Wir handeln außerdem, Frau Kollegin Richstein, als Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf Landes- und Kommunalebene im ureigenen demokratischen Interesse.
Wir können, vorausgesetzt, wir nehmen unsere verfassungsmäßige Aufgabe ernst, als Abgeordnete derzeit nur gegen die allermeisten Inhalte im jetzt bekannten Entwurf dieses Freihandelsabkommens argumentieren und erst recht gegen den ursprünglichen Plan, dieses Werk hinter verschlossenen Türen auszuhandeln und es dann dem Europaparlament als alternativlos oder nicht mehr besser verhandelbar vorzulegen nach der Devise: Friss, Vogel, oder stirb! - Ohnehin müssen die nationalen Parlamente wahrscheinlich auch gefragt werden, wenn TTIP ein sogenanntes gemischtes Abkommen wird, also nationalstaatliche Kompetenzen berührt sind. Es liegt also auch auf unserem Tisch.
Den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verdanken wir den Ausgangsantrag. Der Ausschuss folgte dem Vorschlag der Koalitionsabgeordneten, noch am 11. Juni das ausführliche Fachgespräch durchzuführen. Im Ergebnis ist abzulesen: Die Anzuhörenden wie auch die Fraktionen des Landtages wichten Chancen und Risiken des TTIP sehr verschieden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, US-Regierung und EUKommission verhandeln seit 2013. Zum Glück - auch für uns
als Abgeordnete - gab es nicht nur couragierte Hacker, nicht nur kompetente NGOs und Europaabgeordnete, sondern auch Europawahlen. Durch die kritische Öffentlichkeit im Vorwahlkampf wurde das Thema gesetzt. Auch andere Landtage und das Berliner Abgeordnetenhaus haben sich detailliert kritisch positioniert. Ursprünglich sollte das TTIP bis 2015 ausverhandelt sein; inzwischen rechnet man mit einem bis zwei Jahren mehr. Eine europaweite Bürgerinitiative wird vorbereitet.
Die Linken im Bundestag, in Landtagen und im Europäischen Parlament fordern den Stopp der gegenwärtigen Verhandlungen zwischen der EU und den USA mit den jetzigen Zielen und hinter verschlossenen Türen. Dieser kritischen Linie folgen der Antrag der Grünen wie auch die nun vorliegende Beschlussempfehlung, letztere, das sei zugegeben, mit einer Kompromissformulierung, auf die wir uns sachlich gut einigen konnten. Auch die SPD auf Bundesebene hat übrigens, Frau Richstein, vor den TTIP-Beschluss klare inhaltliche Grenzen gesetzt.
Die Verfechter des TTIP selbst sind übrigens nach eigenen Worten deshalb für geheime Verhandlungen, um den Verhandlungserfolg nicht zu gefährden - wahrscheinlich zu Recht. An der Stelle, sehr geehrte Frau Richstein, bei aller Wertschätzung, widerspreche ich Ihnen: Nicht Unkenntnis oder Halbwissen begründen die vorliegende Position der Ausschussmehrheit, sondern Erfahrungen und bisher bekannt gewordene Inhalte.
Denn es geht bei TTIP nicht primär um den Abbau real kaum noch vorhandener Einfuhrzölle, sondern erstens vorrangig um die Beseitigung regulatorischer Hindernisse, die potenzielle Gewinne transnationaler Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks beschränken. Selbst die kommunalen Spitzenverbände unseres Landes warnen vor der realen Gefahr, dass das TTIP weitreichende und irreversible Folgen für die EU, ihre Mitgliedsstaaten, die Bundesländer, die Regionen und die Kommunen haben könnte, nicht nur für das Wettbewerbs- und Unternehmensrecht der EU. Als regulatorische Hindernisse gelten eben moderne, wichtige Standards im Verbraucher-, Natur- und Umweltschutz, im Arbeitsrecht usw.
Zweitens sollen durch TTIP neue Märkte geschaffen werden. Das ist gut für starke Exportnationen wie Deutschland, aber weniger gut für die südöstlichen und südwestlichen europäischen Länder. Transnationale Unternehmen sollen um öffentliche Dienstleistungen und Beschaffungsverträge konkurrieren können, der Kulturbereich wird gefördert.
Übrigens sage ich an der Stelle nur mal an die Adresse der CDU: Die Bundeskulturstaatsministerin Grütters aus Ihrer Partei ist vehement gegen das Verständnis von Kultur als Handelsware und will diese mit einer Generalklausel ausnehmen und unter Schutz stellen.
ich kann ihn hier noch ausführen - soll durch TTIP ausländischen Investoren das Recht gewährt werden, vor Schiedsgerichten im Investorstaat bei Streitbeilegungsverfahren Klage gegen souveräne Regierungen einzureichen, wenn sie durch politische Beschlüsse Gewinneinbußen befürchten. Grundlegendste demokratische Prinzipien in der EU wie den USA würden so untergraben.
Unsere Beschlussempfehlung wendet sich unter Punkt 5 ganz klar dagegen. Rechtsprechung würde somit privatisiert, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler würden für die Gewinne von Investoren in Haftung genommen. Vielleicht überzeugt ja - ich komme zum Schluss - genau dieser Punkt die verbliebenen Deregulierungsfans und Freie-Markt-Beschwörer unter Ihnen auf dieser Seite des Parlaments. Wenigstens dieser Einspruch gegen die geplante Einschränkung von Demokratie und unabhängiger Justiz sollte Sie zu einer kritischen Position zu dem geplanten TTIP bringen.
Wir sind also als Landespolitikerinnen und Landespolitiker verantwortlich, uns hier zu äußern. Deshalb bitte ich Sie, dem vorliegenden Beschlussentwurf des Ausschusses für Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik zuzustimmen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kaiser. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Lipsdorf, Sie haben dazu Gelegenheit.
Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat das Ziel, Handelshemmnisse, Zölle, bürokratische Regelungen und Investitionsbeschränkungen abzubauen. Ohne Frage birgt es Chancen und Gefahren. Für uns Liberale ist aber ganz klar: Die Chancen überwiegen die Gefahren.
Wenn in den Verhandlungen die Belange des Umwelt- und des Verbraucherschutzes sowie Fragen der sonstigen Standards der EU ausreichende Beachtung finden, ist das das, was wir eigentlich wollen. Das umfassende Fachgespräch hat uns darin bestätigt, dass dies der Fall ist. Wobei man natürlich fragen muss: Sind denn die EU-Standards in jedem Fall die höherwertigen? Das sollte man der Ehrlichkeit halber noch einmal überprüfen, meine Damen und Herren.
Die Forderung im ursprünglichen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen war, sowohl im Bund als auch in Brüssel eine Aussetzung der Verhandlungen zu erreichen. Das ist meiner Ansicht nach die falsche Stoßrichtung, und die von rot-rot vorgelegte Beschlussempfehlung verzichtet nun auf diesen Punkt. Trotzdem können wir nicht zustimmen. Wieder wird so getan, als ob das Freihandelsabkommen Regelungen enthält, die den Bereich der Daseinsvorsorge tangieren. Dies wurde zuletzt im Fachgespräch übereinstimmend durch die Vertreter des BMWi sowie der EU-Kommission klargestellt.
Weiterhin enthält der Antrag Formulierungen, die den Status quo wiederholen und somit überflüssig sind. Unter Punkt 1 wird gefordert, Transparenz herzustellen und hierbei sowohl Parlamente als auch Wissenschaft und Zivilgesellschaft einzubeziehen. Im Fachgespräch wurde deutlich, dass beide Punkte derzeit schon praktiziert werden.
Auch Punkt 4 beinhaltet eine Selbstverständlichkeit. Entscheidungsrechte der Parlamente hängen entscheidend davon ab, ob am Ende ein gemischtes Abkommen vorliegt oder nicht. Da davon auszugehen ist, dass dies der Fall ist, werden neben dem Europäischen Parlament auch der Bundestag und der Bundesrat zustimmen müssen.
Meine Damen und Herren, ich möchte meinen Redebeitrag mit einem Zitat von Benjamin Franklin beenden. Er sagte schon anlässlich der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung: Entweder wir ziehen an einem Strang, oder wir enden jeder einzeln am Strang. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lipsdorf. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Herr Abgeordneter Vogel hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wenn öffentlich über das TTIP, das geplante Abkommen zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, gesprochen wird, dann landet die Diskussion in der Öffentlichkeit sehr oft bei Chlorhühnchen und dem Import von Fleisch hormonbehandelter Rinder. Das sind in der Tat Anschauungsobjekte mit Ekelfaktor, aber das ist überhaupt nicht entscheidend. Denn auch wenn TTIP uns primär als Abkommen zur Abschaffung der Zölle und zur Beschränkung sogenannter „nichttarifärer Handelshemmnisse“ zum Wohle eines verbesserten Waren- und Handelsaustauschs zwischen den USA und der EU verkauft wird, geht es hier nicht um die Frage, ob Außenspiegel am Fahrzeug abzuklappen sein sollen oder am Ende die USA auf das metrische System umsteigt - das wird sie übrigens nicht. Es geht um die Einführung eines einzigen gigantischen Binnenmarktes zwischen der EU und den USA, und verbunden mit den Vorstellungen zur Ausgestaltung dieses Abkommens sind die möglichen Folgen eines Chlorhühnchenund Hormonfleischimports geradezu harmlos.
Stichworte dafür sind fehlende Transparenz und das verniedlichend als „Streitbeilegungsmechanismus“ bezeichnete ISDS. Im Kern geht es bei der Diskussion darum, ob und in welchem Ausmaß sich die europäischen Regierungen und Parlamente selbst entmündigen und wer zukünftig hierzulande das Sagen hat, multinationale Konzerne oder die Demokratie.
Fangen wir mit ISDS an, dem Kürzel, das wir uns alle merken sollten: Zukünftig sollen ausländische Konzerne Staaten gene
rell vor - nicht öffentlich tagenden! - Schiedsgerichten auf hohe Schadensersatzsummen verklagen können, wenn sie durch eine nationale Gesetzesänderung oder administrative Maßnahmen ich zitiere -, „willkürlich, unverhältnismäßig oder diskriminierend“ in ihrer Tätigkeit behindert werden. Die Definition, was dann im Einzelnen unter „diskriminierend“ oder „unverhältnismäßig“ zu verstehen ist, bleibt diesen Schiedsgerichten, bei denen es sich um eine Handvoll - meist amerikanischer - Anwaltskanzleien handelt, überlassen. Beispiele für das Wirken dieser Schiedsgerichte gibt es inzwischen zuhauf, seien es die Klagen des Tabakkonzerns Philip Morris gegen Uruguay aufgrund eines Investitionsschutzabkommens zwischen Uruguay und der Schweiz aus dem Jahr 1991 auf 2 Milliarden US-Dollar - das entspricht einem Fünftel des Staatshaushalts von Uruguay - oder von Philip Morris gegen Australien aufgrund eines Uraltabkommens zwischen Hongkong und Australien. In beiden Ländern berühren strengere Nichtrauchergesetze die Geschäftsinteressen der Zigarettenindustrie. Philip Morris ist übrigens in New York, nicht in Hongkong oder der Schweiz zu Hause.
Ein anderes Beispiel ist der spezielle Partner unseres Landes, Vattenfall, der Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 4 Milliarden Euro auf Basis eines historischen Vertrages aus dem Jahr 1994 verklagt und der mit einem Schiedsgerichtsverfahren in New York gegen die Umweltauflagen beim Bau des Hamburger Kohlekraftwerks Moorburg auf 1,4 Milliarden Euro bereits die strikte Anwendung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in Hamburg außer Kraft setzte. Auskünfte zu beiden Verfahren hat übrigens die Bundesregierung mit dem Hinweis auf Geheimhaltungsvorschriften verweigert. Mit der Einbeziehung dieser Schiedsgerichte in das TTIP könnten wir uns Diskussionen über den Kohleausstieg, Anbauverbote für gentechnisch veränderte Organismen oder das Nachtflugverbot am BER in Zukunft womöglich sparen, da sich immer irgendein multinationales Unternehmen in seinen Profitinteressen behindert sehen kann.
Am Horizont zieht mit TISA - das ist das nächste Kürzel -, einem internationalen Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen, schon das nächste Unheil herauf. Auch hier soll ein Schiedsgerichtsverfahren an die Stelle der staatlichen Gerichtsbarkeit gesetzt werden.
Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre - es kommt alles noch viel schlimmer: Die Verhandlungen zu TISA führt die EU seit Februar 2012, ohne ein offizielles Mandat zu haben. Die Verhandlungen zu TTIP werden von der EU auf der Grundlage eines als geheim deklarierten Mandats geführt. Es ist mehreren grünen Europaabgeordneten zu verdanken, dass dieses Mandat - zwar illegal, aber sehr legitim - nunmehr im Internet einsehbar ist. Diese Geheimverhandlungen rühren am Kern unserer Demokratie.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas grundsätzlicher werden: Wir alle erleben gerade, wie schwer es ist, sich allein in Europa auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen, und wie groß die Skepsis in der Bevölkerung ist, vermeintliche Souveränitätsrechte an Brüssel abzugeben. Auch wenn der gemeinsame EU-Binnenmarkt von der Bevölkerung mehrheitlich positiv
gesehen wird, sollten wir daraus nicht schlussfolgern, dass dies auch bei dem noch viel größeren Binnenmarkt mit den USA der Fall sein wird. Geheimverhandlungen, exklusive Beteiligungen von Lobbyverbänden und Gerüchte, die mögliche Risiken und Befürchtungen beflügeln, diskreditieren die Verhandlungen schon jetzt.
Für uns Grüne ist klar: Ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zum Abbau von Zöllen und für sinnvolle Standardisierungen wird von uns grundsätzlich unterstützt und nicht abgelehnt. Die Totschlagskeule „Antiamerikanismus“ weisen wir allerdings entschieden zurück.
Die Geheimniskrämerei um TTIP muss ein Ende haben. Die Verhandlungen zu TTIP sind auszusetzen und dürfen erst nach öffentlicher Diskussion und Beschlussfassung im Europäischen Parlament neu gestartet werden. Das kann im Grundsatz bedeuten, dass die Verhandlungen zu TTIP überhaupt nicht mehr oder nur zu einem deutlich verringerten Regelungsspektrum wiederaufgenommen werden dürfen. Der geplante Streitbeilegungsmechanismus darf nicht mehr Bestandteil des Abkommens sein. In unserem Antrag geht es genau darum. Die Verhandlungen müssen ausgesetzt und mit einem transparenten Verfahren unter Einbindung der Öffentlichkeit neu gestartet werden.
Leider hat sich die Koalition darauf nicht vollständig einlassen können; sie stimmt dem nur in Bezug auf den Streitbeilegungsmechanismus zu. Aber immerhin: Der Landtag wird sich heute mit breiter Mehrheit gegen TTIP in dieser Form aussprechen und neue, transparente Verhandlungen fordern. Allein das ist schon ein großer Erfolg. - Recht herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. - Herr Minister Christoffers setzt für die Landesregierung die Aussprache fort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erster Punkt: Der Antrag in der vom Ausschuss mehrheitlich beschlossenen Fassung entspricht von seiner Struktur und seinem Inhalt her der Beschlusslage der Wirtschaftsministerkonferenz. Da man dieser mit Sicherheit keinen Antiamerikanismus unterstellen kann, gehe ich davon aus, dass die politische Debatte, sofern sie sich darauf bezieht, hier völlig überflüssig ist.
Zweiter Punkt: Bei dem Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA ist so gut wie alles schiefgelaufen, was nur schieflaufen konnte. Dass das Mandat nicht veröffentlicht worden ist, geht auf einen Beschluss des Europäischen Ministerrates zurück; elf Länder waren dagegen. Da das Mandat nicht veröffentlicht werden durfte, hat sich im Zuge der Begleitung der Verhandlungen ein sehr kritisches gesellschaftliches Klima entwickelt. Darüber braucht man sich nicht zu wundern, wenn man beschließt, das Mandat nicht zu veröffentlichen. Hätte man es veröffentlicht, wären bestimmte inhaltliche Diskussio
nen von Anfang an anders geführt worden, weil nach Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums unter anderem der Bereich der Daseinsvorsorge ausdrücklich ausgenommen werden soll.
Davon sind wir im Moment jedoch weit entfernt. Insofern halte ich den Antrag in der Fassung des Ausschusses für richtig. Damit unterstützen Sie, nebenbei bemerkt, noch einmal die Wirtschaftsministerkonferenz. Da dort von Bayern bis Brandenburg alle politischen Parteien vertreten sind, kann ich Ihnen sagen, dass das Unbehagen über Inhalt, Art und Weise und Struktur der Verhandlungen parteienübergreifend ist. Das wird auch in den öffentlichen Debatten immer wieder deutlich.