Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Liebe Kollegen, das sind durchschnittlich ein bis zwei Schüler in jeder Schulklasse; das muss man sich einmal bewusst ma chen. Das sind Kinder, die in der Regel in ihrer Persönlich keitsentwicklung zu wenig unterstützt werden und sich selbst als abweichend von der Norm erleben. Für sie ist es schwer, ein positives Selbstbildnis zu erleben. Warum eigentlich? Ha ben Sie auch - Sie alle - vielleicht bei der Vorbereitung zu die sem Antrag gelesen, dass „Schwuchtel“, „Schwuler“ und „Les be“ zu den am häufigsten von Kindern gebrauchten Schimpf wörtern gehören? Wo haben sie das her? Und muss das wirk lich sein?

Werte Kollegen! Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich noch an seine Pubertät erinnern kann, an das Erwachen und Herausbil den der eigenen Sexualität. Bei den meisten hier ist das schon eine ganze Weile her. Ich jedenfalls kann mich trotz meines ho hen Alters noch gut erinnern, und ich fand das nicht so toll. Diese Jahre waren mit vielen emotionalen Turbulenzen ver bunden, und ich kann mir vorstellen, dass das noch viel schwieriger für Menschen ist, die feststellen, dass sie anders sind als die meisten anderen. Und manche Menschen benöti gen Jahrzehnte, um zu erkennen oder sich einzugestehen, dass sie eben LSBTTI oder Q sind. Da sind dann auch noch Partner und Kinder mit betroffen. Und dann kommen die Reaktionen der Öffentlichkeit dazu, die Diskriminierungen des Alltags, von denen nach wie vor fast jede und jeder betroffen ist, der oder dem man das „Anderssein“ auf irgendeine Art ansieht.

Meine Damen und Herren, auf der Internetseite der Bundesstif tung Magnus Hirschfeld steht „Wissen schafft Akzeptanz“ - ein toller Spruch. Und ich sage: Wir müssen das Wissen schaffen.

Wir haben Ihnen heute einen Antrag dazu mit dem langen Titel „Aktionsplan für Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Trans phobie in Brandenburg“ vorgelegt. Wir wollen vorhandene Ak tivitäten in diesem Plan zusammenführen und, liebe Kristy, er mitteln, was sich bewährt hat oder was vielleicht noch fehlt, und das in einem partizipativen Prozess. Den werden wir be gleiten, kritisch begleiten. Auch diesen Plan werden wir disku tieren. Mit gezielter Aufklärung und Informationen wollen wir Vorurteile gegenüber und Ängste vor betroffenen Menschen abbauen und die Akzeptanz ihnen gegenüber stärken. Wir wol len diesen Menschen eine diskriminierungsfreie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Wie wir das im Detail erreichen wollen, können Sie in diesem Antrag nachlesen.

Klar ist: Der Abbau von Diskriminierung und Homophobie ist eine Querschnittsaufgabe und betrifft alle Lebensbereiche, du sagtest es, Kristy. Die Vorbildfunktion von Staat und Politik sollte eine entscheidende Rolle spielen. Ziel ist: Für alle Men schen ist selbstverständlich: Vielfalt ist normal.

Schließen möchte ich meinen Vortrag einmal ganz anders, nämlich mit einer Leseempfehlung. Der Sommer steht bevor, viele haben ihren Urlaub geplant, und im Vorfeld dieses Rede beitrags fiel mir sofort ein Buch ein, das mich in dieser Bezie hung sehr beeindruckt hat. Ich habe es vor mehreren Jahren gelesen, und ich wusste gar nicht - das habe ich erst jetzt erfah ren -, dass es sogar den Pulitzer-Preis bekommen hat. Es ist das Buch „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Das ist gut! - Frau Nonnemacher [B90/GRÜNE]: Das ist sehr gut!)

Dieses Buch hat mich so beeindruckt, und ich habe es - im Ge gensatz zu vielen anderen Büchern, die ich danach gelesen ha be - nicht vergessen. Es beschäftigt sich mit einem jungen Menschen, dem langsam und schmerzhaft seine Intersexualität bewusst wird. Zweites großes Thema dieses Buches ist der Völkermord an den Armeniern, ein anderes recht aktuelles Thema.

Ich bitte Sie, nehmen Sie das Buch mit in den Urlaub; ich hatte es auch aus der Bibliothek.

(Beifall des Abgeordneten Jung [AfD])

Für den Antrag bitten wir um Ihre Zustimmung, und ich bedan ke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Königer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Schwule! Sehr geehrte Lesben! Sehr geehrte Androgy ne! Sehr geehrte Bi-Gender! Sehr geehrte Frau-zu-Mann! Sehr geehrte Mann-zu-Frau! Sehr geehrte Gender Variable! Sehr ge ehrte Genderqueer! Sehr geehrte Intersexuelle! Sehr geehrte Weder-Noch-Geschlechter! Sehr geehrte Geschlechtslose! Sehr geehrte Nicht-Binäre! Sehr geehrte Pangender und Pange schlechtliche! Sehr geehrte Transmännliche und Transmänner! Sehr geehrte Transweibliche und Transfrauen! Sehr geehrte Transmenschen! Sehr geehrte Trans*! Sehr geehrte Trans*weiblich und Trans*-Frauen! Sehr geehrte Trans*-männlich und Trans*-Männer! Sehr geehrte Trans-Menschen! Sehr ge ehrte Transfeminine! Sehr geehrte Transgender! Sehr geehrte Transgender weiblich und transgender Frau! Sehr geehrte Transgender männlich und transgender Mann! Sehr geehrte Transgender Menschen! Sehr geehrte Transmaskuline! Sehr geehrte männlich Transsexuelle! Sehr geehrte weiblich Trans sexuelle! Sehr geehrte transsexuelle Männer! Sehr geehrte transsexuelle Frauen! Sehr geehrte transsexuelle Personen! Sehr geehrter Inter*-weiblich! Sehr geehrte Inter*-männlich!

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich bin doch noch nicht mit der Begrüßung fertig, Herr Präsi dent, Entschuldigung!

(Gelächter und Beifall bei der AfD)

Sehr geehrte Inter*-Männer! Sehr geehrte Inter*-Frauen! Sehr geehrte Inter*-Menschen! Sehr geehrte Intergender! Sehr ge ehrte Intergeschlechtliche! Sehr geehrte Zweigeschlechtliche! Sehr geehrte Zwitter! Sehr geehrte Hermaphroditen! Sehr ge ehrte Two-Spirit - drittes Geschlecht und sehr geehrtes viertes Geschlecht! Sehr geehrte XY-Frauen! Sehr geehrte Butch! Sehr geehrte Femme! Sehr geehrte Drag! Sehr geehrte Trans vestiten! Sehr geehrte Cross-Gender! Sehr geehrtes Null-Ge schlecht! Und natürlich auch ganz herzlich die sehr geehrten sonstigen Geschlechter!

Sehr geehrta _Nonnemacher! Sehr geehrta _Bader! Und sehr geehrta _Muhß! Die AfD-Fraktion lehnt Ihren Antrag ab. - Danke.

(Beifall AfD - Zurufe von der SPD)

Der Abgeordnete Gordon Hoffmann hat eine Kurzintervention angekündigt. Bitte schön.

Es ist schon erschreckend, dass man auf so etwas reagieren muss, aber das kann man nicht so stehen lassen. Ich habe neu lich im Feuilleton der „Zeit“ einen Artikel gelesen, der sich mit der neuen Rechten auseinandersetzte. Dort wird die AfD als „angstgetriebene Jammerlappen“ bezeichnet. Da dachte ich im ersten Moment, das ist vielleicht ein bisschen hart, kann man so nicht stehen lassen. Nach der jetzigen Rede komme ich doch ernsthaft ins Grübeln.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Herr Königer, das ist ein durchaus ernstes Thema, und wenn Sie vielleicht in Ihrem eigenen Umfeld - nicht unbedingt per sönlich, aber im eigenen Umfeld - mit Leuten offen sprächen, würden Sie vielleicht auch Fälle kennen, in denen jemand in Ihrem Bekanntenkreis plötzlich merkt: Ja, er ist schwul, er steht auf Männer. - Oder eine Frau merkt, sie steht auf Frau en. Und Sie würden dann vielleicht auch wissen, dass diese Leute teilweise sehr damit zu kämpfen, sehr darunter zu lei den haben, und dass Eltern, wenn sie erfahren, dass ihre Kin der homosexuell sind, sich teilweise dafür schämen und auch darunter leiden. Und der Grund, dass sie leiden, sind Men schen wie Sie, die Freude daran haben, sich darüber lustig zu machen.

(Starker Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

Und ich finde, Ihre infantile Rede, Ihre infantile Performance hier vorne

(Beifall CDU)

wird dem Ernst dieses Themas nicht gerecht.

Wenn es noch eines Beweises für die Notwendigkeit bedurft hätte, Toleranz und Akzeptanz sexueller Vielfalt zu fördern, dann war es diese verklemmte Rede, Herr Königer!

(Starker Beifall CDU, SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

Der Abgeordnete Königer möchte darauf reagieren. Bitte schön.

(Genilke [CDU]: Vielleicht können wir die Begrüßung weglassen!)

Sehr geehrter Herr Hoffmann, haben Sie aus unserer Fraktion jemanden lachen hören?

(Genilke [CDU]: Ach, die sollten lachen?)

Ich habe, ganz im Gegensatz zu meinen Vorrednern, alle Ge schlechter begrüßt. Die zweite Frage ist also, wer hier diskri miniert.

(Beifall des Abgeordneten Jung [AfD])

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Golze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Debatte über die Öffnung der Ehe für alle und der damals gestellten Frage der AfD, wann denn der Ge setzentwurf kommt, der es möglich macht, dass jeder seinen Gartenzwerg heiraten darf, dachte ich: Schlimmer geht es nicht mehr! - Es geht leider doch noch weiter abwärts.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Aber seis drum: Brandenburg bleibt bunt. In Anlehnung an das Motto der alljährlich durch das Land ziehenden LesBi-Schwu len Tour, mit der auf Marktplätzen und in Schulen für den res pektvollen Umgang aller Menschen miteinander geworben und über schwul-lesbische Lebensweisen aufgeklärt wird, möchte ich zum Thema des Tagesordnungspunktes zurückkommen.

Auch in diesem Jahr wird diese Tour wieder stattfinden, in der Zeit vom 3. bis 10. September. Vor etlichen Rathäusern und Kreisverwaltungen wird dann auch wieder die Regenbo genflagge wehen. Die Tour ist seit 1998 ein wichtiger Bau stein für eine offene und tolerante Gesellschaft, in der die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientie

rung ganz selbstverständlich einen gleichberechtigten Platz einnimmt.

Im Land Brandenburg sind wir auf dem Weg zu einer solchen Gesellschaft schon ein ganzes Stück vorangekommen. Denken wir zurück: 1992 ist die Landesverfassung in Kraft getreten, die in Artikel 12 das Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuel len Identität festschreibt. Wir sind aber noch nicht auf der Ziel geraden, auch wenn wir seither schon viel geschafft haben. Nen nen möchte ich hier zum Beispiel das Lebenspartnerschaftsan passungsgesetz und die Aufnahme des Themas sexuelle Vielfalt in den Rahmenlehrplan Berlin-Brandenburg mit dem Schuljahr 2017/2018. Zahlreiche Projekte für und mit Lesben, Schwu len, Bisexuellen, Transgendern und intersexuellen Menschen sind in den letzten mehr als 20 Jahren durch Unterstützung des Landes umgesetzt worden. Zuletzt wehte, wie vorhin bereits ge sagt wurde, am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie, erstmals die Regenbogenflagge vor dem Landtag - ein starkes Zeichen dafür, dass Intoleranz und Diskri minierung bei uns in Brandenburg keine Chance haben.

Gerade in der gegenwärtigen aufgeheizten politischen Debatte über unsere Grundwerte brauchen wir ein offenes und toleran tes Miteinander und ein klares Bekenntnis zu gesellschaftlicher Vielfalt. Ermutigend fand ich in diesem Zusammenhang das Ergebnis der Ende letzten Jahres veröffentlichten Studie „Quee res Deutschland 2015“, das auch zur momentan geführten De batte über vermeintlich erwünschte oder unerwünschte Nach barn passt. Danach würden es 70 % der befragten Brandenbur gerinnen und Brandenburger begrüßen, wenn nebenan ein schwules oder lesbisches Paar einziehen würde. Mit dieser Zu stimmungsquote landete Brandenburg bundesweit auf Rang eins. Sie sehen also: Die Mehrheit der hier lebenden Menschen denkt tolerant.

Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass schwule, lesbische und Trans-Menschen im Alltag auch heute noch Vor urteilen, Intoleranz und Unkenntnis begegnen. Das zeigte zu letzt eine Umfrage zur Diskriminierung in Deutschland, wo nach aufgrund des Geschlechts und der Geschlechtsidentität fast jede zehnte Person in den letzten zwei Jahren diskriminiert wurde. Hier sind wir alle gefordert, einen Beitrag zu mehr Auf klärung zu leisten.

Wir müssen auch den Blick auf das Bundesrecht richten. Die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaf ten oder die längst überfällige Rehabilitierung und Entschädi gung der nach 1975 wegen ihrer Homosexualität verurteilten Menschen - Frau Augustin sprach davon - bleiben leider, wie es scheint, auch für die kommenden Jahre als offene Forderun gen bestehen. Brandenburg wird sich hier auch weiterhin für die Rechte der Betroffenen stark machen, für das Recht auf Anerkennung, Gleichstellung und Wiedergutmachung erlebten Unrechts.

Die nun vorliegenden Fraktionsanträge zur Erarbeitung eines Aktionsplans für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sowie gegen Homo- und Transphobie treffen in diesem Sinne also auf bereits langjährige Aktivitäten der Landesregie rung. Wir verfolgen insofern die gleichen Ziele. Ich bitte Sie jedoch, konsequent zu sein und als Haushaltsgesetzgeber dafür zu sorgen, dass im Falle der Beschlussfassung auch die not wendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um einen Aktionsplan realisieren zu können.

Des Weiteren stimme ich den Antragstellern zu, dass ein sol cher Aktionsplan nicht vom grünen Tisch eines Büros der Lan desregierung aus erarbeitet werden kann. Ein solcher Plan lebt davon, dass er von der Community maßgeblich mitgestaltet wird. Es gilt, in diesem Prozess aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Dass diese Einschätzung geteilt wird, zeigt der in dem Antrag geforderte breite Partizipationsprozess bei der Erstel lung des Aktionsplans.

An dieser Stelle möchte ich den Finger auf einen wunden Punkt legen: Die Einmütigkeit, mit der die Interessenverbände auf Landesebene aus Anlass des Hissens der Regenbogenflag ge vor dem Landtag einen solchen Aktionsplan eingefordert haben, ist in den letzten Jahren leider nicht immer kennzeich nend für das Zusammenwirken der Community gewesen. Ein gemeinsames Handeln aller Menschen, die sich den Zielen die ses Aktionsplans verbunden fühlen, wäre ein starkes Signal und eine wunderbare Unterstützung. Ich möchte daher an die handelnden Personen appellieren, Konflikte beizulegen und sich gemeinsam konstruktiv für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen in Brandenburg einzusetzen. Dies würde uns allen helfen, die Ziele, für die wir uns einsetzen, zu erreichen. Ein sichtbares Zeichen hierfür wären eine gemeinsame Erklärung der auf Landesebene aktiven Verbände zur vertrauensvollen Zusam menarbeit und vor allem die Einigung auf eine gemeinsame Arbeitsplattform für die Erstellung des Aktionsplans. Bitte bringen Sie mich und mein Haus nicht in die Lage, den Schiedsrichter spielen zu müssen. So viel Gemeinsamkeit muss möglich sein. - Herzlichen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.