Wir haben ein Recht auf Privatsphäre, und doch werden über uns so viele Daten gesammelt und kontrolliert verarbeitet wie noch nie. Die geplante Neuauflage einer anlass- und verdachtslosen massenhaften Speicherung individueller Telekommunikationsverkehrsdaten bedeutet einen tiefen Eingriff in die durch das Grundgesetz und die EU-Grundrechtscharta verbürgten Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger, insbesondere in das Telekommunikationsgeheimnis, das Grundrecht auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Zugleich bedeutet sie einen historischen Einschnitt in die freiheitlich-rechtsstaatliche Verfasstheit unserer Demokratie. Denn die geplante Massenspeicherung stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter einen unzulässigen Generalverdacht. Sie ermöglicht präziseste Verhaltens-, Kontakt- und Bewegungsprofile sowohl Einzelner als auch ganzer Bevölkerungsgruppen. Der damit verbundene Überwachungsdruck ist geeignet, nicht nur Einzelne, sondern auch besonders zu schützende Gruppen sowie die Bevölkerung insgesamt einzuschüchtern. Sie bedroht damit die freiheitliche Kommunikation in unserem Land auf einer fundamentalen Ebene und damit die Funktionsbedingungen unserer Demokratie insgesamt.
Dazu birgt jede Vorratsdatenspeicherung, nicht zuletzt wegen des inzwischen erreichten Vernetzungsgrades der beteiligten Infrastrukturen, extreme Risiken des Datenmissbrauchs.
Das Bundesverfassungsgericht hat die negativen Folgen der Vorratsdatenspeicherung wie folgt beschrieben - ich zitiere aus dem Urteil -:
„Allerdings handelt es sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine - auch nur abstrakte - Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist. … Adressaten, … Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen, deren Verbindungsdaten
Die Vorratsdatenspeicherung war auch einmal eine EU-Richtlinie, die der Terrorismusbekämpfung dienen sollte - so etwas soll ja immer der Terrorismusbekämpfung dienen, das hören wir im Moment auch aus den USA. Die ersten Staaten führten die Vorratsdatenspeicherung ein, kurz darauf fielen die nationalen Gesetze aber bereits in einigen Mitgliedsstaaten. Ob Deutschland oder Rumänien, die Verfassungsgerichte sahen die Bürgerrechte verletzt. Mittlerweile gibt es viele Studien zur Vorratsdatenspeicherung, sogar Kriminologen und Verwaltungsbeamte und -beamtinnen haben europaweit zugegeben, dass die Vorratsdatenspeicherung keinen einzigen der bisherigen Terroranschläge verhindert hätte. Herr Lakenmacher, vielleicht studieren Sie einfach einmal die Fachliteratur, bevor Sie sich zu solch platten Aussagen wie den hier gemachten hinreißen lassen.
Auch den Täter der Anschläge von Oslo hätte die Vorratsdatenspeicherung nicht aufgespürt. Aber wie reagierte die Politik dort? Die Norweger und Norwegerinnen, vom Ministerpräsidenten abwärts, meinten: Wir müssen Freiheit und Demokratie stärken, denn sonst würden diese Terroristen ja ihr Ziel erreicht haben, Freiheit und Demokratie abzuschaffen.
So wollte man dort den Terror bekämpfen. Wäre das nicht das beste Zeichen gegen den Terrorismus: die Bürgerrechte, die Demokratie und die Freiheit verteidigen, statt sie - angeblich zur Terrorismusbekämpfung - einzuschränken oder gar abzuschaffen?
Mit uns wird es keinerlei Vorratsdatenspeicherung von Telefonverbindungsdaten oder andere anlasslose Massenspeicherungen geben. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Das Wort erhält nun die Landesregierung. Herr Minister Holzschuher, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorratsdatenspeicherung ist ja ein Thema, das emotionalisiert; das haben wir in verschiedenen Debattenbeiträgen gehört. Ich plädiere sehr dafür, dieses Thema ein bisschen herunterzufahren und etwas sachlicher zu diskutieren, insbesondere nicht Mythen zu folgen.
Es gibt im Augenblick zwei, wie ich meine, wesentliche Fehlvorstellungen in der Debatte. Die eine Fehlvorstellung ist die,
dass die Vorratsdatenspeicherung irgendetwas mit dem in der Tat absolut unerträglichen Vorgehen der amerikanischen Geheimdienste zu tun habe. Die NSA-Affäre hat mit dem Thema Vorratsdatenspeicherung überhaupt nichts zu tun. Denn das, was die da machen, ist die milliardenfache Erfassung und Auswertung von Daten, automatisiert zwar, aber ausgewertet werden diese Daten permanent, sogar - so wird ja gesagt - auf die Kommunikationsinhalte hin. In der Tat, das ist Orwell, insoweit gebe ich den Vorrednern Recht.
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es ausschließlich darum, Daten, die von den Gesellschaften ohnehin rein technisch, automatisiert erfasst werden - in der Regel zu Abrechnungszwecken -, für einen gewissen Zeitraum zu speichern, um in besonders gelagerten Ausnahmefällen zur Aufklärung entsprechender Straftaten auf diese Daten zugreifen zu können. Das ist also etwas völlig anderes.
Da es etwas völlig anderes ist, ist es - zweite Fehlvorstellung auch nicht richtig, dass der Europäische Gerichtshof etwa davor stünde, diese Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig bzw. menschenrechtswidrig zu halten und per se zu verbieten. Das scheint mir nicht so zu sein. Auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hat dies so nicht ausgeführt. Er hat lediglich die bestehende Richtlinie grundlegend infrage gestellt.
Insofern ist das Agieren des derzeitigen Bundesjustizministers sehr vernünftig: Wir warten die Entscheidung ab. Sie wird Grundlage für die Diskussion über die Frage sein: Wie kann/ soll in Deutschland ein Gesetz gemacht werden, das sich mit dieser Thematik befasst?
Ich bin auch nicht der Meinung - das geht vor allem in die Richtung der CDU-Fraktion -, dass das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung ein generelles Sicherheitsrisiko in Deutschland ausgelöst habe. Auch insoweit bitte ich die Debatte zu versachlichen.
Aber es sind in der Vergangenheit einige Fälle aufgetreten, wo man sehr nachvollziehbar darlegen kann, dass wir mangels Zugriff auf diese Daten Täter nicht oder nur unter erheblich höherem Ermittlungsaufwand und viel später ermitteln konnten. Eine Abfrage bei den Ermittlungsbehörden im Land hat Folgendes ergeben - ich habe die Informationen aber nicht im Einzelnen nachgeprüft und bin da vorsichtig -: Es waren sieben Fälle im Jahr 2013. Da ging es um Schwerkriminalität: Tötungsdelikte, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Bandenkriminalität. Da hätte man Täter ermitteln können, hat sie aber nicht ermittelt. Sieben! Wir haben vorhin gehört, dass 200 000 die grobe Zahl an Straftaten ist, die wir im Land haben. Vielleicht erklärt das auch, warum ich so davon überzeugt bin, dass das nicht mit dem Agieren der NSA zu tun hat. Nur in wenigen, so gelagerten Ausnahmefällen hätte man zugreifen wollen, aber aufgrund der derzeitigen Rechtslage - nicht können. Aber auch nur da war es sinnvoll, nicht in anderen Fällen. Vielleicht darf es eines Tages gemacht werden. Das ist die Grundlage der Vereinbarung, die die Koalitionsfraktionen auf Bundesebene getroffen haben: Festlegung einer relativ kurzen Frist, die aber in besonders gelagerten Ausnahmefällen, bei schwerwiegenden Straftaten einen Zugriff ermöglichen soll. Nur darum geht es.
Wir warten ab, was der Europäische Gerichtshof sagt. Wahrscheinlich haben wir in dieser Legislaturperiode noch einmal
die Chance, über einen entsprechenden Antrag zu diskutieren ich hoffe: emotionsfreier als heute. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Holzschuher. - Das Wort erhält noch einmal die einbringende Fraktion der FDP. Herr Abgeordneter Goetz, Sie haben Gelegenheit, noch reichlich zweieinhalb Minuten zu sprechen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich habe von verschiedenen Seiten gehört, wir sollten abwarten, was der EuGH so mache; danach werde man sich dazu irgendwie verhalten und die Vorratsdatenspeicherung im Rahmen des vom EuGH für zulässig Erklärten einführen.
Das ändert aber nichts daran, dass man sich eine eigene Meinung bilden sollte. Ich kann Sie nur einladen, nicht darauf zu warten, dass der EuGH Ihnen etwas vorschreibt bzw. darlegt, was zulässig ist. Sie sollten sich selbst Gedanken über die Frage machen: Will ich die Vorratsdatenspeicherung haben oder nicht?
Die Partei DIE LINKE hat erklärt: Wir wollen sie nicht. - Frau Stark hat erklärt: Wir wollen sie eigentlich auch nicht. - Der Innenminister hat sich schon wieder anders angehört. Denken Sie doch einfach mal selbst nach und überlassen Sie das Nachdenken nicht irgendeinem Gericht. Wir sind ein Parlament, wir treffen hier Entscheidungen. Natürlich fallen diese Entscheidungen auf Bundesebene; das weiß doch jeder. Trotzdem gibt es einen Bundesrat, und es gibt Antragsrechte der Bundesländer. Sie können sich auf Bundesebene äußern. Zu anderen Themen geschieht das auch, und die Interessen der Länder bzw. der in ihnen lebenden Bürger werden in gleicher Weise artikuliert. Das geschieht auf der Grundlage einer eigenen Meinungsbildung, die man vorher durchführen muss. Es kann doch nicht so schwer sein, einfach mal nachzudenken und eine eigene Entscheidung zu treffen.
Was wurde hier nicht alles angeführt, um zu begründen, wie wichtig doch die Vorratsdatenspeicherung sei, um Straftaten aufzuklären. Dabei beruft man sich auf die EU-Richtlinie. Diese diente - nach dem eigenen Bekunden derjenigen, die Sie damals erlassen haben - ausschließlich der Terrorabwehr. So hat sie die EU begründet. Es gab 2001 den terroristischen Anschlag in den Vereinigten Staaten. Terrorgefahr gibt es weltweit, auch bei uns; das ist unbestritten. Zur Abwehr dieser Terrorgefahr wollte man damals eine Vorratsdatenspeicherung haben. Das war die Begründung für diese Richtlinie.
Und was höre ich jetzt? Es geht um schwere Straftaten wie Sexual- und Tötungsdelikte. Wie weit man das herunterbricht und wo überall Vorratsdaten genutzt werden sollen - das ist scheinbar völlig offen geblieben. Da ist bisher gar nichts vorgelegt worden. Insofern überschreitet man den ursprünglich gesetzten Rahmen und geht über das hinaus, was von der EU vorgegeben worden ist, wenn immer wieder für alle möglichen weiteren Punkte die Vorratsdatenspeicherung eingeführt werden soll.
Natürlich kann es im Zweifel im Einzelfall hilfreich sein, wenn man klären kann: War er denn dort? Mit wem hat er telefoniert? - Das ist doch gar keine Frage. Aber es geht eben auch mit anderer Ermittlungsarbeit; Sie sagten das schon, Herr Minister. Voraussetzung ist, dass ich genug Beamte habe, die ihren Job richtig wahrnehmen können, weil sie in ausreichender Zahl vorhanden und technisch ordentlich ausgestattet sind. Dann ist es eben auch möglich, mit Straftaten umzugehen, Straftaten zu behandeln. Wenn ich das höre, was Sie sagen, frage ich mich wirklich, wie wir bisher überleben konnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie weiterhin um Zustimmung zu unserem Antrag. Es ist ein wichtiges Anliegen, Grundrechte und Grundfreiheiten zu wahren - auch in Brandenburg, auch für Brandenburg. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. - Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Es liegt vor der Antrag der FDP-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/8388 - Neudruck - unter dem Titel „Keine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung!“ Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei zwei Stimmenthaltungen ist der Antrag dennoch mehrheitlich abgelehnt worden.
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion. Herr Abgeordneter Büttner, Sie haben dazu Gelegenheit.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Kommen wir zum Schluss dieser Plenardebatte zu den letzten Debattenbeiträgen am heutigen Tag. Es geht um ein hoch umstrittenes Thema. In naher Zukunft wird jeder dritte Brandenburger über 65 Jahre alt sein. Brandenburg wird damit zu einer der ältesten Regionen Europas. Beitragszahler für die Rentenkasse werden Mangelware. Rentner wird es glücklicherweise viele geben. Die meisten Brandenburgerinnen und Brandenburger können ihre Rente lange genießen, und das ist auch gut so.
Mir ist wichtig, dass die Renten nicht nur heute, sondern auch morgen sicher und auskömmlich sind. Ich habe vier Kinder und will, dass nicht nur meine Frau, sondern auch meine Kin
Deswegen geht es uns alle hier im Land an, wenn SPD und CDU planen, die Rente von morgen schon heute zu verfrühstücken. Es geht uns alle an, wenn die Schwarz-Roten eine Generation gegen die andere ausspielen. Wir machen dieses Spiel nicht mit!