Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Zu uns spricht nun der Abgeordnete Christoffers für die Frakti on DIE LINKE.

(Dr. Gauland [AfD]: Das Buh gefällt mir genauso! - All gemeine Unruhe - Frau Mächtig [DIE LINKE]: Gott sei Dank haben unsere Ahnen nicht so gedacht! - Zuruf von der Zuschauertribüne: Wir sind das Volk, wir wollen Neuwahlen!)

Ich bitte Sie da oben, sich zurückzuhalten, und ich bitte die Saaldiener, den Herrn des Saales zu verweisen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind auch das

Volk, und möglicherweise repräsentieren Sie nicht das ganze Volk.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Zuruf von der AfD: Sie auch nicht!)

Meine Damen und Herren! Herr Gauland, ich wollte eigentlich vermeiden, auf Sie einzugehen, um das nicht aufzuwerten. Ich möchte aber drei Dinge klarstellen. Das erste ist: Max Weber würde sich im Grabe umdrehen

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

über die Art und Weise, wie er hier instrumentalisiert wird. Sie wissen genau - denn Sie kennen es -, was mit Gesinnungsethik gemeint gewesen ist. Dass Sie das hier instrumentalisiert in die politische Debatte einführen, finde ich eine Unverschämtheit, das ist einfach zurückzuweisen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Das Zweite: Ich möchte Sie bitten, sich nicht zum Moralrichter aufzuschwingen.

(Zurufe von der AfD: Sie aber!)

Tut mir leid, aber ich richte nicht über Ihre Moral, sondern ich bewerte Ihre politischen Vorschläge.

(Frau Große [DIE LINKE]: Genau! - Beifall DIE LINKE)

Ich finde, das ist ein riesiger Unterschied, und diese Diskussion muss und sollte man führen.

Meine Damen und Herren, ich weise eines einfach zurück. Ich bin seit 25 Jahren in der Brandenburger Politik und weiß, dass niemand von denen, die in diesem Land ernsthaft Politik ge macht haben, die Integration von Ausländern in eine soziale Lebenswirklichkeit des Landes Brandenburg jemals verniedlicht hat. Ich weise das zurück. Wir haben uns nur der Heraus forderung gestellt. Wir haben versucht, Wege aufzuzeigen, und haben nicht die Probleme, die wir alle kennen, so hoch geho ben, dass keine politische Lösung mehr möglich wäre,

(Beifall DIE LINKE und SPD)

was faktisch darauf hinausliefe, einen humanistischen Anspruch tatsächlich aufzugeben.

Meine Damen und Herren, es gibt einen guten Grund für dieses Land Brandenburg, dass demokratische Parteien hier einen „Bogen“ haben.

(Zuruf von der AfD: Ich lach mich kaputt!)

Das möchte ich an zwei Sachverhalten festmachen. Der eine Punkt ist in der Verfassung begründet. Ich finde, die Verfas sung, die hier im Land Brandenburg erarbeitet worden ist, bie tet eine sehr, sehr gute Grundlage, politische Entscheidungen herbeizuführen, die, egal welcher Partei man angehört, für das Land Brandenburg tatsächlich von Vorteil sind. Ich möchte an solche Persönlichkeiten erinnern wie Diestel, Bisky, Schu mann, aber auch Hildebrandt, Stolpe und viele andere, die für diesen Weg prägend standen und Hunderte dazu animiert ha

ben, diesen Weg mitzugehen. Ich finde, die demokratische Kultur der Diskussion der damaligen Zeit hat bis heute getra gen, bei allen Unterschieden, die wir haben, und wir haben viele Unterschiede.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Es ist richtig so, dass wir Unterschiede haben, um hier auch politische Alternativen deutlich zu machen. Genau das war ein Weg, und ich finde, es hat uns ausgezeichnet, dass wir ihn ge gangen sind. Das hat auch bei der Transformation der ehema ligen DDR in eine demokratisch verfasste Gesellschaft und beim Übergang in die soziale Marktwirtschaft geholfen. Das hat uns in Brandenburg, glaube ich, politisch sehr, sehr gut ge tan.

Das Zweite war der Brandenburger Weg. Es war nicht die klei ne DDR, es war das Stück eines Transformationskonzepts, das uns dazu gebracht hat, miteinander zu diskutieren, das uns da zu gebracht hat, Biografien zu akzeptieren und zu bewerten, das uns auch dazu gebracht hat, unterschiedliche politische Vorstellungen zu akzeptieren und auszuhalten, und das ge meinsam mit den handelnden Personen dazu beigetragen hat, dass wir im Land Brandenburg ein Stück weit einen demokrati schen Bogen haben, der bis heute trägt, und darüber bin ich froh.

Herr Senftleben, ich habe Ihre Rede aufmerksam verfolgt. Ich darf Ihnen attestieren: Das war ein riesiger Unterschied zum Landesparteitag der CDU in Baden-Württemberg. Ich will mich ausdrücklich dafür bedanken, weil damit auch deutlich wird, dass wir bei aller Unterschiedlichkeit auch in der Frage Asyl und Migration hier zu gemeinsamen Entscheidungen kommen können.

Zwei Unterschiedlichkeiten möchte ich hier benennen. Es be trifft beispielsweise den Begriff der sicheren Herkunftsstaaten. Es gibt im Kosovo einen Bundeswehreinsatz, weil das Land so unsicher ist. Können Sie mir sagen, warum wir das Kosovo zum sicheren Herkunftsland erklären können?

(Beifall DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)

Wir haben eine Reihe von Diskussionen zu dem vom Bundesin nenminister vorgelegten Gesetzentwurf. Die verfassungsrecht liche Prüfung übernimmt gerade Bundesjustizminister Maas von der SPD. Hier gibt es eine ganze Reihe von Fragen, die zu klären sind. Die Unterschiede werden auch bleiben, glaube ich. Aber neben diesen gravierenden Unterschieden gibt es eine ge meinsame Position, was die Frage der Integration betrifft. Das zeichnet uns aus, und das sollte uns auch erhalten bleiben.

(Beifall DIE LINKE, SPD sowie B90/GRÜNE)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf einige Punkte eingehen. Es wurden heute Entscheidungen verlangt. Aber Entscheidungen sind bereits getroffen und werden noch getroffen. Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklä rung deutlich gemacht: Die Mittel im sozialen Wohnungsbau werden von 40 auf 70 Millionen Euro ansteigen. Aber, meine Damen und Herren, das hat doch nicht nur etwas mit der Flüchtlingsproblematik zu tun. Die drängende Situation im so zialen Wohnungsbau hatten wir schon vorher. Wir sind jetzt nur gezwungen, Entscheidungen schneller zu treffen. Ich finde

es gut, dass wir jetzt die politischen Entscheidungen treffen, und zwar nicht wegen der Flüchtlinge, sondern auch, um Flüchtlinge integrieren zu können.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das heißt, solche Entscheidungen wie die Entscheidung zum Ausbau der Infrastruktur - das ist hier ganz klar gesagt worden - müssen wir auch ohne das Flüchtlingsproblem treffen. Selbst verständlich werden wir uns dieser Aufgabe widmen. Dass das künftig in bestimmten Bereichen noch schneller gehen wird, ob es Bus- oder auch Bahnanbindungen betrifft, das ist doch gut.

Insofern: Die Flüchtlingssituation ist fordernd, aber sie über fordert uns nicht, um das einmal im Klartext zu sagen. Sie zwingt uns, teilweise Entscheidungen schneller zu treffen

(Beifall DIE LINKE, SPD sowie B90/GRÜNE)

und natürlich bei bestimmten Entwicklungen auch Korrekturen anzubringen. Das ist doch wohl selbstverständlich, und das können wir.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Der Ministerpräsident hat gesagt: Wir werden das Landesauf nahmegesetz verändern. Ja, selbstverständlich, weil wir nicht nur an den Bund appellieren, sondern weil wir hier eine Eigen verantwortung haben, was die Frage der gesundheitlichen Be treuung, was die soziale Betreuung und was die Frage der Un terstützung der Kommunen betrifft. Selbstverständlich werden wir das angehen.

Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie im Ernst, wir könnten das entscheiden, bevor wir wissen, wie die Konditi onen für die Länder insgesamt, und zwar nicht nur für Branden burg, aussehen? Es wäre doch abenteuerlich, jetzt eine Endentscheidung herbeizuführen, ohne zu wissen, was beim Gip feltreffen am 24. September herauskommt. Dem Gipfel folgt noch eine Bundesratsbefassung. Insofern, um das auch einmal im Klartext zu sagen, wird noch einige Zeit ins Land gehen, bevor die endgültigen und stabilen politischen Bedingungen gegeben sind, vor deren Hintergrund wir die Entscheidungen treffen können. Dass wir verpflichtet sind, Eigenverantwortung wahrzunehmen, das ist hier deutlich gesagt worden, und das werden wir auch tun.

Drittens: Der Finanzminister hat gestern deutlich gemacht, dass wir einen Nachtragshaushalt haben werden, einen Nach tragshaushalt, der sich auch mit der Migrations- und Asylsitua tion beschäftigt, aber eben nicht nur. Es ist schon angesprochen worden: Verbesserungen bei der Bildung brauchen wir trotz und wegen der Situation der Flüchtlings- und Migrationspoli tik. Wir brauchen, was die Frage der Sozialarbeiter betrifft, ein immer wieder diskutiertes Thema, neue Entscheidungen, und diese Entscheidungen wird es geben.

Um es noch einmal im Klartext zu sagen: Es ist eine fordernde Situation, aber sie überfordert uns nicht. Wir haben die Mög lichkeit, etwas in Eigenverantwortung umzusetzen.

Aber, meine Damen und Herren, wir brauchen dazu - das Land allein wird es nicht stemmen können - nicht nur die Un

terstützung, sondern auch das aktive Mitwirken des Bundes. Deswegen sage ich: Der Ministerpräsident ist gut beraten, mit der Forderung nach struktureller finanzieller Beteiligung des Bundes, mit der Forderung der Übernahme der Kosten für Gesundheit usw. in die Verhandlungen zu gehen. Nach Ab schluss der Verhandlungen werden wir das politisch bewer ten, danach können wir uns ausrichten und entsprechend ent scheiden.

Noch einmal: Es überfordert uns nicht, es ist nur eine heraus fordernde Situation, die wir hier haben.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, jeder historische Vergleich hat Grenzen. Aber ich möchte auf zwei Sachverhalte hinweisen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind in das Gebiet der ehemaligen DDR und das Gebiet der ehemaligen Bundes republik Deutschland, in die einzelnen damaligen Bundeslän der, Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten aufgenom men worden, deren Zahl 20 bis 45 % der dortigen Bevölkerung ausmachte. Es war eine riesige Integrationsleistung, die hier vollbracht worden ist.

(Zurufe von der AfD)

- Das unterscheidet uns eben.

Wir haben ganz klar gesagt: Wir wollen die Fehler der 60er- und 70er-Jahre, was Integration betrifft, nicht wiederholen. Da wir sie nicht wiederholen wollen, wird ein Einstieg in Bildung, in Kultur, ein soziales Miteinander und Nebeneinander in den Städten und Gemeinden zu organisieren sein. Nur das ist der Hintergrund, Integration tatsächlich zu leisten; das hat nichts mit Gesinnungsethik zu tun. Es hat etwas damit zu tun, dass man Konflikte und Auseinandersetzungen wahrnimmt, aber Möglichkeiten zu ihrer Gestaltung aufzeigt.

(Zuruf von der AfD)