Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 8. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg.

Sie alle haben es miterlebt: In der vergangenen Woche mussten wir von unserem Kollegen Klaus Bochow Abschied nehmen und ihn beerdigen. Ich bitte Sie, sich zu einer Gedenkminute zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich zu einer Schweigeminute von ihren Plätzen.)

- Ich danke Ihnen.

Wir begrüßen unter unseren Gästen Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Oberschule Potsdam und wünschen euch einen spannenden Vormittag im Landtag Brandenburg. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Vor Einritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen Folgendes mitzuteilen: Der Landeswahlleiter hat mitgeteilt, dass Frau Ina Muhß mit Wirkung vom 19. Januar 2010 Mitglied des Landtages Brandenburg geworden ist. Sie gehört der SPD-Fraktion an. Herzlich willkommen und viel Freude an der Arbeit, Frau Muhß!

(Beifall)

Des Weiteren habe ich Ihnen mitzuteilen, dass das Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes, Drucksache 5/243, das Gesetz zur Überprüfung der Abgeordneten des Landtages Brandenburg auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit oder dem Amt für Nationale Sicherheit, Drucksache 5/89, und das Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Richtergesetzes, Drucksache 5/195, von den jeweiligen Einbringern vorläufig zurückgezogen worden sind.

Gibt es zu dem Entwurf der Tagesordnung von Ihrer Seite Bemerkungen oder Wünsche? - Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich Sie um Zustimmung zu dieser Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Ich habe Ihnen mitzuteilen, dass Frau Ministerin Lieske ganztägig abwesend ist und von Herrn Minister Baaske vertreten wird. Einige Abgeordnete leiden wohl auch noch unter den Straßenverhältnissen und werden - hoffentlich - zu uns stoßen, wenn sie den Stau überwunden haben.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Sicher leben in Brandenburg - Öffentliche Sicherheit durch eine handlungsfähige bürgernahe Polizei gewährleisten

Antrag der Fraktion der SPD

Drucksache 5/215

Ich eröffne die Debatte zu diesem Thema mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Stark. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat die heutige Aktuelle Stunde „Sicher leben in Brandenburg“ beantragt, weil wir dem Thema Innere Sicherheit einen hohen aktuellen Stellenwert einräumen. Sicherheit ist nicht nur ein subjektives Gefühl. Es geht nicht allein darum, den Bürgern den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich überall im Land Brandenburg angstfrei im öffentlichen Raum bewegen können; nein, hier und heute geht es darum, Grundlagen für die Innere Sicherheit zu besprechen - eine wichtige Grundlage ist eine handlungsfähige, bürgernahe Polizei - und die Frage zu beantworten, wie wir in Zukunft diese Handlungsfähigkeit gewährleisten können. Ferner müssen wir die Fragen beantworten: Wie sollen die Aufgaben der brandenburgischen Polizei in Zukunft aussehen? Wie müssen dementsprechend die Strukturen der brandenburgischen Polizei aufgestellt sein? Wie viel Personal brauchen wir, um die Polizei so auszustatten, dass sie handlungsfähig ist?

Wir haben schon in der vergangenen Legislaturperiode im Rahmen der Haushaltskonsolidierung in allen Bereichen der Landesverwaltung Reformprozesse organisiert und in diesem Zusammenhang Einsparungen vorgenommen sowie Strukturveränderungen eingeleitet. Ich erinnere an die Forstreform, aber auch an die Polizeireform. Noch einmal: Wir haben bereits in den vergangenen Jahren Einsparungen, Personalkürzungen und Strukturveränderungen vorgenommen. Dies war sowohl vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung als auch angesichts unseres Anspruchs, den Haushalt solide zu führen und zu konsolidieren, nötig.

Wir alle sind uns dessen bewusst, dass dieser Prozess in der Vergangenheit auch mit viel Verunsicherung, gerade im Bereich der Polizei, verbunden war. Wir müssen dennoch die realen Fakten beachten. Derzeit verfügt das Land Brandenburg insgesamt über rund 9 000 Polizisten. Eine Aussage von Minister Speer vom Januar dieses Jahres legitimiert diese Zahl. Damit sind wir nicht nur gut aufgestellt, sondern wir nehmen im Vergleich mit anderen Flächenländern immer noch eine Spitzenposition ein. Laut Statistischem Jahrbuch kommen in Niedersachsen auf 10 000 Einwohner nur 27 Polizisten, in Rheinland-Pfalz sind es 28, in Thüringen 33 und in Brandenburg immerhin 38. Nur Mecklenburg-Vorpommern mit 39 Polizisten auf 10 000 Einwohner liegt noch vor uns. Ich kenne die Argumente, man müsse die große Fläche und die Außengrenze beachten. Das ist richtig. Aber eingeordnet in den Kanon der Flächenländer müssen wir diese Zahlen- und Faktenlage bewerten.

Sicherheit ist kein Zahlenspiel, Sicherheit ist eine Dienstleistung am Bürger. Auch und besonders in Zeiten knapper Kassen gilt es deshalb im Polizeibereich nicht mehr nur die Strukturen zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern, sondern den Dienstleistungsgedanken weiterzuentwickeln. Wenn also von Reformen im Polizeibereich die Rede ist, dann darf nicht länger der Eindruck entstehen, der Ansatz sei allein von der Kassenlage bestimmt. Vielmehr muss in Zukunft das aufgabenkritische Herangehen im Vordergrund stehen. Ich erinnere an die Demonstration der GdP vorhin vor dem Haus. Dort sind auch Pressemitteilungen verteilt worden. Die größte Gewerkschaft der Polizei unterstützt uns in der Auffassung, dass in der Ver

gangenheit der gesamte Bereich der Aufgabenkritik bei der Bearbeitung durch den damaligen geschätzten Innenminister, Herrn Schönbohm, einfach zu kurz gekommen ist.

In meiner Funktion als innenpolitische Sprecherin der SPDFraktion habe ich in den vergangenen Jahren natürlich zahlreiche Polizeidienststellen des Landes besucht und dort die Gelegenheit wahrgenommen, mit vielen Polizisten ins Gespräch zu kommen. Von ihrer Seite wurde immer wieder signalisiert, dass sie den Reformen grundsätzlich positiv gegenüberstehen und diese auch mittragen. Kritik hagelte es aber an der Art und Weise der Umsetzung. Ja, Sie schauen mich schon richtig an, liebe Kollegen von der CDU, denn ich möchte gern eine persönliche Bemerkung einschieben: Wenn wir heute in der brandenburgischen Polizei eine Umfrage mit dem Ziel starten würden, das Unwort des Jahres 2009 zu finden, dann müssten wir uns sicherlich zwischen „Projektgruppe“ und „Tragschrauber“ entscheiden.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Was will ich damit sagen? Es muss endlich Schluss sein mit den vielen Experimenten. Es muss endlich Schluss sein mit den vielen einzelnen Herangehensweisen. Ein Gesamtkonzept muss her. Der Innenminister hat in der vergangenen Woche die Einsetzung einer Expertenkommission mit einem entsprechendem Auftrag bekanntgegeben; darauf komme ich nachher noch einmal zu sprechen.

Wenn wir heute darüber debattieren, wie wir die öffentliche Sicherheit in Brandenburg auch in Zukunft gewährleisten wollen, dann darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir vor dem Hintergrund knapper Kassen wieder einmal eine neue Sau durch das Dorf treiben. Klar ist: An unserem Ziel, bis zum Jahr 2012 entsprechend dem Bedarf die Zahl der Stellen bei der brandenburgischen Polizei auf 8 524 zu reduzieren, führt kein Weg vorbei.

Dies so zu organisieren, dass es dabei nicht zu Abstrichen bei der inneren Sicherheit kommt, ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Initiative des Innenministers, der eine Kommission mit elf sachverständigen Experten mit dem Ziel zusammengestellt hat, eine zukunftsfähige Polizei aufzustellen. Ich begrüße außerordentlich, dass sich auch die GdP als größte Gewerkschaft des Landes Brandenburg dieser Aufgabe stellt. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das auf der einen Seite dem Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger Rechnung trägt und auf der anderen Seite natürlich auch die finanziellen und demografischen Entwicklungen berücksichtigt.

Die elfköpfige Kommission wird in einem halben Jahr den ersten Bericht vorlegen. In dieser Kommission sind unter anderem der Inspekteur der Polizei, der Direktor des Landeskriminalamtes, ein Schutzbereichsleiter, ein Wachenleiter, ein Leiter eines Polizeipräsidiums etc. vertreten. Ich denke, damit ist der Sachverstand gewährleistet, mit dem uns die Kommission innerhalb der relativ kurzen Frist von einem halben Jahr eine erste allumfassende Vorlage unterbreiten wird, wie wir in Zukunft die brandenburgische Polizei aufstellen wollen.

Unser erklärtes Ziel war und ist es, die Polizei in zukunftsfähigen Strukturen aufzustellen. Das heißt erstens: Es muss eine wahrnehmbare Polizeipräsenz mit kurzen Interventionszeiten

erhalten bleiben, und zwar vor Ort, da, wo die Leute die Polizei auch wahrnehmen. Es nützt weniger, wenn viele Leute im höheren Dienst in Strukturen Führungsfunktionen wahrnehmen. Die sind zwar auch wichtig, aber sie müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen zu der Ausstattung mit Personal an der Basis.

Zweitens: Allen Formen von Kriminalität muss auch in Zukunft durch Prävention, Bekämpfung und nicht zuletzt durch Strafvereitelung bzw. Strafverfolgung wirksam entgegengetreten werden.

Drittens: Auch die Verkehrssicherheit auf Brandenburgs Straßen und Autobahnen muss weiterhin gewährleistet sein.

Wenn wir aber insgesamt weniger Geld und Personal zur Verfügung haben, gehört es aus meiner Sicht zu einer verantwortungsvollen Politik, dass wir klar sagen, von welchen Aufgabenfeldern wir die brandenburgische Polizei vielleicht entbinden müssen. Wir müssen die Frage beantworten, ob solche Tätigkeiten wie die Begleitung von Schwerlasttransporten, die Unfallaufnahme dort, wo eigentlich nur Versicherungen zuständig sind, das Bewachen von Großereignissen oder auch Luxusobjekte wie Tragschrauber in das Bild passen und wir den finanziellen Hintergrund haben, das weiter zu finanzieren.

Der Aufgabenkatalog der Polizeiarbeit muss also überprüft werden. Es müssen Prioritäten gesetzt werden. Wo es vertretbar ist, müssen diese Aufgaben auch angepasst werden. Zugleich müssen wir uns - das ist heute morgen noch einmal von der GdP thematisiert worden - über die Altersstruktur Gedanken machen. Wir müssen sicherstellen, dass wir eine kontinuierliche Ausbildung von Anwärtern im Polizeidienst an der Fachhochschule des Landes Brandenburg organisieren und nicht abbrechen lassen und für das Land Brandenburg nutzen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es ist vorgesehen, dass wir den insgesamt 579 derzeit in Ausbildung befindlichen Anwärtern ein Angebot zur Übernahme machen. Darauf legen wir Wert. Wir wollen die Leute, die wir ausbilden, auch gern im brandenburgischen Polizeidienst behalten.

Noch einmal die These: Wir brauchen ein brandenburgisches Gesamtkonzept mit Personalentwicklung und Strukturentwicklung, damit wir längerfristig und vorausschauend planen können, ein Gesamtkonzept, das die Vielzahl der einzelnen Projekte und Experimente im Innenbereich ablöst. Dabei ist es uns wichtig, die Betroffenen mit im Boot zu haben. Ich hatte heute morgen Gelegenheit - wie der eine oder andere von Ihnen sicherlich auch -, mit Vertretern der Gewerkschaft vor Ort die anstehenden Probleme zu besprechen. Die Mitarbeit ist zugesichert. Das begrüße ich außerordentlich. Ich versichere Ihnen an der Stelle, dass die Fraktionen der Regierungskoalition diesen mittelfristigen Stellen- und Personalentwicklungsplan und die notwendigen Strukturveränderungen bei der Polizei des Landes Brandenburg kritisch und konstruktiv begleiten.

Fazit ist also: Für das Sicherheitsgefühl der Bürger ist die Präsenz der Brandenburger Polizei vor Ort von entscheidender Bedeutung. Um vor Ort schnell agieren und reagieren zu können, müssen wir den bestehenden Aufbau und die Organisation unserer Polizei kritisch überprüfen. Wir brauchen schlanke und

schlagfähige Strukturen. Bei der kritischen Betrachtung dürfen auch die Leitungs- und Führungsstrukturen nicht außen vor bleiben. Isolierte Lösungen für einzelne Wachen, Schutzbereiche oder die Kriminalpolizei sind nicht gefragt. Gefragt ist ein Gesamtkonzept, das den finanziellen, demografischen und Kriminalitätsentwicklungen der nächsten Jahre auch standhält. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Petke setzt fort für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Thema Personal hat Rot-Rot die Orientierung verloren. Im Koalitionsvertrag steht, so und so viele Lehrer sollen eingestellt und damit ein entsprechendes Lehrer-Schüler-Verhältnis erreicht werden. Dann rechnet man nach - offensichtlich hat man sich in den Verhandlungen vor dem Hintergrund der großen Euphorie nicht genug Zeit genommen - und stellt nun fest, dass das gar nicht miteinander vereinbar ist.

(Zuruf von der SPD)

Dann gibt es eine öffentliche, von Streit gekennzeichnete Diskussion, und jetzt stehen wir an dem Punkt, an dem Rot-Rot sagen muss: Wir brauchen möglicherweise mehr Lehrer - bis auf die SPD haben das im Wahlkampf übrigens alle Parteien gesagt -, müssen aber nun bei der Polizei mehr einsparen.

(Holzschuher [SPD]: Sie lesen kein SPD-Wahlprogramm! - Weitere Zurufe von der SPD)

Jetzt kommen wir zu der von der Kollegin Stark dankenswerterweise zitierten Umfrage. Umfragen sind etwas Nettes. Wenn Sie heute zum Thema Polizei in Brandenburg bei der Polizei selbst oder bei den Menschen im Land eine Umfrage machen würden, wer der größte Brecher von Wahlversprechen sei, dann lägen Sie von der Linken knapp vorn. Aber ich glaube, die Linke wird in den nächsten Tagen und Wochen von der SPD eingeholt werden.

(Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

So ist doch die Situation. Jahrelang hieß es, es dürfe nicht nur nicht abgebaut werden, sondern es werde alles gleich wieder rückgängig gemacht werden. Kollege Dr. Scharfenberg will doch nicht ohne Grund Oberbürgermeister werden; er möchte nicht mehr an seine Reden hier im Landtag erinnert werden.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

- So ist es doch möglicherweise.

Bei der SPD hieß es immer verbrämt: Ja, ja, die Aufgabenkritik.