Allerdings befanden sich - Ihnen zum Trost - im Landtag auch jede Menge anderer Schmuddelkinder: die in CDU und FDP übernommenen Mitglieder der Blockparteien oder auch die ehemaligen informellen Mitarbeiter der Stasi, die sich auf alle Fraktionen gleichmäßig verteilten.
Aus heutiger Sicht war insbesondere die Einbeziehung der PDS in die Erarbeitung der Verfassung eine demokratische Großtat, denn diese legte den Grundstein für die Weiterent wicklung der SED-Erben zur heutigen, demokratisch geläu terten und uns manchmal schon viel zu realpolitischen Partei DIE LINKE -
eine Partei, mit der wir hier im Landtag immer wieder gerne streiten, bei der wir aber nie die Angst haben, dass sie erneut die Diktatur des Proletariats ausrufen könnte. Man könnte auch sagen: Die Demokratie hat auf der ganzen Linie gesiegt.
Die Schattenseite war, dass Mitläufer der SED-Diktatur damit zwar erfolgreich integriert, deren Opfer dagegen über Jahre vor den Kopf gestoßen wurden. Es brauchte fast 20 Jahre, bis die Enquetekommission zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit diesen Sachverhalt feststellte und die betroffenen Opfer nach Jahren der Ignoranz endlich ein Podium hier im Landtag fan den. Auch das ist Brandenburger Geschichte.
Auch wenn die SPD heute allzu oft für alles Gute, Wahre und Schöne verantwortlich sein will - im Guten wie im Schlechten fortwirkende Grundlagen für dieses Land wurden von Vertre tern aller Parteien gelegt. Ich beginne diesmal nicht mit den Grünen. Hinrich Enderlein von der FDP legte den Grundstein für die vom Ministerpräsidenten Dr. Woidke angesprochene vielbeachtete Hochschullandschaft im vorher hochschulfreien Bundesland Brandenburg. Johanna Wanka von der CDU sorgte für die Stärkung der Fachhochschulen, bevor die Hochschulen nach 2009 von Rot-Rot finanziell in die Mangel genommen wurden. Marianne Birthler und Roland Resch von BÜND NIS 90 waren dafür verantwortlich, dass die Schüler in den Grundschulen sechs Jahre gemeinsam lernen. Matthias Plat zeck, damals vom BÜNDNIS 90 als Umweltminister gestellt, baute auf dem Erbe des DDR-Nationalparkprogramms ein eu ropaweit beachtetes Großschutzgebietssystem auf, bevor die ses dann unter dem späteren SPD-Ministerpräsidenten Platzeck auf das heutige Maß zurechtgestutzt wurde.
Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft, das sich seit seiner Gründung immer in den Händen der SPD befand, tat dagegen alles Menschenmögliche, um die industrialisierten Landwirtschaftsstrukturen der DDR zulasten der Wiedereinrichtung über die Zeit zu retten, und legte damit den Grundstein für die Entleerung unserer Dörfer,
Die drei SPD-Ministerpräsidenten Stolpe - Stichwort Horno -, Platzeck - IG BCE-Mitglied - und Dr. Woidke - Stichwort Ver hinderung der Klimaabgabe auf Kohle - höchstselbst unternah men alles Erdenkliche, um die 1990 ins Bodenlose abstürzende Braunkohlewirtschaft am Leben zu erhalten. Die Folgen kön nen heute an der braunen Spree, in Welzow-Süd und in der Kli mabilanz des Landes besichtigt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller Erfolge haben wir unverändert Nachholbedarf in der Entwicklung des demokrati schen Bewusstseins. Bis heute ist eine Parteienaversion im Land zu beobachten, die völlig selbstverständliche Ausgrenzung der Parteien bei vielen Veranstaltungen auf kommunaler Ebene.
Notwendiger politischer Streit wird viel zu schnell als Partei engezänk gewertet. Streit gehört aber zur Politik. Eine leben dige Zivilgesellschaft braucht engagierte Menschen. Parteien gehören in den öffentlichen Raum. Ohne sie funktioniert unser Staatswesen bald nicht mehr. Aber angesichts der lächerlichen Mitgliederzahlen all unserer Landesparteien ist unverkennbar, dass die Parteiendemokratie an ihre Grenzen stößt und weiter entwickelt werden muss. Unsere Verfassung kennt keinen Al leinvertretungsanspruch der Parteien. Von Anfang an wurde das Korrektiv der direkten Demokratie von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden vorgesehen.
Wenn nun immer wieder Menschen hiervon Gebrauch machen und erstmals ein Volksbegehren auch erfolgreich war, ist das kein Zeichen einer Staatskrise, sondern begrüßenswert gelebte Demokratie.
Die Volksbegehren gegen die Massentierhaltung und zum BER-Nachtflugverbot sowie gegen eine dritte Startbahn - sind Weckrufe an die Regierungsparteien, ihren Kurs zu ändern, wenn sie nach 2019 noch regieren wollen. Aber unverändert besteht der Bedarf, die direkte Demokratie zu stärken: bei den Zulassungsvoraussetzungen der freien Unterschriftensamm lung, bei Volksbegehren und bei den viel zu hohen Quoren für Volksentscheide.
Nach 25 Jahren ist nicht nur unsere grundsätzlich gute Verfas sung, sondern sind auch die Verwaltungsstrukturen in die Jahre gekommen, wobei alles, was jetzt an Neuzuschnitten diskutiert
wird, eine Kleinigkeit ist im Vergleich mit der Bildung unseres Bundeslandes und dem damaligen Zusammenfügen und Aus einanderreißen von Bezirks-, Kommunal-, Kreis- und Amts verwaltungen. Weder bei der Gründung des Landes noch bei der ersten Verwaltungsreform waren die massiven Bevölke rungsverluste in den Randregionen vorherzusehen. Wir Grünen teilen die Auffassung, dass der demografische Wandel und die steigenden Ansprüche an die Kommunalverwaltungen auch ei nen Wandel in den kommunalen Strukturen mit sich bringen müssen. Aber wenn am Ende der einzige Erfolg darin bestün de, größere Verwaltungseinheiten gebildet zu haben, dann hät ten Sie uns nicht auf Ihrer Seite.
Natürlich geht es bei der Kommunalreform auch um Finanzen. Es geht darum, die Finanzkraft der berlinnahen Kommunen zur Entlastung der strukturschwachen Gemeinden bei der Kreisum lage zu nutzen. Es geht darum, die auch durch eine unzurei chende Haushaltsaufsicht des Innenministeriums verschuldete finanzielle Notlage der kreisfreien Städte anzugehen. Dies darf aber nicht zulasten von sparsam wirtschaftenden Kommunen ge hen, denen das Finanz- und das Innenministerium nun 200 Milli onen Euro aus den Rippen schneiden wollen. Uns Bündnisgrü nen geht das zu weit, da haben Sie uns nicht auf Ihrer Seite.
Worum es uns Bündnisgrünen allerdings geht, ist eine stärkere Demokratisierung auf kommunaler Ebene. Die Wahl des Amts direktors muss raus aus den Hinterzimmern und in die Hände einer gewählten Amtsgemeindevertretung. Die Möglichkeiten für Bürgerentscheide sollen erweitert werden. Das sind Verbes serungen, für die es sich zu streiten lohnt. Wir bedauern sehr, dass sich die gesamte öffentliche Diskussion auf Kreiszu schnitte und die Einkreisung der kreisfreien Städte fokussiert. Die Kreisreform und die Bildung von Amtsgemeinden müssen aus unserer Sicht miteinander verknüpft werden.
Die schlechten Zustimmungswerte zur Kommunalreform in der neuen Meinungsumfrage machen deutlich, dass es keine gute Idee der SPD war, die Verwaltungsreform aus dem Wahl kampf herauszuhalten. Wenn Rot-Rot die Verwaltungsreform umsetzen will, dann, Herr Ness, muss Ministerpräsident Woid ke dafür kämpfen. Dieses Kämpfen habe ich heute bei Ihnen vermisst, Herr Ministerpräsident. Von Ihnen war kein einziges Wort zur Kommunalreform zu hören - dem einzigen echten Reformvorhaben von Rot-Rot in dieser Legislaturperiode. Man hat den Eindruck, dass Sie angesichts der noch zu leistenden Überzeugungsarbeit kalte Füße bekommen haben, um nicht zu sagen: Eisbeine.
Mit dem freundlichen Ausblenden der Verwaltungsreform le gen Sie den Eindruck nahe, dass Sie Ihre sich redlich abmü henden Minister im Regen stehen lassen, um sich die Diskussi on aus sicherer Entfernung anzusehen. Wir hielten aber auch nichts davon - an Herrn Ness gerichtet -, die Verwaltungsre form mit einer Einstimmenmehrheit bei drei Enthaltungen durch den Landtag zu bringen.
Gerade weil die Verwaltungsreform erforderlich ist, hilft dem Land - jetzt richte ich mich an die CDU - Fundamentalopposi tion nicht weiter. Wenn wir die Kommunalreform, die in ande ren ostdeutschen Bundesländern unter der Führung der CDU schon durchgeführt wurde, hierzulande nicht gegen die Wand fahren wollen, müssen jetzt alle einen großen Schritt aufeinan
der zugehen. Es geht nicht darum, die große Konsenssoße über alle Ungereimtheiten zu kippen, sondern darum, die Verwal tungsstrukturen gemeinsam für die Zeit des demografischen Echos nach 2030 zukunftsfest zu machen. Denn wir alle wis sen, dass selbst dann, wenn die Geburtenrate leicht ansteigen sollte und wir einen zusätzlichen Zuwachs von 30 000 Men schen pro Jahr aus dem Ausland haben sollten, die Bevölke rungsverluste in der Peripherie weitergehen werden. Ich finde es ausgesprochen erfreulich, dass der Zuzug von Flüchtlingen in manchen Gemeinden und in Diskussionen vor Ort als Hoff nungsschimmer gesehen wird. Ich hoffe, dass das Beispiel Golzow im wahrsten Sinne des Wortes Schule macht, wo ge zielt Flüchtlingsfamilien mit Schulanfängern gesucht werden, um die örtliche Schule zu stabilisieren.
Allerdings werden Prignitz und Elbe-Elster - ich beziehe Frankfurt (Oder) mal mit ein, auch wenn es dort gefährlich ist, aus der Statistik zu zitieren - nicht gerade zum Ziel-1-Gebiet für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten werden. Das liegt garan tiert nicht an einer fehlenden Aufnahmebereitschaft. Wo Er werbsarbeitsplätze fehlen, da bleibt niemand auf Dauer. Das lässt sich an einem historischen Beispiel, nämlich dem Beispiel der Spätaussiedler gut belegen. Nach 1987 kamen ungefähr 3 Millionen Spätaussiedler, zumeist aus der ehemaligen UdSSR, nach Deutschland, so zum Beispiel im Jahr 1988 die in Kras nojarsk geborene Helene Fischer. Die Anzahl der Aussiedler hatte ihre Spitze im Gründungsjahr Brandenburgs 1990 mit 400 000 Einwanderern erreicht und ist erst seit 1993, als 218 000 Menschen einreisten, stark rückläufig.
Auch diese Spätaussiedler wurden zentral registriert und wie die Flüchtlinge heute nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt. Obwohl Brandenburg zwischen 50 000 und 75 000 Menschen zugewiesen wurden - so genau kann man es heute nicht mehr feststellen -, lebten nach dem Mikrozensus von 2012 nur noch 28 000 Spätaussiedler hier. Die anderen dürften, soweit sie nicht verstorben sind, unser Bundesland wieder verlassen haben.
Den erhöhten Anforderungen bei der Aufnahme der russischen Spätaussiedler - damals standen übrigens genau dieselben Vor urteile im Raum, wie sie heute von Herrn Gauland gegenüber den Flüchtlingen formuliert wurden - begegnete die Bundesre gierung mit einem Sonderprogramm, in dessen Mittelpunkt die Schaffung von Wohnraum, Sprachförderung, die erleichterte Anerkennung von Qualifikationen und die besondere Förde rung jugendlicher Aussiedler standen. Diese Maßnahmen dürf ten dazu beigetragen haben, dass die Integration der Spätaus siedler mittlerweile als gelungen betrachtet wird. Das Beispiel zeigt aber auch, dass es mit der Zuweisung von Wohnraum und Sprachunterricht nicht getan ist, sondern auch Erwerbsmög lichkeiten vorhanden sein müssen. Für die Integration von Zu wanderern gibt es drei Grundvoraussetzungen: ein Dach über dem Kopf, Bildungsangebote, das heißt in erster Linie Deutsch kurse, und Erwerbsarbeit.
Aber wenn man will, dass die Menschen nicht nur ankommen, sondern wirklich heimisch werden und nicht der verlorenen Heimat nachtrauern, dann braucht es eine aufnahmebereite Ge sellschaft. Diese Aufnahmebereitschaft war in den frühen 90erJahren wenig ausgeprägt. Wir sollten nicht vergessen, dass da mals neben den Spätaussiedlern eine große Zahl von Flüchtlin
gen infolge der Kriege auf dem Balkan zu uns kam. 1990 stell ten fast 200 000 und 1993 440 000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag, sodass - Aussiedler und Asylbewerber zu sammengerechnet - im Jahr 1990 rund 600 000 Menschen und im Jahr 1993 sogar rund 650 000 Zufluchtsuchende in Deutsch land eintrafen - ich ziehe den Vergleich zu den 800 000 Men schen, über die gegenwärtig gesprochen wird -, und zwar in einem Deutschland, das alle Hände voll zu tun hatte, den Eini gungsprozess zu bewältigen, und das in Ostdeutschland mit dem Zusammenbruch der industriellen Strukturen und ei ner apokalyptischen Massenarbeitslosigkeit konfrontiert war. Allein in Brandenburg gingen zwischen 1990 und 1992 410 000 Arbeitsplätze verloren. Die Flüchtlinge wurden häufig in kilometerweit abgelegenen Bruchbuden untergebracht und mit Sachleistungen und diskriminierenden Einkaufsgutschei nen mehr schlecht als recht ausgestattet. Ein damit einherge hender Abschreckungseffekt war häufig politisch gewollt. Das grundgesetzlich gesicherte Asylrecht wurde faktisch und poli tisch ausgehöhlt.
Heute schreiben wir das Jahr 2015 und die Zeiten haben sich in vielerlei Hinsicht geändert. Heute wird mit rund 800 000 Schutz suchenden - nicht Asylbewerbern übrigens - gerechnet, in einer Zeit wirtschaftlichen Wachstums, sich abzeichnenden Fach kräftemangels und Einnahmeüberschüssen in vielen öffentli chen Haushalten. Da verstehen wir es, wenn die Kanzlerin an gesichts dieser Herausforderung - es ist eine Herausforderung - sagt: „Wir schaffen das!“ Wir haben wenig Verständnis für diejenigen, die gleich in Abwehrhaltung gehen oder gar laut hi nausposaunen: „Nee, das wollen wir gar nicht schaffen.“
Nicht viel besser ist es übrigens, uns hier die de Maizièresche Giftliste in Antragsform vorzulegen und zu meinen, die Lan desregierung müsste den Bundesinnenminister beim Versuch einer „Orbánisierung“ der Asylpolitik unterstützen. Da ist doch die Brandenburger CDU eigentlich schon viel weiter. Der In halt dieses Antrages widerspricht - und das sollten Sie wissen - in großen Teilen dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12. Juni 2012. Mit dem Leitsatz „Die Menschenwürde ist mi grationspolitisch nicht zu relativieren.“
hat das Bundesverfassungsgericht damals in seiner Begründung zum Grundsatzurteil zum Asylbewerberleistungsgesetz den Menschenrechtsschutz ins Zentrum auch der Ausgestaltung der tatsächlichen Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Deutschland gestellt. Eben jener Grundsatz wird mit den beab sichtigten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeschränkung in Erstauf nahmeeinrichtungen sowie den vorgeschlagenen Leistungskür zungen im Asylbewerberleistungsgesetz ad absurdum geführt.
Um kurz auf die sicheren Herkunftsländer einzugehen: Wir halten das Konzept sicherer Herkunftsländer für mit Arti kel 16a Grundgesetz und dem dort verbrieften Grundrecht auf politisches Asyl unvereinbar, da Asylbegehren von Menschen aus diesen Ländern pauschal als offensichtlich unbegründet gelten. Eine rechtsstaatlich einwandfreie und unvoreingenom mene Einzelprüfung der Asylgesuche ist so nicht mehr mög lich. Jede weitere Ausweisung sicherer Herkunftsländer höhlt das Grundrecht auf Asyl weiter aus und wird von uns strikt ab gelehnt.
Neben schwerwiegenden grundsätzlichen Bedenken sprechen aber auch tatsächliche Gründe gegen das Konzept. So beab sichtigt die Große Koalition, neben Albanien und Montenegro auch den Kosovo als sicheres Herkunftsland auszuweisen. Den Ausschlag hierfür gibt jedoch nicht etwa eine gründliche Ana lyse dieser Länder hinsichtlich ihrer Menschenrechtslage, son dern die zuletzt gestiegene, inzwischen wieder fallende Zahl der Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern und deren geringe Anerkennungsquote. Das ist jedoch kein Beweis für die Sicherheit in diesen drei Ländern. Tatsächlich ist die Men schenrechtslage dort besorgniserregend schlecht. Insbesondere Roma werden strukturell benachteiligt, haben kaum Zugang zu Arbeitsmarkt und Schulbildung und können nicht auf Unter stützung staatlicher Stellen - beispielsweise bei der Verfolgung von Straftaten - zählen.
Gegen eine allgemein ausreichende Sicherheitslage im Kosovo spricht außerdem das zuletzt am 19. Juni 2015 verlängerte Mandat für den bereits seit 1999 laufenden Einsatz der Bun deswehr im Kosovo, wo derzeit etwa 770 deutsche Soldatinnen und Soldaten stationiert sind, um bewaffnete Auseinanderset zungen zwischen ethnischen Gruppen zu verhindern. Ich denke, das sollte zu denken geben und Anlass genug sein, die ses Konzept zurückzuweisen.