrag ablehnen, weil er Folgendes ungeklärt lässt: Die Residenzpflicht, die zugegebenermaßen so in der Europäischen Union kein zweites Mal zu finden ist - es gibt auch nicht allzu viele Länder in der EU, die so groß sind wie Deutschland -, hat einen realistischen Hintergrund. Bei allem Bemühen, humanitäre Lösungen zu finden, muss man in eine ganzheitliche Betrachtung einbeziehen, dass auch Missbrauch betrieben wird, und zwar nicht nur von Ausländern in Deutschland, sondern auch von Deutschen. Beim Aufenthaltsrecht ist es eine besondere Situation. Staatliche Stellen haben es gelegentlich sehr schwer, Missbrauch vorzubeugen bzw. nachzuweisen. Da geht es um Mehrfachmeldung, verschiedene Identitäten, Verschleierung der Identität und anderes.

Dennoch haben wir in Brandenburg in der Vergangenheit Wege gefunden, damit es den Einzelnen nicht unmöglich war, Berliner Ärzte aufzusuchen, in Berlin eine Weiterbildung zu absolvieren oder Freunde, Bekannte und Familienangehörige zu besuchen. Es war - anders als in der Zeit vor 1989 - möglich, von Brandenburg aus in alle Teile Berlins zu fahren. Vor 1989 war das aufgrund des Betonbauwerks, das Sie von der Linken zu verantworten haben, nicht möglich.

Wir halten diesen Antrag für unausgegoren. Er soll letzten Endes ein Stück Ideologie befriedigen, damit Sie dann mit der Nachricht „Das haben wir verabschiedet!“ Punkte sammeln und - wenn die Koalitionsfraktionen und vielleicht sogar die Grünen dafür stimmen - vergessen machen können, dass Sie im Bund gemeinsam regiert, das Ganze jedoch nicht umgesetzt haben, weil es keine Notwendigkeit gab. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Der Abgeordnete Kuhnert spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem mit der Residenzpflicht der Flüchtlinge beschäftigt uns schon seit Jahren. Es ist nicht hinnehmbar, Herr Petke, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht gestellt und insofern diskriminiert und in der Ausübung ihrer sozialen Rechte behindert wird.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir das einzige Land in der EU mit einer solchen Regelung sind. Ich deute das so, dass in der Tat Handlungsbedarf besteht.

Sie wissen, dass sich in den letzten Jahren, als wir zusammen regiert haben, immer folgendes Szenario abgespielt hat: Die beiden großen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonisches Werk sind auf mich und die SPD-Fraktion zugekommen und haben gesagt, dass genau an dieser Stelle endlich etwas geändert werden müsse. Man brauche humanitäre Lösungen für die hier lebenden Flüchtlinge. Es geht mitnichten um 6 Milliarden Menschen, die einwandern wollen, sondern um diejenigen, die hier leben. Das sind nicht 6 Milliarden, also reden Sie nicht solch einen Unsinn!

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Ich habe den Kirchen geantwortet: Bei mir und meiner Fraktion rennen Sie offene Türen ein. Aber die Partei mit dem großen C vor dem Namen, die Ihnen, den christlichen Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden, eigentlich nahesteht, verhindert das ein ums andere Mal. Das letzte Mal stand es im Herbst 2007 auf der Tagesordnung. Damals konnten wir dem Antrag der Linken nicht folgen, weil der Koalitionspartner es verhindert hat.

(Lachen bei der CDU - Schulze [SPD]: Was gibt es da zu lachen? Das ist traurig genug!)

Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse geändert, und ich bin froh, dass wir im Sinne der beiden großen Kirchen, die uns immer wieder gemahnt haben, in dieser Hinsicht endlich etwas tun können.

(Beifall SPD und LINKE)

Die Materie ist nicht unkompliziert - das haben meine Vorredner schon gesagt -, weil ihr zwei Bundesgesetze zugrunde liegen.

Für Asylbewerber können wir direkt etwas tun, bei geduldeten Ausländern wird es schwieriger. Bezüglich der Asylbewerberproblematik haben Länder wie Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen längst eine Rechtsverordnung erlassen. Per Rechtsverordnung können wir den Bewegungsraum von im Land lebenden Flüchtlingen erweitern. Vielleicht orientieren wir uns an dem Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern, das vier Großbereiche geschaffen hat, um das Problem zu lösen.

Schwieriger wird es bei der Verwaltungsvereinbarung mit Berlin, obwohl Berlin sozusagen ein territorialer Bestandteil unseres Landes ist. Von daher ist es notwendig, dass wir aktiv werden. Wir geben bewusst Prüfungsaufträge, um zu klären, wie eine solche Verwaltungsvereinbarung aussehen und das Erlassrecht in den einzelnen Bezirken geregelt werden kann.

Wie meine Vorredner schon sagten, unterliegt das Thema der Bundesgesetzgebung. Wir fordern die Landesregierung auf, es auf Bundesebene zur Sprache zu bringen. Die von uns angestrebte Lösung ist überfällig. Ich persönlich freue mich, dass wie ich erwarte - die Mehrheit des Landtages dem Antrag zustimmen wird. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Goetz spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen haben wir uns mit der Verlängerung von Bleiberechtsregelungen für bei uns im Land lebende Asylbewerber befasst. Damals kam von den Fraktionen SPD, Linke und Grüne dieses Hauses ein Antrag, der wortwörtlich dem Antrag entsprach, den die FDP-Bundestagsfraktion eingebracht hatte. Ich wundere mich heute noch, wie Sie es geschafft haben, diesen Antrag wortwörtlich zu übernehmen, ohne ihn zu kennen, wie Kollegin Mächtig auf Nachfrage erklärte.

(Frau Wehlan [DIE LINKE]: Er war so gut!)

- Wunderbar. Kein Problem. Sie hatten ja gesagt, Sie übernähmen gute Ideen von anderen. Das freut uns.

Jetzt liegt ein weiterer Antrag auf dem Tisch, der sich mit Aufenthaltsbeschränkungsbestimmungen befasst. Ich räume gern ein: Als Liberaler habe ich nie so recht verstanden, welchen Sinn es macht, einem in Brandenburg lebenden Ausländer vorzuschreiben, in seinem Landkreis zu bleiben und die 5 km entfernte Landkreisgrenze nicht zu überschreiten. Das erschließt sich mir nicht.

Was den Missbrauch angeht, so will ich sagen, dass dies heutzutage mit modernen Mitteln ausgeschlossen werden kann. Ich gehe davon aus, dass gerade die Residenzpflicht dazu beiträgt, dass man sich mit verschiedenen Identitäten in mehreren Landkreisen anmeldet und der Missbrauch damit eher befördert als eingeschränkt wird.

Die unzeitgemäße Residenzpflicht aufzuheben ist zunächst einmal der richtige Weg. Aber, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, warum fordern Sie die Landesregierung auf, sich für die Abschaffung der Residenzpflicht einzusetzen? Sie sind die Regierungskoalition. Das ist Ihre Regierung. Reden Sie nicht miteinander? Diesen Anschein macht es, wenn Sie als Koalition Ihre eigene Regierung auffordern müssen, in diesem Sinne aktiv zu werden. Ich verstehe das nicht. Es geht in anderen Bereichen ganz leicht, dass man sagt: meine Koalition, meine Regierung, mein Koalitionsvertrag - darin schreibt man so etwas fest und wird dann aktiv. Es bedarf doch nicht in jedem Einzelfall der Aufforderung der eigenen Regierung. Haben Sie kein Vertrauen zu Ihren Ministern? Ich ermutige Sie: Haben Sie mehr Vertrauen! Die werden das schon tun, wenn Sie mit denen reden. Ich kenne es jedenfalls so aus Regierungen, an denen die FDP beteiligt ist. Wenn die Abgeordneten der FDP-Fraktion mit den FDP-Ministern reden, gibt es eine ordentliche Antwort. Wenn es der jeweiligen Konzeption entspricht, wird es entsprechend umgesetzt.

Inhaltlich spricht eigentlich nichts gegen den Antrag. Aber wenn Ihre eigene Regierung dem folgen würde, was Sie wollen wie man es eigentlich erwarten würde -, dann wäre er im Grunde überflüssig.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich war eigentlich am Ende meiner Rede, gestatte aber gern noch eine Zwischenfrage.

Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Goetz, auch wenn das nun eher eine Nachfrage und keine Zwischenfrage ist.

(Herr Goetz [FDP]: Sehr gern!)

Können Sie sich daran erinnern, dass Sie gestern das Plenum des Landtags Brandenburg aufgefordert haben, Ihnen Rückendeckung zu geben, um bei der FDP-Bundestagsfraktion wegen der Schleuse in Teltow nachzuhaken?

Richtig. Wir reden mit denen. Das werden wir auch weiterhin tun; das ist keine Frage. Aber es muss aus dem Land heraus auch ein Willen erkennbar sein. Das ist das eine.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Haben Sie doch Vertrauen!)

Nur Sie sprechen mit Ihrem Antrag ja die eigene Landesregierung an. Sie gehört demselben Hause an, es sind der von Ihnen eigens gewählte Ministerpräsident und dessen Minister - alle aus Ihren Reihen -, und trotzdem mangelt es an Vertrauen. Ich kann es nicht verstehen.

Der Antrag in der Sache, die Bleiberechtsregelungen zu verlängern, ist in Ordnung. Auch die Bestimmungen zu Aufenthaltsbeschränkungen und sonstige Einzelbestimmungen sind in Ordnung. Insofern müssen wir den Antrag nicht ablehnen. Zustimmen muss man ihm aber auch nicht, weil Sie ohnehin festgestellt haben, dass Ihre Mehrheit hier gesichert ist. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Die Abgeordnete von Halem spricht für die Fraktion GRÜNE/ B90.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Petke, erst einmal zu Ihnen.

(Beifall und und allgemeines Gelächter)

Wenn Sie hier erzählen, es habe unter rot-grüner Regierung von grüner Seite keine Initiative gegeben, die Residenzpflicht zu ändern, dann irren Sie. Das kann nur daran liegen, dass Sie sich sehr wenig um dieses Thema gekümmert haben.

Die Tatsache, dass Sie mir auf einer Podiumsdiskussion in Jüterbog im Wahlkampf dieses Sommers noch erzählt haben,

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

das Innenministerium habe damit nichts zu tun - es gibt hier Zeugen -, sondern es sei Sache des Sozialministeriums und deshalb Sache der SPD, die Regelungen zu ändern, bezeugt meiner Sicht nur, wie wenig Sie sich um dieses Thema gekümmert haben.

(Beifall GRÜNE/B90 und SPD)

Noch ein Punkt.

(Zuruf von der SPD)

- Jetzt bin ich an der Reihe! Selbst wenn es so gewesen wäre, dass sich bislang auch aus unserer Partei niemand um die Aufhebung der Residenzpflicht gekümmert hätte, wäre es jetzt allerhöchste Zeit, das zu tun.

(Beifall GRÜNE/B90, SPD und DIE LINKE)