Protokoll der Sitzung vom 28.06.2017

Der Anteil der über 65-Jährigen an den Leistungsempfängern betrug 32,7 % und lag damit unter dem der voll erwerbsgemin derten Leistungsempfänger, der 67,3 % beträgt. 13,4 % der brandenburgischen Bevölkerung leben mit einem Armutsrisi ko. 13,4 %!

(Zuruf von der CDU: Oh!)

- Das ist aber interessant, dass von hier hinten ein „Oh!“ kommt. Das ist eine ganze Menge!

(Zuruf von der CDU: Das kam nicht von dort hinten, son dern von hier! - Gelächter bei der SPD)

17,1 % der Kinder sind überdurchschnittlich betroffen. Men schen im Ruhestandsalter sind zu 8,2 % betroffen. Das höchste Armutsrisiko haben junge Menschen in der Ausbildung. Sie sind zu 24,1 % betroffen.

Was hat die SPD Gutes getan - da diese Zahlen so hoch sind? Das müssten Sie einmal erklären. Das hat lhre Ministerin leider auch nicht erklärt.

(Minister Baaske: Wir haben etwas getan, damit die Zah len eben nicht so hoch sind!)

- Ach, Sie haben etwas dafür getan, dass die Zahlen nicht so hoch sind, Herr Baaske? - Aha! - Schlimm genug, dass diese Zahlen so hoch sind.

(Zuruf des Abgeordneten Genilke [CDU])

Wir haben uns hier im Landtag nicht erst heute mit dem Thema Armut beschäftigt. Wir haben das Thema immer wieder als Querschnittsproblem in verschiedenen Anfragen angespro chen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Kinderarmut und den Tafeln. Dazu gibt es Kleine Anfragen von uns - weil Sie ja behaupten, wir würden uns erst heute mit dem Thema beschäf tigen, was völliger Blödsinn ist.

Der Landesregierung scheint zu den spezifischen Aspekten von Armut entweder die Datenlage zu fehlen oder aber sie hat kein Interesse, entsprechende Zahlen vorzulegen.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Lachen der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Wir haben aus unseren regelmäßigen Bürgerdialogen erfahren, dass es im Land eine große Anzahl von Personen gibt, die fi nanzielle Probleme haben, ganz anders, als die Landesregie rung immer wieder gern behauptet.

Einzubeziehen in diesen runden Tisch, der übrigens ein Kon zept liefern soll - er soll sich nicht zusammensetzen und wieder irgendwelche Zahlen zusammentragen, denn Zahlen liegen ge nügend vor -, sind die Wohlfahrts- und Sozialverbände. Auch Gruppen Langzeitarbeitsloser, die Hartz-IV-Empfänger vertre ten, sollen dabei sein und Vertreter der - sie wurde schon ange sprochen - Landesarmutskonferenz. Da muss ich ganz ehrlich etwas sagen - ich war letztes Jahr auf der Landesarmutskonfe renz -: Es ist ein Armutszeugnis für diese Landesregierung und die SPD hier im Land, dass es überhaupt notwendig wurde, ei ne Landesarmutskonferenz in Brandenburg einzurichten.

(Beifall AfD - Widerspruch bei der SPD - Ministerin Gol ze: Das ist ein Armutszeugnis! - Frau Bessin [AfD]: Es ist ein Armutszeugnis für Sie, dass man einen solchen An trag stellen muss!)

Ich schließe die Aussprache und rufe den Änderungsantrag der CDU-Fraktion - Änderung des Antragstextes -, Drucksa che 6/6875, zur Abstimmung auf. Wer stimmt dem Änderungs antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe zur Abstimmung über den Antrag der AfD-Fraktion „Einrichtung eines Runden Tisches für ein lösungsorientiertes Konzept zur Bekämpfung der Armut in Brandenburg“, Druck sache 6/6774, auf. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Bei drei Enthaltungen ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 4 und rufe den Tages ordnungspunkt 5 auf:

Alle Alt- und Neuanschließer gerecht behandeln: Kei ne weitere Verschleppung der Rückzahlungen

Antrag der BVB/FREIE WÄHLER Gruppe

Drucksache 6/6803

Die Aussprache wird von der Gruppe BVB/FREIE WÄHLER eröffnet, vom Abgeordneten Vida. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die Erhebung der Altanschließerbeiträge eines der besorgniserregendsten Ka pitel in der Brandenburger Abgabenhistorie ist. Tausende Fa

milien wurden in Sorgen und Nöte getrieben. Und mit einer gewissen Unerbittlichkeit wurden die Beiträge auch eingetrie ben, begleitet von Verzugszinsen, Säumniszuschlägen, und das leider orchestriert von einer breiten Mehrheit in diesem Land tag, die auch noch zwei Monate vor den richtungsweisenden Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts hier verkündete, dass in Brandenburg alles korrekt sei.

Noch im September 2015 wurden all unsere Anträge hier in diesem Haus verlacht und abgelehnt. Dann kamen die Ent scheidungen aus Karlsruhe, und die Verfassungshüter schrie ben Ihnen ins Stammbuch, dass offensichtlich verfassungswid rig gehandelt wurde.

Hat sich bis heute jemand dafür entschuldigt? - Und mit Ent schuldigung meine ich nicht „Es tut uns leid, dass es dazu ge kommen ist“, sondern dass man dem Bürger entgegentritt und etwas dafür tut, das Vertrauen in die Abgabengerechtigkeit und rechtsstaatliche Abgabenstrukturen wiederherzustellen. Nein, ich weiß: Das haben Sie und hatten Sie nicht nötig. Aber die Betroffenen hätten es wahrlich nötig gehabt, dass ihnen gehol fen wird. Das war bis 2015 nicht der Fall und ist - leider, lei der - in weiten Zügen bis heute nicht der Fall.

Was erleben wir seitdem? Viele Verbände verweigern die Rückzahlung - übrigens auch nichtbestandskräftiger Beschei de, der bestandskräftigen sowieso. Und die Menschen leiden darunter, dass sie, nachdem sie unter Druck gezahlt haben - und es war ein erheblicher Druck, der ausgeübt worden ist -, nun auf ihren Kosten sitzen bleiben.

Ich frage die Vertreter der Linken: Wie können Sie das den Bürgern Ihres Wahlkreises angesichts Ihres Versprechens von sozialer Gerechtigkeit erklären? Das ist wahrlich keine linke Politik, und das meine ich nicht polemisch.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE] - Dr. Scharfenberg [DIE LINKE]: Vermeiden Sie das Wort „Ehrlichkeit“!)

Das meine ich ganz ehrlich, weil ich sehr viel darüber nachge dacht habe. Wie können Sie gegenüber den Menschen vertre ten, dass die, die keinen Widerspruch eingelegt haben, jetzt dermaßen alleingelassen werden? Das finde ich sehr, sehr ent täuschend und in weiten Teilen auch beschämend.

Wir haben es mit einem komplexen verfassungswidrigen Ver halten zu tun, und dieses muss bereinigt werden. Doch stattdes sen erleben wir, dass weiter auf Frustration gesetzt wird. Und man hat das Gefühl, dass man in manchen Verbänden immer wieder versucht, die Zahl derer, die weiter kämpfen und sich weiter wehren wollen, zu verkleinern, damit sich das Problem verkleinert, indem sich die Fallgruppen verkleinern und Teile abgeschält werden. Aber das geht nicht.

Über 250 000 Haushalte waren von der Altanschließerbeitrags erhebung betroffen, und fast überall - landauf, landab - wird die Rückzahlung bestandskräftiger Bescheide abgelehnt. Doch selbst bei nichtbestandskräftigen Bescheiden erleben wir Fol gendes: Bürger haben Widerspruch eingelegt, konnten sich die Zahlung aber nicht leisten, haben Stundungszinsen auferlegt bekommen, haben Säumniszuschläge zahlen müssen, und jetzt, wo sie aufgrund ihrer nichtbestandskräftigen Bescheide die Rückzahlung fordern, bekommen sie die Rückzahlung zwar,

aber diese wird mit den Säumniszuschlägen und den Stun dungszinsen, die damals erhoben worden sind, verrechnet. Ob wohl diese Säumniszuschläge auf eine verfassungswidrige Hauptforderung zurückgehen, erfolgt jetzt eine Verrechnung mit der Rückzahlung.

Wie sieht es nun bei Bürgern aus, die keinen Widerspruch ein gelegt haben, die also bestandskräftige Bescheide kassiert ha ben? Wir haben den Bürgern im 4. Quartal 2016 empfohlen, Staatshaftungsanträge zu stellen. Auch dafür wurden wir von manchen - es war schon eine kleinere Gruppe - hier auch aus gelacht, da das falsch sei.

Es gingen auch Empfehlungen durchs Land. Ich kenne einige, wo den Bürgern gesagt wurde: Hört nicht darauf! Reicht diese Staatshaftungsmusteranträge nicht ein! - Doch Tausende, Zehntausende, wie ich jetzt weiß, haben es getan. Und nun war die erste Musterklage vor dem Landgericht Frankfurt im letz ten Monat erfolgreich. Was höre ich hier im Landtag? Irgend ein Eingeständnis? Irgendeine klare Aussage: Okay, wir hören jetzt auf mit diesen Prozessen, wir hören damit auf, dass die Bürger immer wieder Widerspruch einlegen müssen, neue An träge stellen, gegen die Widerspruchsbescheide klagen müs sen?

Nein! Ein ohrenbetäubendes Schweigen durchzieht den Land tag - auch jetzt noch. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat den Staatshaftungsanspruch zugebilligt, und zwar ganz klar. Wenn jetzt nicht eingelenkt wird - es gibt, wie ich gestern erfahren habe, auch eine erfolgreiche Klage auf Staatshaftung vor dem Landgericht Cottbus und vier weitere Fälle vor dem Landge richt Frankfurt -, werden weitere Millionen Euro an unnötigen Anwalts- und Gerichtskosten entstehen. Das hat nichts mit Umverteilung zu tun: Zahlung per Beitrag oder per Gebühr; darüber, welches Finanzierungsmodell man wählt, kann man ja streiten. Es ist einfach zusätzliches Geld, was die Gebühren in die Höhe treibt.

Ich frage Sie ehrlich: Was muss noch geschehen? Wie lange sollen die Menschen noch frustriert werden?

Es geht weiter: Selbst diejenigen, die Widerspruch eingelegt haben, drohen in manchen Gebieten leer auszugehen, weil die Verbände sagen: Der Bundesverfassungsgerichtsbeschluss gilt bei uns nicht. - Die sind noch kühner als der Innenminister, und das will was heißen. Die Verbände sagen: Ja, es ist zwar eine Anschlussleitung aus den 70ern, und ja, ihr habt Widerspruch eingelegt, aber euer Ortsteil kam erst 2005 zu unserem Ver band. Damit ist eine neue Vorteilslage entstanden, die Verjäh rung beginnt von neuem zu laufen, also habt ihr keinen Ver trauensschutz. Es geht immer um dieselbe rostige Leitung aus den 70ern, die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung gilt ei gentlich auch, und durch die Eingemeindung in den Verband soll eine vertrauensschutznegierende Verjährung von neuem zu laufen beginnen. Das kann doch keinen ehrlich denkenden Ab geordneten und vor allem keinen Juristen schweigen lassen.

Im Übrigen gibt es auch dazu Urteile: Das Verwaltungsgericht Frankfurt und das Verwaltungsgericht Potsdam sagen, dass es so nicht geht. Trotzdem machen es die Verbände. Das können wir doch nicht einfach hinnehmen. Ich bitte Sie eindringlich: Setzen Sie dem ein Ende!

Ich glaube - auch darüber kann man natürlich streiten -, dass man den sozialen Frieden nur herstellen kann, wenn das Land

die Kosten trägt. Ich weiß, dass es um viel Geld geht. Die Ver bände haben Schadensersatzforderungen in Höhe von 300 Mil lionen Euro angemeldet, einige Verbände werden noch hinzu kommen; es ist damit zu rechnen, dass die Verbände Schadens- bzw. Regressansprüche von ca. einer halben Milliarde Euro geltend machen werden. Wir müssen unabhängig davon, dass die Bürger das Geld zurückbekommen, auch politisch einen Weg finden, dass das Land die Kosten übernimmt. Aufgrund der Komplexität der Fallgruppen und der Vielfalt der Interes senlagen, die mir nicht verborgen geblieben sind, schlagen wir vor, ein Gremium, bestehend aus allen interessierten Gruppen, den Wasserverbänden, dem Städte- und Gemeindebund, Ver tretern der Abwasserinitiativen und natürlich auch der Landes regierung, zusammenkommen zu lassen und ein Konzept zu erarbeiten, wie - über eine gewisse Zeit gestreckt - das Land die Kosten für die Verbände übernehmen kann. Ich bitte Sie, helfen Sie mit, dass wir eine gerechte und sozialverträgliche Lösung für die Bürger und die Verbände hinbekommen. Dazu soll dieser Antrag dienen. - Vielen Dank.

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Kurth.

Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ziffer 1 des vorliegenden Antrags soll eine Feststellung treffen, und zwar die, dass durch die Rückzahlung aller rechtswidrig erhobenen Kanalanschlussbeiträge in unse rem Land etwas erreicht werden kann, nämlich Gebühren- und Beitragsgerechtigkeit.

Gerechtigkeit - was für ein hehres Ziel! Was für eine tolle Visi on! Wer würde da nicht mit anpacken wollen? Aber eigentlich wissen wir doch: Diese vollständige Gerechtigkeit wird es nicht geben können, nicht nach 27 Jahren Kommunalabgaben recht in Brandenburg, nicht nach den Wirren des Satzungs rechts nach der Wende, nicht nach den Höhen und Tiefen von Heilungsversuchen, an denen manche Protagonisten von heute schon damals nicht unbeteiligt waren, und vor allem nicht nach den jähen Wendungen der Rechtsprechung.

Die Schmutzwasserentsorgung wird über drei Säulen finan ziert: Benutzungsgebühren, Beiträge und Verbandsumlagen. - So steht es im Kommunalabgabengesetz. Wenn wir jetzt alle Verbände zwingen, zukünftig auf Anschlussbeiträge zu ver zichten und alle bereits gezahlten Beiträge zurückzuzahlen, dann finanzieren die Verbände das wie folgt: durch steigende Gebühren und Verbandsumlagen. Wo bislang Beiträge erhoben worden sind, waren die Gebühren niedriger; das ist eine einfa che Rechnung. Wer deshalb früher geringere Gebühren zu zah len hatte, bekäme jetzt seinen Beitrag zurück. Wäre das ge recht? Wenn die Mitgliedskommunen jetzt Verbandsumlagen zahlen müssen, natürlich aus Steuergeldern, um Beiträge zu rückzuerstatten - wäre das gerecht? In einigen Verbänden wur de bereits vor vielen Jahren auf Gebühren umgestellt, Beiträge wurden bereits zurückgezahlt, natürlich mit der Folge gestiege ner Gebühren. Mancherorts sind nie Beiträge erhoben worden. Und jetzt sollen wir dieses Landesgeld - das Steuergeld aller Brandenburgerinnen und Brandenburger - einsetzen, um das Problem einzelner Verbände zu lösen. Wäre das gerecht?

Wir werden volle Gerechtigkeit nicht schaffen können. Wir werden, im Gegenteil, bei dem Versuch, Gerechtigkeit zu schaffen, neue, vielleicht noch größere Ungerechtigkeiten schaffen. Das ergibt sich auch aus dem vorliegenden Gutach ten. Ganz nebenbei: Das Land kann die Rückzahlung von Kommunalbeiträgen auch nicht anordnen. Denn die Kommu nen sind zuständig. Wasserver- und Abwasserentsorgung sind Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft, die die Gemeinden in eigener Verantwortung erfüllen - so steht es in § 2 Abs. 2 der Brandenburgischen Kommunalverfassung.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. - Auf der gemeindlichen Ebene sollten die Entscheidun gen auch getroffen werden. Die Aufgabenträger müssen an hand der örtlichen Verhältnisse in eigener Zuständigkeit ent scheiden, welche Konsequenzen sie aus den Entscheidungen des Verfassungsgerichts ziehen. Dies alles haben wir hier mehrfach erörtert, und es ist Ihnen, Frau Kollegen Schülzke, zuletzt auch in der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage 2653 von der Landesregierung erläutert worden.