Verehrter Herr Vizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Den Applaus für den ersten Satz meiner Rede muss ich mir vorab organisieren, denn er heißt: Kultur wird im gegenwärtigen Flüchtlingsprozess vollkommen unterschätzt. - So.
(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Ach so, jetzt! - Beifall SPD und vereinzelt DIE LINKE - Heiterkeit bei CDU und AfD)
Wir können nicht oder noch nicht genug mit den Menschen, die neu zu uns gekommen sind, reden. Wir können noch nicht über Emotionen, Traumata,
mitgebrachte alte Probleme untereinander, den Verlust von Menschen, der Wohnung oder der Heimat sprechen. Aber wir können uns mittels Musik und bildender Kunst ausdrücken und verständigen, können nonverbal miteinander kommunizieren. Kulturschaffende können dabei direkte Mittler sein. Nur sind sie in den Aufnahmeeinrichtungen schwer zu finden. Stellen Sie sich bitte vor, ein deutscher Romanautor muss auf einem Fragebogen angeben, welchen Beruf er ausübt. Möglicherwei se gibt er das an, womit er wöchentlich sein Geld verdient - sa gen wir einmal: Taxifahrer. Auf diese Weise finden sich in den Aufnahmeeinrichtungen und den entsprechenden Fragebögen kaum Künstler.
Musiker brauchen Instrumente. Wie geht es den Malern ohne Malzeug oder den Filmemachern ohne Kamera, den sprachlo sen Dichtern und Theaterleuten, wie lebt es sich überhaupt mit dem Wissen um die eigene künstlerische Fähigkeit in einem fremden Land, in dem sie nur selten gelebt werden kann? Wie wichtig ist Kunst für einen Flüchtling in der Komplexität aller Probleme, denen er ausgesetzt ist? Wie finden wir die Künstle rinnen? Es gibt sehr viele Sichtweisen auf das Thema Kunst in Krisenzeiten.
Als Huntington 1996 mit seinem politikwissenschaftlichen Buch unter dem Titel „Kampf der Kulturen“ an die Öffentlich keit trat und die These vertrat, nicht Ideologien, sondern Kultu ren würden künftig die Weltordnung bestimmen, war für mich und sicher viele von Ihnen klar: Das Ziel heißt „Dialog der Kulturen“. Dafür brauchen wir keine Leitkultur,
Auf eine Rechts- und Werteordnung unseres Landes müssen wir nicht verweisen. Es gibt ein Grundgesetz, und das gilt für
Die Bleibeperspektive kann nicht ausschlaggebend dafür sein, ob sich ein Mensch mit Kultur beschäftigen darf oder nicht, ob er sich als Künstler ausdrücken darf. Kreativität fin det statt, man sollte sie nicht verhindern, sondern fördern, ihr Raum geben und sie für andere nutzen - aber doch bitte be dingungslos.
Und bitte verwechseln Sie nicht die Dialogfähigkeit von Kultur mit der Ideologisierung durch Kultur. Nein, ich möchte wirk lich nicht - Zitat aus dem Entschließungsantrag - „ein besonde res Augenmerk auf die Vermittlung unserer Kultur- und Werte ordnung […] über kulturelle Projekte“ legen. Ich liebe jede gute Musik, alle guten Bücher und alle guten Bilder. Syrische Musik ist ganz anders als europäische, aber in ihrer Vierteltö nigkeit, ihrer komplexen Rhythmik und mit ihren unglaubli chen Verzierungen kein bisschen weniger kunstvoll als europä ische Musik. Manchmal entsteht auch aus dem Miteinander et was ganz Neues; und weil ich das nicht vorwegnehmen kann, weil ich es nicht weiß, möchte ich auch keinerlei Vorgaben da zu machen.
Bei meinen Opernproduktionen standen manchmal Menschen bis zu 20 unterschiedlicher Nationalitäten auf der Bühne. Auch wir konnten nicht richtig miteinander reden. Aber wir hatten ein und dasselbe Ziel: Kunst zu erfinden, Kunst zu machen, Kunst zu vermitteln, an das Publikum heranzukommen. Mein Ziel war immer, dass die Menschen das Theater anders verlas sen, als sie hineingegangen sind, nämlich reicher. Das sollte auch unser Ziel sein.
Die Themen waren oft brisant: Orient und Okzident in „Paris und Helena“ - genau unser Thema - oder ein Soldatenchor ne ben Ideen der Aufklärung. Aufklärung, Aufklärung, Aufklä rung: Ich glaube, das ist das wichtigste Thema, das wir haben. Da möchte ich die Kollegen von der CDU auf ein Buch von Heiner Geißler verweisen: „Sapere aude!“ - Habe den Mut, nach deinem Verstand zu handeln; wage es, weise zu sein. Der Untertitel lautet: „Warum wir eine neue Aufklärung brauchen“. Das ist ein wunderbares Buch. Leider spiegelt sich dieser Geist in Ihrem Entschließungsantrag nicht wider.
Am Wochenende wird der Deutsche Musikrat deutschlandweit dazu aufrufen, Musikinstrumente zu spenden. Ich habe das in meinem Landkreis schon getan; das hat zu euphorisch aufge nommenen Konzerten geführt - wir haben sogar Autogramm karten für syrische Musiker gebastelt. Es hat aber auch zu Musikunterricht von Flüchtlingen und Musikschullehrern für Flüchtlinge und einheimische Kinder geführt.
Wer den Dialog der Kulturen auch nur ein wenig anschiebt, wird staunen, wie schnell er zum Miteinander von Kulturen, zum Gewinn für alle Seiten wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns der notwendige Dialog der Kulturen noch lange be schäftigt. Lassen Sie uns mit einem offenen Dialog anfangen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Liedtke, es gibt tatsächlich sehr unterschiedliche Herangehensweisen an das heutige Thema. Vielleicht liegt das daran, dass Sie aus dem künstlerischen Bereich kommen und ich als Juristin wohl eher in der Realität verhaftet bin.
Am 25. Mai, also vor gerade einmal 16 Tagen, trat der Aus schuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur zu seiner 19. ordentlichen Sitzung zusammen. Unter Tagesordnungs punkt 6.1 befasste man sich mit dem Sachstand des Förderpro gramms für Flüchtlinge im Kulturbereich - ein Tagesordnungs punkt, der einzig dazu diente, die Landesregierung für ihr Han deln in der Flüchtlingspolitik zu feiern? Oder ist der heutige Antrag eher Ausfluss dessen, dass es doch Defizite gibt?
Ich möchte einige Anmerkungen zum Antrag der Regierungs fraktionen machen. Wir sagen es immer wieder: Für uns be deutet Integration, zu fördern und zu fordern. - Den Aspekt des Förderns haben Sie in Ihrem Antrag in der Tat berücksichtigt, das ist gut und wichtig. Allerdings kommt mir bei Ihnen der Aspekt des Forderns etwas zu kurz.
Zum Fördern: Meine Damen und Herren, die Idee, Integration auch und gerade über Kulturprojekte zu fördern, wird von der CDU schon lange unterstützt. Deswegen hat die CDU-geführte Bundesregierung viel Geld in die Hand genommen und zahl reiche Projektfördermöglichkeiten geschaffen, um Integration durch Kulturprojekte zu fördern. Ich nenne nur das erfolgrei che Programm „Kultur macht stark“, das von der Bundesregie rung noch einmal um 5 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt wurde, oder die Unterstützung der Bundesregierung für alle Kreise und kreisfreien Städte zur Finanzierung von Bil dungskoordinatoren. Generell ist die Unterstützung der Kreise und kreisfreien Städte in der Flüchtlingspolitik ein Thema, bei dem sich auch die Landesregierung wesentlich stärker einbrin gen könnte - aber das nur am Rande.
Meine Damen und Herren, kommen wir nun zu der Frage, wa rum wir dennoch die Notwendigkeit gesehen haben, heute ei nen eigenen Entschließungsantrag einzubringen. Die Antwort ist so einfach wie banal: Ihr Antrag reicht wie so oft einfach nicht aus; er ist der Situation nicht angemessen.
Beispielsweise schreiben Sie in Ihrem Antrag von geflüchteten und asylsuchenden Menschen, von Geflüchteten und von Flüchtlingen. - Offensichtlich ist nicht ganz klar, auf wen sich dieser Antrag eigentlich beziehen soll. Deswegen möchte ich das für uns etwas konkretisieren. Viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, suchen nur vorübergehend Schutz. Sie
wollen in ihre Heimat zurückkehren, sobald die Verhältnisse dort wieder ein normales Leben ermöglichen. Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen für diese Menschen sind daher eine Investition in den Wiederaufbau und die Stabilisierung dieser Länder und werden von uns voll und ganz unterstützt.
Unsere Integrationsangebote richten sich dagegen an Flüchtlin ge mit guter Bleibeperspektive: Männer, Frauen und Kinder, die voraussichtlich über Jahre oder dauerhaft in unserem Land bleiben werden. Diese Definition ist wichtig, damit wir über die passenden Programme und Ideen diskutieren können.
Dazu will ich auf eine besonders zu berücksichtigende Gruppe aufmerksam machen, die Sie in Ihrem Antrag leider komplett vergessen haben. Die Landesregierung antwortete auf meine Kleine Anfrage, dass rund ein Drittel der Flüchtlinge in Bran denburg weiblich ist. Und oft - das haben wir auch hier schon mehrfach diskutiert - sind es gerade Frauen, die besonderen Schutz und besondere Unterstützung benötigen. Denn häufig stammen diese Frauen aus Kulturen, in denen Gleichberechti gung unbekannt ist bzw. ganz ins Gegenteil verkehrt wird.
Auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, deren Zahl stetig steigt, bedürfen unserer besonderen Fürsorge. Diese bei den Gruppen haben wir im Entschließungsantrag explizit kenntlich gemacht, um zu verdeutlichen, dass sie unsere beson dere Beachtung verdienen und besonders berücksichtigt wer den müssen.
Nun zum Thema Fordern: Sie erwähnen zwar, dass die Flücht linge die Chance erhalten müssen, an unserer Kultur teilzuha ben und unsere Kulturgeschichte kennenzulernen; das ist mir aber eindeutig zu wenig. Wir erwarten von den Menschen, die längerfristig oder dauerhaft in unserem Land leben wollen, dass sie unsere Kultur- und Werteordnung kennenlernen und anerkennen. Das erfordert Bereitschaft und aktives Engage ment und meint nicht nur die Chance, einmal hineinzuschnup pern oder sich etwas unverbindlich anzuschauen. Insbesondere grundlegende Werte wie die Religionsfreiheit, Demokratie, die Rolle der Frau, die Rolle von Homosexuellen, Gleichberechti gung, Minderheitenrechte oder das Existenzrecht Israels sind Werte, zu denen sich jeder bekennen muss, der hier leben will. Die Verpflichtung auf diese Werte ist deswegen elementar für die Integration der Flüchtlinge. Aber davon steht in Ihrem Pa pier nicht wirklich etwas.
Deswegen werbe ich für unseren Entschließungsantrag. Wer unsere Werteordnung für unsere Gesellschaft verbindlich ma chen und besonders zu schützende Gruppen unter den Flücht lingen besonders fördern will, stimmt heute bitte unserem An trag zu. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wenn wir damals den Vorschlägen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefolgt wären und die Geschäftsordnung dahin ge
hend geändert hätten, dass es möglich ist, auf unseren großen Bildschirmen etwas einzuspielen, würde ich Ihnen Bilder einer Veranstaltung vom 17. April in der St. Nicolai Kirche Oranien burg zeigen, wo ein Chor - bestehend aus Geflüchteten sowie Schülerinnen und Schülern der Musikschule „Klang-Farbe Orange“ in Oranienburg -, der über Wochen geprobt hatte, ein fulminantes Konzert aufgeführt hat. Dort hat ein professionel ler Künstler aus Syrien, dessen Nichte zwei Tage zuvor im Meer ertrunken war, ein Solo dargeboten, das uns alle zu Trä nen rührte. Der Chor hat unter anderem …
Der Chor hat das Lied „Freiheit“ von Marius Müller-Western hagen gesungen, und zwar auf Deutsch und auf Farsi. Dazu hat ein junger Syrer, ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, gerappt. Es war grandios. Am Ende der Veranstaltung, Frau Kollegin Richstein, haben alle - alle 500 Gäste und der Chor - zusammen „Der Mond ist aufgegangen“ gesungen.
Ich sage das alles, weil das gelebte Praxis ist. Genau diese ge lebte Praxis wollen wir unterstützen und mit den Flüchtlingen gemeinsam - wir sollten nicht immer nur darüber reden, wie wir sie integrieren, sondern auch den inklusiven Gedanken „Nichts über uns ohne uns!“ pflegen - besprechen, wie wir das, was sie an kulturellem Potenzial mitbringen, konzeptionell nutzen können. Dazu sind wir bereit, das wollten wir in diesen Antrag fassen.
Ich bin traurig, Frau Kollegin Richstein, dass Sie - bei allem Konsens, der hinsichtlich der Zielrichtung zwischen uns be steht - so viele Konflikte aufmachen, die ich so nicht sehe. Ich sehe einen Konflikt, und zwar den, dass wir unseren Antrag auch auf all die Gruppen beziehen, die wir hier nicht erwähnt haben - da sind wir uns einig -, aber auch auf die, die erst ein mal kein Bleiberecht haben. Wir wissen ja, wie lange es dauern kann, bis jemand ganz klare bleiberechtliche Perspektiven hat. Ein professioneller Künstler oder jemand, der ehrenamtlich als Kulturschaffender tätig war, muss doch von uns die Möglich keit bekommen, unterstützt zu werden und in einem kulturellen Zusammenhang hier zu sein, auch wenn er nicht hierbleiben darf, was wir dann in jedem Fall bedauern.