Protokoll der Sitzung vom 15.07.2016

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Tel tower Rübchen“ haben wir mit diesem Thema und dieser De batte schon erfolgreich vertrieben.

(Lachen bei der SPD)

„Ich bin für die Probleme nicht verantwortlich und ich kann sie auch nicht lösen. Es wird reichlich Klagen ge ben, egal, was wir machen!“

Mit etwa diesen Worten eröffnete Herr Prof. Brüning vom Lo renz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel seinen Vortrag im Aus schuss für Inneres und Kommunales am 30. Juni 2016. Die An fertigung der Gutachten war lange Zeit misstrauisch beäugt worden; ich denke aber, dass Prof. Brüning durch seine kennt nisreichen und pointierten Ausführungen alle Zweifel an seiner Expertise zerstreuen konnte.

Brandenburg ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfas sungsgerichtes in eine missliche Lage geraten, in der sich an dere Bundesländer so nicht befinden. Dies liegt an der etwas eigentümlichen Rechtsprechung seines zuständigen Oberver waltungsgerichtes, das das Entstehen einer sächlichen Bei tragspflicht für Erschließungsanlagen mit dem Vorliegen einer rechtswirksamen Satzung seit 2007 auch auf Altfälle angewen det hat. Diese Anwendung des 2004 vom Landtag geänderten brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes wurde vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt, da sie ge gen das Rückwirkungsverbot verstößt.

Bei der ganzen Angelegenheit ist man geneigt, von einer ge wissen „Tragik des Rechtsstaates“ zu sprechen. Sowohl die Aufgabenträger in den Zweckverbänden und Kommunen als auch die Landesebene können darauf verweisen, dass sie sich in ihrem Handeln treu an die höchstrichterlichen Vorgaben ge halten haben. Die Vorgehensweise ist auch vom Landesverfas sungsgericht Brandenburg in seinem Urteil vom November 2013 nicht beanstandet worden. In einer extrem schwierigen Materie, in der zwischen juristisch korrektem Vorgehen und dem Gerechtigkeitsempfinden der Betroffenen seit Jahren eine große Lücke klafft, ist für die Menschen noch mehr Unsicher heit entstanden. Der ideale Boden für Schuldzuweisungen, Rechthaberei, neues Ungerechtigkeitsempfinden - und eine Sternstunde für die Freunde der einfachen Lösungen!

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Ich muss jetzt einmal sagen, Kollege Schulze: Ich finde das nicht mehr in Ordnung, was Sie hier mit Ihren Kurzinterventio nen fabrizieren!

(Beifall B90/GRÜNE und SPD)

Ich habe geschildert, dass wir uns alle an die Vorgaben der Ge richte, der Rechtsprechung gehalten haben. Prof. Brüning sagte im Ausschuss, selbst er als ausgewiesener Experte habe das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht erwartet. Aber Sie wis sen schon seit Jahren, was recht und billig ist!

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE - Bischoff [SPD]: Na klar!)

Ich habe mich damals bei der Verhandlung der Geschäftsord nung massiv für Kurzinterventionen in der alten Form einge setzt; mir kommen langsam Zweifel, ob meine Entscheidung richtig war.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE - Bischoff [SPD]: Ich habe es doch gesagt!)

Der Kern der sehr vielschichtigen Materie besteht darin, dass nur die nicht bestandskräftigen Bescheide rückabgewickelt werden müssen, und zwar von den kommunalen Aufgabenträ gern. Diejenigen, die Rechtsmittel eingelegt, die Stundung be antragt haben oder noch nicht veranlagt wurden, haben Glück. Bestandskräftige Bescheide müssen hingegen nicht aufgeho ben werden. Oder, wie es der Gutachter treffend formulierte: Der Ehrliche ist der Dumme. - Darin liegt die Tragik dieses Urteils.

Ob es im Sinne einer politischen Lösung richtig ist, Ermessen im Sinne einer „Befriedung des Landes“ auszuüben und auch alle bestandskräftigen Bescheide aufzuheben, ist der Kern des CDU-Antrages. Für die sehr ernsthafte Prüfung dieser Option hat sich auch meine Fraktion mehrfach ausgesprochen. Der CDU-Antrag wählt vorsichtige Töne - das war nicht immer so. Da ist von „Handlungsempfehlungen“, „Vorsorgemaßnahmen“ und „Unterstützung bei der Schaffung von Rechtsfrieden“ die Rede. Die CDU hat die von Zahlungsunfähigkeit bedrohten Zweckverbände im Blick, die durch die verpflichtend zurück zuzahlenden Beiträge in Schieflage geraten werden. Dass die CDU das in Antragsform gießt, was wir uns alle wünschen - Vorschläge, wie auch die Rückzahlung der Beiträge aus be standskräftigen Bescheiden zu bewerkstelligen ist -, ist ihr gu tes Recht. Wir erwarten diese Vorschläge im zweiten Gutach ten von Prof. Brüning, und wir erwarten Vorschläge zu einer politischen Lösung von der Landesregierung und den Koalitionsfraktionen.

Wir werden dem CDU-Antrag zustimmen. BVB/FREIE WÄH LER haben die Rückerstattung der Beiträge aus bestandskräftigen Bescheiden mit knapper Fristsetzung im Blick und las sen - wie leider häufig bei diesem Thema - differenziertere Tö ne vermissen.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Zu uns spricht Minister Schröter für die Lan desregierung.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Ab geordnete! Verehrte Frau Nonnemacher, vielen Dank für Ihren Beitrag!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Sie haben es mit Ihrer Sachlichkeit, aber auch Ihrer Fachlich keit ein weiteres Mal geschafft, meinen Blutdruck zu normali sieren.

(Bretz [CDU]: Das ist eine Schande! - Schulze [BVB FREIE WÄHLER Gruppe]: Was ist mit dem Blutdruck der Betroffenen?)

Anderen gelingt es regelmäßig, ihn auf einen übertrieben ho hen Wert zu bringen.

(Bretz [CDU]: Prof. Brüning muss die Koalition retten!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, Herr Schulze, während Sie hier im Landtag exponiert für die Innen politik Verantwortung trugen, habe ich als Landrat in einem Bereich dieses Landes kommunalpolitische Verantwortung ge tragen. Unter anderem habe ich dafür gesorgt, dass Satzungen rechtmäßig beschlossen und vernünftige Gebührenerhebungen möglich wurden.

Herr Petke, Herr Schulze, ich mache Ihnen Ihre damaligen Handlungen nicht zum Vorwurf, denn ich weiß, Sie taten es in guter Absicht. Sie fühlten sich durch ein Urteil des OVG gera dezu aufgefordert, eine Heilung vorzunehmen. Nur dass Sie Ihre gute Absicht nunmehr aus politischem Kalkül vergessen haben, wundert mich.

(Beifall SPD)

Sie könnten hier auftreten und sagen: Was damals beschlossen wurde, war der Versuch einer Heilung. - Warum tun Sie das nicht? Ich würde an Ihrer Stelle ganz anders mit diesem Thema umgehen, denn es war ja, wie gesagt, gut gemeint.

(Zuruf des Abgeordneten Schulze [BVB FREIE WÄH LER Gruppe])

Lassen Sie mich eingangs feststellen: Es ist kein flächende ckendes Problem in Brandenburg. Da, wo ich wohne, und da, wo ich arbeite, kennt man es gar nicht. Warum nicht? Offen sichtlich ist die Gebührenerhebung korrekt vonstattengegan gen. Das bedeutet, dass die Grundlagen, die Gesetzlichkeiten, nicht falsch gewesen sein können. Wären sie es gewesen, hät ten wir in Brandenburg ein flächendeckendes Problem.

Kollege Schulze, ich betitele Sie einmal als Kronzeugen, denn was Sie über Lübben gesagt haben, ist der Beweis dafür, dass sich die Kommunen durch vernünftige kommunalpolitische Entscheidungen selbst aus dieser verzwickten Situation befrei en und die Fehler heilen können, ohne vom Land zentralisti sche Vorgaben zu erhalten. Wir müssen bzw. dürfen den Kom munen keine Vorschriften machen, was sie zu tun haben.

Herr Minister, lassen Sie eine Frage zu?

Immer gern. Auf Herrn Schulze reagiere ich besonders gern.

Wunderbar. Herr Minister, würden Sie einräumen, dass Sie den Kommunen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil in drei Runderlassen geschrieben und - ich will es einmal vorsichtig formulieren - mit ernsten Bedenken gedroht haben, wenn sie die Beiträge aus bestandskräftigen Bescheiden nolens volens zurückzahlen? Sie sagten eben, ich hätte mit Lübben ein gutes Beispiel angeführt. Für Lübben war nach Ihren Runderlassen eine Lösung über einen Zweckverband gar nicht mehr mög lich.

Herr Schulze, wir haben nicht gedroht.

(Schulze [BVB/FREIE WÄHLER Gruppe]: Na ja!)

- Nein, wir haben nicht gedroht, sondern in unserem Runder lass darauf hingewiesen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um Beiträge aus bestandskräftigen Bescheiden zu rückzuzahlen.

(Beifall SPD)

Wir haben darauf aufmerksam gemacht, dass eine Rückzah lung nach pflichtgemäßem Ermessen möglich ist, und wir ha ben den Prüfalgorithmus zur Kenntnis gegeben. Im Übrigen fordern Sie in Ihrem Antrag ja eine Verpflichtung und keinen Hinweis ein. Wir haben getan, was kommunalrechtlich mög lich ist: Wir haben Hinweise gegeben. Ich denke, das war für viele sehr hilfreich. Einige Kommunen haben das Rundschrei ben zum Anlass genommen, zu prüfen. Einige haben zum Teil zurückgezahlt, andere eben nicht.

Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Nach dem Vortrag von Prof. Brüning hatte ich den Eindruck, dass nicht nur alle Abgeordneten, sondern alle im Saal Anwe senden zwei Dinge begriffen hatten. Erstens: Es ist eine hoch komplizierte Rechtsmaterie. Zweitens: Es wird in diesem Land keinen einheitlichen, keinen Königsweg geben können. Des halb möchte ich Ihnen folgenden Vorschlag unterbreiten - den Rest meiner Rede schenke ich mir -: Wir werden, wenn Prof. Brüning seinen zweiten, den wesentlichen Teil fertiggestellt hat, eine größere Veranstaltung in Potsdam organisieren, die nicht nur den Mitgliedern des Innenausschusses Gelegenheit gibt, sich über diese Problematik zu informieren,

(Vereinzelt Beifall SPD)

sondern wir werden den gesamten Landtag einladen - ebenso wie die Vorstände der Abwasserzweckverbände und die Bür germeister, um ihnen zu diesem sehr komplizierten Sachver halt noch einmal eine große Expertise zugänglich zu machen.

(Beifall SPD)

Ich kann Ihnen mitteilen, dass der Landeswasserverbandstag ebenfalls in dieser Richtung weiterarbeitet. Am 19. Juli werden Experten zu diesem Thema zusammenkommen, um die Verant wortungsträger der Zweckverbände zu unterrichten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der felsen festen Überzeugung: Wenn Prof. Brüning ein zweites Mal so vorträgt, wie er es im Innenausschuss getan hat, dann werden Sie alle zu der Überzeugung gelangen, dass die Kommunen durch kommunalpolitisches Handeln in der Lage sind, die Din ge zu organisieren, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen klar abgesteckt sind. Die Landesregierung wird dazu einen Beitrag leisten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Die Aussprache wird mit dem Beitrag des Ab geordneten Petke fortgesetzt. Er spricht noch einmal für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war eine harte Woche für Rot-Rot. Sie begann mit einer Debatte zur Kommunalreform, mit einer gewohnt schwachen, wenn nicht der schwächsten Rede des SPD-Fraktionsvorsit zenden.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Dann hatten die Grünen den Mut, der Kommunalreform nicht zuzustimmen. Und auch die gestrige Fragestunde hatte es in sich. Da wird ein Problem aus der Vorzeit,

(Unmut bei der SPD)