Protokoll der Sitzung vom 29.08.2013

(Zuruf des Abgeordneten Folgart [SPD])

Unsere Landwirtschaft nähert sich Strukturen an, die den Großgrundbesitz des 19. Jahrhunderts weit übertreffen, Herr Folgart. Wenn der Landrat des Kreises MOL - wohl wirklich kein grüner Parteigänger - inzwischen beklagt, dass mehr als 20 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen seines Kreises in der Hand von drei Betrieben sind, dann wird auch erkennbar, wie viel gesellschaftliche Macht in wenigen Händen konzentriert wird.

Stoppen Sie den Ausverkauf der Agrarflächen! Nutzen Sie die Möglichkeiten des Siedlungsgesetzes und sorgen Sie dafür, dass diese Flächen ausschließlich dafür genutzt werden, gezielt bäuerliche Strukturen in Brandenburg zu fördern! Wir haben genug Großbetriebe.

Lassen Sie mich neben diesen schweren Hypotheken auf zwei weitere Punkte eingehen: die Flüchtlingsunterbringung und die Wahrung der Minderheitenrechte der Sorben und Wenden in unserem Land.

Bei der Unterbringung von Flüchtlingen kann man getrost von einer dramatischen Situation, aber auch von Stillstand und Nichtumsetzung von Landtagsbeschlüssen sprechen. Mit den Kommunen konnte keine Verständigung über das Unterbringungskonzept des Landes erzielt werden. Gleichzeitig ist die Zentrale Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt überfüllt und die Zahl der Flüchtlinge steigt weiter.

Wir hatten gerade die Diskussion über die syrischen Flüchtlinge. Gerade weil Sie sich erklärtermaßen für ein offenes und tolerantes Brandenburg einsetzen, muss hier dringend was geschehen, und ich bin sicher, dass es bei Ihnen auch in guten Händen ist.

(Beifall B90/GRÜNE)

Und kümmern Sie sich bitte darum, dass die Diskussion über das angestammte Siedlungsgebiet der Sorben nicht aus dem Ruder läuft. Die Anerkennung und Absicherung von Minderheitenrechten kann nicht der Mehrheitsentscheidung vor Ort überlassen bleiben. Wenn der Bürgermeister von Lubin, auch Lübben genannt, das die Kriterien für die Einordnung in das sorbische Gebiet erfüllt, allen Ernstes die Ansicht vertritt, dass das Sorbentum nur der touristischen Vermarktung dienen, aber keine Auswirkungen auf die Kommunalpolitik haben darf, dann ist eine Grenze überschritten. Brandenburg darf nicht zum Gegenstand europaweiter Kritik werden, die Minderheitenrechte sind zu gewährleisten. Dr. Woidke aus Barsc, handeln Sie!

Natürlich müsste in den nächsten zwölf Monaten auch noch viel in puncto schnelles Internet geschehen; das hat die CDU angesprochen. Ausgestaltung der EU-Förderung, Sie haben es auch angesprochen. Diese Punkte werden wir in dieser Debatte nicht mehr angemessen behandeln können, es fehlt die Zeit. Aber diese Aufzählung macht auch deutlich, dass es mit der vorgeblichen Abarbeitung des Koalitionsvertrages noch nicht so weit her ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Rede wäre unvollständig, wenn ich nicht die Gelegenheit nutzte, allen Respekt vor der Entscheidung von Matthias Platzeck zu bekunden, aus den bekannten gesundheitlichen Gründen sein Amt zur Verfügung zu stellen.

Jeder hier im Saale weiß um die politischen Differenzen, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Matthias Platzeck haben und gehabt haben. Das fängt bei der fatalen Lobbypolitik für die Braunkohle an und hört bei dem Ausblenden eigener Verantwortung für das BER-Desaster noch lange nicht auf. Aber wir sagen auch: Mit Matthias Platzeck hatte dieses Land lange Jahre einen hervorragenden, einen herausragenden Umweltminister, der mit seinem Eintreten für einen modernen integrativen Naturschutz die Naturschutzpolitik im europäischen Maßstab veränderte. Mit der Ausstrahlungskraft des Brandenburger Beispiels wurde der Naturschutz bundesweit vom Kopf auf die Füße gestellt. Hierfür hat er in den 90er-Jahren zu Recht Naturschutzpreise und bundesweit Auszeichnungen verliehen bekommen.

Für uns Grüne ist allerdings festzuhalten, dass die mit dem Aufstieg von Matthias Platzeck in der SPD-Führung bis hoch in den Bundesvorstand und die mit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten des Landes verbundene Hoffnung, dass hier ein Mann sich anschickt, eine Partei und ein Land zu verändern, die alte Tante SPD und die alte Mark gleichermaßen zu moder

nisieren und inhaltlich neu auszurichten hin zu einer Politik der Nachhaltigkeit, des Gleichklangs von sozialer und demokratischer Teilhabe, der Verbindung von ökologischen und ökonomischen Zielen, sich nicht erfüllt hat. Hier hat - das nehmen wir sehr bedauernd zur Kenntnis - nicht der Mensch das Amt geformt, sondern - wie es häufig ist - ein Amt den Menschen.

Visionäre Zielvorgaben gab es schon lange nicht mehr. Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde nicht in den Mittelpunkt der Politik der Staatskanzlei gestellt, sondern ins Umweltministerium abgeschoben. Die Tagespolitik hat sich zunehmend im KleinKlein begrenzter Haushalte und im Abarbeiten hasenfüßiger Koalitionsverträge erschöpft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Da ist der neue Platzeck!“, so ein Bürger laut „MOZ“ vom 24. August, als er unvermittelt auf den da noch designierten neuen Ministerpräsidenten Woidke stieß. Das bringt ein grundsätzliches Problem auf den Punkt: Ministerpräsidentenamt und Person waren im Lande mit den Jahren zu einer Einheit verschmolzen. Mit einem Bekanntheitsgrad hart an der 99-%-Marke hat Matthias Platzeck alle anderen Landespolitiker hinter sich gelassen. Wir anderen sind alle mediale Zwerge. Doch die Gleichsetzung von Mensch und Amt ist in unserer Demokratie fatal.

Sie bestärkt viele Menschen noch in ihrer Auffassung, dass der Mensch an der Spitze allein entscheidet. Völlig verloren geht dabei das Bewusstsein, dass unsere Demokratie die nach demokratischen Grundsätzen arbeitenden Parteien benötigt, Parteien, in denen Posten und Ämter nicht vererbt, sondern in einem demokratischen Willensbildungsprozess vergeben werden,

(Beifall B90/GRÜNE)

einem Willensbildungsprozess, in dem Alternativen, auch personelle Alternativen, auf breiter Basis diskutiert und entschieden und nicht nur Hinterzimmerabsprachen auf Parteitagen abgesegnet werden.

Gerade der SPD, die seit über 20 Jahren die Politik hier im Lande dominiert, käme hier eine besondere Verantwortung zu. Ich hatte eigentlich gehofft, dass Matthias Platzeck seiner Partei die Zeit gibt, über solche Alternativen zu diskutieren: Wie ist die Lage im Land? Wo will die SPD auf welchen Wegen hin? Und wer sind die geeignetsten Persönlichkeiten, um diesen Weg zu gehen? - angesichts der dünnen Personaldecke der SPD im Prinzip ziemlich risikolos; denn zumindest an Dietmar Woidke - und das sage ich durchaus anerkennend - hätte letztendlich kein Weg vorbeigeführt. Aber genau diese Diskussion ist ausgefallen.

Nehmen wir nur einmal als Beleg den damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Ralf Holzschuher, der in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“, im Interview wohlgemerkt, vom 3. August erklärte, dass er am Samstag erfahren habe, dass er Innenminister werden soll. Von wem er das erfahren hat, vernehmen wir nicht. Aber es wird deutlich, dass der Chef des parlamentarischen Zentrums der Landes-SPD an solchen Entscheidungen nicht etwa mitwirkt, sondern sie ihm mitgeteilt werden. Und was macht der Fraktionsvorsitzende Holzschuher? Ruft er etwa seinen Stellvertreter an, berät sich mit ihm und diskutiert über mögliche Nachfolger in seiner Funktion? Anscheinend kein Gedanke. Er redet - das ist sein Zitat - mit seiner Frau und sagt am Sonntag zu. Er musste ja auch keinen

Gedanken an seine Nachfolge verschwenden, weil die informelle Führungsrunde sich längst auf Herrn Ness als Nachfolger geeinigt hatte.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Es ist diese Vermischung von Parteiarbeit, Fraktionsarbeit und Regierungsfunktionen, die Konzentration der Entscheidung auf kleine Zirkel, die unser parlamentarisches System langsam, aber stetig auszuhöhlen droht, und deswegen ist es nicht nur eine Sache der SPD.

(Beifall B90/GRÜNE - Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Diese Kritik am Zustandekommen des Personaltableaus möchte ich deutlich trennen von einer Bewertung des neuen Ministerpräsidenten. Der Wechsel zu Dietmar Woidke, dem als Allererstes der Ruf der unaufgeregten Bodenständigkeit vorauseilt, ist zunächst eine Chance, das Land pragmatisch bis zum Ende der Legislaturperiode zu führen. Gerade auch, weil niemand und zuallerletzt wir Bündnisgrünen Dietmar Woidke als Repräsentanten einer modernen SPD einstufen, weil wir keine besonderen Erwartungen einer Neuausrichtung der Brandenburger Politik an ihn hegen, hat er alle Chancen, haben Sie alle Chancen, uns positiv zu überraschen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass der Agrarökonom Dr. Woidke als Agrar- und Umweltminister eine ganze Menge Leute mit seiner Nachgiebigkeit gegenüber dem Agrarbereich nicht gerade begeistert hat.

(Zuruf des Abgeordneten Folgart [SPD] sowie weitere Zurufe von der SPD)

- Da kenne ich mich auch gut aus, Herr Folgart, da können Sie sicher sein.

Aber wir konstatieren, dass er als Innenminister ein ganz anderes Bild abgegeben hat. Das Innenministerium gilt heute als gut geführtes Haus. Herrn Woidke gelang es, die Diskussion über die Polizeistrukturreform zu versachlichen und überzogene Einsparvorgaben zurückzunehmen. Aber nicht nur das. Als ein ehemaliger Stasi-Aktivist nach dem anderen in der Polizei aufflog, hat er sich gegen die erklärte Position von Matthias Platzeck für verdachtsunabhängige Überprüfungen stark gemacht und mit Erfolg auf eine Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gedrängt. Die Bewerber für die neu zu vergebenden Führungspositionen in der Polizei wurden überprüft und Konsequenzen gezogen. „Denn das lag auch und gerade im Interesse der Polizei selbst“, wie er damals zu Recht verkündete. Das war jetzt ein wörtliches Zitat. Während andere Kabinettskollegen die Hände in den Schoß legten, hat Dietmar Woidke hier Rückgrat gezeigt.

Als die Polizei in Neuruppin in einer wahrhaft missglückten Aktion rund 300 Demonstranten, die sich einem Naziaufmarsch entgegenstellten, einkesselte und erkennungsdienstlich behandelte, hat er die Kritik nicht einfach abgebürstet, sondern Konsequenzen gezogen. Seitdem hat es trotz einer Vielzahl von Blockadeaktionen gegen Naziaufmärsche keinen vergleichbaren Fall mehr gegeben. Ich denke, das kann, das muss auch gesagt werden, und man muss seine heutige, auch heute wieder klare Positionierung gegen den Nazispuk würdigen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Aber dennoch: Die heutige Regierungserklärung hatte - freundlich gesagt - ihre Lücken. Sie war in viele Worte gekleidete Inhaltsleere und zumeist nicht mehr als ein Recycling früherer Verlautbarungen der Staatskanzlei.

(Zurufe von der SPD)

Auch wenn ich zugebe, dass man Rotbuschtee mehrfach aufbrühen kann - irgendwann wird er schal und geschmacklos. Soweit Probleme benannt wurden, wurde keine Lösung präsentiert. Außer der Nothilfe für den Unterrichtsausfall - ich hatte es angesprochen, es steht in den Sternen, wie das dann abgesichert werden soll, aber immerhin - wurde kein neues Projekt präsentiert.

Wir benötigen aber keine Stillstandskoalition, die noch den nächsten Wahltermin erreichen will, sondern eine Regierung, die sich nicht scheut, auch von ihr selbst verursachte Probleme anzusprechen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Und das war erkennbar heute noch nicht der Fall.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Aufgabe war es nicht und ist es auch heute nicht, ein grünes Regierungsprogramm zu entwerfen und Rot-Rot daran zu messen. Ein grünes oder grünrotes oder rot-grünes Regierungsprogramm kann man nur mit den Grünen in der Regierung haben.

(Zurufe von der SPD und von der Fraktion DIE LINKE)

Das ist bei einer Regierung, die in ihrer Koalitionsvereinbarung den Begriff der Nachhaltigkeit umschiffte wie die Nordatlantikfahrer die Eisberge, erkennbar nicht der Fall. Und auch Ihnen, Herr Dr. Woidke, kam der Begriff der nachhaltigen Entwicklung wie auch der Begriff Umwelt heute nicht über die Lippen. Den Entwurf eines modernen Brandenburg haben wir in Ihrer Rede nicht wirklich heraushören können. Uns wichtige Themenbereiche wie beispielsweise ein Neuanlauf zur Länderfusion von Brandenburg und Berlin wurden gar nicht erst angesprochen. Aber auch wenn Sie die Chance heute noch nicht genutzt haben, darzulegen, wo Sie demnächst Ihre eigenen Furchen ziehen und nicht nur in der Spur des Vorgängers ackern wollen - wir geben die Hoffnung nicht auf, dass Ihre Regierung Entwicklungspotenzial hat.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Dr. Woidke, alles Gute, ein erfolgreiches Wirken zum Wohle des Landes und nicht nur für die Sie tragenden Parteien. Von uns, Herr Dr. Woidke und liebe Regierungsmitglieder, haben Sie die Zusage, dass wir Ihnen als konstruktive Opposition dabei genauso wie Ihrem Vorgänger mit kritischen Kommentaren und hilfreichen Anregungen zur Seite stehen. Sollte aber mal Not am Mann oder an der Frau sein oder die Regierungskoalition mal wieder nicht in die Puschen kommen, dann werden wir Ihnen gern mit weitergehenden Anträgen und Gesetzesinitiativen auf die Sprünge helfen. - In diesem Sinne recht herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. - Wir beenden die Aussprache. Die Regierungserklärung ist damit zur Kenntnis genommen worden.

Meine Damen und Herren, wir sind jetzt in der Situation, dass eine halbe Stunde Verzögerung eingetreten ist. Wir haben uns dennoch entschieden, die vorgesehene Pause von 30 Minuten einzulegen. Wir sehen uns hier pünktlich um 13 Uhr wieder. Denken Sie daran, dass dann eine Wahl stattfindet und jede Stimme gebraucht wird.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.28 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.02 Uhr)

Verehrte Abgeordnete! Wir beginnen den zweiten Teil der heutigen Sitzung. Ich möchte zu diesem Teil ganz herzlich Gäste begrüßen. Wir haben Schülerinnen und Schüler aus der Friedrich-Gedike-Oberschule Perleberg zu Gast. Seien Sie herzlich willkommen!

Zur Entschuldigung der fehlenden Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten möchte ich sagen: Wir hatten heute eine sehr verkürzte Mittagspause von einer halben Stunde. Es sind 88 Abgeordnete, die in kürzester Zeit Mittag essen mussten. Das haben sie heute nicht so gut geschafft; sonst sind sie besser.

(Heiterkeit und allgemeiner Beifall)

Ich eröffne Tagesordnungspunkt 2:

Wahl einer Vizepräsidentin des Landesrechnungshofes Brandenburg

Antrag mit Wahlvorschlag des Ausschusses für Haushaltskontrolle

Drucksache 5/7402

Gemäß § 71 Abs. 1 der Geschäftsordnung erfolgt die Wahl der Vizepräsidentin des Landesrechnungshofes geheim.