Es ist traurig, dass nicht über Kinderschänder, die Steinewerfer der anderen Parteien, die Mauerschützen oder über die vielen Opfer, die wir in Cottbus schon zu beklagen haben, gesprochen wird, dass wir nicht über Opfer wie Mia und Maria und die Op fer des Anschlags auf dem Breitscheidplatzes sprechen und dass diese Debatte über das „Tolerante Brandenburg“ genutzt wird, um eine demokratische Kraft, unsere Alternative für Deutsch land, hier niederzumachen. Das ist dieses Hauses nicht würdig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Woidke, Sie haben heute hier nicht nur eine, sondern bereits mehrere rote Linien überschritten. Sie sind der Ministerpräsident unseres Landes, und Sie haben sich hier heute in einer Art und Weise produziert, die Ihnen im Grunde nicht zusteht; denn Sie haben eine gewisse Neutralität zu wahren.
Was Sie heute gesagt haben, trägt mit Sicherheit nicht dazu bei, dass Sie in Zukunft mehr Akzeptanz finden, als es momentan der Fall ist. Sie haben eindeutig gesagt, dass Sie die Kräfte und Akteure aus dem linken Bereich in Brandenburg unterstützen wollen, die sich gegen Rechtspopulismus etc. wehren.
(Widerspruch bei der SPD - Ministerpräsident Dr. Woid ke: Habe ich nie gesagt! - Bischoff [SPD]: Wer hat Ihnen diesen Scheiß aufgeschrieben?)
Das Ergebnis solcher Reden ist einfach nur linke Gewalt, die wir in Brandenburg überall erleben. Ich erinnere nur an mein eigenes Bürgerbüro in Finsterwalde, das regelmäßig linksterro ristischen Angriffen ausgesetzt ist und ständig „entglast“ wird, wie man in Antifa-Kreisen zu sagen pflegt. Das, Herr Minister präsident, haben Sie alles ausgespart; diese Gewalt existiert für Sie nicht.
Sie haben auch gesagt, dass uns das „Tolerante Brandenburg“ ärgere. Nein, das „Tolerante Brandenburg“ ärgert uns nicht. Uns bestürzt nur, dass Sie auf dem linken Auge blind sind, dass Sie nichts gegen Linksterrorismus, gegen Linksextremismus unternehmen und dass Sie all das, was hier in Brandenburg an linker Gewalt verübt wird, tolerieren.
(Domres [DIE LINKE]: Die zwei Minuten sind um! - Ge genruf des Abgeordneten Galau [AfD]: Das entscheidet immer noch die Präsidentin!)
Ich möchte schon kurz etwas dazu sagen. Ich finde es ja interes sant, dass Sie sich diese Jacke anziehen. Das spricht Bände.
(Frau Schade [AfD]: Das ist jetzt aber primitiv! Das steht Ihnen nicht! - Galau [AfD]: Wie war das mit „scheinhei lig“?)
(Beifall SPD und DIE LINKE sowie des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE] - Galau [AfD]: Das ist doch schein heilig! - Weitere Zurufe von der AfD)
Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht die Abgeordnete Gossmann-Reetz für die SPD-Fraktion.
(Frau Schade [AfD]: Das war nicht gut! - Frau Bessin [AfD]: Da kann man nur Danke sagen! - Gegenruf von Ministerpräsident Dr. Woidke: Immer wieder gerne! - Gegenruf der Abgeordneten Bessin [AfD]: Na, wir haben keine Angst vor der nächsten Wahl! - Königer [AfD]: Machen Sie ruhig weiter den Stegner von Brandenburg! Dann wird das auch was!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Demokratie braucht Demo kraten - starke Demokraten. Aber wie stärkt man die Demokra tie? Betrachten wir gemeinsam vier Grundlagen, die im Zusammenspiel Demokratie ermöglichen.
Erstens. Die internationale Lage muss Demokratie fördern. Ohne den Zusammenbruch der Sowjetunion wäre die Demo kratie in Brandenburg nicht möglich gewesen.
Zweitens. Polizeiliche und militärische Gewalt müssen ziviler Kontrolle unterliegen; ansonsten können sie zur Verhinderung von freien Wahlen oder zur politischen Willensbildung miss braucht werden. Stasi und sowjetische Besatzungstruppen sind in Brandenburg Geschichte. Polizei und Verfassungsschutz wer den vom Parlament kontrolliert, und die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
Drittens. Die Demokratie benötigt eine breite Streuung von Machtressourcen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Dar um ist die politische Macht in Brandenburg auf unterschied lichste Institutionen aufgeteilt. Dazu gehört nicht nur die Ge waltenteilung zwischen Landesregierung, Parlament und Justiz, sondern dazu gehören auch die kommunale Selbstverwaltung, das Kartellrecht, die Kommission zur Ermittlung der Konzent ration im Medienbereich usw. und nicht zuletzt der Oppositi onszuschlag für diejenigen Fraktionen im Parlament, die nicht die Regierung stellen, damit auch Minderheiten ihre Positionen
vertreten können - selbst wenn dieser Zuschlag derartig miss braucht wird, wie wir es heute erlebt haben.
(Vereinzelt Beifall SPD - Galau [AfD]: Aha! Demokratie ist immer, wenn alle das machen, was Sie wollen, oder?)
Viertens. Die Demokratie braucht eine aktive Zivilgesellschaft. Menschen, die jahrelang in einer Diktatur entmündigt wurden, verwandeln sich nicht von heute auf morgen in aktive Demo kraten. Im Gegenteil - und das haben wir hier bitter erfahren müssen -: Sie brauchen Zeit und Übung,
um demokratische Willensbildung zu verstehen und aktiv anzu wenden. Und sie müssen lernen, dass sie im Gegensatz zu einer Diktatur in einer Demokratie nicht allein auf staatliche Ent scheidungen und Leistungen setzen können, sondern als Staats bürger selbst handeln können und müssen.
Und hier setzt das Konzept „Tolerantes Brandenburg“ immer wieder erfolgreich an. Es unterstützt die Bürger vor Ort, die sich für Mitmenschlichkeit, eine offene Gesellschaft und Teil habe einsetzen. Nicht hilfreich dabei sind apokalyptische Äuße rungen, die keinen Beitrag zur Problemlösung leisten, sondern nur Ängste schüren. Das passiert, wie wir wissen, immer und immer wieder. Es sind immer wieder die gleichen Muster: wie in den 50er-Jahren bei den Vertriebenen aus Osteuropa, bei den Gastarbeitern in den 70er-Jahren, bei den Flüchtlingen aus der DDR in den 80ern und den Flüchtlingen während des Balkan kriegs in den 90ern.
„Währenddessen wuchs in den Verwaltungen der west deutschen Großstädte die Angst vor jedem neuen Flücht ling, denn die Neuankömmlinge drängen auf einen Woh nungsmarkt, der so strapaziert ist wie kaum je zuvor. […] ‚Niemandem‘, meint der CSU-Fraktionsvorsitzende Alo is Glück gleichwohl versprechen zu müssen, werde hier zulande durch die Aufnahme der DDR-Bürger etwas ge nommen. Dennoch drohen die Neuen aus der DDR der Auslöser für sozialen Unfrieden zu werden, womöglich auch für Veränderungen im Wahlverhalten der Westdeut schen.“
Diese Passage stammt aus einem Zeitungsartikel vom Septem ber 1989. Sie spiegelt genau die gleichen Befürchtungen wider, die heute in Bezug auf Flüchtlinge kursieren. Diese Ängste werden bewusst geschürt, um Wählerstimmen zu gewinnen. Mal hießen diese Zündler Republikaner, dann war es die NPD, dann die DVU. Eigentlich wäre meine Rede an dieser Stelle mit einem nüchternen Fazit zu beenden: Erst viel Geschrei, dann haben wir die Ärmel hochgekrempelt und jedes dieser Proble me gelöst.
Aber jetzt hat sich etwas verändert, meine Damen und Herren. Heute beteiligt sich leider auch die CSU am populistischen Zehnkampf. Während im letzten Monat sage und schreibe 150 Asylbewerber in Passau ankamen, behauptet diese Dreifal
tigkeitsallianz, es gehe um Leben und Tod und jetzt müssten unbedingt die Grenzen geschlossen werden. Das ist so absurd, dass sich selbst die bayerische Zivilgesellschaft abwendet und Söder und Seehofer auf der Beliebtheitsskala plötzlich weit hinter Merkel liegen. Wir unterstützen die CDU und Frau Mer kel bei ihrer Suche nach einer europäischen Lösung.
Herr Senftleben, Sie sagten vorhin: Demokratie ist mehr als eine Haltung. - Ich will das unterstreichen. Ich denke, aus den Beispielen können wir drei Lehren ziehen, die sich auch im Landeskonzept abbilden. Erstens: Wir müssen weiter daran ar beiten, echte von unechten Problemen zu unterscheiden. Zwei tens: Meinungen sind gut, aber sie sollten mit Fakten unterlegt werden. Menschenfeindliche Äußerungen sind keine Mei nungsbekundungen, sondern ein Fall für den Staatsanwalt.