Protokoll der Sitzung vom 27.02.2014

Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bis zur Abschaffung des Optionszwanges vermeiden

Antrag der Fraktion der FDP der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/8452 (2. Neudruck)

Zweitens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/8586, vor. - Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abgeordnete Nonnemacher erhält das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Als die damalige rot-grüne Bundesregierung im

Jahr 1999 das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren wollte, hatte sie eine großzügige Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit im Blick. In Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern sollte der Weg in die deutsche Staatsangehörigkeit erleichtert werden. Den in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern sollte automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich zu der ihrer Eltern verliehen werden.

Das aus dem Jahr 1913 stammende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, das allein das Abstammungsprinzip kannte - der Ausdruck ius sanguinis weckt schon allein ungute Erinnerungen -, sollte um das Geburtsortsprinzip ergänzt werden. Der sogenannte Doppelpass sorgte damals für hochemotionale politische Kontroversen. Gut kann ich mich noch daran erinnern, wie Roland Koch mit Wahlslogans, wie „Kinder statt Inder“ die hessische Landtagswahl 1999 gewann und damit die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat kippte und letztlich schmerzhafte Veränderungen an der Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ermöglichte. - Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, auch die unrühmliche Rolle von Herrn Brüderle ist mir noch gut in Erinnerung.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Ja!)

Das bis dahin geltende Prinzip der Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeiten wurde fortgeschrieben. Der Optionszwang war geboren. Seit dem 01.01.2000 wird die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsortsprinzip sozusagen auf Zeit verliehen. Mit 18 bis 23 Jahren müssen sich die jungen Menschen aber für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Optieren sie nicht bis zum vollendeten 23. Lebensjahr, geht die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren, es sei denn, sie hätten bis zum 21. Lebensjahr eine sogenannte Beibehaltensgenehmigung beantragt. Diese Genehmigung kann Mehrstaatigkeit erlauben, wenn eine Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder mit unbilligen Härten verbunden ist.

Über 40 000 Kinder jährlich erhielten so seit dem Jahr 2000 die doppelte Staatsangehörigkeit. Außerdem sah eine Übergangsregelung im ersten Jahr vor, dass auch die zwischen 1990 und 1999 geborenen Kinder ausländischer Eltern auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten konnten. Von dieser Kindereinbürgerung haben zusätzlich etwa 50 000 Personen Gebrauch gemacht. Wenn es jetzt in den letzten Jahren ernst mit dem Optionszwang wird, so sind genau diese Jahrgänge ab 1990 betroffen, die erstmals zwischen 2008 und 2013 optieren mussten.

Die Optionspflicht ist von Anfang an nicht nur von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, sondern auch von vielen Organisationen und Verbänden als integrationspolitischer Unfug gegeißelt worden. Der Zwang, sich gegen die Staatsangehörigkeit der Eltern, die meist einen wichtigen Teil der persönlichen Identität ausmachen, entscheiden zu müssen, drängt viele junge Deutsche aus der deutschen Staatsangehörigkeit hinaus. Damit wird eine vielfach erfolgreiche Integration quasi wieder rückgängig gemacht.

Der Optionszwang ist außerdem ungerecht, weil Kinder, deren Eltern Staatsbürger eines EU-Mitgliedsstaates oder eines Landes sind, das eine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft nicht vorsieht, ohne Probleme den Doppelpass behalten können. Vorrangig betroffen ist die große Mehrheit der Optionspflichtigen mit einem türkischen Pass.

Das dem Optionszwang innewohnende Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist historisch sowieso überholt. In Deutschland leben etwa 4,5 Millionen Menschen mit Mehrfachstaatsangehörigkeit. Auch bei den Einbürgerungen ist Mehrstaatigkeit inzwischen eher die Regel, denn die Ausnahme. Bei 53 % der Eingebürgerten wird Mehrstaatigkeit akzeptiert.

Das deutsche Optionsmodell ist einmalig in ganz Europa. Wir Bündnisgrünen haben immer die völlige Abschaffung des unsinnigen Optionszwangs gefordert. Wer hier im Land geboren ist, gehört zu uns, und dazu gehört auch, die jeweilige Herkunft, kulturelle Wurzeln und Identität anzuerkennen und wertzuschätzen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Goetz [FDP])

Das passende Zeichen dieser Anerkennung und Wertschätzung ist die doppelte Staatsbürgerschaft. Glücklicherweise hat sich diese Einsicht mittlerweile weit herumgesprochen, und wir begrüßen sehr, dass sie auch Eingang in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot auf Bundesebene gefunden hat:

„Zuwanderer sollen Staatsbürger werden. Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen.“

Seit dieser im November 2013 beschlossenen Übereinkunft im Koalitionsvertrag erscheint es umso fragwürdiger, dass jungen Menschen weiterhin der Verlust der deutschen oder einer anderen Staatsangehörigkeit droht, nur weil noch keine formalrechtliche Umsetzung erfolgt ist. Die Uhr tickt aber: Seit dem 01.01.2013 haben schon mehrere hundert Personen ihre Staatsangehörigkeit verloren. Allein im Jahr 2014 werden 5 343 junge Bürgerinnen und Bürger optionspflichtig.

Vor diesem Hintergrund hat die Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt, Frau Özo˘guz, die Innenminister in Bund und Ländern aufgefordert, die Optionspflicht mit sofortiger Wirkung auszusetzen. Die schon erwähnten Beibehaltungsgenehmigungen bieten bei fristgerechter Beantragung eine Chance, auch auf Länderebene Ermessen auszuüben und den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu vermeiden, bis ein entsprechendes Gesetz verabschiedet ist. Eine Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit ist nämlich nur bei negativ beschiedenem Beibehaltungsantrag möglich. In einzelnen Ländern wurden die Staatsbürgerschaftsbehörden deshalb gebeten, Anträge zurzeit nicht negativ zu bescheiden bzw. zurückzustellen. Ein negativer Bescheid würde in der augenblicklichen Situation den Tatbestand der unbilligen Härte erfüllen.

In dem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, weitestmögliches Ermessen auszuüben, um den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu verhindern. Darüber hinaus sollen die Optionspflichtigen von den Behörden auf die Möglichkeit eines Antrags auf Beibehaltung aufmerksam gemacht werden. Da Brandenburg sich schon im Juni 2013 für die Aufhebung der Optionsregelung im Bundesrat eingesetzt hat, ist dies eine konsequente Fortsetzung der eigenen Politik. Wir halten diesen Schritt insbesondere deshalb für geboten, da bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags auf Bundesebene durchaus empfindliche Verzögerungen drohen können. Der Begriff des Aufgewachsenseins wird durchaus unterschiedlich interpretiert,

und auch die Art des Nachweises - Auszug aus dem Melderegister, Schulabschlüsse oder Ähnliches - ist noch nicht abschließend verhandelt. Währenddessen verlieren aber junge Menschen weiter ihre Staatsangehörigkeit.

Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass diejenigen, die aufgrund des Optionszwangs ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, diese unbürokratisch und kostenfrei wieder erwerben können. Entsprechende neue Bundesratsinitiativen der SPDgeführten Länder sind auf dem Weg. Wir bitten die Landesregierung, sich daran zu beteiligen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Zu Ihrem Entschließungsantrag möchte ich auch noch etwas sagen: Ich finde es immer löblich, wenn Rot-Rot in Entschließungsanträgen das aufgreift, was in unseren abgelehnten Anträgen steht. Sie nehmen jetzt die Forderung der zirkulierenden Bundesratsinitiative auf und gehen beim Aufenthaltsrecht darüber hinaus. Das ist gut so - dem werden wir gern zustimmen.

Zu Punkt 1 Ihrer Entschließung sage ich nur: Tue Gutes und rede auch darüber. - Sie sind doch sonst nicht so zurückhaltend und bescheiden, wenn es um die Verkündigung eigener Wohltaten geht. Von Rot-Rot hat man zum Optionszwang in jüngster Zeit überhaupt nichts gehört. Wenn kleine Oppositionsfraktionen hier zum Katalysator werden sollten, so gefällt mir das wie auch bei der Flüchtlingsunterbringung oder der Mietpreisbremse. Hauptsache, die Inhalte stimmen. - Vielen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Wir kommen nun zum Beitrag der SPD-Fraktion. Frau Abgeordnete Stark hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Nonnemacher, natürlich sind wir für Impulse der Oppositionsfraktionen dankbar. Ich denke, es ist auch unsere Aufgabe, uns nicht unkritisch, sondern kritisch bei dem, was wir tun, gegenseitig zu begleiten. Insofern habe ich das als Anregung verstanden und bedanke mich. In vielen Fragen gerade bei der Asyl- und Ausländerpolitik - sind wir durchaus einer Meinung. Insofern noch einmal vielen Dank für die Anregung.

Sie, Kollegin Nonnemacher, haben nun auch ausführlich die Entwicklung und Situation beim Thema Staatsangehörigkeitsrecht beschrieben. Bemerkenswert finde ich allerdings an der Stelle, dass die Kollegen der FDP-Fraktion diesen Antrag mit unterstützen. Sie waren ja damals Regierungspartei - die Regierungspartei, die dem Optionszwang auf Bundesebene zustimmte. Aber Politik ist natürlich auch ein Lernprozess. Insofern will ich Ihnen nicht absprechen, dass man seine Position auch kritisch überdenken und an der einen oder anderen Stelle vielleicht zu anderen Auffassungen gelangen kann.

(Frau Vogdt [FDP]: Es wäre schön, wenn Sie das auch einmal von sich sagen würden!)

Wir werden Ihrem Antrag dennoch nicht zustimmen, sondern haben einen eigenen - Frau Nonnemacher hat bereits darauf abgestellt - eingebracht. Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil im Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU/CSU vereinbart wurde, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren. Sie sprachen von November, im Moment haben wir Februar, was ein Zeitraum ist, denke ich, in dem noch nicht alles vorliegen kann, was in der Koalitionsvereinbarung verhandelt wurde. Ich denke, es würde sich lohnen, dass man darauf wartet und schaut, was dort bearbeitet wird.

Auch der brandenburgische Innenminister hat bereits auf diese Koalitionsvereinbarungen reagiert und im Januar ein Schreiben an die Landkreise und kreisfreien Städte gesandt und damit angeordnet, dass in jedem Einzelfall die Rückführungsmaßnahmen zu überprüfen sind und unter Berücksichtigung einer Ermessensentscheidung eine Duldung bis zum Inkrafttreten des bundesdeutschen Aufenthaltsgesetzes zu erteilen bzw. zu verlängern ist.

Der Innenminister hat in diesem Zusammenhang darüber informiert, dass die Ermessensentscheidung in dem Fall auch auf die Erziehungsberechtigten ausgeweitet werden kann. Diese Anforderung geht aus meiner Sicht schon sehr viel weiter, als Sie das in Ihrem Antrag fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen der Bündnisgrünen und der FDP.

Sie fordern in Ihrem Antrag, die Optionspflichtigen über die Möglichkeit des Antrages auf Beibehaltungsgenehmigung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres zu informieren. Das ist bereits mit der Weisung vom 16. Dezember 2013 durch den entsprechenden Fachminister geschehen.

Die Landesregierung hat sich also schon im Rahmen des im Juni 2013 eingebrachten Gesetzentwurfs für eine Aufhebung des Optionszwanges eingesetzt. Auch wir haben uns klar positioniert. Brandenburg wird sich weiterhin für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung sowie für eine Förderung und Anerkennung nachhaltiger Integration einsetzen.

Unser Änderungsantrag greift all dies auf und geht aus meiner Sicht etwas weiter, lehnt sich aber auch an Impulse an, die Sie gesetzt haben - keine Frage. Insofern bitte ich Sie um Zustimmung. Es würde für Sie kein Problem darstellen, unserem Antrag zuzustimmen, auch wenn wir Ihren Antrag leider ablehnen müssen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD sowie des Abgeordneten Domres [DIE LIN- KE])

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Stark. - Wir kommen zum Beitrag der CDU-Fraktion. Herr Abgeordneter Wichmann erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal vielen Dank an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Ihrem Antrag geben Sie uns die Gelegenheit, hier noch einmal klar die Position der CDU zur generellen doppelten Staatsbürgerschaft darzulegen.

Ich weiß, dass ich heute am Rednerpult einen relativ schweren Stand habe, weil die FDP sich dem Antrag der Grünen ange

schlossen hat, obwohl sie damals in der Bundesregierung noch den Optionszwang mit beschlossen hat. Auch SPD und Linke haben sich mit ihrem Entschließungsantrag ziemlich weit auf die Grünen zubewegt, was die generelle Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft angeht.

(Beifall SPD sowie des Abgeordneten Müller [DIE LIN- KE])

Wissen Sie, es ist auch nicht schlimm, wenn man im Parlament einmal bei einem Thema isoliert ist. Draußen bei den Bürgerinnen und Bürgern - übrigens nicht nur in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen, sondern auch bei uns in Brandenburg sind wir aber, glaube ich, mit unserer Position sehr gut aufgestellt.

Wir haben eine sehr differenzierte Position zur doppelten Staatsbürgerschaft, die Alltag in unserem Land ist. Jedoch lehnen wir es ab. Das haben wir in der Vergangenheit getan und werden dies auch heute tun. Wir werden auch in der großen Koalition im Bund weiter auszuverhandeln haben, dass generell alle in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen automatisch die doppelte Staatsbürgschaft haben und sich nicht für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden müssen, wenn sie volljährig sind.

(Beifall CDU)

Das möchte ich Ihnen auch noch einmal begründen. Wie bereits gesagt, haben wir diesbezüglich eine sehr klare Position und eine sehr klare Haltung. Im Übrigen wurde auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD eine sehr klare Formulierung dazu gefunden. Zudem will ich noch einmal an Folgendes erinnern: Die Union hat die Wahl gewonnen.

(Büttner [FDP]: Aber die SPD die Koalitionsverhandlun- gen!)

Die SPD verhält sich manchmal so, als ob sie als Juniorpartner im Bund irgendwie sagen will bzw. kann, wo es langgeht. Ich denke, Sie müssen sich auch im Bund langsam einmal darüber klar werden, dass Sie nicht mehr in der Opposition sind, sondern Regierungsverantwortung tragen und insofern auch einmal Dinge mitzutragen haben, die Sie im Koalitionsvertrag unterschrieben haben.

(Beifall CDU)

Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist klar festgehalten, wie der Optionszwang auszusehen hat. Zudem verhandeln die Kollegen im Bund im Moment noch darüber. Insofern kommt der Antrag der Grünen eigentlich zu einer völligen Unzeit in den Landtag. Derzeit gibt es eine deutschlandweite Welle solcher Anträge der Grünen in allen Landesparlamenten zu einem Thema, zu dem die Landtage überhaupt keine Gesetzgebungszuständigkeit besitzen und zu dem im Bund noch nichts zu den Einzelheiten feststeht.

Es steht lediglich fest: Wir als Union im Bund - wir haben mit unserem Innenausschussvorsitzenden auch noch einmal Kontakt aufgenommen - vertreten weiterhin ganz klar die Haltung, dass es eine Abschaffung des Optionszwanges nur für Kinder und Jugendliche geben kann, die hier geboren wurden oder die hier aufgewachsen sind und einen Schulabschluss vorzuweisen